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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/012

Kei­ne Kün­di­gung we­gen se­xu­el­ler Be­läs­ti­gung

Ver­set­zung oder Ab­mah­nung hät­ten aus­ge­reicht: Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 13.10.2009, 1 Sa 832/09
Hand mit gelber Karte Ab­mah­nungs­er­for­der­nis trotz mas­si­ver ver­ba­ler Ent­glei­sun­gen

19.01.2010. Be­lei­di­gun­gen oder se­xu­el­le Be­läs­ti­gun­gen von Ar­beits­kol­le­gen kön­nen ar­beits­recht­li­che Kon­se­quen­zen bis hin zur Ab­mah­nung oder ver­hal­tens­be­ding­ter Kün­di­gung ha­ben. Frag­lich ist im Ein­zel­fall, wie schwer­wie­gend der Pflicht­ver­stoß des Ar­beit­neh­mers war bzw. wel­che Re­ak­ti­on des Ar­beit­ge­bers (Ver­set­zung, Ab­mah­nung oder Kün­di­gung?) ver­hält­nis­mä­ßig sind.

Mit die­ser Fra­ge be­schäf­tigt sich ein ak­tu­el­les Ur­teil des Lan­de­sas­rbeits­ge­richts (LAG) Nie­der­sach­sen: LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 13.10.2009, 1 Sa 832/09.

Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung we­gen Be­lei­dun­gen

Be­lei­digt ein Ar­beit­neh­mer Kol­le­gen oder Vor­ge­setz­te, verstößt er da­mit ge­gen sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten. Un­ter Umständen recht­fer­tigt dies den Aus­spruch ei­ner ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung. Al­ler­dings darf ei­ne Kündi­gung im­mer nur das letz­te Mit­tel dar­stel­len, d.h. sie muss verhält­nismäßig sein. Vor­ran­gig ist des­halb zu erwägen, ob nicht et­wa der Aus­spruch ei­ner Ab­mah­nung aus­ge­reicht hätte und ei­ne Kündi­gung des­halb gemäß § 1 Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) un­wirk­sam wäre.

Da­bei wer­den die Umstände des Ein­zel­falls berück­sich­tigt, et­wa wie schwer­wie­gend die Be­lei­di­gung war, wel­cher Um­gangs­ton im Be­trieb üblich ist, ob der Vor­fall ei­nen ein­ma­li­gen „Aus­rut­scher“ dar­stellt und ob in Zu­kunft mit ähn­li­chen Verstößen des Ar­beit­neh­mers zu rech­nen ist. Sch­ließlich ist eben­falls zu be­ach­ten, wie „hart“ den Ar­beit­neh­mer ei­ne Kündi­gung auf­grund ei­nes langjähri­gen Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses oder ho­her Un­ter­halts­pflich­ten tref­fen würde.

Im Er­geb­nis führt dies da­zu, dass bei ei­nem ein­ma­li­gen Ver­s­toß des Ar­beit­neh­mers häufig zunächst ei­ne Ab­mah­nung aus­ge­spro­chen wer­den muss, weil ei­ne Kündi­gung un­verhält­nismäßig wäre. Nur bei ei­nem ins­ge­samt als be­son­ders gra­vie­rend zu be­ur­tei­len­den Ver­s­toß kann ei­ne so­for­ti­ge Kündi­gung be­rech­tigt sein.

Ent­hal­ten die am Ar­beits­platz geäußer­ten Be­lei­di­gun­gen zu­gleich se­xu­el­le Anzüglich­kei­ten, stel­len sie nach § 3 Abs. 4 des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar, wenn „ein un­erwünsch­tes, se­xu­ell be­stimm­tes Ver­hal­ten, wo­zu auch un­erwünsch­te se­xu­el­le Hand­lun­gen und Auf­for­de­run­gen zu die­sen, se­xu­ell be­stimm­te körper­li­che Berührun­gen, Be­mer­kun­gen se­xu­el­len In­halts, so­wie un­erwünsch­tes Zei­gen und sicht­ba­res An­brin­gen von por­no­gra­phi­schen Dar­stel­lun­gen gehören, be­zweckt oder be­wirkt, dass die Würde der be­tref­fen­den Per­son ver­letzt wird, ins­be­son­de­re wenn ein von Einschüchte­run­gen, An­fein­dun­gen, Er­nied­ri­gun­gen, Entwürdi­gun­gen oder Be­lei­di­gun­gen ge­kenn­zeich­ne­tes Um­feld ge­schaf­fen wird.“

In die­sem Fall muss der Ar­beit­ge­ber sich schützend vor die dis­kri­mi­nier­te Per­son stel­len und Maßnah­men tref­fen, um die Dis­kri­mi­nie­rung zu un­ter­bin­den. § 12 Abs. 3 AGG nennt hier bei­spiel­haft die Ab­mah­nung, Um­set­zung, Ver­set­zung oder Kündi­gung des Beschäftig­ten, der an­de­re dis­kri­mi­niert.

Auch nach dem AGG muss der Ar­beit­ge­ber, wenn er Dis­kri­mi­nie­run­gen un­ter­bin­det, die Verhält­nismäßig­keit der Maßnah­men be­ach­ten. Frag­lich ist je­doch, ob die Abwägung, wann ei­ne Kündi­gung be­rech­tigt ist, an­ders ausfällt, wenn das ver­trags­wid­ri­ge Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers zu­gleich ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stellt, vor der der Ar­beit­ge­ber sei­ne Beschäftig­ten aus­drück­lich schützen muss. Zu den­ken wäre dar­an, dass der­ar­ti­ge Ver­feh­lun­gen grundsätz­lich als be­son­ders gra­vie­rend an­zu­se­hen sind und zu ei­ner Kündi­gung oh­ne vor­he­ri­ge Ab­mah­nung be­rech­ti­gen. Mit die­ser Fra­ge be­fasst sich die vor­lie­gen­de Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Han­no­ver vom 13.10.2009 (1 Sa 832/09).

Der Fall des Lan­des­ar­beits­ge­richts Han­no­ver: Gärt­ner be­lei­digt Mit­ar­bei­te­rin auf se­xu­ell anzügli­che Wei­se

Der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer war seit 14 Jah­ren als Gärt­ner bei der Stadt Han­no­ver an­ge­stellt und ar­bei­te­te dort mit ca. 35 an­de­ren Beschäftig­ten, dar­un­ter zwei Frau­en, auf ei­nem Be­triebs­hof. Als langjähri­ger Stamm­ar­beit­neh­mer wur­de er da­zu aus­er­ko­ren, ei­ne Grup­pe Leih­ar­beit­neh­mer an­zu­lei­ten, oh­ne dass ihm da­bei ei­ne Vor­ar­bei­ter­stel­lung ein­geräumt wur­de. Ei­ne Leih­ar­beit­neh­me­rin, die zu der von dem Gärt­ner an­ge­lei­te­ten Grup­pe gehörte, be­lei­dig­te der Gärt­ner von An­fang an mit se­xu­el­len Anzüglich­kei­ten. So frag­te er die Be­trof­fe­ne et­wa in An­spie­lung auf ih­re vier Kin­der, „ob ihr Mann ei­ne Gum­mi­all­er­gie ha­be“ und sag­te ihr „er würde sie ger­ne von hin­ten fi­cken“.

Als sich die be­trof­fe­ne Leih­ar­beit­neh­me­rin bei ih­rem Vor­ar­bei­ter be­schwer­te, äußer­te der Gärt­ner in ei­nem Te­le­fon­gespräch mit sei­ner Frau im Bei­sein der Leih­ar­beit­neh­me­rin zu­dem, „wer ihn an­ge­schwärzt ha­be, gehöre mit der Schau­fel ver­sohlt“. An­sch­ließend be­ru­hig­te er die be­trof­fe­ne Leih­ar­beit­neh­me­rin al­ler­dings da­mit, dass wie­der al­les in Ord­nung sei.

We­gen die­ser Vorfälle kündig­te die Stadt dem Gärt­ner nur we­ni­ge Mo­na­te, be­vor er ta­rif­lich unkünd­bar ge­we­sen wäre, frist­gemäß ver­hal­tens­be­dingt zum 31.03.2008. Den Gärt­ner in ei­ne an­de­re Ko­lon­ne zu ver­set­zen, in der kei­ne Frau­en ar­bei­te­ten, wäre möglich ge­we­sen, wur­de aber von der Stadt nicht er­wo­gen

Ge­gen die Kündi­gung er­hob der Gärt­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge vor dem Ar­beits­ge­richt Han­no­ver, das der be­klag­ten Stadt recht gab (Ur­teil vom 25.01.2008, 7 Ca 399/07). Die Äußerun­gen des Gärt­ners wa­ren schlicht nicht hin­nehm­bar und die be­klag­te Stadt muss ih­re Mit­ar­bei­ter und Mit­ar­bei­te­rin­nen vor sol­chen Äußerun­gen schützen, stell­te das Ar­beits­ge­richt klar. Für ent­schei­dend hält das Ar­beits­ge­richt ins­be­son­de­re die Dro­hung des Gärt­ners, nach­dem die Leih­ar­beit­neh­me­rin sich be­schwert hat­te. Dies zei­ge sei­ne Un­ein­sich­tig­keit und recht­fer­ti­ge die so­for­ti­ge Kündi­gung we­gen der an­ge­droh­ten Tätlich­keit ins­be­son­de­re we­gen sei­ner körper­li­chen Über­le­gen­heit und sei­nes recht­lich si­che­re­ren Sta­tus als Stamm­ar­beit­neh­mer, mein­te das Ar­beits­ge­richt.

Die hier­ge­gen ein­ge­leg­te Be­ru­fung des Gärt­ners vor dem LAG Han­no­ver war er­folg­reich (Ur­teil vom 25.11.2008, 1 Sa 547/08), im we­sent­li­chen, weil das Ge­richt die Dro­hung des Gärt­ners, die Leih­ar­beit­neh­me­rin mit der Schau­fel zu ver­soh­len, als nicht ernst ge­meint be­ur­teil­te. Hier­ge­gen leg­te die be­klag­te Stadt je­doch er­folg­reich Be­schwer­de vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt ein, weil nach Auf­fas­sung des BAG die Neu­be­ur­tei­lung der Dro­hung nicht oh­ne er­neu­te Anhörung der dies­bezüglich als Zeu­gin an­gehörten Leih­ar­beit­neh­me­rin hätte er­fol­gen dürfen.

Die Kla­ge wur­de des­halb an das LAG Han­no­ver zur Ent­schei­dung zurück­ver­wie­sen. Nachträglich bot der Gärt­ner an, sich be­triebsöffent­lich für sein Ver­hal­ten zu ent­schul­di­gen.

Lan­des­ar­beits­ge­richt Han­no­ver: Kündi­gung un­verhält­nismäßig. Ver­set­zung und Ab­mah­nung hätten aus­ge­reicht

Auch nach er­neu­ter Anhörung der Leih­ar­beit­neh­me­rin blieb das LAG bei der Auf­fas­sung, dass die Kündi­gung des Gärt­ners un­wirk­sam weil un­verhält­nismäßig war.

Es stellt vor­ab klar, dass ei­ne se­xu­el­le Belästi­gung un­ter Ar­beit­neh­mern in je­dem Fall ein Ab­mah­nung recht­fer­tigt. Dass die Äußerun­gen ge­genüber der Leih­ar­beit­neh­me­rin ein vorsätz­li­ches, die Würde der Leih­ar­beit­neh­me­rin ver­let­zen­des se­xu­el­le be­stimm­tes Ver­hal­ten dar­stel­len, be­darf kei­ner nähe­ren Erörte­rung, so das LAG. Eben­so kann selbst­verständ­lich auch der „raue Ton“ auf dem Be­triebs­hof der­ar­ti­ge Äußerun­gen nicht ent­schul­di­gen, meint das LAG.

Nach Auf­fas­sung des LAG hätte, ob­wohl die Äußerung des Gärt­ners ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung der Leih­ar­beit­neh­me­rin im Sin­ne des AGG dar­stell­te, ei­ne Ab­mah­nung und Ver­set­zung des Gärt­ners al­ler­dings aus­ge­reicht. Das LAG berück­sich­tigt da­bei zu­guns­ten des Gärt­ners, dass er in den 14 Jah­ren zu­vor nie auffällig ge­wor­den war und nicht da­von aus­zu­ge­hen war, dass der Gärt­ner sich in Zu­kunft wie­der ent­spre­chend ver­hal­ten würde, weil er sein Ver­hal­ten im Nach­hin­ein be­reu­te. Der Gärt­ner sei mit der An­lei­tung der Leih­ar­beit­neh­mer zu­dem in­tel­lek­tu­ell über­for­dert ge­we­sen, meint das LAG.

Die be­klag­te Stadt hätte auch aus­rei­chend Möglich­kei­ten ge­habt, die Dis­kri­mi­nie­rung zu un­ter­bin­den. Es hätte na­he ge­le­gen, den Gärt­ner so­fort in ei­ne an­de­re Ko­lon­ne zu ver­set­zen, so das LAG, auch im Hin­blick dar­auf, dass die Leih­ar­beit­neh­me­rin (aus Gründen, die mit dem Vor­fall nichts zu tun hat­ten) aus dem Be­trieb aus­ge­schie­den war. Sch­ließlich war zu­guns­ten des Gärt­ners zu berück­sich­ti­gen, dass er kurz vor der ta­rif­li­chen Unkünd­bar­keit stand.

Zu­guns­ten des Gärt­ners fiel die Ent­schei­dung des LAG aber nur des­halb aus, weil es nach er­neu­ter Ver­neh­mung der Leih­ar­beit­neh­me­rin wei­ter­hin der Auf­fas­sung war, dass die an­ge­droh­te Tätlich­keit letzt­end­lich nicht ernst ge­meint war.

Fa­zit: Ar­beit­ge­ber sind ver­pflich­tet, Dis­kri­mi­nie­run­gen durch Beschäftig­te zu ver­hin­dern. Das ent­bin­det sie je­doch nicht da­von, im kon­kre­ten Fall sorgfältig ab­zuwägen, wel­che Maßnah­me an­ge­mes­sen ist. Auch Äußerun­gen, die dis­kri­mi­nie­rend und (als Be­lei­di­gung) straf­bar sind, recht­fer­ti­gen nicht au­to­ma­tisch ei­ne Kündi­gung. An­ders als bei Kündi­gun­gen we­gen Vermögens­de­lik­ten, bei de­nen die Ge­rich­te, selbst bei Beträgen im Ba­ga­tell­be­reich, ei­ne Kündi­gung oh­ne vor­he­ri­ge Ab­mah­nung so gut wie im­mer kur­zer­hand als verhält­nismäßig an­se­hen, kommt es bei Be­lei­di­gun­gen ent­schei­dend auf die ge­sam­ten Umstände an.

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Letzte Überarbeitung: 16. Oktober 2017

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