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Gesetzentwurf zur Tarifeinheit
30.01.2015. Nachdem die Bundesregierung im Sommer 2014 in einem Eckpunktepapier zur Tarifeinheit angekündigt hatte, eine gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit auf den Weg zu bringen, hat sie Ende Dezember 2014 einen konkreten Gesetzentwurf vorgelegt.
Anders als ursprünglich im Eckpunktepapier geplant soll das Streikrecht nun doch nicht per Gesetz eingeschränkt werden. Trotzdem dürfte es für kleinere Gewerkschaften künftig schwer werden, ihre Anhänger zu Streiks zu mobilisieren.
Im folgenden finden Sie einen Überblick über die wesentlichen Inhalte des Gesetzentwurfs: Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz), Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 29.12.2014, Bundesrat Drucks. 635/14.
- Wesentlicher Inhalt des Gesetzentwurfs
- Begründung des Gesetzentwurfs
- Kritik der Gesetzesbegründung
- Verdrängung der Tarifverträge von Minderheitsgewerkschaften und Koalitionsfreiheit
- Tarifeinheit und Streikrecht
- Fazit
Wesentlicher Inhalt des Gesetzentwurfs
Wie die Bundesregierung bereits im Sommer 2014 in ihrem Eckpunktepapier des Arbeitsministeriums zur Tarifeinheit vom 26.06.2014 deutlich gemacht hatte (wir berichteten in: Arbeitsrecht aktuell: 14/232 Eckpunkte zur Tarifeinheit und Streikrecht), soll die gesetzliche Verankerung der Tarifeinheit im Wesentlichen in einem betrieblichen Mehrheitsprinzip bestehen. Diese Regelung ist in § 4a Abs.2 Satz 2 Tarifvertragsgesetz (TVG) neue Fassung (n.F.) enthalten und lautet:
"Soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden (kollidierende Tarifverträge), sind im Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat."
Diese Regelung nimmt den Inhaltsnormen, die in den Tarifverträge einer betrieblichen Minderheitsgewerkschaft enthalten sind, ihre normative bzw. gesetzesgleiche Wirkung, die sie eigentlich nach § 4 Abs.1 Satz 1 TVG haben würden, vorausgesetzt, sowohl der Arbeitnehmer (als Mitglied der Minderheitsgewerkschaft) als auch der Arbeitgeber (als Tarifvertragspartei oder Mitglieder eines Arbeitgeberverbandes) sind tarifgebunden.
Von einer "Kollision" zu reden ist übrigens nicht ganz richtig, denn nach dem Gesetz wirken der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft und der der Minderheitsgewerkschaft parallel auf die Arbeitsverhältnisse ihrer jeweiligen Mitglieder ein, d.h. eine Kollision besteht nur dann, wenn ein Arbeitnehmer in beiden Gewerkschaften zugleich ist.
Die geplante Neuregelung schließt allerdings nicht aus, dass die Tarifverträge einer betrieblichen Minderheitsgewerkschaft weiterhin (trotz "kollidierender" Tarifverträge einer Mehrheitsgewerkschaft) anzuwenden sind, weil ihre Geltung nämlich arbeitsvertraglich durch Bezugnahmeklauseln vereinbart worden ist.
Wie bereits im Eckpunktepapier zur Tarifeinheit vom 26.06.2014 vorgesehen, stellt auch die Gesetzesbegründung klar, dass die gesetzliche Verdrängung von Tarifverträgen nur hilfsweise ("subsidiär") eingreift, nämlich dann, wenn sich die "Tarifkollision" nicht bereits durch andere Regelungen in Luft auflöst. Solche anderen Regelungen können
- Tarifgemeinschaften verschiedener Gewerkschaften sein, oder
- die einvernehmliche Abgrenzung von Zuständigkeiten für bestimmte Berufsgruppen zwischen Gewerkschaften, oder
- der Abschluss von Anschlusstarifverträgen oder von inhaltsgleichen Tarifverträgen, oder
- verbandsinterne Schiedsverfahren wie sie z.B. zwischen verschiedenen DGB-Gewerkschaften praktiziert werden, wenn zwischen ihnen Streit über die Tarifzuständigkeit besteht.
Als Trostpflaster für die kleineren Gewerkschaften, deren Tarifverträge der Tarifeinheit zum Opfer fallen sollen, sieht das Gesetz einen Anspruch auf "Nachzeichnung der Rechtsnormen eines mit ihrem Tarifvertrag kollidierenden Tarifvertrags" vor (§ 4a Abs.4 Satz 1 TVG n.F.), d.h. auf Abschluss eines mit dem Tarifvertrag des großen Bruders inhaltsgleichen Tarifvertrags. Außerdem müssen Arbeitgeber und Arbeitgeberverbände die Aufnahme von Tarifverhandlungen bekanntmachen, damit sich die kleineren Gewerkschaften Gehör verschaffen können. Konkret haben sie das Recht,
"dem Arbeitgeber oder der Vereinigung von Arbeitgebern ihre Vorstellungen und Forderungen mündlich vorzutragen."
Schließlich sieht die Neuregelung auch Ergänzungen des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) vor, mit denen den Arbeitsgerichten die Entscheidung über den kraft des Mehrheitsprinzips anwendbaren Tarifvertrag zugewiesen wird und mit denen klargestellt wird, dass die Anzahl der im Betrieb arbeitenden Gewerkschaftsangehörigen vor Gericht durch Vorlage notarieller Urkunden bewiesen werden kann, damit die Gewerkschaftsmitglieder sich nicht dem Arbeitgeber gegenüber "outen" müssen.
Begründung des Gesetzentwurfs
Für eine gesetzlich verordnete betriebliche Tarifeinheit führt die Gesetzesbegründung folgende Argumente an:
- Kollidierende tarifliche Regelungen im Betrieb beeinträchtigten "die Schaffung einer widerspruchsfreien Ordnung der Arbeitsbeziehungen im Betrieb", d.h. die "Kohärenz des im Betrieb geltenden Entgeltsystems"
- Die "Verteilungsfunktion des Tarifvertrags" sei "gestört", wenn Tariflöhne "vor allem Ausdruck der jeweiligen Schlüsselpositionen der unterschiedlichen Beschäftigtengruppen" seien. Das laufe der "innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit" zuwider.
- Unter der Besserstellung von Arbeitnehmern mit "Schlüsselpositionen" leide die "Befriedungsfunktion des Tarifvertrags", der "Betriebsfrieden" und die "Akzeptanz" einer solchen Lohnpolitik bei den Arbeitnehmern.
- Durch die Tarifpluralität komme es zu "Verteilungskämpfen" konkurrierender Gewerkschaften.
- Die "Befriedungsfunktion des Tarifvertrags" werde beeinträchtigt, weil "sich ein bereits tarifgebundener Arbeitgeber jederzeit einer Vielzahl weiterer Forderungen konkurrierender Gewerkschaften gegenübersehen kann".
- Tarifkollisionen erschwerten die Vereinbarung von betriebseinheitlich geltenden Tarifnormen, die vor allem in Krisenzeiten bzw. in Sanierungsfällen nötig seien.
- Die "Entsolidarisierung der Belegschaften" durch die Tarifpluralität könne so weit gehen, dass Arbeitnehmer ohne Schlüsselfunktionen nicht mehr ausreichend durch Tarifverträge geschützt würden.
Im Wesentlichen verweisen die Gesetzesverfasser damit auf die angeblich zu große Macht von Funktionseliten, wenn diese in Berufsgewerkschaften organisiert sind und die Gefahr eines Überbietungswettbewerbs zwischen den Gewerkschaften.
Kritik der Gesetzesbegründung
Die Gesetzesbegründung ist durch die Verwendung nebelhafter Schlagwörter gekennzeichnet und kann daher nicht überzeugen.
- Tarifliche Regelungen enthalten immer in einem gewissen Umfang "Widersprüche", auch wenn sie von einer Gewerkschaft stammen, z.B. bei der sinnvollen Abgrenzung verschiedener Vergütungsgruppen desselben Tarifvertrags. Dass Unternehmen unterschiedliche Tarifverträge nebeneinander auf dieselben Arbeitnehmergruppen anwenden können, ist im Zeitalter der EDV-gestützten Lohnabrechnungen selbstverständlich.
- Tariflöhne sind auch dann "Ausdruck der jeweiligen Schlüsselpositionen der unterschiedlichen Beschäftigtengruppen", wenn sie in Lohntarifverträgen einer DGB-Gewerkschaft enthalten sind. (Männliche) Facharbeiter beziehen traditionell sehr viel höhere Tariflöhne als andere, vorwiegend weibliche Arbeitnehmergruppen.
- Dass die Besserstellung von Arbeitnehmern mit "Schlüsselpositionen" bei den Arbeitnehmern nicht "akzeptiert" werde und dass dies die "Befriedungsfunktion des Tarifvertrags" oder den "Betriebsfrieden" (?) beeinträchtigen soll, müsste man mit konkreten Beispielen und faktischen Belegen nachweisen. Die Aneinanderreihung politischer Blähwörter kann jedenfalls nicht überzeugen. Abgesehen davon ist absehbar, dass die Neuregelung die Gewerkschaften zwingen wird, in möglichst vielen Betrieben möglichst viele Arbeitnehmergruppen zu vertreten, d.h. zu wachsen. Das wird Konflikte zwischen den Gewerkschaften um Tarifzuständigkeiten, wie sie derzeit zwischen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) bestehen, weiter anheizen.
- Es gibt in Deutschland kaum "Verteilungskämpfe" konkurrierender Gewerkschaften, d.h. einen Überbietungswettbewerb, sondern vielmehr einen Wettbewerb nach unten, d.h. einen Unterbietungswettbewerb. Leiharbeitnehmer werden nach schlechteren Tarifverträgen bezahlt, was Belegschaften spaltet, christliche Gewerkschaften dienen sich mit Dumping-Tarifverträgen an usw. Darunter und nicht unter einem angeblichen Überbietungswettbewerb leidet die Tarifautonomie.
- Dass "ein bereits tarifgebundener Arbeitgeber" auf weitere Forderungen anderer Gewerkschaften eingehen muss, kommt äußert selten vor, da es faktisch nur einige wenige Berufsgruppengewerkschaften gibt. Wenn es aber einmal zu einem solchen Nebeneinander von Tarifforderungen kommt, ist das eben Ausdruck der Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer.
- In Krisenzeiten und Sanierungsfällen werden sich die im Betrieb vertretenen Gewerkschaften sicher auf eine betriebseinheitliche Linie einigen können. Außerdem ist es wenig überzeugend, allgemein geltende tarifrechtliche Regelungen mit Krisenzeiten und Sanierungsfällen zu begründen, d.h. mit Ausnahmesituationen.
- Die "Entsolidarisierung der Belegschaften" ist nicht Folge einer gesetzlich ungeregelten Tarifpluralität, sondern des weit verbreiteten Einsatzes von Leiharbeitnehmern, der Aufspaltung von Unternehmen und Betrieben zwecks Umgehung teurer Tarifverträge und nicht zuletzt auch der Privatisierung öffentlicher Unternehmen.
Das zentrale Argument eines drohenden Überbietungswettbewerbs zwischen konkurrierenden Gewerkschaften kann nicht überzeugen. Die relative Macht von Funktionseliten hat so oder so Folgen für die Tarifpraxis: Auch die DGB-Gewerkschaften kommen nicht umhin, Tarifverträge abzuschließen, die eine besonders gute Bezahlung von Funktionseliten vorsehen.
Faktisch ist die Gefahr eines Sich-Hochschaukelns von Tarifforderungen viel geringer als die Gefahr, dass Scheingewerkschaften oder arbeitgebernahe Gewerkschaften Dumpingtarifverträge vereinbaren und damit die Tarifverträge echter Gewerkschaften aushebeln.
Verdrängung der Tarifverträge von Minderheitsgewerkschaften und Koalitionsfreiheit
Die Verdrängung der Tarifverträge der betrieblichen Minderheitsgewerkschaft ist verfassungswidrig, denn sie nimmt der betrieblich kleineren Gewerkschaft den Kern ihrer durch Art.9 Abs.3 Grundgesetz (GG) geschützten Koalitionsfreiheit. Das ist vom GG nicht gedeckt, denn der Gesetzgeber hat nicht die Möglichkeit, so weitgehend in die Koalitionsfreiheit einzugreifen.
Der wesentliche Gehalt der Koalitionsfreiheit besteht nämlich in der normativen bzw. gesetzesgleichen Anwendung der Tarifverträge auf die Gewerkschaftsmitglieder. Ohne die rechtliche Absicherung der Tarifanwendung werden aus Gewerkschaften sozialpolitische Debattierclubs. Deren Bildung und Betätigung ist nicht erst durch die Koalitionsfreiheit (Art.9 Abs.3 GG), sondern bereits durch die allgemeine Vereinigungsfreiheit (Art.9 Abs.1 GG) geschützt.
An der Verfassungswidrigkeit der geplanten gesetzlichen Verdrängung der Tarifverträge kleinerer Gewerkschaften ändert die Anwendung des Mehrheitsprinzips nichts, denn das Mehrheitsprinzip ist hier nicht demokratisch begründet. Es ist vielmehr eine Auswirkung der Organisationsentscheidungen des Arbeitgebers.
Der Arbeitgeber kann nämlich aufgrund seiner Organisationsgewalt jederzeit über die Größe und den Zuschnitt seiner Betriebe beliebig entscheiden und damit auch über die Auswirkungen des Mehrheitsprinzips. Letztlich hat es der Arbeitgeber (!) damit in der Hand, durch geeignete Aufteilungen bzw. Zusammenlegungen von Betrieben und Betriebsteilen die ihm genehme Gewerkschaft in die Mehrheitsposition zu bringen. Der Kölner Arbeitsrechtsprofessor Ulrich Preis hat darauf hingewiesen, dass allein im Unternehmen der Deutschen Bahn AG über 300 Betriebe bestehen, d.h. hier wäre dreihundertmal zu prüfen, welche der konkurrierenden Bahngewerkschaften die jeweilige Mehrheit der Arbeitnehmer hinter sich hat.
Aber auch abgesehen davon: Der Grundrechtsschutz dient gerade denjenigen Personen und Vereinigungen, die in der Minderheit sind.
Die geplante Regelung wäre auch dann verfassungswidrig, wenn die Auslegung der geplanten Neuregelung ergeben sollte, dass die Tarifverträge betrieblicher Minderheitsgewerkschaften nicht verdrängt werden, wenn sie kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme gelten. Denn auch dann, wenn die Neuregelung nur eine begrenzte, nämlich auf die normative Wirkung von Tarifverträgen bezogene Wirkung hätte, wäre sie mit der Koalitionsfreiheit der kleineren Gewerkschaft unvereinbar.
Tarifeinheit und Streikrecht
Die gesetzliche Neuregelung will offiziell nicht in das Streikrecht der Minderheitsgewerkschaft eingreifen. Anders als das Eckpunktepapier zur Tarifeinheit vom 26.06.2014, das eine Bindung der Minderheitsgewerkschaft an die aus den Tarifverträgen der Mehrheitsgewerkschaft folgenden Friedenspflicht vorsah, enthält der jetzt vorliegende Gesetzentwurf vom 29.12.2014 keine Regelungen zum Streikrecht.
Allerdings geht die Gesetzesbegründung davon aus, dass die Arbeitsgerichte Streiks untersagen werden, wenn sie von einer Minderheitsgewerkschaft mit dem Ziel geführt werden, einen Tarifvertrag abzuschließen, der letztlich wegen des Mehrheitsprinzips nicht angewendet werden würde. Damit weicht der Gesetzgeber der unangenehmen Begrenzung des Streikrechts aus und überlässt diese heiklen Fragen lieber den Arbeitsgerichten. Hierzu heißt es in der Gesetzesbegründung:
"Die Regelungen zur Tarifeinheit ändern nicht das Arbeitskampfrecht. Über die Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen, mit denen ein kollidierender Tarifvertrag erwirkt werden soll, wird allerdings im Einzelfall im Sinne des Prinzips der Tarifeinheit zu entscheiden sein. Der Arbeitskampf ist Mittel zur Sicherung der Tarifautonomie. Der Arbeitskampf dient nicht der Sicherung der Tarifautonomie, soweit dem Tarifvertrag, der mit ihm erwirkt werden soll, eine ordnende Funktion offensichtlich nicht mehr zukommen würde, weil die abschließende Gewerkschaft keine Mehrheit der organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb haben würde."
Diese Rechnung dürfte allerdings nicht aufgehen, denn welche Gewerkschaft in welchen Betrieben in der Mehrheits- bzw. Minderheitssituation ist, kann man erst nach Beendigung des Streiks und Abschluss des Tarifvertrags wissen.
Denn erstens legt der Tarifvertrag seinen betrieblichen Anwendungsbereich fest, zweitens können Arbeitgeber jederzeit den Zuschnitt ihrer Betriebe ändern und außerdem haben Streiks meistens positive Auswirkungen auf die Mitgliederentwicklung: Viele Arbeitnehmer treten im Verlauf von Streiks in die Gewerkschaft ein. Das alles führt dazu, dass sich die Arbeitsgerichte kaum dazu hergeben werden, der Aufforderung der Gesetzesverfasser zu richterlichen Streikverboten nachzukommen.
Wichtiger als eine von der Neuregelung ausgesparte rechtliche Beschränkung des Streikrechts dürfte die faktische Beeinträchtigung der Streikmöglichkeiten kleinerer Gewerkschaften sein: Wenn sie nur noch Tarifverträge abschließen können, die dazu bestimmt sind, in der Ablage zu landen, dürfte es schwer und auf die Dauer unmöglich werden, Arbeitnehmer für einen Streik zu mobilisieren.
Fazit
Die geplante Neuregelung sieht eine Übergangsregelung zugunsten von Tarifverträgen vor, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bereits bestehen.
Abgesehen von diesem Bestandsschutz soll es den Berufsgruppengewerkschaften an den Kragen gehen, d.h. sie sollen letztlich von der tarifpolitischen Bühne verschwinden. Das ist völlig unverhältnismäßig und daher aufgrund der Verletzung von Art.9 Abs.3 GG verfassungswidrig. Denn wie erwähnt gehören zur Koalitionsfreiheit (Art.9 Abs.3 Satz 1 GG) aller und damit auch der kleinen Gewerkschaften rechtliche Regelungen, die die Anwendung der von der Gewerkschaft ausgehandelten Tarifverträge auf ihre Mitglieder gewährleisten.
In dieses Grundrecht kann der Gesetzgeber nur im Rahmen einer gesetzlichen Ausgestaltung eingreifen oder aber zum Schutz gleichrangiger Güter von Verfassungsrang. Da die geplante Neuregelung aber die Tariffreiheit und damit die Koalitionsfreiheit der betrieblichen Minderheitsgewerkschaften nicht ausgestalten, sondern schlicht beseitigen will, kann sich der Gesetzgeber hier nicht auf seine Befugnis zu institutionellen Ausgestaltung stützen. Und auf das Ziel, die "praktische Konkordanz" der Koalitionsfreiheit mit entgegenstehenden Verfassungsgütern herstellen zu wollen, beruft sich die Gesetzesbegründung zurecht erst gar nicht.
Abgesehen von Art.9 Abs.3 GG dürfte die geplante Regelung auch gegen den Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG) verstoßen, da der Gesetzgeber verpflichtet ist, allen echten Arbeitnehmerkoalitionen gleiche rechtliche Chancen einzuräumen, gemäß ihren Organisationsgrundsätzen erfolgreich zu sein. Eine gesetzliche Bevorzugung größerer, nach dem Industrieverbandsprinzip gebildeten Gewerkschaften gegenüber kleineren Berufsgruppengewerkschaften ist daher unzulässig.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz), Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 29.12.2014, Bundesrat Drucks. 635/14
- Referentenentwurf der Bundesregierung, Oktober 2014: Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz)
- Arbeitsministerium: Eckpunkte zu einer gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit (26.06.2014)
- Handbuch Arbeitsrecht: Streik und Streikrecht
- Handbuch Arbeitsrecht: Tarifeinheit, Grundsatz der Tarifeinheit
- Handbuch Arbeitsrecht: Tarifvertrag
- Arbeitsrecht aktuell: 18/155 Tariffähigkeit einer Gewerkschaft hängt weiter von ihrer Mächtigkeit ab
- Arbeitsrecht aktuell: 17/187 Tarifeinheitsgesetz verfassungsgemäß
- Arbeitsrecht aktuell: 16/235 Gewerkschaft haftet auf Schadensersatz wegen Streik
- Arbeitsrecht aktuell: 15/292 Eilanträge gegen Tarifeinheit gescheitert
- Arbeitsrecht aktuell: 15/139 Tarifeinheit und internationales Recht
- Arbeitsrecht aktuell: 15/006 Tarifeinheit und Streikrecht
- Arbeitsrecht aktuell: 14/232 Eckpunkte zur Tarifeinheit und Streikrecht
- Arbeitsrecht aktuell: 12/143 Reizthema Tarifeinheit
- Arbeitsrecht aktuell: 11/114 BDA-DGB-Gesetzesinitiative zur Tarifeinheit beendet
- Arbeitsrecht aktuell: 10/134 Abschied vom Grundsatz der Tarifeinheit
- Franzen/Thüsing/Waldhoff: Gesetzesentwurf "Arbeitskampf in der Daseinsvorsorge", vorgestellt am 19.03.2012
- RWI (2011), Empirische Analyse der Auswirkungen der Tarifpluralität auf das deutsche Tarifvertragssystem und auf die Häufigkeit von Arbeitskämpfen
- BDA, DGB: Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sichern - Tarifeinheit gesetzlich regeln
Letzte Überarbeitung: 30. Oktober 2020
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