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ARBEITSRECHT AKTUELL // 11/022

Kün­di­gung als ver­bo­te­ne Maß­re­ge­lung in ei­nem Klein­be­trieb

Kün­di­gungs­schutz im Klein­be­trieb: Maß­re­ge­lun­gen sind ver­bo­ten!: Ar­beits­ge­richt Ham­burg, Ur­teil vom 31.08.2010, 19 Ca 215/10
Rechte Hand mit roter Karte Auch im Klein­be­trieb sind will­kür­li­che Kün­di­gun­gen ver­bo­ten
01.02.2011. Ar­beit­neh­mer kön­nen auf der Grund­la­ge des Kün­di­gungs­schutz­ge­set­zes (KSchG) Kün­di­gungs­schutz in An­spruch neh­men, wenn sie län­ger als sechs Mo­na­te in ei­nem Be­trieb tä­tig sind, in dem in der Re­gel mehr als zehn Ar­beit­neh­mer ar­bei­ten (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Sie kön­nen dann nur noch aus den im KSchG ge­nann­ten Grün­den, al­so aus ver­hal­tens­be­ding­ten, per­so­nen­be­ding­ten und/oder be­triebs­be­ding­ten Grün­den, ent­las­sen wer­den.

In Be­trie­ben mit we­ni­ger Ar­beit­neh­mern, d.h. in so­ge­nann­ten "Klein­be­trie­ben", oder wenn das Ar­beits­ver­hält­nis noch kei­ne sechs Mo­na­te be­stan­den hat, gibt es kei­nen Kün­di­gungs­schutz. Kün­di­gungs­schutz­kla­gen ha­ben da­her wäh­rend der sechs­mo­na­ti­gen War­te­zeit oder in Klein­be­trie­ben zu­meist nur ge­rin­ge Er­folgs­aus­sich­ten.

In ei­ni­gen Fäl­len, in de­nen der all­ge­mei­ne Kün­di­gungschutz ver­sagt, kön­nen sich Ar­beit­neh­mer auf Vor­schrif­ten des Son­der­kün­di­gungs­schut­zes be­ru­fen. In des­sen Ge­nuss kom­men be­stimm­te be­son­ders schutz­be­dürf­ti­ge Ar­beit­neh­mer­grup­pen. Hier­zu zäh­len z.B. Schwan­ge­re (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Mut­ter­schutz­ge­setz - MuSchG), Ar­beit­neh­mer in der El­tern­zeit (§ 18 Abs. 1 Satz 1 Bun­des­el­tern­geld- und El­tern­zeit­ge­setz - BEEG) und schwer­be­hin­der­te Men­schen (§ 85 So­zi­al­ge­setz­buch Neun­tes Buch - SGB IX).

Aber auch wenn kein be­son­de­rer Kün­di­gungs­schutz ge­setz­lich ge­re­gelt ist, sind ge­kün­dig­te Ar­beit­neh­mer nicht völ­lig schutz­los der Will­kür ih­res Ar­beit­ge­bers aus­ge­lie­fert. Ei­ne äu­ßers­te Gren­ze bil­den hier die für al­le Rechts­ver­hält­nis­se gel­ten­den §§ 134, 138, 242 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch (BGB). Ei­ne Kün­di­gung darf da­nach nicht ge­gen gel­ten­de Ge­set­ze ver­sto­ßen, sit­ten­wid­rig oder treu­wid­rig sein. Wäh­rend ei­ne sit­ten­wid­ri­ge oder treu­wid­ri­ge Ent­las­sung ein prak­tisch so gut wie nie vor­kom­men­der Fall ist (sie­he je­doch BAG, Ur­teil vom 21.02.2001, 2 AZR 15/00 zum "Min­dest­maß an so­zia­ler Rück­sicht­nah­me"), sind hin und wie­der Ver­stö­ße ge­gen ge­setz­li­che Be­stim­mun­gen zu be­ob­ach­ten.

Zu den vom Ar­beit­ge­ber zu be­ach­ten­den ge­setz­li­chen Re­geln ge­hört das "Maß­re­ge­lungs­ver­bot" des § 612a BGB. Da­nach darf ein Ar­beit­ge­ber ei­nen Ar­beit­neh­mer bei ei­ner Maß­nah­me nicht be­nach­tei­li­gen, weil der Ar­beit­neh­mer in zu­läs­si­ger Wei­se sei­ne Rech­te aus­übt. Auch ei­ne Kün­di­gung kann in die­sem Sin­ne "ei­ne Maß­nah­me" sein.

Pro­ble­ma­tisch ist, dass der Be­trof­fe­ne nicht nur die zu­läs­si­ge Aus­übung sei­ner Rech­te und die Kün­di­gung be­wei­sen muss, son­dern auch, dass er ge­ra­de we­gen der Aus­übung sei­ner Rech­te ent­las­sen wur­de. Die­ser Ur­sa­chen­zu­sam­men­hang fehlt nur dann nicht, wenn die Rechts­aus­übung das we­sent­li­che Mo­tiv für die Kün­di­gung war. Ty­pi­scher­wei­se tra­gen Ar­beit­ge­ber da­her an­de­re, aus ih­rer Sicht ent­schei­den­de Be­weg­grün­de vor, wie bei­spiels­wei­se wirt­schaft­li­che Grün­de.

So ge­schah es auch in ei­nem En­de Au­gust 2010 vom Ar­beits­ge­richt Ham­burg ent­schie­de­nen Fall (Ur­teil vom 31.08.2010, 19 Ca 215/10). Ein in ei­nem Klein­be­trieb ar­bei­ten­der Ver­pa­cker hat­te hier sei­nen Ar­beit­ge­ber mehr­mals ver­geb­lich um neue Ar­beits­schu­he ge­be­ten, da die al­ten in­zwi­schen ka­putt ge­gan­gen wa­ren. Bei ei­nem die­ser Ge­sprä­che sag­te sein Vor­ge­setz­ter zu ihm:

"Ver­las­sen Sie mein Bü­ro. Ich will Sie hier nicht mehr se­hen. Ich will nicht mit Ih­nen re­den."

Höchs­tens fünf Ta­ge spä­ter - da­zwi­schen lag ein Wo­chen­en­de - kün­dig­te der Ar­beit­ge­ber dem Klä­ger or­dent­lich. Im dar­auf fol­gen­den Kün­di­gungs­schutz­pro­zess ließ er vor­tra­gen, die Kün­di­gung sei aus wirt­schaft­li­chen Grün­den er­folgt. Er ver­wies da­bei auf den schlech­ten Jah­res­ab­schluss 2009, ei­ne zwei Mo­na­te vor der Kün­di­gung be­en­de­te Zeit der Kurz­ar­beit und die Kün­di­gung von fünf an­de­ren Ar­beit­neh­mern.

Das Ar­beits­ge­richt Ham­burg ließ sich hier­von nicht be­ein­dru­cken.

Denn der en­ge zeit­li­che Zu­sam­men­hang zwi­schen der be­rech­tig­ten Bit­te um neue Schu­he und der Kün­di­gung spricht als An­scheins­be­weis für ei­ne Maß­re­ge­lung, so das Ge­richt. Auch die Aus­sa­gen des Vor­ge­setz­ten pass­ten "zu der Ent­wick­lung ei­ner auf Be­en­di­gung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses ge­rich­te­ten Ab­sicht, auch wenn sich die­se in der zi­tier­ten Äu­ße­rung selbst noch nicht zwin­gend nach­wei­sen lässt".

Dem­ge­gen­über war der Er­klä­rungs­ver­such des Ar­beit­ge­bers nicht über­zeu­gend. Das Ge­richt ver­wies in­so­weit auf den ver­gleichs­wei­se gro­ßen zeit­li­chen Ab­stand zwi­schen der Bi­lanz­er­stel­lung, dem En­de der Kurz­ar­beit und der Ent­las­sung der an­de­ren Ar­beit­neh­mer ei­ner­seits und der Ent­las­sung des kla­gen­den Ver­pa­ckers an­de­rer­seits.

Das Ar­beits­ge­richt Ham­burg hielt die Kün­di­gung da­her als Ver­stoß ge­gen das ge­setz­li­che Maß­re­ge­lungs­ver­bot für un­wirk­sam. Die Ent­schei­dung rechts­kräf­tig.

Fa­zit: Hät­te der Ar­beit­ge­ber auch nur ge­ring­fü­gig län­ger mit der Kün­di­gung ge­war­tet, wä­re es dem Ar­beit­neh­mer ex­trem schwer ge­fal­len, ei­ne Maß­re­ge­lung vor Ge­richt nach­zu­wei­sen. Denn der für ei­nen An­scheins­be­weis aus­rei­chen­de "en­ge zeit­li­che Zu­sam­men­hang" kann schon nach we­ni­gen Ta­gen nicht mehr an­ge­nom­men wer­den. Als Ober­gren­ze dürf­te hier in et­wa ei­ne Wo­che an­zu­se­hen sein. Die Kün­di­gung wä­re dann oh­ne wei­te­res wirk­sam ge­we­sen. Hier hat­te der Ar­beit­neh­mer Glück im Un­glück.

Nä­he­re In­for­ma­tio­nen fin­den sie hier:

Letzte Überarbeitung: 24. August 2016

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