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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/069

Un­gleich­be­hand­lung bei Ab­fin­dun­gen

Zur Recht­mä­ßig­keit von sog. Tur­bo­re­ge­lun­gen in Ab­fin­dungs­ver­ein­ba­run­gen: Lan­des­ar­beits­ge­richt Mün­chen, Ur­teil vom 11.02.2009, 11 Sa 598/08
Auktionshammer bzw. Gerichtshammer auf Geldscheinen Legt der Ar­beit­ge­ber ei­ne Tur­bo­prä­mie drauf, muss man zur rech­ten Zeit zu­grei­fen

27.04.2009. So­zi­al­plä­ne ent­hal­ten oft­mals An­sprü­che auf ei­ne Ab­fin­dung. Und mach­mal er­höht der Ar­beit­ge­ber bei grö­ße­ren Ent­las­sungs­wel­len die im So­zi­al­plan ent­hal­te­nen Ab­fin­dungs­an­sprü­che, wenn im ers­ten Schritt noch zu we­nig Ar­beit­neh­mer ei­ner Auf­lö­sung ih­res Ar­beits­ver­trags ge­gen Ab­fin­dung zu­ge­stimmt ha­ben.

Frag­lich ist, ob durch durch sol­che "Tur­bo­re­ge­lun­gen" Ar­beit­neh­mer bes­ser ge­stellt wer­den dür­fen, die sich spä­ter als an­de­re Kol­le­gen für ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag ent­schei­den. Im­mer­hin er­hal­ten die frü­her aus­ge­schie­de­nen Ar­beit­neh­mer we­ni­ger üp­pi­ge Ab­fin­dun­gen.

An­ders ge­sagt: Ist es rech­tens, Ar­beit­neh­mern auf­grund von Tur­bo­prä­mi­en hö­he­re Ab­fin­dun­gen zu­zu­ge­ste­hen als ih­ren be­reits ei­ni­ge frü­her Zeit aus­ge­schie­de­nen Kol­le­gen? Mit die­ser Fra­ge be­fasst sich das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Mün­chen in sei­nem Ur­teil vom 11.02.2009 (11 Sa 598/08).

Darf der Ar­beit­ge­ber be­ste­hen­de So­zi­al­plan­ab­fin­dun­gen durch Tur­bo­prämi­en auf­bes­sern, um da­durch mehr Ar­beit­neh­mer als bis­her zu Auf­he­bungs­verträgen zu mo­ti­vie­ren?

Der ar­beits­recht­li­che Gleich­be­hand­lungs­grund­satz ver­bie­tet es dem Ar­beit­ge­ber, ein­zel­ne Ar­beit­neh­mer des Be­triebs bei all­ge­mein gewähr­ten Vergüns­ti­gun­gen oh­ne sach­li­chen Grund schlech­ter zu stel­len.

An den Gleich­be­hand­lungs­grund­satz sind auch die Be­triebs­part­ner, d.h. Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat, ge­bun­den, ins­be­son­de­re wenn sie Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen oder So­zi­alpläne ver­ein­ba­ren.

Dies er­gibt sich aus § 75 Abs. 1 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG), wo­nach Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat darüber zu wa­chen ha­ben, dass al­le im Be­trieb täti­gen Per­so­nen "nach den Grundsätzen von Recht und Bil­lig­keit" be­han­delt und dis­kri­mi­nie­ren­de Un­gleich­be­hand­lun­gen ver­mie­den wer­den.

Ei­ne Un­gleich­be­hand­lung beim The­ma Ab­fin­dung ist da­her im­mer be­gründungs­bedürf­tig. Gibt es kei­nen Sach­grund dafür, Ar­beit­neh­mern ei­ne höhe­re bzw. ge­rin­ge­re Ab­fin­dung zu zah­len als ver­gleich­ba­ren an­de­ren Ar­beit­neh­mern, ist die Un­gleich­be­hand­lung nicht rech­tens und al­le können die je­weils güns­tigs­te Re­ge­lung für sich be­an­spru­chen.

Frag­lich ist, ob der Ar­beit­ge­ber ei­nen sach­li­chen Grund dafür hat, wenn er ei­ne schlep­pend an­ge­lau­fe­ne Ent­las­sungs­wel­le be­schleu­ni­gen will, in­dem er auf be­ste­hen­de Ab­fin­dungs­ansprüche ei­ne Tur­bo­prämie drauf­sat­telt, um Un­ent­schlos­se­ne zu Auf­he­bungs­verträgen zu mo­ti­vie­ren.

Der Streit­fall: Frühzei­tig und oh­ne Tur­bo­re­ge­lung aus­ge­schie­de­ne Ar­beit­neh­me­rin möch­te später aus­ge­schie­de­nen Kol­le­gen gleich­ge­stellt wer­den und ver­langt Zah­lung der Tur­bo­prämie

Der Ar­beit­ge­ber ei­nig­te sich mit dem Be­triebs­rat anläss­lich ei­ner ge­plan­ten Be­triebsände­rung im April 2006 auf ei­nen So­zi­al­plan, der un­ter an­de­rem Ab­fin­dun­gen für Ar­beit­neh­mer vor­sah, die im Rah­men des ge­plan­ten Stel­len­ab­baus das Un­ter­neh­men ver­las­sen würden. In der Fol­ge ließen sich ei­ni­ge Ar­beit­neh­mer da­von über­zeu­gen, ei­nem Auf­he­bungs­ver­trag zu­zu­stim­men. Aus Sicht des Ar­beit­ge­bers wa­ren es aber bei wei­tem nicht ge­nug.

Er legt des­halb Mit­te Ju­li 2007 im We­ge ei­ner wei­te­ren Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung mit dem Be­treff "Son­der­fonds" nach: Wer nun­mehr frei­wil­lig sei­nen Hut neh­men würde, soll­te auf­grund ei­ner die So­zi­al­plan-Ab­fin­dungs­be­rech­nung ergänzen­den Re­ge­lung ei­ne we­sent­lich höhe­re Ab­fin­dung er­hal­ten. Von die­ser Tur­bo­re­ge­lung wa­ren al­ler­dings die Ar­beit­neh­mer aus­ge­schlos­sen, die bei In­kraft­tre­ten der Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung be­reits ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag un­ter­schrie­ben hat­ten.

Ei­ne der vom Stel­len­ab­bau be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­me­rin­nen hat­te Mit­te März 2007 ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag ab­ge­schlos­sen und sich hierfür auf der Grund­la­ge des ursprüng­li­chen So­zi­al­pla­nes vom April 2006 ei­ne Ab­fin­dung von rund 110.000 Eu­ro ver­spre­chen las­sen. We­ni­ge Mo­na­te später trat die Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung "Son­der­fonds" in Kraft, auf de­ren Ba­sis der Kläge­rin rund 75.000 Eu­ro mehr an Ab­fin­dung zu­ge­stan­den hätte.

Die Ar­beit­neh­me­rin ver­klag­te den Ar­beit­ge­ber da­her auf Zah­lung der Ab­fin­dungs­dif­fe­renz. Ih­ren Ärger über die aus ih­rer Sicht be­ste­hen­de Schlech­ter­stel­lung un­terfütter­te sie durch ei­nen Hin­weis auf den Gleich­be­hand­lungs­grund­satz bzw. auf § 75 Be­trVG.

Im­mer­hin ist nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­rich­tes (BAG) auf­grund die­ser Re­ge­lung ei­ne sach­frem­de Schlech­ter­stel­lung ein­zel­ner Ar­beit­neh­mer ge­genüber an­de­ren Ar­beit­neh­mern in ver­gleich­ba­rer La­ge ver­bo­ten. Ei­ne Dif­fe­ren­zie­rung ist sach­fremd, wenn es für die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung kei­ne bil­li­gens­wer­ten Gründe gibt. Sol­che Sach­gründe ver­moch­te die Kläge­rin hier nicht zu er­ken­nen.

Der Ar­beit­ge­ber ver­tei­dig­te sich vor Ge­richt da­mit, sein Mo­tiv sei ge­we­sen, wei­te­re Tei­le der Be­leg­schaft zum Ab­schluss ei­ner Auf­he­bungs­ver­ein­ba­rung durch erhöhte Ab­fin­dun­gen zu be­we­gen, da der bis­her er­reich­te Stel­len­ab­bau als un­zu­rei­chend er­schien.

Die Kläge­rin hielt da­ge­gen, sol­che Mo­ti­ve sei­en kei­ne bil­li­gens­wer­ten Gründe im Sin­ne des Ge­set­zes. Der Willkür wer­de Tür und Tor geöff­net, wenn die bloß sub­jek­ti­ve Sicht­wei­se des Ar­beit­ge­bers ei­ne so er­heb­li­che Un­gleich­be­hand­lung recht­fer­ti­gen könn­te. Außer­dem ha­be das Ziel ei­nes Per­so­nal­ab­baus schon bei dem ursprüng­li­chen So­zi­al­plan zu­grun­de ge­le­gen.

In der ers­ten In­stanz vor dem Ar­beits­ge­richt München zog die Kläge­rin den Kürze­ren, d.h. das Ge­richt wies die Kla­ge ab (Ur­teil vom 30.04.2008, 19a Ca 14542/07).

LAG München: Nach­ge­scho­be­ne Tur­bo­re­ge­lun­gen ver­s­toßen nicht ge­gen den Grund­satz der Gleich­be­hand­lung

Auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt München ent­schied zu­guns­ten des Ar­beit­ge­bers und bestätig­te da­her die Klag­ab­wei­sung (Ur­teil vom 11.02.2009, 11 Sa 598/08).

Mit dem Ar­beits­ge­richt ging auch das LAG da­von aus, dass die Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung nicht ge­gen den Gleich­be­hand­lungs­grund­satz ver­s­toße. Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat dürf­ten nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) bei ei­ner nachträgli­chen Auf­bes­se­rung der Ab­fin­dung die un­ter­schied­li­che Si­tua­ti­on berück­sich­ti­gen, in der sich die Ar­beit­neh­mer zum Zeit­punkt des ih­nen je­weils un­ter­brei­te­ten An­ge­bots auf Ab­schluss ei­nes Auf­he­bungs­ver­tra­ges befänden.

Die Erhöhung der Ab­fin­dung in ei­ner nach­ge­scho­be­nen Be­triebs­ver­ein­ba­rung sei ein sinn­vol­les Steue­rungs­in­stru­ment, um bis­lang noch nicht aus­ge­schie­de­ne Ar­beit­neh­mer zum Ab­schluss ei­nes Auf­he­bungs­ver­trags zu be­we­gen. Die Be­triebs­part­ner durf­ten da­von aus­ge­hen, dass Ar­beit­neh­mer, die be­reits ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag ge­schlos­sen hat­ten, an­ders als bis­her un­ent­schie­de­ne Ar­beit­neh­mer die ursprüng­lich vor­ge­se­he­ne So­zi­al­plan­leis­tung oh­ne Vor­be­hal­te als an­ge­mes­sen ak­zep­tier­ten. Die­se un­ter­schied­li­che Sach­la­ge, so die Ge­rich­te im Er­geb­nis, sei ein bil­li­gens­wer­ter Grund.

Fa­zit: Nach­ge­scho­be­ne Tur­bo­re­ge­lun­gen sind recht­lich zulässig, d.h. sie ver­s­toßen nicht ge­gen den ar­beits­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz. Dies gilt auch dann, wenn sie Ar­beit­neh­mer im Er­geb­nis schlech­ter stel­len, die auf­grund ei­ner für sie ungüns­ti­ge­ren Ab­fin­dungs­re­ge­lung früher aus­ge­schie­den sind. Der sach­li­che Grund für ei­ne sol­che Dif­fe­ren­zie­rung ist das "Nach­jus­tie­ren" der an­ge­bo­te­nen Ab­fin­dung un­ter dem Ein­druck, dass die zunächst an­ge­bo­te­ne Ab­fin­dung nicht aus­rei­chend war.

Der Fall ist in der Re­vi­si­on beim BAG un­ter dem Ak­ten­zei­chen 1 AZR 187/09 anhängig. Dies dürf­te nicht zu­letzt dem ho­hen Streit­wert ge­schul­det sein, denn mo­men­tan ist es we­nig wahr­schein­lich, dass das BAG von der Einschätzung der Vor­in­stan­zen ab­wei­chen wird.

Wei­te­re In­for­ma­tio­nen fin­den sie hier:

Letzte Überarbeitung: 13. März 2018

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