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ARBEITSRECHT AKTUELL // 11/021

Miss­brauch ei­ner Tank­kar­te durch Ar­beit­neh­mer ist straf­bar

Miss­brauch ei­ner Tank­kar­te durch den Ar­beit­neh­mer- straf­bar als Be­trug oder Un­treue: Ober­lan­des­ge­richt Cel­le, Be­schluss vom 05.11.2010, 1 Ws 277/10
EDV-erzeugte Lohnabrechnung, Ausschnitt Be­trü­ger ris­kie­ren nicht nur den Ar­beits­platz son­dern auch ei­ne Straf­an­zei­ge
31.01.2011. Nicht erst seit "Em­me­ly" ist all­ge­mein be­kannt, dass Straf­ta­ten des Ar­beit­neh­mers zu Las­ten des Ar­beit­ge­bers Grund für ei­ne au­ßer­or­dent­lich-frist­lo­se, ver­hal­tens­be­ding­te Kün­di­gung sein kön­nen. Spe­zi­ell bei den in die­sem Zu­sam­men­hang dis­ku­tier­ten "Ba­ga­tell­de­lik­ten" wird es in al­ler Re­gel bei die­ser zi­vil­recht­li­chen Fol­ge, ge­ge­be­nen­falls so­gar nur ei­ne Ab­mah­nung, blei­ben. Soll­te der Be­trof­fe­ne doch ein­mal Straf­an­zei­ge stel­len, wird die Ver­fol­gung sol­cher ge­ring­fü­gi­ger De­lik­te so gut wie im­mer oh­ne An­kla­ge ein­ge­stellt.

Nicht über­se­hen darf al­ler­dings, dass "rich­ti­ge" Straf­ta­ten stets auch zu ei­ner emp­find­li­chen Geld­stra­fe oder Frei­heits­tra­fe füh­ren kön­nen. Da­bei sind Ei­gen­tums­de­lik­te, wie bei­spiels­wei­se Dieb­stahl, und Ver­mö­gens­de­lik­te, z.B. Be­trug, sta­tis­tisch ge­se­hen am häu­figs­ten. Doch nicht al­les, was im all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch als "be­trü­ge­risch" oder "Ver­bre­chen" be­zeich­net wird, ist dies auch aus straf­recht­li­cher Per­spek­ti­ve.

Bei­spiels­wei­se ist der "durch­schnitt­li­che" Be­trug im Sin­ne des § 263 Straf­ge­setz­buch (StGB) ein Ver­ge­hen und kein Ver­bre­chen (zum Un­ter­schied sie­he § 12 StGB). Er setzt vor­aus, dass (a) je­mand durch ei­ne Täu­schung (b) ei­nen Irr­tum bei ei­nem an­de­ren er­regt hat, die­ser (c) des­halb über ihm an­ver­trau­tes oder ei­ge­nes Ver­mö­gen ver­fügt und (d) es da­durch ge­schä­digt wird. Was im ers­ten Mo­ment noch halb­wegs ein­deu­tig klingt, of­fen­bart bei nä­he­rer Be­trach­tung ei­ne Viel­zahl von recht­li­chen Pro­ble­men und In­ter­pre­ta­ti­ons­mög­lich­kei­ten.

Noch un­deut­li­cher und un­kla­rer ist die Si­tua­ti­on bei der ver­mö­gens­recht­li­chen "Un­treue" im Sin­ne des § 266 StGB. Im We­sent­li­chen wird hier dem Tä­ter vor­ge­wor­fen, dass er die ihm ein­ge­räum­te Be­fug­nis, über frem­des Ver­mö­gen zu ver­fü­gen, ver­letzt und da­durch dem Ver­mö­gens­in­ha­ber ei­nen Scha­den zu­fügt. Da der Tat­be­stand recht "schwam­mig" for­mu­liert ist, ver­sucht die Recht­spre­chung den Wort­laut durch zu­sätz­li­che An­for­de­run­gen auf ein ver­nünf­ti­ges Maß zu re­du­zie­ren. Denn nicht je­der Ver­stoß ge­gen ver­trag­li­che Pflich­ten soll au­to­ma­tisch auch ei­ne Un­treue sein. Statt­des­sen muss ge­gen ei­ne "in­halt­lich be­son­ders her­aus­ge­ho­be­ne Pflicht zur Wahr­neh­mung frem­der Ver­mö­gens­in­ter­es­sen" ver­sto­ßen wer­den. Die­se kann nur an­ge­nom­men wer­den, wenn die Pflicht auch Spiel­raum für ei­gen­ver­ant­wort­li­che Ent­schei­dun­gen be­inhal­tet, d.h. ein ge­wis­ses Er­mes­sen zu­lässt.

Vor die­sem recht­li­chen Hin­ter­grund stell­te sich dem Ober­lan­des­ge­richt (OLG) Cel­le An­fang No­vem­ber 2010 die Fra­ge, ob die miss­bräuch­li­che Ver­wen­dung so­ge­nann­ter Tank­kar­ten straf­bar ist, und wenn ja, ob es sich da­bei um Be­trug oder Un­treue han­delt (OLG Cel­le, Be­schluss vom 05.11.2010, 1 Ws 277/10). Ein Ar­beit­ge­ber hat­te hier sei­nen Kraft­fah­rern mit­tels ei­ner Kar­te die Mög­lich­keit ge­ge­ben, an be­stimm­ten Tank­stel­len Kraft­stoff für die von ihm ge­führ­ten Fahr­zeu­ge zu er­hal­ten. Da­bei hat­te er die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne er­laub­te Be­tan­kung ge­nau vor­ge­ge­ben. Ei­ni­ge der Ar­beit­neh­mer nutz­ten die Kar­ten gleich­wohl da­zu, auch frem­de Au­tos zu be­tan­ken. An­schlie­ßend reich­ten sie Tank­be­le­ge ein, oh­ne hier­auf hin­zu­wei­sen.

Die zu­stän­di­ge Staats­an­walt­schaft Hil­des­heim woll­te da­her An­kla­ge we­gen Un­treue er­he­ben. Da­bei konn­te sie sich auf das Land­ge­richt (LG) Dres­den und das OLG Dres­den be­ru­fen, die bei ähn­li­chen Fäl­len eben­falls Un­treue an­ge­nom­men hat­ten (LG Dres­den, Ur­teil vom 21.06.2005, 10 Ns 202 Js 45549/03 und OLG Dres­den, Be­schluss vom 15.12.2005, 1 Ss 790/05). Doch das zu­stän­di­ge LG Hil­des­heim lehn­te es ab, das Haupt­ver­fah­ren zu er­öff­nen. Die vor­ge­wor­fe­nen Hand­lun­gen sei­en un­ter kei­nem er­denk­li­chen Ge­sichts­punkt straf­bar (Be­schluss vom 14.04.2010). Dar­auf­hin leg­te die Staats­an­walt­schaft so­for­ti­ge Be­schwer­de beim OLG Cel­le ein. Das Ge­richt ließ wei­te­re Nach­for­schun­gen vor­neh­men und kam zu dem Er­geb­nis, dass die An­kla­ge nicht we­gen Un­treue, son­dern we­gen Be­tru­ges zu­ge­las­sen wer­den müs­se.

An­ders als das OLG Dres­den ging das OLG Cel­le da­bei da­von aus, die an­ge­klag­ten Kraft­fah­rer hät­ten we­gen der ge­nau­en Hand­lungs­an­wei­sun­gen kei­nen Spiel­raum für ei­gen­ver­ant­wort­li­che Ent­schei­dun­gen und da­mit kei­ne be­son­de­re Ver­mö­gens­be­treu­ungs­pflicht ge­habt. Al­ler­dings hat­ten sie durch die kom­men­tar­los ein­ge­reich­ten Tank­be­le­ge den Ein­druck er­weckt, die Kar­te "nur im Rah­men des Ver­ein­bar­ten ein­ge­setzt zu ha­ben". Dies er­reg­te bei dem Ar­beit­ge­ber ei­nen ent­spre­chen­den Irr­tum, wes­we­gen er die ihm von den Tank­stel­len in Rech­nung ge­stell­ten Be­trä­ge nicht von sei­nen Ar­beit­neh­mern zu­rück­for­der­te. Da­durch wur­de er in sei­nem Ver­mö­gen in Hö­he der un­be­nutzt ge­blie­be­nen Er­satz­an­sprü­che ge­schä­digt, so das Ge­richt.

Fa­zit: Die ver­trags­brü­chi­gen Ar­beit­neh­mer müs­sen sich nun al­so ei­ne An­kla­ge we­gen Be­tru­ges stel­len. Sie ha­ben da­mit nichts ge­won­nen, da Be­trug und Un­treue den glei­chen Straf­rah­men ha­ben, näm­lich ei­ne Frei­heits­stra­fe von bis zu fünf Jah­ren oder Geld­stra­fe. Letzt­lich ist in "Tank­kar­ten­fäl­len" al­so nur aus­schlag­ge­bend, dass der Ar­beit­neh­mer sei­ne Mög­lich­kei­ten heim­lich miss­braucht und sei­nen Ar­beit­ge­ber da­durch fi­nan­zi­ell ge­schä­digt hat. Hier ist die all­ge­mein­sprach­li­che Um­schrei­bung als Be­trug folg­lich zu­gleich die zu­tref­fen­de recht­li­che Ein­ord­nung. Die Ent­schei­dung zeigt da­mit sehr schön, dass auch Ju­ris­ten durch­aus manch­mal zu kom­pli­ziert den­ken und "den Wald vor lau­ter Bäu­men nicht se­hen".

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Letzte Überarbeitung: 24. August 2016

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