HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/021

Kün­di­gung oh­ne Ver­schul­den des Ar­beit­neh­mers

Aus­nahms­wei­se auch or­dent­li­che ver­hal­tens­be­ding­te Kün­di­gung mög­lich: Thü­rin­ger Lan­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 11.06.2009, 3 Sa 22/07
Rechte Hand mit roter Karte

01.02.2010. Grund­sätz­lich­kann ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kün­di­gung nur dann aus­ge­spro­chen wer­den, wenn der Ar­beit­neh­mer ar­beits­ver­trag­li­che Pflich­ten schuld­haft ver­letzt hat. An­dern­falls kommt nur ei­ne per­so­nen­be­ding­te Kün­di­gung in be­tracht.

Aus­nahms­wei­se er­laubt die Recht­spre­chung al­ler­dings bei be­son­ders gra­vie­ren­den Ver­stö­ßen ge­gen ar­beits­ver­trag­li­che Pflich­ten ei­ne frist­lo­se ver­hal­tens­be­ding­te Kün­di­gung auch oh­ne ein Ver­schul­den des Ar­beit­neh­mers.

Das Thü­rin­ger Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) hat­te jetzt dar­über zu ent­schei­den, ob aus­nahms­wei­se auch ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te or­dent­li­che Kün­di­gung aus­ge­spro­chen wer­den darf, wenn den Ar­beit­neh­mer an ei­nem Pflicht­ver­stoß kein Ver­schul­den trifft: Thü­rin­ger LAG, Ur­teil vom 11.06.2009, 3 Sa 22/07 .

Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung

Ist ein Ar­beits­verhält­nis in sei­nem Be­stand durch das Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) geschützt, ist ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung durch den Ar­beit­ge­ber nur wirk­sam, wenn sie durch drin­gen­de be­trieb­li­che oder in der Per­son oder im Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers lie­gen­de Gründe be­dingt ist (§ 1 KSchG). Die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne wirk­sa­me ver­hal­tens- und ei­ne wirk­sa­me per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung un­ter­schei­den sich da­bei beträcht­lich, ob­wohl in bei­den Fällen der Kündi­gungs­grund aus der „Sphäre“ des Ar­beit­neh­mers stammt.

Ei­ne per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung setzt kein Ver­schul­den des Ar­beit­neh­mers vor­aus. Sie kommt da­her bei un­ver­schul­de­ten, aus dem „Sphäre“ des Ar­beit­neh­mers stam­men­den Störun­gen des Ar­beits­verhält­nis­ses in Be­tracht, al­so auch im Fall ei­nes Fehl­ver­hal­tens des Ar­beit­neh­mers, das die­ser nicht steu­ern kann. Im we­sent­li­chen wird bei ei­ner per­so­nen­be­ding­ten Kündi­gung ge­prüft, wie stark die (vom Ar­beit­neh­mer nicht schuld­haft her­bei­geführ­te) Ver­tragsstörung den Ar­beit­ge­ber be­ein­träch­tigt, und es ist ab­zuschätzen, ob mit ei­nem An­dau­ern des Um­stan­des auch in Zu­kunft zu rech­nen ist. Ty­pi­scher Fall ist hier­bei ei­ne lang­wie­ri­ge Krank­heit oder ständi­ge Kurz­er­kran­kun­gen des Ar­beit­neh­mers.

Ei­ne or­dent­li­che ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung setzt da­ge­gen nicht nur ei­nen ob­jek­ti­ven Ver­s­toß des Ar­beit­neh­mers ge­gen sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten vor­aus, son­dern außer­dem auch ein Ver­schul­den, d.h. der Ar­beit­neh­mer muss den Pflicht­ver­s­toß vorsätz­lich oder we­nigs­tens fahrlässig be­gan­gen ha­ben. Dem ent­spricht das Er­for­der­nis ei­ner vor­he­ri­gen ver­geb­li­chen Ab­mah­nung: In al­ler Re­gel kann ei­ne or­dent­li­che ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung nur aus­ge­spro­chen wer­den, wenn der Ar­beit­neh­mer be­reits ei­ne Ab­mah­nung we­gen ei­nes ver­gleich­ba­ren Pflicht­ver­s­toßes er­hal­ten, sein Fehl­ver­hal­ten dar­auf­hin aber nicht kor­ri­giert hat. Auch hier­an zeigt sich, dass ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung ein vom Ar­beit­neh­mer steu­er­ba­res Fehl­ver­hal­ten vor­aus­setzt.

Wor­auf der Ar­beit­ge­ber sei­ne Kündi­gung aber auch stützt - in je­dem Fall muss fest­ste­hen, dass auf­grund der ein­ge­tre­te­nen Störun­gen mit ei­ner ge­deih­li­chen Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht zu rech­nen ist (Pro­gno­se­prin­zip). Da­her hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) mehr­fach ent­schie­den, dass „aus­nahms­wei­se“ auch schuld­lo­se Pflicht­ver­let­zun­gen des Ar­beit­neh­mers ei­nen wich­ti­gen Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung des Ar­beit­ge­bers dar­stel­len können (BAG, Ur­teil vom 21.01.1999, 2 AZR 665/98). Denn es sind Pflicht­verstöße des Ar­beit­neh­mers denk­bar, die so gra­vie­rend sind, dass ei­ne Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­fris­ten auch dann un­zu­mut­bar wäre, wenn der Ar­beit­neh­mer an den Pflicht­verstößen un­schul­dig ist (Bei­spiel: psy­chisch er­krank­ter Ver­kaufs­an­ge­stell­ter be­lei­digt in­fol­ge sei­ner psy­chi­schen Er­kran­kung fort­ge­setzt Kun­den).

Frag­lich ist, ob die­se Recht­spre­chung auch auf or­dent­li­che Kündi­gun­gen über­trag­bar ist. Da­mit be­fasst sich die vor­lie­gen­de Ent­schei­dung des Thürin­ger Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) mit Ur­teil vom 11.06.2009 (3 Sa 22/07).

Der Fall des Thürin­ger Lan­des­ar­beits­ge­richts: Auf­grund psy­chi­scher Er­kran­kung kommt Ver­wal­tungs­an­ge­stell­ter per­ma­nent zu spät

Ein Ver­wal­tungs­an­ge­stell­ter, der beim Frei­staat Thürin­gen beschäftigt war, kam von Be­ginn des Ar­beits­verhält­nis­ses an per­ma­nent zu spät. Die ihm zu­ge­ord­ne­ten Mit­ar­bei­ter wa­ren des­halb ge­zwun­gen, Über­stun­den zu ma­chen, da der An­ge­stellt in den Abend­stun­den oft länger am Ar­beits­platz blieb, um die mor­gend­li­chen Zeit­versäum­nis­se nach­zu­ar­bei­ten. Des­halb hat­te der Ar­beit­ge­ber dem An­ge­stell­ten im Lau­fe des Ar­beits­verhält­nis­ses mehr­fach Ab­mah­nun­gen er­teilt, die sich je­weils auf ei­ne Viel­zahl von Ver­spätun­gen be­zo­gen. Sch­ließlich kündig­te der Ar­beit­ge­ber außer­or­dent­lich und im wei­te­ren Ver­lauf der Be­en­di­gungs­strei­tig­kei­ten or­dent­lich we­gen er­neu­ter zahl­rei­cher Ver­spätun­gen. Hier­ge­gen leg­te der Ver­wal­tungs­an­ge­stell­te Kündi­gungs­schutz­kla­ge ein.

Im Pro­zess be­rief er sich auf die Gut­ach­ten der ihn be­han­deln­den Ärz­te bzw. Psy­cho­lo­gen, wo­nach er auf­grund ei­ner psy­chi­schen Krank­heit schlicht nicht fähig sei, pünkt­lich zur Ar­beit zu er­schei­nen.

Das erst­in­stanz­lich zuständi­ge Ar­beits­ge­richt Suhl hielt die (ver­hal­tens­be­ding­ten) Kündi­gun­gen dar­auf­hin für un­wirk­sam, weil die Ver­spätun­gen un­ver­schul­det sei­en, und ver­ur­teil­te den Frei­staat Thürin­gen zur vorläufi­gen Wei­ter­beschäfti­gung.

Die dar­auf­hin von dem Frei­staat Thürin­gen er­folg­te Be­ru­fung war eben­falls er­folg­los, weil des Thürin­ger LAG bzw. des­sen fünf­te Kam­mer die Kündi­gung aus dem glei­chen Grund für un­wirk­sam hielt. Hier­ge­gen leg­te das be­klag­te Land er­folg­reich Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de zum BAG ein. Im Er­geb­nis der Re­vi­si­on wur­de das Be­ru­fungs­ur­teil auf­ge­ho­ben und der Rechts­streit an das LAG, al­ler­dings an ei­ne an­de­re Kam­mer, zurück­ver­wie­sen. Et­wa fünf Jah­re nach dem Aus­spruch der Kündi­gung hat­te des­halb wie­der das Thürin­ger LAG, dies­mal die drit­te Kam­mer, über die Wirk­sam­keit der Kündi­gung zu ent­schei­den.

Thürin­ger Lan­des­ar­beits­ge­richt: Auch oh­ne Ver­schul­den or­dent­li­che ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung zulässig

Die außer­or­dent­li­che Kündi­gung hielt das LAG rich­ti­ger­wei­se des­halb für un­wirk­sam, weil es dem Frei­staat Thürin­gen, nach­dem er das ab­ge­mahn­te Zu­spätkom­men des Ver­wal­tungs­an­ge­stell­ten schon jah­re­lang ge­dul­det hat­te, zu­zu­mu­ten war, das Ar­beits­verhält­nis nun noch bis zum En­de der Kündi­gungs­frist fort­zu­set­zen.

Die or­dent­li­che Kündi­gung hielt das Ge­richt da­ge­gen für wirk­sam. Sei­ner An­sicht nach war sie so­wohl als ver­hal­tens­be­ding­te wie auch als per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung rech­tens, wo­bei das LAG of­fen ließ, ob Kläger sein Fehl­ver­hal­ten we­gen der von ihm be­haup­te­ten psy­chi­schen Er­kran­kung steu­ern konn­te oder nicht.

Denn war es ihm möglich, sein Ver­hal­ten zu steu­ern, war ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te or­dent­li­che Kündi­gung oh­ne wei­te­res zulässig, ins­be­son­de­re auch mit Blick auf die Viel­zahl der er­folg­lo­sen Ab­mah­nun­gen.

War es ihm dem­ge­genüber nicht möglich, sein Ver­hal­ten zu steu­ern, wa­ren die ob­jek­ti­ven Pflicht­verstöße nach An­sicht des LAG so er­heb­lich, dass dem Ar­beit­ge­ber die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses auch un­ter Berück­sich­ti­gung des feh­len­den Ver­schul­dens un­zu­mut­bar war. Bei so mas­si­ven Pflicht­verstößen wie hier im Streit­fall, so das LAG un­ter Be­ru­fung auf die oben erwähn­te Recht­spre­chung des BAG, und bei so gra­vie­ren­den Störung der be­trieb­li­chen Abläufe, ist dem Ar­beit­ge­ber die wei­te­re Fortführung die­ses Zu­stan­des auch dann nicht zu­mut­bar ist, wenn dem Ar­beit­neh­mer sein Ver­hal­ten auf­grund ei­ner Er­kran­kung nicht vor­ge­wor­fen wer­den kann.

Ergänzend führt das LAG aus, dass es die or­dent­li­che Kündi­gung für den Fall der feh­len­den Steu­er­bar­keit des Fehl­ver­hal­tens auch als per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung für wirk­sam hält, d.h. die Kündi­gung ist in die­sem Fall so­wohl als ver­hal­tens- wie auch als per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung wirk­sam.

Das Er­geb­nis des LAG ist dem Fall si­cher­lich an­ge­mes­sen und im Er­geb­nis rich­tig. Al­ler­dings ist ein Fra­ge­zei­chen hin­ter die Aus­sa­ge zu ma­chen, die strei­ti­ge or­dent­li­che Kündi­gung sei auch bei feh­len­dem Ver­schul­den als ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung wirk­sam. Für ei­ne sol­che Wei­ter­ent­wick­lung der Recht­spre­chung des BAG be­steht kein aus­rei­chen­der Grund, da das Ge­richt selbst zu dem Er­geb­nis ge­langt, dass die or­dent­li­che Kündi­gung je­den­falls auch als per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung wirk­sam war.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 24. August 2016

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de