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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/055

Schle­ckers Vor­ge­hen in der Kri­tik

Po­li­tik sieht Hand­lungs­be­darf
Rechte Hand mit roter Karte Schle­cker: Miss­brauch der Leih­ar­beit?
19.03.2010. In Ar­beits­recht ak­tu­ell 10/053 "Pre­kä­re Ar­beits­ver­hält­nis­se bei Schle­cker" und Ar­beits­recht ak­tu­ell 10/054 "XL-Märk­te bei Schle­cker" be­rich­te­ten wir über den Augstieg des Dro­ge­rie­ket­ten­in­ha­bers An­ton Schle­cker und die strat­gei­sche Neu­aus­rich­tung durch den Er­satz der al­ten Fi­lia­len durch so ge­nann­te XL-Märk­te, in de­nen über­wie­gend die al­ten Be­schäf­tig­ten zu weit nied­ri­ge­ren Löh­nen und über ein of­fen­bar ex­tra da­für ge­grün­de­tes Leih­ar­beits­un­ter­neh­men be­schäf­tigt wur­den.

Die­ses Vor­ge­hen hat An­ton Schle­cker den Vor­wurf des Lohn­dum­pings und des Miss­brauchs der Leih­ar­beit ein­ge­bracht. Die zu­nächst nur ver­ein­zelt vor al­lem von Ge­werk­schafts­sei­te vor­ge­brach­te Kri­tik hat mitt­ler­wei­le Wel­len ge­schla­gen und zu Dis­kus­sio­nen dar­über ge­führt, dass dem Miss­brauch von Leih­ar­beit (ge­setz­lich) vor­ge­beugt wer­den müs­se. Mit die­ser Kri­tik be­fasst sich der vor­lie­gen­de Bei­trag.

Öffent­li­che Kon­tro­ver­se

Der Er­satz von Stamm­be­leg­schaf­ten mit Leih­ar­beit­neh­mern bei Schle­cker stieß zunächst nur auf lo­ka­len Wi­der­stand. Bei di­ver­sen Eröff­nun­gen kam es zu von ver.di or­ga­ni­sier­ten De­mons­tra­tio­nen. Auf der Su­che nach po­li­ti­scher Un­terstützung wand­te sich die Ge­werk­schaft im zwei­ten Halb­jahr 2009 an die Po­li­tik. Das In­ter­es­se war je­doch zunächst eher ver­hal­ten. Als die Ab­ge­ord­ne­te Zim­mer­mann (DIE LIN­KE) ver­such­te, En­de No­vem­ber 2009 in der Fra­ge­stun­de der 6.Sit­zung des Deut­schen Bun­des­ta­ges (Ple­nar­pro­to­koll 17/6, Sei­te 349-351) ei­ne Stel­lung­nah­me der Re­gie­rung zu er­rei­chen, wur­de sie von dem Par­la­men­ta­ri­schen Staats­se­kretär Fuch­tel noch ver­gleichs­wei­se barsch ab­ge­kan­zelt. Die Bun­des­re­gie­rung sei kein For­schungs­in­sti­tut, des­sen Auf­ga­be es wäre, sol­chen Ein­z­elfällen nach­zu­ge­hen. Nicht die Po­li­tik, son­dern die zuständi­gen Ge­rich­te müss­ten sich mit den Prak­ti­ken von Schle­cker be­fas­sen.

Kur­ze Zeit später änder­te sich der Ton. Die Bun­des­mi­nis­te­rin für Ar­beit und So­zia­les von der Ley­en teil­te Mit­te Ja­nu­ar 2010 in der ARD-Sen­dung "An­ne Will" mit, die Re­gie­rung prüfe, ob bei Schle­cker Miss­brauch be­trie­ben oder Ge­set­ze um­gan­gen wer­den. Schlupflöcher müss­ten durch Ge­set­zesände­run­gen ge­schlos­sen wer­den. Die­se po­li­ti­sche Wil­lens­be­kun­dung wur­de zu­dem in ei­ner Pres­se­mit­tei­lung des Mi­nis­te­ri­ums vom 13.01.2010 und der Ant­wort auf ei­ne klei­ne An­fra­ge der Frak­ti­on BÜNDIS 90/DIE GRÜNEN (Bun­des­tags-Druck­sa­che 17/487) be­kräftigt.

Pres­se und Po­li­tik hat­ten spätes­tens zu die­sem Zeit­punkt das The­ma für sich ent­deckt. So­gar die selbst un­ter öffent­li­chem Druck ste­hen­de CG­ZP bzw. de­ren Dach­or­ga­ni­sa­ti­on sah sich zu ei­ner klar­stel­len­den Pres­se­mit­tei­lung genötigt. MENIAR wen­de zwar den Ta­rif der CG­ZP an, ha­be je­doch selbst kei­ne Ta­rif­verträge mit der CG­ZP ab­ge­schlos­sen. Der Ta­rif­part­ner der CG­ZP, der Ar­beit­ge­ber­ver­band Mit­telständi­scher Per­so­nal­dienst­leis­ter (AMP) be­ton­te, MENIAR sei nicht (mehr) Ver­bands­mit­glied. Die Zeit­ar­beits­bran­che fürch­te­te um ihr Image und ging ins­ge­samt auf Dis­tanz.

Un­ter dem Ein­druck des zu­neh­men­den öffent­li­chen Drucks und des be­reits an­ge­rich­te­ten Ima­ge­scha­dens gab Schle­cker nach und teil­te mit, kei­ne neu­en Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­verträge mit MENIAR mehr ab­zu­sch­ließen. Gleich­wohl ist da­mit noch nicht ge­si­chert, dass sich das Beschäfti­gungs­ni­veau der An­ge­stell­ten der Schle­cker XL GmbH wie­der erhöht, da die­ser Ar­beit­ge­ber - an­ders als Schle­cker selbst - nicht ta­rif­ge­bun­den ist. Be­mer­kens­wert ist al­ler­dings, dass zwi­schen Ver­tre­tern von ver.di und Schle­cker zwi­schen­zeit­lich Ver­hand­lun­gen über ei­nen Beschäfti­gungs­si­che­rungs­ta­rif­ver­trag und ei­nen So­zi­al­ta­rif­ver­trag für rund 41.000 Schle­cker-Beschäftig­te auf­ge­nom­men wur­den.

Po­li­ti­scher Hand­lungs­be­darf?

Schle­cker hat un­be­streit­bar in die ar­beits­recht­li­che Trick­kis­te ge­grif­fen.

Zum ei­nen hat der Kon­zern ein nicht ta­rif­ge­bun­de­nes Un­ter­neh­men ge­gründet. Die­ses Un­ter­neh­men muss die nach Ta­rif be­zahl­ten Ar­beit­neh­mer nicht über­neh­men, da es sich um ei­ne neue Ge­sell­schaft han­delt, die le­dig­lich die Funk­tio­nen der al­ten, nicht aber de­ren Be­triebs­mit­tel oder Ar­beits­kräfte über­nimmt. Es können al­so neue, kostengüns­ti­ge­re Kräfte en­ga­giert wer­den. Als Kos­ten können al­len­falls So­zi­al­plan­ab­fin­dun­gen o.ä. an­fal­len.

Zum an­de­ren hat das Un­ter­neh­men sei­ne Ar­beits­kräfte - zunächst - nicht selbst ein­ge­stellt, son­dern sich der Ar­beit­neh­merüber­las­sung per Leih­ar­beits­un­ter­neh­men be­dient. Da Leih­ar­beits­un­ter­neh­men bei An­wen­dung ei­nes Ta­rif­ver­trags von dem Grund­satz ab­wei­chen dürfen, dass die von ih­nen ent­lie­he­nen Ar­beit­neh­mer zu den beim Ent­lei­her übli­chen Be­din­gun­gen beschäftigt wer­den müssen (§§ 9, 10 Ar­beit­neh­mer-Über­las­sungs­ge­setz - AÜG), konn­ten die Lohn­kos­ten (und das Ar­beit­neh­mer­schutz­ni­veau) da­mit noch wei­ter ge­senkt wer­den.

MENIAR hat hier auf Ta­rif­verträge der CG­ZP zurück­ge­grif­fen. Das könn­te sich als Feh­ler er­wei­sen, da die "Ta­rif­verträge" der CG­ZP mit großer Wahr­schein­lich­keit man­gels Ta­riffähig­keit der Or­ga­ni­sa­ti­on kei­ne ech­ten Ta­rif­verträge im Rechts­sin­ne sind (wir be­rich­te­ten hierüber in Ar­beits­recht ak­tu­ell 09/134 Zur Ta­riffähig­keit der „Ta­rif­ge­mein­schaft Christ­li­cher Ge­werk­schaf­ten für Zeit­ar­beit und Per­so­nal-Ser­vice-Agen­tu­ren“ (CG­ZP) und Ar­beits­recht ak­tu­ell 10/013 Feh­len­de Ta­riffähig­keit der CG­ZP bestätigt). Die zu er­war­ten­den Ge­halts- und Bei­trags­nach­zah­lun­gen tref­fen al­ler­dings in ers­ter Li­nie MENIAR.

Un­abhängig von die­sen De­tails der Schle­cker-Sto­ry sind Ta­rif­flucht und die Sub­sti­tu­ti­on von Stamm­be­leg­schaf­ten durch Leih­ar­beit­neh­mer kein auf Schle­cker be­grenz­tes Phäno­men. Was recht­lich möglich ist, wird ge­macht. Ob Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kon­zer­ne, Uni­ver­sitätskli­ni­ken oder Pfle­ge­ein­rich­tun­gen - Spar­zwänge sind in prak­tisch al­len Bran­chen zu fin­den und die Möglich­keit, per Leih­ar­beit über güns­ti­ges, fle­xi­bles und aus­tausch­ba­res Per­so­nal zu verfügen, wird zu­neh­mend ge­nutzt. Mit Leih­ar­beit soll nach der Vor­stel­lung des Ge­setz­ge­bers ei­ne "Brücke in ein Ar­beits­verhält­nis" ge­baut und fle­xi­bel auf Nach­fra­ge­schwan­kun­gen re­agiert wer­den. Der kürz­lich veröffent­lich­te Elf­te Be­richt der Bun­des­re­gie­rung über Er­fah­run­gen bei der An­wen­dung des Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ge­set­zes (11. AÜG-Be­richt) deu­tet dar­auf hin, dass zwar nach wie vor ein grundsätz­lich po­si­ti­ves Bild der Leih­ar­beit ge­zeich­net wird, doch sind die Schat­ten­sei­ten an­ge­sichts "krea­ti­ver Ge­stal­tun­gen" wie im Fal­le Schle­cker nicht mehr zu über­se­hen.

Soll­te sich der Ge­setz­ge­ber vor dem Hin­ter­grund der Dis­kus­si­on über die der­zei­ti­ge Um­struk­tu­rie­rung bei Schle­cker zu ei­ner Re­form der ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen über die Leih­ar­beit ent­schließen, wäre es be­son­ders dring­lich, die Leih­ar­beits­bran­che in die staat­li­che Min­dest­l­ohn­ge­setz­ge­bung ein­zu­be­zie­hen, sei es durch Auf­nah­me der Leih­ar­beits­bran­che in das Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz (AEntG) oder durch Min­dest­lohn­re­ge­lun­gen im AÜG.

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Letzte Überarbeitung: 16. September 2016

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