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BAG, Ur­teil vom 29.01.2014, 6 AZR 345/12

   
Schlagworte: Insolvenz, Insolvenzanfechtung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 6 AZR 345/12
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 29.01.2014
   
Leitsätze: Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung sind nicht stets schon dann zu bejahen, wenn der Arbeitgeber zahlungsunfähig war und der Arbeitnehmer dies wusste. Vielmehr muss das Indiz der Zahlungsunfähigkeit und ihrer Kenntnis einzelfallbezogen auf seine Beweiskraft hin geprüft werden. Das gilt sowohl für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz auf Seiten des Schuldners als auch für die Kenntnis des Anfechtungsgegners davon. Bei Zahlungen im Rahmen eines Bargeschäfts oder in bargeschäftsähnlicher Lage ist darauf zu achten, dass die Vorsatzanfechtung nicht über ihren Normzweck hinaus ausgedehnt und dass dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Stufenverhältnis von § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 133 InsO Rechnung getragen wird.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Elmshorn, Urteil vom 5.5.011 - 3 Ca 1995 d/10
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 10.11.2011 - 5 Sa 227/11
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


6 AZR 345/12
5 Sa 227/11
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Schles­wig-Hol­stein

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

29. Ja­nu­ar 2014

UR­TEIL

Gaßmann, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Sechs­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 29. Ja­nu­ar 2014 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Fi­scher­mei­er, die Rich­te­rin­nen am Bun­des­ar­beits­ge­richt Gall­ner und Spel­ge so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Ma­ti­as­ke und Koch für Recht er­kannt:
 


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1. Die Re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Schles­wig-Hol­stein vom 10. No­vem­ber 2011 - 5 Sa 227/11 - wird zurück­ge­wie­sen.


2. Der Kläger hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Rück­zah­lung von Ar­beits­ent­gelt zur In­sol­venz­mas­se auf­grund ei­ner Vor­satz­an­fech­tung.

Der Kläger ist In­sol­venz­ver­wal­ter in dem am 10. Au­gust 2007 be­an­trag­ten und am 13. Sep­tem­ber 2007 eröff­ne­ten In­sol­venz­ver­fah­ren über das Vermögen der S AG (künf­tig: Schuld­ne­rin). Die 1954 ge­bo­re­ne Be­klag­te war seit 2000 bei der Schuld­ne­rin als teil­zeit­beschäftig­te Buch­hal­te­rin tätig. Sie er­ziel­te zu­letzt ei­nen Net­to­ver­dienst von mo­nat­lich 1.431,90 Eu­ro. Das Ar­beits­verhält­nis en­de­te auf­grund be­triebs­be­ding­ter Kündi­gung des Klägers zum 31. De­zem­ber 2007.


Aus­weis­lich des am 27. Sep­tem­ber 2007 er­teil­ten Zeug­nis­ses war die Be­klag­te bei der Schuld­ne­rin als Al­lein­buch­hal­te­rin tätig. Sie war ei­gen­ver­ant­wort­lich ua. zuständig für al­le an­fal­len­den Buch­hal­tungs­ar­bei­ten im De­bi­to­ren-, Kre­di­to­ren- und Sach­kon­ten­be­reich, für die Über­prüfung der Zah­lungs­eingänge, für die Über­wa­chung der Zah­lungs­ter­mi­ne, Lohn- und Ge­halts­zah­lun­gen so­wie die vor­be­rei­ten­den Ar­bei­ten zum Jah­res­ab­schluss und zur Er­stel­lung der Bi­lanz. Von Mai 2006 bis ein­sch­ließlich De­zem­ber 2006 war die Be­klag­te ar­beits­unfähig er­krankt. Nach ih­rer Ge­ne­sung er­ar­bei­te­te sie ei­ne als „Ar­beits-Bi­lanz“ be­zeich­ne­te in­ter­ne Bi­lanz zum 30. April 2007. Die­se wies ein ge­zeich­ne­tes Ka­pi­tal von rund 256.000,00 Eu­ro, ei­nen Ver­lust­vor­trag von rund 478.000,00 Eu­ro so­wie ei­nen Ver­lust von rund 149.000,00 Eu­ro aus. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat fest­ge­stellt, dass die Schuld­ne­rin seit An­fang 2007 zah-
 


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lungs­unfähig war und dies er­kannt hat­te. Die Löhne und Gehälter der et­wa 15 Mit­ar­bei­ter be­zahl­te die Schuld­ne­rin je­weils ter­min­ge­recht zu Be­ginn des Fol­ge­mo­nats.


Der Kläger be­gehrt mit der am 30. De­zem­ber 2010 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge Rück­zah­lung des von der Schuld­ne­rin für Ja­nu­ar bis Ju­li 2007 ge­zahl­ten Net­to­ent­gelts von ins­ge­samt 10.023,30 Eu­ro zur Mas­se.

Der Kläger hat die An­sicht ver­tre­ten, die Vor­aus­set­zun­gen des § 133 In­sO lägen vor. Die Schuld­ne­rin sei zah­lungs­unfähig ge­we­sen und ha­be da­her mit Be­nach­tei­li­gungs­ab­sicht ge­han­delt. Die Be­klag­te ha­be als Buch­hal­te­rin und da­mit als „In­si­der“ ge­wusst, dass sich die Schuld­ne­rin ih­re Mit­ar­bei­ter nicht mehr ha­be leis­ten können und die Lohn­zah­lun­gen zu­las­ten der übri­gen Gläubi­ger er­folgt sei­en. Auch bei Ge­halts­zah­lun­gen an Ar­beit­neh­mer im Rah­men ei­nes Bar­geschäfts sei im Re­gel­fall aus der Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit auf den Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz des Schuld­ners zu schließen.

Der Kläger hat be­an­tragt, 


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 10.023,30 Eu­ro nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz p.a. hier­auf seit dem 13. Sep­tem­ber 2007 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat ih­ren Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag da­mit be­gründet, dass sie kei­nen Ge­samtüber­blick über die Li­qui­ditätsla­ge der Schuld­ne­rin ge­habt ha­be. Wenn es in den ver­gan­ge­nen Jah­ren zu fi­nan­zi­el­len Engpässen ge­kom­men sei, hätten die In­ha­ber der Schuld­ne­rin die­se Beträge stets aus ih­rem Pri¬vat­vermögen aus­ge­gli­chen. Es hätten wei­te­re Mit­tel zu­fließen sol­len. Je­den­falls sei­en die Re­ge­lun­gen der In­sol­ven­zod­nung ver­fas­sungs­wid­rig, wenn sie auf Ar­beit­neh­mer an­ge­wandt würden.


Die Vor­in­stan­zen ha­ben die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Mit sei­ner vom Se­nat durch Be­schluss vom 21. März 2012 (- 6 AZN 1881/11 -) zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger sein Be­geh­ren wei­ter.

Die Be­klag­te hat in der Re­vi­si­ons­er­wi­de­rung un­ter Vor­trag neu­er Tat­sa­chen aus­geführt, die Schuld­ne­rin sei nicht über­schul­det ge­we­sen.
 


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Ent­schei­dungs­gründe


Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat rechts­feh­ler­frei an­ge­nom­men, dass die Schuld­ne­rin bei der Zah­lung des Net­to­ent­gelts für Ja­nu­ar bis Ju­li 2007 oh­ne den nach § 133 In­sO er­for­der­li­chen Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz han­del­te, je­den­falls aber die Be­klag­te von ei­nem sol­chen Vor­satz kei­ne Kennt­nis hat­te und die­se Kennt­nis auch nicht nach § 133 Abs. 1 Satz 2 In­sO zu ver­mu­ten war.


A. Die Be­klag­te ist An­fech­tungs­geg­ne­rin. Das gilt auch, so­weit der Kläger Ent­gelt zurück­for­dert, das für den In­sol­venz­geld­zeit­raum (13. Ju­ni bis 31. Ju­li 2007) ge­zahlt wor­den ist. Die An­fech­tung rich­tet sich grundsätz­lich ge­gen den­je­ni­gen, dem ge­genüber die an­fecht­ba­re Hand­lung vor­ge­nom­men wor­den ist, dh. ge­gen den Empfänger des an­fecht­bar über­tra­ge­nen oder be­gründe­ten Rechts (Kreft in HK-In­sO 6. Aufl. § 129 Rn. 93). Auch für Ent­gelt­zah­lun­gen, die für den In­sol­venz­geld­zeit­raum ge­zahlt wor­den sind, ist An­fech­tungs­geg­ner des­halb grundsätz­lich der Ar­beit­neh­mer. Erst dann, wenn ein In­sol­venz­geld­an­trag ge­stellt wor­den ist, kann die An­fech­tung ge­gen die Bun­des­agen­tur für Ar­beit zu rich­ten sein.


I. § 169 Satz 1 SGB III ord­net al­ler­dings an, dass mit dem An­trag auf In­sol­venz­geld die Ent­gelt­ansprüche, die ei­nen An­spruch auf In­sol­venz­geld be­gründen, auf die Bun­des­agen­tur für Ar­beit über­ge­hen. Gemäß § 169 Satz 3 SGB III fin­det die ge­gen Ar­beit­neh­mer be­gründe­te An­fech­tung nach der In­sol­venz­ord­nung ge­gen die Bun­des­agen­tur statt. So­weit dar­aus ge­fol­gert wird, un­abhängig da­von, ob ein An­trag auf In­sol­venz­geld ge­stellt sei, sei die Bun­des­agen­tur für Ar­beit An­fech­tungs­geg­ne­rin, weil sie ent­spre­chend dem Zweck des In­sol­venz­geld­an­spruchs während des In­sol­venz­geld­zeit­raums wirt­schaft­lich das In­sol­venz­ri­si­ko tra­ge (Zwan­zi­ger Kom­men­tar zum Ar­beits­recht der In­sol­venz­ord­nung 4. Aufl. Einführung Rn. 391 zur wort­glei­chen Vorgänger­be­stim­mung in § 187 Satz 2 SGB III), folgt dem der Se­nat nicht.

§ 145 In­sO re­gelt die An­fech­tung bei Rechts­nach­fol­ge. § 169 Satz 3 SGB III gleicht die Rechts­po­si­ti­on der Bun­des­agen­tur für Ar­beit hin­sicht­lich der
 


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An­fecht­bar­keit von Rechts­hand­lun­gen der Stel­lung der in § 145 Abs. 1 In­sO auf­geführ­ten Ge­samt­rechts­nach­fol­ger an und ver­wehrt es ihr, sich nach § 145 Abs. 2 In­sO auf Ver­trau­ens­schutz zu be­ru­fen (Voelz­ke in Hauck/Noftz SGB III 2. Aufl. Stand Mai 2012 K § 169 Rn. 35). Die Bun­des­agen­tur für Ar­beit ist al­so nur und in­so­weit An­fech­tungs­geg­ne­rin, als der An­spruch des Ar­beit­neh­mers auf sie über­ge­gan­gen ist. Der An­spruchsüber­gang setzt aber nach § 169 Satz 1 SGB III ei­nen An­trag des Ar­beit­neh­mers vor­aus. Außer­dem müssen hin­rei­chen­de An­halts­punk­te be­ste­hen, dass ei­ne Leis­tungs­pflicht der Bun­des­agen­tur für Ar­beit in Be­tracht kommt (BSG 17. Ju­li 1979 - 12 RAr 15/78 - BS­GE 48, 269). Nach die­ser ge­setz­li­chen Sys­te­ma­tik ist die Bun­des­agen­tur für Ar­beit nur An­fech­tungs­geg­ne­rin, wenn die An­fech­tung er­folgt, nach­dem der In­sol­venz­geld­an­trag ge­stellt wor­den ist und ei­ne zu­min­dest ent­fern­te Möglich­keit be­steht, dass die Zah­lung in Be­tracht kommt (Ber­scheid ju­ris­PR-InsR 20/2008 Anm. 3 un­ter D; vgl. Gott­wald/Hu­ber In­sol­venz­rechts-Hand­buch 4. Aufl. § 51 Rn. 71; Henckel in Ja­e­ger In­sO § 145 Rn. 36; Uh­len­bruck/Hir­te 13. Aufl. § 129 In­sO Rn. 112).


II. Die Be­klag­te hat nicht vor­ge­tra­gen, dass sie ei­nen In­sol­venz­geld­an­trag ge­stellt hat. Sie ist dar­um An­fech­tungs­geg­ne­rin hin­sicht­lich des ge­sam­ten an-ge­foch­te­nen Be­trags.


B. Der Se­nat hat er­wo­gen, in Fällen kon­gru­en­ter De­ckung durch ei­ne ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung der §§ 129 ff. In­sO das im Ent­gelt ent­hal­te­ne Exis­tenz­mi­ni­mum an­fech­tungs­frei zu stel­len.


I. Das In­sol­venz­ver­fah­ren dient der gleichmäßigen Be­frie­di­gung der Gläubi­ger. Durch die Vor­schrif­ten der In­sol­venz­an­fech­tung sol­len im In­ter­es­se der Wie­der­her­stel­lung des Schuld­ner­vermögens be­stimm­te, als un­ge­recht­fer­tigt an­ge­se­he­ne Vermögens­ver­schie­bun­gen rückgängig ge­macht und der In­sol­venz­mas­se zurück­gewährt wer­den (BAG 21. No­vem­ber 2013 - 6 AZR 159/12 - Rn. 11; Bork in Bork Hand­buch des In­sol­venz­an­fech­tungs­rechts Kap. 1 Rn. 1). Darüber hin­aus be­we­gen die Be­stim­mun­gen über die In­sol­venz­an­fech­tung Gläubi­ger ten­den­zi­ell da­zu, sich im Vor­feld von In­sol­ven­zen bzw. im Geschäfts­le­ben norm­zwe­ck­ent­spre­chend zu ver­hal­ten, und hel­fen so dem In-
 


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sol­venz­recht, sei­ne Ord­nungs­funk­ti­on zu erfüllen (Bork ZIP 2008, 1041). Um die­se Zie­le zu er­rei­chen, be­sei­tigt die In­sol­venz­ord­nung In­sol­venz­vor­rech­te so­weit als möglich. Das Ar­beit­neh­mer­pri­vi­leg des § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KO, wo­nach Lohn­for­de­run­gen aus den letz­ten sechs Mo­na­ten vor Ver­fah­ren­seröff­nung Mas­se­schul­den wa­ren, wur­de nicht in die In­sol­venz­ord­nung über­nom­men. Die­ses Pri­vi­leg schloss ei­ne An­fech­tung weit­ge­hend aus. Wur­den Lohn­for­de­run­gen für die letz­ten sechs Mo­na­te vor Kon­kurseröff­nung vom Schuld­ner erfüllt, er­hiel­ten die Ar­beit­neh­mer nur das, was ih­nen auch vom Kon­kurs­ver­wal­ter aus der Mas­se zu zah­len ge­we­sen wäre. Es fehl­te da­her re­gelmäßig an der nach § 30 KO er­for­der­li­chen Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gung. Kon­kursan­fech­tun­gen von Lohn­zah­lun­gen spiel­ten dar­um in der Pra­xis kei­ne Rol­le (Brink­mann ZZP 2012, 197).


II. Der Ge­setz­ge­ber hat bei der Ab­schaf­fung des Ar­beit­neh­mer­pri­vi­legs mögli­cher­wei­se das aus Art. 1 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 1 GG fol­gen­de Grund-recht auf die Gewähr­leis­tung ei­nes men­schenwürdi­gen Exis­tenz­mi­ni­mums nicht hin­rei­chend berück­sich­tigt. Das könn­te es iVm. Art. 12 Abs. 1 GG bei kon­gru­en­ten De­ckun­gen, zu­mal bei Zah­lun­gen im Rah­men ei­nes Bar­geschäfts oder in bar­geschäftsähn­li­cher La­ge, ge­bie­ten, das Exis­tenz­mi­ni­mum vom Zu­griff des In­sol­venz­ver­wal­ters frei­zu­stel­len, so dass die­ser Ent­gelt­be­stand­teil nicht im We­ge der In­sol­venz­an­fech­tung im In­ter­es­se al­ler Gläubi­ger zur Mas­se ge­zo­gen wer­den könn­te.


1. Die Rechts­na­tur des Rück­gewähran­spruchs steht die­sen Be­den­ken des Se­nats nicht ent­ge­gen. Da­bei han­delt es sich zwar um ei­nen ori­ginären ge­setz­li­chen An­spruch des In­sol­venz­ver­wal­ters, der ihm ei­ne Rück­for­de­rungsmöglich­keit eröff­net, die dem Schuld­ner ver­wehrt ist und die der gleichmäßigen Be­frie­di­gung al­ler Gläubi­ger dient. Für die­ses ge­setz­li­che Schuld­verhält­nis gilt al­lein das in sich ge­schlos­se­ne Re­ge­lungs­sys­tem der §§ 129 ff. In­sO (vgl. BAG 24. Ok­to­ber 2013 - 6 AZR 466/12 - Rn. 20 f.; BGH 24. März 2011 - IX ZB 36/09 - Rn. 6, 12). Auch die­ses ge­setz­li­che Schuld­verhält­nis steht aber nicht über der Ver­fas­sung, son­dern muss sich an de­ren Vor­ga­ben mes­sen las­sen.
 


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2. Das Grund­recht auf die Gewähr­leis­tung ei­nes men­schenwürdi­gen Exis­tenz­mi­ni­mums ist dem Grun­de nach un­verfügbar. Es be­darf zwar der Kon­kre­ti­sie­rung und Ak­tua­li­sie­rung durch den Ge­setz­ge­ber, muss aber vom Staat ein­gelöst wer­den (BVerfG 9. Fe­bru­ar 2010 - 1 BvL 1/09 ua. - Rn. 133, BVerfGE 125, 175). Die­ses Grund­recht be­inhal­tet nicht nur ei­nen An­spruch ge­gen den Staat auf ma­te­ri­el­le Leis­tun­gen an Hilfs­bedürf­ti­ge zur Si­che­rung des Exis­tenz­mi­ni­mums. In Wech­sel­wir­kung mit dem durch Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG gewähr­leis­te­ten Recht auf persönli­che Ent­fal­tung im vermögens­recht­li­chen und be­ruf­li­chen Be­reich ver­bie­tet es dem Staat auch, auf den Kern­be­stand des selbst er­ziel­ten Ein­kom­mens des Grund­recht­strägers zu­zu­grei­fen. Des­halb ist das Ein­kom­men des Steu­er­pflich­ti­gen in­so­weit steu­er­frei zu be­las­sen, als es zur Schaf­fung der Min­dest­vor­aus­set­zun­gen für ein men­schenwürdi­ges Da­sein benötigt wird. Der Staat darf dem Bürger das selbst er­ziel­te Ein­kom­men bis zur Höhe des Exis­tenz­mi­ni­mums nicht ent­zie­hen. Der exis­tenz­not­wen­di­ge Be­darf bil­det von Ver­fas­sungs we­gen die Un­ter­gren­ze für den Zu­griff durch die Ein­kom­men­steu­er (BVerfG 20. Au­gust 1997 - 1 BvR 1300/89 -; 25. Sep­tem­ber 1992 - 2 BvL 5/91 ua. - zu C I der Gründe, BVerfGE 87, 153; 29. Mai 1990 - 1 BvL 20/84 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 82, 60).


3. Der Ge­setz­ge­ber hat er­kannt, dass das Grund­recht auf die Gewähr­leis­tung ei­nes men­schenwürdi­gen Exis­tenz­mi­ni­mums nach vor­ste­hen­den, vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ent­wi­ckel­ten Grundsätzen dem ho­heit­lich tätig wer­den­den Staat nicht nur Gren­zen bei der Fest­set­zung der Ein­kom­men­steu­er setzt. Auch im Gläubi­ger-Schuld­ner-Verhält­nis darf der Staat sei­nen Zwangs­ap­pa­rat grundsätz­lich nicht zur Verfügung stel­len, um ei­nem Ein­zel­nen den Teil des Ein­kom­mens zu ent­zie­hen, der zur Si­che­rung des Exis­tenz­mi­ni­mums er­for­der­lich ist (vgl. BT-Drucks. 14/6812 S. 8).


a) Im Be­reich der zi­vil­recht­li­chen Zwangs­voll­stre­ckung hat der Ge­setz­ge­ber dar­um durch Pfändungs­frei­gren­zen die Si­che­rung des Exis­tenz­mi­ni­mums (vgl. BAG 21. Fe­bru­ar 2013 - 6 AZR 553/11 - Rn. 38) vor­ge­se­hen.

aa) In den von § 850c ZPO er­fass­ten Fällen hat der Ge­setz­ge­ber ei­nen an­ge­mes­se­nen Selbst­be­halt für den er­werbstäti­gen Schuld­ner berück­sich­tigt. Er
 


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hat da­bei im In­ter­es­se der Prak­ti­ka­bi­lität die Pfändungs­frei­gren­zen pau­scha­liert und bun­des­ein­heit­lich ge­re­gelt und da­von ab­ge­se­hen, wie im So­zi­al­hil­fe­recht den Be­darf ein­zel­fall­be­zo­gen zu er­mit­teln (BT-Drucks. 14/6812 S. 8 f.; zum Zweck der §§ 850 ff. ZPO ausführ­lich MüKoZ­PO/Smid 4. Aufl. § 850 Rn. 1; vgl. auch Ar­nold BB 1978, 1314, 1315 f.).


bb) Hat der Ar­beit­ge­ber vor Wirk­sam­wer­den der Lohnpfändung noch ei­nen Vor­schuss ge­leis­tet, be­steht un­abhängig von dem Mei­nungs­streit, wie in ei­nem sol­chen Fall das pfänd­ba­re Ein­kom­men zu be­rech­nen ist (Nach­wei­se bei Stöber For­de­rungspfändung 15. Aufl. Rn. 1266; MüKoBGB/Müller-Glöge 6. Aufl. § 614 Rn. 19), Ei­nig­keit darüber, dass dem Ar­beit­neh­mer in je­dem Fall das Exis­tenz­mi­ni­mum ver­blei­ben muss (Stöber aaO mwN; ders. Anm. AP ZPO § 850 Nr. 11).


b) Auch im In­sol­venz­recht hat der Ge­setz­ge­ber grundsätz­lich er­kannt, dass das Exis­tenz­mi­ni­mum nicht dem Zu­griff der Gläubi­ger un­ter­liegt. Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 In­sO (in der Pri­vat­in­sol­venz mit be­an­trag­ter Rest­schuld­be­frei­ung iVm. § 292 Abs. 1 Satz 3 In­sO) gehören unpfänd­ba­re For­de­run­gen nicht zur In­sol­venz­mas­se, sie sind dem In­sol­venz­ver­wal­ter nicht nach § 148 Abs. 1, § 80 Abs. 1 In­sO zur Ver­wal­tung über­tra­gen (BAG 28. Au­gust 2013 - 10 AZR 323/12 - Rn. 11). Nur der pfänd­ba­re Teil des Ar­beits­ent­gelts fällt in die In­sol­venz­mas­se und kommt da­her in der Pri­vat­in­sol­venz des Ar­beit­neh­mers des­sen Gläubi­gern zu­gu­te. So wird dem Schuld­ner der un­an­tast­ba­re Be­reich persönli­cher und le­bens­not­wen­di­ger Güter be­wahrt. Glei­ches gilt für den selbständig täti­gen Schuld­ner nach Frei­ga­be der selbständi­gen Tätig­keit. Die­ser muss gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 iVm. § 295 Abs. 2 In­sO nur das fik­ti­ve pfänd­ba­re Ein­kom­men an die Mas­se abführen, das er ent­spre­chend sei­ner be­ruf­li­chen Qua­li­fi­ka­ti­on in ei­nem an­ge­mes­se­nen Dienst- oder Ar­beits­verhält­nis er­zie­len würde (BGH 13. Ju­ni 2013 - IX ZB 38/10 - Rn. 11 ff.). Sch­ließlich ist nach Auf­fas­sung des Bun­des­ge­richts­hofs auch die Be­stim­mung des § 850b ZPO über be­dingt pfänd­ba­re Bezüge im In­sol­venz­ver­fah­ren ins­ge­samt an­wend­bar. Dies führt da­zu, dass von den be­schränkt pfänd­ba­ren Bezügen dem Schuld­ner so viel zu be­las­sen ist, wie er zur Ab­si­che­rung sei­nes Exis­tenz­mi­ni­mums benötigt (BGH
 


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3. De­zem­ber 2009 - IX ZR 189/08 -). Da­mit kom­men die ver­fas­sungs­recht­li­chen Erwägun­gen, durch die die Pfändungs­schutz­be­stim­mun­gen der Zi­vil­pro­zess­ord­nung mo­ti­viert sind, grundsätz­lich auch im In­sol­venz­ver­fah­ren zur Gel­tung (vgl. BAG 20. Ju­ni 2013 - 6 AZR 789/11 - Rn. 18 f.; vgl. für § 850b ZPO BGH 3. De­zem­ber 2009 - IX ZR 189/08 - Rn. 13).


4. Die An­fech­tungs­be­stim­mun­gen in §§ 129 ff. In­sO las­sen je­doch den rück­wir­ken­den Zu­griff des In­sol­venz­ver­wal­ters auf das Exis­tenz­mi­ni­mum für den von der An­fech­tung er­fass­ten Zeit­raum un­ein­ge­schränkt zu. Dem Ar­beit­neh­mer wird da­durch nachträglich der zur Ab­si­che­rung des Exis­tenz­mi­ni­mums er­for­der­li­che, durch ei­ge­ne Ar­beits­leis­tung ver­dien­te Be­trag wie­der ent­zo­gen. Zur Erfüllung des auf das Exis­tenz­mi­ni­mum ent­fal­len­den Teils der Rück­zah­lungs­pflicht muss er auf Rück­la­gen zurück­grei­fen, neue Schul­den ma­chen oder sein ak­tu­el­les Ge­halt ein­set­zen, oh­ne dies rück­wir­kend durch Leis­tun­gen des Staa­tes, die das Exis­tenz­mi­ni­mum si­chern sol­len, aus­rei­chend kom­pen­sie­ren zu können. Un­ter Umständen ist er ge­zwun­gen, Pri­vat­in­sol­venz zu be­an­tra­gen. Es er­scheint zwei­fel­haft, ob die­se Be­stim­mun­gen den ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­te­nen Schutz des Exis­tenz­mi­ni­mums bei kon­gru­en­ten De­ckun­gen hin­rei­chend gewähr­leis­ten.

a) Muss der Ar­beit­neh­mer Ent­gelt zurück­zah­len, das vor In­sol­ven­zeröff­nung noch vom Schuld­ner ge­zahlt wor­den ist - wo­bei die­se Ver­pflich­tung bei der Vor­satz­an­fech­tung bis zu zehn Jah­re zurück­rei­chen kann - wird er die­ses Ent­gelt bei ty­pi­sie­ren­der Be­trach­tung für sei­nen Le­bens­un­ter­halt ver­braucht ha­ben. Auf Ent­rei­che­rung kann er sich je­doch nur bei un­ent­gelt­li­chen Leis­tun­gen iSv. § 134 In­sO be­ru­fen (§ 143 Abs. 2 In­sO; vgl. die Kon­stel­la­ti­on in BGH 17. Ok­to­ber 2013 - IX ZR 10/13 -).


b) Dem Ar­beit­neh­mer kann al­ler­dings das ge­zahl­te Ent­gelt, mit dem er sei­nen Le­bens­un­ter­halt zunächst be­strit­ten hat, als sol­ches nicht rück­wir­kend ent­zo­gen wer­den. Der zur Mas­se zu zie­hen­de Geld­be­trag kann nur aus Rück­la­gen des Ar­beit­neh­mers, an de­nen es bei ty­pi­sie­ren­der Be­trach­tung je­den­falls dann re­gelmäßig feh­len wird, wenn die In­sol­venz wie bei der Be­klag­ten zum Ar­beits­platz­ver­lust geführt hat, ge­leis­tet oder durch ei­ne Mo­bi­li­arpfändung

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bzw. - was der Re­gel­fall sein dürf­te - durch ei­ne Ge­halts- oder Ren­tenpfändung bei­ge­trie­ben wer­den. Bei Pfändun­gen ist durch das gel­ten­de Zwangs­voll­stre­ckungs­recht, ins­be­son­de­re die §§ 850 ff. ZPO, gewähr­leis­tet, dass der An­fech­tungs­geg­ner das ak­tu­el­le Exis­tenz­mi­ni­mum behält. Der In­sol­venz­ver­wal­ter kann nur auf den pfänd­ba­ren Be­trag zu­grei­fen. Reicht das Ein­kom­men nicht aus, um den der Mas­se ge­schul­de­ten Be­trag ab­zu­de­cken, bleibt dem An­fech­tungs­geg­ner nur der Ei­gen­an­trag nach §§ 305 ff. In­sO, um ei­ner le­bens­lan­gen Schuld­ver­pflich­tung zu ent­ge­hen.

c) Es er­scheint frag­lich, ob für die ver­fas­sungs­recht­li­che Be­ur­tei­lung da­nach zu dif­fe­ren­zie­ren ist, ob der Zu­griff des Staa­tes bzw. der vom Staat durch sei­ne Rechts­vor­schrif­ten ver­mit­tel­te und von den staat­li­chen Ge­rich­ten so­wie dem staat­li­chen Zwangs­ap­pa­rat durch­zu­set­zen­de Zu­griff der Gläubi­ger auf das Exis­tenz­mi­ni­mum so­fort oder nach­ge­la­gert er­folgt. Nach Auf­fas­sung des Se­nats könn­te maßgeb­lich dar­auf ab­zu­stel­len sein, dass der Ar­beit­neh­mer für die Ab­rech­nungs­zeiträume, die vom Rück­gewähran­spruch er­fasst sind, in der Re­gel kei­ne staat­li­che oder über ei­ne Um­la­ge der Ar­beit­ge­ber fi­nan­zier­te Leis­tung erhält, die den Teil des zurück­zu­zah­len­den Be­trags aus­gleicht, der das Exis­tenz­mi­ni­mum ab­deck­te.

aa) Der In­sol­venz­geld­an­spruch (§§ 165 ff. SGB III) soll zwar die vor­leis­tungs­pflich­ti­gen Ar­beit­neh­mer vor dem Ri­si­ko des Lohn­aus­falls bei Zah­lungs­unfähig­keit des Ar­beit­ge­bers schützen (Kütt­ner/Voelz­ke Per­so­nal­buch 2013 In­sol­venz des Ar­beit­ge­bers Rn. 42). Der Ge­setz­ge­ber ist da­von aus­ge­gan­gen, we­gen die­ses An­spruchs sei­en trotz Ab­schaf­fung des Ar­beit­neh­mer­pri­vi­legs kei­ne so­zia­len Härten zu er­war­ten. Älte­re Rückstände sei­en sel­ten von Be­deu­tung (BR-Drucks. 1/92 S. 90). Die­ser An­spruch stellt aber nur si­cher, dass der Net­to­ent­gelt­an­spruch für die letz­ten drei Mo­na­te der Beschäfti­gung ab­ge­si­chert ist. Der Ge­setz­ge­ber hat da­bei die in mehr­fa­cher Hin­sicht be­ste­hen­de Schutzlücke bei der Aus­ge­stal­tung des In­sol­venz­geld­an­spruchs nicht er­kannt (vgl. da­zu Brink­mann ZZP 2012, 197, 215).

(1) Be­reits die An­nah­me des Ge­setz­ge­bers, älte­re, nicht vom In­sol­venz­geld ab­ge­si­cher­te Rückstände sei­en die Aus­nah­me, trifft nicht un­ein­ge­schränkt
 


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zu. Das zei­gen die Ent­schei­dun­gen des Se­nats vom 6. Ok­to­ber 2011 (- 6 AZR 585/10 -, - 6 AZR 731/10 -, - 6 AZR 732/10 -), bei de­nen Zah­lun­gen auf Rückstände von bis zu sechs Mo­na­ten an­ge­foch­ten wa­ren, die Zeiträume von bis zu ei­nem Jahr vor der In­sol­ven­zeröff­nung be­tra­fen.


(2) Der Ge­setz­ge­ber hat zu­dem nicht berück­sich­tigt, dass die An­spruchs­dau­er (§ 170 Abs. 4 SGB III) oft be­reits vollständig durch das In­sol­ven­zeröff­nungs­ver­fah­ren aus­geschöpft wird, wenn ei­ne In­sol­venz­geld­vor­fi­nan­zie­rung er­folgt (vgl. Brink­mann ZZP 2012, 197, 215).


(3) Zahlt der Schuld­ner das Ent­gelt - wie im vor­lie­gen­den Fall - pünkt­lich, ver­sagt der Schutz des In­sol­venz­geld­an­spruchs viel­fach selbst dann, wenn er nicht durch das In­sol­ven­zeröff­nungs­ver­fah­ren ver­braucht wor­den ist.

(a) Der Ar­beit­neh­mer kann in die­sen Fällen zwar nachträglich In­sol­venz­geld be­an­tra­gen, wenn die Ent­gelt­zah­lung er­folg­reich an­ge­foch­ten wird und er das Er­lang­te zurück­gewährt. In die­sem Fall lebt gemäß § 144 Abs. 1 In­sO die (Net­to-)Ent­gelt­for­de­rung rück­wir­kend auf den Zeit­punkt des Erlöschens als In­sol­venz­for­de­rung wie­der auf, so dass der Ar­beit­neh­mer An­spruch auf In­sol­venz­geld hat. Es wird der Zu­stand her­ge­stellt, der oh­ne die an­ge­foch­te­ne Rechts­hand­lung be­stan­den hätte (Crans­haw ZIn­sO 2009, 257, 262 f.; Kreft in HK-In­sO 6. Aufl. § 144 Rn. 3). § 166 Abs. 1 Nr. 2 SGB III, der den In­sol­venz­geld­an­spruch aus­sch­ließt, wenn der An­spruch auf das Ar­beits­ent­gelt durch ei­ne an­ge­foch­te­ne Rechts­hand­lung er­wor­ben wor­den ist, steht dem nicht ent­ge­gen, wenn - wie in der weit über­wie­gen­den Mehr­zahl der Fälle und auch vor­lie­gend - der Ent­gelt­an­spruch an­fech­tungs­frei er­wor­ben und nur an­fecht­bar erfüllt wor­den ist. An­fech­tungs­recht­lich ist zwi­schen Grund- und Erfüllungs­geschäft zu un­ter­schie­den. § 166 Abs. 1 Nr. 2 SGB III be­trifft nur das Grund­geschäft und hat des­halb vor al­lem Be­deu­tung, wenn der Ar­beits­ver­trag kurz vor der In­sol­venz noch geändert wor­den ist und da­durch höhe­re Ent­gelt­ansprüche ent­stan­den sind (Voelz­ke in Hauck/Noftz SGB III 2. Aufl. Stand Mai 2012 K § 166 Rn. 25; vgl. zur Vorgänger­vor­schrift § 184 SGB III Crans­haw ZIn­sO 2009, 257, 261 f.; Kreft aaO § 129 Rn. 13; aA wohl - oh­ne auf den Un­ter­schied zwi­schen



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Grund- und Erfüllungs­geschäft ein­zu­ge­hen - Ber­scheid ju­ris­PR-InsR 20/2008 Anm. 3 un­ter D).

(b) Stellt der Ar­beit­neh­mer nachträglich An­trag auf In­sol­venz­geld, ist je­doch die zwei­mo­na­ti­ge Aus­schluss­frist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III, die uni­ons­rechts­kon­form an das In­sol­ven­zer­eig­nis an­knüpft (vgl. BSG 17. Ok­to­ber 2007 - B 11a AL 75/07 B - un­ter Be­zug auf EuGH 18. Sep­tem­ber 2003 - C-125/01 - [Pflücke] Slg. 2003, I-9375), versäumt. Ob die zwei­mo­na­ti­ge Nach­frist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III dem Ar­beit­neh­mer hilft, hängt vom Ein­zel­fall ab (vgl. BSG 17. Ok­to­ber 2007 - B 11a AL 75/07 B - Rn. 9). Zwar wird im Re­gel­fall die Aus­schluss­frist un­ver­schul­det versäumt sein (vgl. Crans­haw ZIn­sO 2009, 257, 264). Die Nach­frist be­ginnt aber mit dem Weg­fall des Hin­der­nis­ses für die Be­an­tra­gung des In­sol­venz­gel­des zu lau­fen, dh. so­bald der Ar­beit­neh­mer bei Be­ach­tung der ge­bo­te­nen Sorg­falt von dem An­spruch Kennt­nis hätte ha­ben können (vgl. Radüge in Hauck/Noftz SGB III 2. Aufl. Stand Mai 2012 K § 324 Rn. 31). Für den An­lauf die­ser Frist ist ei­ne Viel­zahl von Zeit­punk­ten denk­bar, zB die An­fech­tungs­erklärung durch den In­sol­venz­ver­wal­ter, ei­ne die An­fech­tung be­ja­hen­de Ent­schei­dung der Tat­sa­chen­in­stan­zen oder der Ein­tritt der Rechts­kraft ei­ner sol­chen Ent­schei­dung. Des­halb wird die Bun­des­agen­tur für Ar­beit dem Ar­beit­neh­mer oft er­folg­reich ent­ge­gen­hal­ten können, die Nach­frist sei versäumt. Zu­dem be­steht recht­statsächlich ein er­heb­li­ches Ri­si­ko, dass auch die Nach­frist man­gels de­ren Kennt­nis versäumt wird.


bb) Ar­beits­lo­sen­geld kann der Ar­beit­neh­mer für Zeiträume, in de­nen er ge­ar­bei­tet hat, nicht rück­wir­kend be­an­tra­gen. Es wird erst ab dem Zeit­punkt der Ar­beits­los­mel­dung ge­zahlt (BAG 15. No­vem­ber 2012 - 6 AZR 321/11 - Rn. 72).

cc) Auch So­zi­al­hil­fe ist erst ab dem Zeit­punkt zu zah­len, in dem der So­zi­al­hil­feträger Kennt­nis er­langt, dass die Vor­aus­set­zun­gen der Leis­tung vor­lie­gen (§ 18 SGB XII). Aus­rei­chend (aber auch er­for­der­lich) für den An­spruch auf So­zi­al­hil­fe ist da­mit, dass für den Träger über­haupt die Not­wen­dig­keit der Hil­fe er­kenn­bar ist (BSG 2. Fe­bru­ar 2012 - B 8 SO 5/10 R - Rn. 18). Zahlt der späte­re Schuld­ner das Ar­beits­ent­gelt pünkt­lich, schei­det da­mit ei­ne rück­wir­ken­de Be­wil­li­gung von So­zi­al­hil­fe aus.
 


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dd) An­ders als der Ar­beit­neh­mer, der ei­nen Vor­schuss erhält, den er an­sch­ließend nicht ver­dient und in vol­ler Höhe zurück­zah­len muss, kann sich der Ar­beit­neh­mer, des­sen pünkt­lich ge­zahl­tes Ent­gelt - un­ter Umständen wie im vor­lie­gen­den Fall erst nach Jah­ren - vom In­sol­venz­ver­wal­ter zurück­ge­for­dert wird, auf die et­wai­ge Rück­for­de­rung nicht ein­stel­len. Zu­dem un­ter­schei­den sich zurück­zu­zah­len­de Vorschüsse und Ent­geltüber­zah­lun­gen von In­sol­venz­an­fech-un­gen da­durch, dass das zurück­zu­zah­len­de Ent­gelt in den ers­ten bei­den Fällen zwar ge­zahlt, tatsächlich aber nicht ver­dient wor­den und da­mit die Ent­gelt­for­de­rung nicht ent­stan­den ist.

d) Der Ar­beit­neh­mer hat je­den­falls dann, wenn der späte­re Schuld­ner das Ent­gelt (weit­ge­hend) pünkt­lich zahlt, kei­ne adäqua­ten ar­beits- oder so­zi­al­recht­li­chen Hand­lungsmöglich­kei­ten, dem Ri­si­ko ei­ner In­sol­venz­an­fech­tung vor­zu-beu­gen. Er kann letzt­lich nur wei­ter­ar­bei­ten und hof­fen, dass es nicht zur In­sol­venz kommt (Bork ZIP 2007, 2337, 2340; Pie­per ZIn­sO 2009, 1425, 1437).


aa) Im Un­ter­schied zu ei­ner Viel­zahl von Lie­fe­ran­ten und Geschäfts­part­nern kann der Ar­beit­neh­mer sei­ne Ar­beits­leis­tung nicht im Vor­hin­ein ab­si­chern.


bb) Dem Ar­beit­neh­mer steht bei pünkt­li­chen Ent­gelt­zah­lun­gen we­der ein Zurück­be­hal­tungs­recht noch das Recht zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung zu. Kündigt er den­noch frist­los, ist dies rechts­wid­rig, so dass er mit ei­ner Sperr­frist rech­nen muss (vgl. Pie­per ZIn­sO 2009, 1425, 1428, 1437). Zu­dem nimmt er in Kauf, vom Ar­beit­ge­ber we­gen Ver­trags­bruchs mit Scha­den­er­satz­ansprüchen über­zo­gen zu wer­den und ggf. ei­ne Ver­trags­stra­fe zah­len zu müssen. Er ist des­halb nicht nur ver­trag­lich ver­pflich­tet, son­dern auch prak­tisch ge­zwun­gen, sei­ne Ar­beits­leis­tung wei­ter­hin zu er­brin­gen. Er kann da­mit dem An­fech­tungs­ri­si­ko letzt­lich nicht aus­wei­chen (vgl. Lütcke ZIn­sO 2013, 1984, 1989).

cc) Bei pünkt­li­chen Ge­halts­zah­lun­gen kann der Ar­beit­neh­mer auch kei­nen In­sol­venz­an­trag stel­len. Selbst bei Ge­haltsrückständen ist ihm ein sol­cher An-trag in der Re­gel nicht zu­mut­bar (Bork ZIP 2007, 2337, 2340 spricht vom „schwächs­ten Glied in der Gläubi­ger­ket­te“; vgl. auch Brink­mann ZZP 2012, 197, 212; Pie­per ZIn­sO 2009, 1425, 1437).
 


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dd) Sind die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en ta­rif­ge­bun­den, ist dem Ar­beit­neh­mer recht­lich nicht ein­mal der Ver­zicht auf das ihm vom Ar­beit­ge­ber ge­zahl­te Ent­gelt möglich (§ 4 Abs. 4 Satz 1 TVG).


e) Dem­ge­genüber kann der Ar­beit­neh­mer, dem das ver­dien­te Ent­gelt vor In­sol­ven­zeröff­nung nicht mehr ge­zahlt wird, sein Exis­tenz­mi­ni­mum durch staat­li­che So­zi­al­leis­tun­gen bzw. das In­sol­venz­geld de­cken, oh­ne dass die­ses ihm rück­wir­kend wie­der ent­zo­gen wer­den kann. Lie­gen er­heb­li­che Ent­geltrückstände vor, kann er außer­or­dent­lich kündi­gen und oh­ne Sperr­frist Ar­beits­lo­sen­geld be­zie­hen. Zu­dem ist das rückständi­ge Ent­gelt für die letz­ten drei Mo­na­te vor der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses über das In­sol­venz­geld, das er im Re­gel­fall un­pro­ble­ma­tisch frist­ge­recht be­an­tra­gen kann, ge­si­chert. Ist das Ar­beits­verhält­nis vor dem In­sol­ven­zer­eig­nis be­reits be­en­det, ist für die Be­rech­nung des Drei-Mo­nats-Zeit­raums al­lein die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses maßgeb­lich (Kütt­ner/Voelz­ke Per­so­nal­buch 2013 In­sol­venz des Ar­beit­ge­bers Rn. 52). Will der Ar­beit­neh­mer das Ar­beits­verhält­nis (noch) nicht be­en­den, kann er bei Bedürf­tig­keit So­zi­al­hil­fe in An­spruch neh­men.


f) Die­se Rechts­la­ge könn­te in ih­rer Ge­samt­schau ei­ne ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung der §§ 129 ff. In­sO er­for­dern, um dem An­spruch an den ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­te­nen Schutz des Exis­tenz­mi­ni­mums ef­fek­tiv zu genügen. Um ei­ne für die Pra­xis hand­hab­ba­re Ver­fah­rens­wei­se zu ermögli­chen, läge es na­he, auf die Ta­bel­le nach § 850c ZPO zurück­zu­grei­fen, um das an­fech­tungs­freie Exis­tenz­mi­ni­mum zu er­mit­teln. Der Ge­setz­ge­ber hat al­ler­dings bei die­ser Ta­bel­le den pau­scha­lier­ten mo­nat­li­chen Be­darf von 1.705,00 DM für ei­nen er­werbstäti­gen Hil­fe­empfänger im Hin­blick auf das von ihm für er­for­der­lich ge­hal­te­ne Ab­stands­ge­bot um rund 250,00 DM erhöht (BT-Drucks. 14/6812 S. 9). Die­ser im glei­chen Um­fang wie der zur Ab­de­ckung des Exis­tenz­mi­ni­mums vor­ge­se­he­ne Be­darf dy­na­mi­sier­te Erhöhungs­be­trag (BT-Drucks. 14/6812 S. 11 f.) wäre dann je­weils dem Ta­bel­len­be­trag zu­zu­schla­gen. Das hätte im Fall der Be­klag­ten zur Fol­ge, dass ein mo­nat­li­cher Be­trag von 395,40 Eu­ro der An­fech­tung un­terläge, wenn die Be­klag­te kei­ne Un­ter­halts­pflich­ten ge­trof­fen hätten, bei ei­nem Un­ter­halts­be­rech­tig­ten noch mo­nat­lich 97,05 Eu­ro von der An-

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fech­tung er­fasst wären und ab zwei Un­ter­halts­be­rech­tig­ten das mo­nat­li­che Net­to­ein­kom­men ins­ge­samt an­fech­tungs­frei zu be­las­sen wäre.


C. Der Se­nat kann die Fra­ge, ob und in wel­cher Wei­se das Exis­tenz­mi­ni­mum bei der Er­mitt­lung des der An­fech­tung un­ter­lie­gen­den Be­trags zu berück­sich­ti­gen ist, im vor­lie­gen­den Fall je­doch of­fen­las­sen. Der Kläger geht mit dem Lan­des­ar­beits­ge­richt zu Recht da­von aus, dass die streit­be­fan­ge­nen Ent­gelt­zah­lun­gen, auch so­weit sie in den letz­ten drei Mo­na­ten vor dem An­trag auf Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens er­folgt sind, nur un­ter den Vor­aus­set­zun­gen des § 133 Abs. 1 In­sO an­ge­foch­ten wer­den können, weil es sich da­bei um Bar­geschäfte iSv. § 142 In­sO ge­han­delt hat. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt je­doch rechts­feh­ler­frei die sub­jek­ti­ven Vor­aus­set­zun­gen der Vor­satz­an­fech­tung ver­neint.


I. Bei den Net­to­ge­halts­zah­lun­gen der Schuld­ne­rin an die Be­klag­te für Ja­nu­ar bis Ju­li 2007 han­del­te es sich um Bar­geschäfte iSd. § 142 In­sO.


1. Die als Aus­nah­me­vor­schrift kon­zi­pier­te Be­stim­mung des § 142 In­sO (zu die­sem Rechtscha­rak­ter BAG 24. Ok­to­ber 2013 - 6 AZR 466/12 - Rn. 38) be­ruht auf der Er­kennt­nis, dass es bei zeit­na­hem Aus­tausch gleich­wer­ti­ger Leis­tun­gen an ei­ner ob­jek­ti­ven Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gung fehlt (Kay­ser FS Fi­scher S. 267, 269). § 142 In­sO soll es dem Schuld­ner ermögli­chen, auch in der Zeit sei­ner wirt­schaft­li­chen Kri­se noch wertäqui­va­len­te Bar­geschäfte, dh. Rechts­geschäfte, die die In­sol­venzgläubi­ger nicht un­mit­tel­bar be­nach­tei­li­gen, an­fech­tungs­frei ab­zu­wi­ckeln (BGH 7. März 2002 - IX ZR 223/01 - zu III 3 c der Gründe, BGHZ 150, 122; vgl. auch BAG 6. Ok­to­ber 2011 - 6 AZR 262/10 - Rn. 18, BA­GE 139, 235). § 142 In­sO greift da­bei auch dann ein, wenn das ver­pflich­ten­de Rechts­geschäft, das vom Schuld­ner zeit­nah erfüllt wor­den ist, nicht in dem Zeit­raum des § 132 In­sO ge­schlos­sen wor­den ist (vgl. BGH 27. Sep­tem­ber 1984 - IX ZR 3/84 -; Henckel in Ja­e­ger In­sO § 142 Rn. 3; Münch­Komm-In­sO/Kirch­hof 3. Aufl. § 142 Rn. 1). Nach dem Zweck der Vor­schrift muss es dem Schuld­ner, der sich vor Be­ginn der Kri­se ei­ne Leis­tung hat ver­spre­chen las­sen, auch möglich sein, die ihm ob­lie­gen­de Ge­gen­leis­tung an­fech­tungs­frei zu er­brin­gen. Un­an­fecht­bar ab­ge­schlos­se­ne Rechts­geschäfte müssen erfüll­bar


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blei­ben (vgl. BGH 30. Sep­tem­ber 1993 - IX ZR 227/92 - zu II 2 der Gründe, BGHZ 123, 320). Auf den Zeit­punkt, in dem der die­ser Ge­gen­leis­tung zu­grun­de lie­gen­de schuld­recht­li­che Ver­trag ge­schlos­sen wor­den ist, kommt es nicht an. Nur so las­sen sich die Fol­gen der Erfüllung von Dau­er­schuld­verhält­nis­sen, die vor der Kri­se be­gründet wor­den sind, in­sol­venz­recht­lich an­ge­mes­sen lösen (vgl. Henckel aaO Rn. 4).


2. Ein Bar­geschäft iSd. § 142 In­sO liegt vor, wenn der Schuld­ner auf­grund ei­ner Ver­ein­ba­rung mit dem An­fech­tungs­geg­ner im en­gen zeit­li­chen Zu­sam­men­hang mit sei­ner Leis­tung ei­ne gleich­wer­ti­ge Ge­gen­leis­tung er­hal­ten hat (BAG 24. Ok­to­ber 2013 - 6 AZR 466/12 - Rn. 38). Sind die­se Vor­aus­set­zun­gen erfüllt, kommt es zu kei­ner Vermögens­ver­schie­bung zu­las­ten des Schuld­ners (und da­mit bei späte­rer In­sol­venz letzt­lich zu­las­ten der Gläubi­ger), son­dern zu ei­ner bloßen Vermögen­sum­schich­tung.


a) Der Se­nat hat an­ge­nom­men, dass nach die­sen Grundsätzen ein Bar­geschäft vor­liegt, wenn der Ar­beit­ge­ber in der Kri­se Ar­beits­ent­gelt für Ar­beits­leis­tun­gen zahlt, die der Ar­beit­neh­mer in den vor­her­ge­hen­den drei Mo­na­ten er­bracht hat (BAG 6. Ok­to­ber 2011 - 6 AZR 262/10 - Rn. 17, BA­GE 139, 235).


b) Der vor­lie­gen­de Fall gibt kei­nen An­lass, auf die ge­gen die­ses Verständ­nis des Bar­geschäfts im Schrift­tum er­ho­be­ne Kri­tik (vgl. zB Hu­ber ZIn­sO 2013, 1049; ders. EWiR 2011, 817; Gan­ter ZIP 2012, 2037; Ja­cobs/Do­ebert ZIn­sO 2012, 618; Brink­mann ZZP 2012, 197; Klinck Anm. AP In­sO § 130 Nr. 2) ein­zu­ge­hen. Be­reits nach den vom Bun­des­ge­richts­hof ent­wi­ckel­ten Grundsätzen sind vor­lie­gend die Vor­aus­set­zun­gen ei­nes Bar­geschäfts erfüllt.

aa) Die Schuld­ne­rin hat mit den streit­be­fan­ge­nen Zah­lun­gen das ar­beits­ver­trag­lich ge­schul­de­te Ent­gelt aus ei­nem vor der Kri­se ge­schlos­se­nen Ver­trag erfüllt.


bb) Die Be­klag­te hat für das ge­zahl­te Ent­gelt ei­ne gleich­wer­ti­ge Ge­gen­leis­tung er­bracht. Ob Leis­tung und Ge­gen­leis­tung gleich­wer­tig sind, ist nach ob­jek­ti­ven Maßstäben zu be­ur­tei­len (BGH 7. März 2002 - IX ZR 223/01 - zu III 3 c



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der Gründe, BGHZ 150, 122). Das Ar­beits­verhält­nis ist wie je­des ge­gen­sei­ti­ge Ver­trags­verhält­nis da­durch ge­kenn­zeich­net, dass ein Ver­trags­part­ner dem an­de­ren die Leis­tung um der an­de­ren wil­len ver­spricht. Er­folgt die Ent­gelt­zah­lung in der ver­trag­lich ge­schul­de­ten Höhe, han­delt es sich im All­ge­mei­nen um ei­nen gleich­wer­ti­gen Leis­tungs­aus­tausch, wie er für das Bar­geschäft ty­pisch ist (Bork ZIP 2007, 2337, 2338; Pie­per ZIn­sO 2009, 1425, 1430; ein Bar­geschäft oh­ne aus­drück­li­che Pro­ble­ma­ti­sie­rung der Gleich­wer­tig­keit be­ja­hend BAG 6. Ok­to­ber 2011 - 6 AZR 262/10 - Rn. 13, BA­GE 139, 235).


cc) Die Ent­gelt­zah­lun­gen sind nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts „ter­min­ge­recht“, dh. zum je­wei­li­gen ver­trag­li­chen Fällig­keits­zeit­punkt, zu Be­ginn des Fol­ge­mo­nats er­folgt. Da­mit war der er­for­der­li­che un­mit­tel­ba­re zeit­li­che Zu­sam­men­hang noch ge­ge­ben. Ist der An­fech­tungs­geg­ner - wie die Be­klag­te als Ar­beit­neh­me­rin - vor­leis­tungs­pflich­tig und wer­den die wech­sel­sei­ti­gen Leis­tun­gen ab­schnitts­wei­se aus­ge­tauscht, liegt noch kei­ne Kre­dit­gewährung, son­dern ein Bar­geschäft vor, wenn die Zah­lung zum fest­ge­leg­ten Zeit­punkt er­folgt (vgl. BGH 13. April 2006 - IX ZR 158/05 - Rn. 33 f., BGHZ 167, 190; 18. Ju­li 2002 - IX ZR 480/00 -; Bork ZIP 2007, 2337, 2339; Münch­Komm-In­sO/Kirch­hof 3. Aufl. § 142 Rn. 19; Pie­per ZIn­sO 2009, 1425, 1431).

II. Bar­geschäfte sind gemäß § 142 In­sO nur un­ter den Vor­aus­set­zun­gen des § 133 Abs. 1 In­sO an­fecht­bar. Die ob­jek­ti­ven Tat­be­stands­merk­ma­le die­ses An­fech­tungs­tat­be­stands lie­gen vor.

1. Die Erfüllung der Ent­gelt­for­de­run­gen ist ei­ne an­fecht­ba­re Rechts­hand­lung (vgl. Münch­Kom­mIn­sO/Kay­ser 3. Aufl. § 129 Rn. 57).


2. Die Gläubi­ger der Schuld­ne­rin sind mit­tel­bar be­nach­tei­ligt wor­den. 

a) Liegt ein Bar­geschäft vor, fehlt es an ei­ner un­mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung der Gläubi­ger, weil der In­sol­venz­mas­se ei­ne gleich­wer­ti­ge Ge­gen­leis­tung zu­ge­flos­sen ist (Münch­Kom­mIn­sO/Kirch­hof 3. Aufl. § 142 Rn. 9).

b) Für die Vor­satz­an­fech­tung genügt je­doch ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung (vgl. BAG 21. Fe­bru­ar 2008 - 6 AZR 273/07 - Rn. 51, BA­GE 126, 89;


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Münch­Kom­mIn­sO/Kirch­hof 3. Aufl. § 142 Rn. 24; für § 31 Nr. 1 KO BGH 30. Sep­tem­ber 1993 - IX ZR 227/92 - zu II 2 der Gründe, BGHZ 123, 320). Ei­ne mit­tel­ba­re Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gung liegt vor, wenn die an­ge­foch­te­ne Rechts­hand­lung al­lein noch kei­nen (un­mit­tel­ba­ren) Nach­teil für die Gläubi­ger be­wirkt hat, aber die Grund­la­ge für ei­nen wei­te­ren Ab­lauf ge­schaf­fen hat, der zu ei­ner Gläubi­gerschädi­gung geführt hat (Münch­Kom­mIn­sO/Kay­ser § 129 Rn. 121). Das ist zB an­zu­neh­men, wenn wie vor­lie­gend der Schuld­ner die For­de­rung ei­nes Gläubi­gers be­frie­digt, der oh­ne die­se Zah­lung In­sol­venzgläubi­ger ge­we­sen wäre. In die­sem Fall ist die Mas­se durch den für die Erfüllung auf­ge­wand­ten Be­trag verkürzt (BGH 18. Ju­li 2002 - IX ZR 480/00 -), so dass sich die Quo­te der an­de­ren In­sol­venzgläubi­ger ver­rin­gert (Henckel in Ja­e­ger In­sO § 129 Rn. 118; Münch­Kom­mIn­sO/Kay­ser § 129 Rn. 104, 123, 163b).


c) Die Ent­gelt­zah­lung im We­ge des Bar­geschäfts genügt al­lein noch nicht, um ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung der Gläubi­ger aus­zu­sch­ließen. Zwar er-reicht der späte­re Schuld­ner durch die (pünkt­li­chen) Ent­gelt­zah­lun­gen, dass die Ar­beit­neh­mer „bei der Stan­ge blei­ben“ und so der Be­trieb als funk­tio­na­le Ein­heit wei­ter­be­ste­hen kann. Erst das eröff­net die Chan­ce für ei­nen Fort­be­stand des Be­triebs (vgl. BAG 6. Ok­to­ber 2011 - 6 AZR 262/10 - Rn. 18, BA­GE 139, 235). Die er­brach­te Ar­beits­leis­tung gewährt den In­sol­venzgläubi­gern aber nicht die-sel­be Zu­griffsmöglich­keit, wie sie die ab­ge­flos­se­nen Zah­lungs­mit­tel ge­bo­ten hätten. Ei­ne mit­tel­ba­re Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gung kann al­len­falls dann aus-schei­den, wenn sich we­gen ei­nes ernst­haf­ten und aus­sichts­rei­chen Sa­nie­rungs­ver­suchs das In­ter­es­se der Gläubi­ger dar­auf rich­tet, dass die Tätig­keit un­verändert fort­ge­setzt wird (vgl. BGH 12. Ja­nu­ar 2012 - IX ZR 95/11 - Rn. 6 f. für Prämi­en­zah­lun­gen, die den Rück­kaufs­wert ei­ner Di­rekt­ver­si­che­rung für ih­ren Geschäftsführer erhöhen). Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat nicht fest­ge­stellt, dass ein schlüssi­ges Sa­nie­rungs­kon­zept (zu den dies­bezügli­chen An­for­de­run­gen BAG 12. Sep­tem­ber 2013 - 6 AZR 980/11 - Rn. 58, 76 bis 78) vor­lag. Die An­fecht­bar­keit wird dar­um vor­lie­gend al­lein durch die sub­jek­ti­ven Umstände der Rechts­hand­lung be­grenzt (vgl. BGH 4. De­zem­ber 1997 - IX ZR 47/97 - zu III 3 d bb der Gründe; Bork ZIP 2007, 2337, 2339).

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III. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat rechts­feh­ler­frei die sub­jek­ti­ven Vor­aus­set­zun­gen der Vor­satz­an­fech­tung ver­neint.

1. § 133 Abs. 1 In­sO ver­langt, dass der Schuld­ner die Rechts­hand­lung mit dem Vor­satz vor­ge­nom­men hat, sei­ne Gläubi­ger zu be­nach­tei­li­gen, und der An­fech­tungs­geg­ner dies wuss­te. Das Vor­lie­gen die­ser sub­jek­ti­ven Tat­be­stands­merk­ma­le als in­ne­re, dem Be­weis nur ein­ge­schränkt zugäng­li­che Tat­sa­chen kann re­gelmäßig nur mit­tel­bar aus ob­jek­ti­ven Tat­sa­chen her­ge­lei­tet wer­den. Der Bun­des­ge­richts­hof hat für den Nach­weis des Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­sat­zes ver­schie­de­ne In­di­zi­en ent­wi­ckelt und auch bei kon­gru­en­ten De­ckun­gen ins­be­son­de­re auf die Kennt­nis des Schuld­ners und des An­fech­tungs­geg­ners von der zu­min­dest dro­hen­den Zah­lungs­unfähig­keit des Schuld­ners ab­ge­stellt. Auch für ein Ein­grei­fen der Ver­mu­tung des § 133 Abs. 1 Satz 2 In­sO genügt es nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­hofs schein­bar al­lein, dass der An­fech­tungs­geg­ner die dro­hen­de Zah­lungs­unfähig­keit bzw. die Umstände, aus de­nen die­se zwin­gend folgt, kennt (vgl. die Nach­wei­se in BAG 12. Sep­tem­ber 2013 - 6 AZR 980/11 - Rn. 51 ff.). Bei oberfläch­li­cher Be­trach­tung kommt es nach die­ser Recht­spre­chung für die sub­jek­ti­ven Vor­aus­set­zun­gen der Vor­satz­an­fech­tung prak­tisch nur auf den ers­ten Teil der Ver­mu­tungs­vor­aus­set­zung des § 133 Abs. 1 Satz 2 In­sO, die Kennt­nis von der (dro­hen­den) Zah­lungs­unfähig­keit, an. Der zwei­te Teil der Ver­mu­tungs­grund­la­ge, die Kennt­nis von der Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gung, soll dann aus dem ers­ten Teil des Ver­mu­tungs­tat­be­stands fol­gen. Dreh- und An­gel­punkt der Vor­satz­an­fech­tung ist nach die­sem Verständ­nis der Nach­weis, dass Schuld­ner und An­fech­tungs­geg­ner von der zu­min­dest dro­hen­den Zah­lungs­unfähig­keit oder den auf ei­ne sol­che hin­deu­ten­den Tat­sa­chen Kennt­nis hat­ten (vgl. BGH 20. No­vem­ber 2008 - IX ZR 188/07 - Rn. 10; Kay­ser WM 2013, 293, 294, 298). Von die­sem Verständ­nis geht auch die Re­vi­si­on aus.


2. Die Schuld­ne­rin war seit An­fang 2007 zah­lungs­unfähig. Da­von hat­te die Be­klag­te Kennt­nis, oh­ne dass al­ler­dings vom Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stellt wor­den ist, ab wann die­se Kennt­nis be­stand.
 


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a) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat fest­ge­stellt, dass die Schuld­ne­rin seit An­fang 2007 zah­lungs­unfähig war und dies er­kannt hat­te. Die­se Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen, die auch in den Ent­schei­dungs­gründen ge­trof­fen wer­den können (BAG 24. Fe­bru­ar 2011 - 6 AZR 626/09 - Rn. 59), hat die Be­klag­te nicht mit durch­grei­fen­den Ge­genrügen an­ge­grif­fen, so dass sie den Se­nat bin­den. Die Be­klag­te be­haup­tet in der Re­vi­si­ons­er­wi­de­rung, die Schuld­ne­rin sei nicht über­schul­det ge­we­sen. Sie hat sich da­bei auf zwei be­reits in den Tat­sa­chen­in­stan­zen vor­ge­leg­te Un­ter­la­gen so­wie auf neu­es Tat­sa­chen­vor­brin­gen gestützt. Von den neu vor­ge­tra­ge­nen Tat­sa­chen ha­be sie erst durch Über­mitt­lung ei­nes Schrift­sat­zes im Rechts­streit - 413 HKO 40/12 - vor dem LG Ham­burg er­fah­ren.


aa) So­weit die Be­klag­te gel­tend ma­chen will, die Fest­stel­lung der Zah­lungs­unfähig­keit der Schuld­ne­rin be­ru­he auf der un­ter­las­se­nen Würdi­gung vor­ge­leg­ter Un­ter­la­gen, kann sie dies nicht mit ei­ner Ge­genrüge er­rei­chen. Tat­be­stand­li­che Fest­stel­lun­gen des Be­ru­fungs­ge­richts können nicht mit Ver­fah­rensrügen oder mit ei­ner ent­spre­chen­den ver­fah­rens­recht­li­chen Ge­genrüge des Re­vi­si­ons­be­klag­ten an­ge­grif­fen, son­dern al­lein mit ei­nem An­trag auf Tat­be­stands­be­rich­ti­gung nach § 320 ZPO be­sei­tigt wer­den (BGH st. Rspr. zu­letzt 2. Ok­to­ber 2013 - XII ZB 249/12 - Rn. 28). Ei­nen sol­chen An­trag hat die Be­klag­te nicht ge­stellt.


bb) Die von der Be­klag­ten mit der Re­vi­si­ons­er­wi­de­rung ein­geführ­ten neu­en Tat­sa­chen können vom Se­nat nicht berück­sich­tigt wer­den.


(1) Neu­es Tat­sa­chen­vor­brin­gen ist in der Re­vi­si­ons­in­stanz grundsätz­lich auch dann aus­ge­schlos­sen, wenn die Par­tei von den neu ein­geführ­ten Tat­sa­chen erst nach Schluss der letz­ten münd­li­chen Tat­sa­chen­ver­hand­lung Kennt­nis er­langt hat. Neu­es tatsächli­ches Vor­brin­gen kann in der Re­vi­si­on nur dann berück­sich­tigt wer­den, wenn es un­strei­tig oder sei­ne Rich­tig­keit of­fen­kun­dig ist, wenn es ei­nen Grund für die Wie­der­auf­nah­me des Ver­fah­rens ab­ge­ben würde oder wenn die Par­tei­en nach der Rechts­auf­fas­sung des Be­ru­fungs­ge­richts kei­nen An­lass hat­ten, be­stimm­te Tat­sa­chen vor­zu­tra­gen, auf die es nach Auf­fas­sung des Re­vi­si­ons­ge­richts an­kommt. In ei­nem sol­chen Fall ist den Par­tei­en

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durch Zurück­ver­wei­sung des Rechts­streits Ge­le­gen­heit zu ge­ben, ihr Vor­brin­gen zu ergänzen (vgl. BAG 18. Ok­to­ber 2012 - 6 AZR 289/11 - Rn. 34).


(2) Kei­ne die­ser Vor­aus­set­zun­gen ist erfüllt. Die Be­klag­te hat ins­be­son­de­re die Vor­aus­set­zun­gen ei­nes Wie­der­auf­nah­me­grun­des iSv. § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO nicht dar­ge­legt. Sie hat sich zwar auf ei­nen let­ter of in­tent vom 9. Ju­li 2007 be­ru­fen. „Auf­ge­fun­den“ sind Ur­kun­den nach § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO aber nur dann, wenn ih­re Exis­tenz der Par­tei bis zum Ab­schluss der letz­ten Tat­sa­chen­ver­hand­lung un­ver­schul­det un­be­kannt oder sie ihr nicht zugäng­lich war. Bloße Un­kennt­nis vom In­halt der Ur­kun­de genügt nicht (vgl. BGH 24. April 2013 - XII ZB 242/09 - Rn. 19 f.). Zum Zeit­punkt, in dem sie vom let­ter of in­tent Kennt­nis er­hal­ten hat, hat die Be­klag­te nichts vor­ge­tra­gen.

b) Die Be­klag­te hat­te Kennt­nis von der Zah­lungs­unfähig­keit der Schuld­ne­rin. Das er­gibt sich aus ih­rem ei­ge­nen Vor­trag. Al­ler­dings hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht fest­ge­stellt, ab wann die­se Kennt­nis be­stand.

aa) Die Be­klag­te hat vor­ge­tra­gen, die In­ha­ber der Schuld­ne­rin hätten in der Ver­gan­gen­heit aus ih­rem Pri­vat­vermögen wie­der­holt fi­nan­zi­el­le Engpässe aus­ge­gli­chen. Ihr sei erklärt wor­den, zum Jah­res­wech­sel 2006/2007 wer­de ein neu­er Ge­sell­schaf­ter auf­ge­nom­men. Wenn die­ser sei­ne Ein­la­ge ge­leis­tet ha­be, ge­be es aus­ge­gli­che­ne Zah­len. Es sei ei­ne Zah­lung von 100.000,00 Eu­ro er­folgt. Die zwei­te Zah­lung, de­ren Höhe der Be­klag­ten nicht be­kannt sei, ha­be noch er­fol­gen sol­len. Es sei ihr dar­ge­stellt wor­den, dass ein Herr H ein­tre­ten wer­de. Ob und zu wel­chen Kon­di­tio­nen und zu wel­chem Zeit­punkt dies ha­be er­fol­gen sol­len, sei ihr nicht be­kannt ge­we­sen. Mit dem Ein­gang von 100.000,00 Eu­ro sei für sie das, was ihr von der Geschäfts­lei­tung ge­schil­dert wor­den sei, bestätigt ge­we­sen. Aus der von der Be­klag­ten er­stell­ten „Ar­beits-Bi­lanz“ er­gibt sich ein Dar­le­hen des Herrn H von 100.000,00 Eu­ro.

bb) Aus dem von der Be­klag­ten selbst zu­sam­men­ge­stell­ten Zah­len­werk der „Ar­beits-Bi­lanz“ folgt, dass trotz des Zu­flus­ses des Dar­le­hens von Herrn H die Schuld­ne­rin dau­er­haft nicht in der La­ge war, die an­fal­len­den Ver­bind­lich­kei­ten zu mehr als 90 % zu erfüllen. Das konn­te der Be­klag­ten nicht ent­ge­hen und ist
 


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ihr nach ih­rem Vor­trag auch nicht ent­gan­gen. Zu­dem stand nach ih­rem Vor­trag noch ei­ne „zwei­te Zah­lung“ aus. Sie hat auf wei­te­re Zu­flüsse, sei es aus dem Vermögen des Herrn H, sei es aus dem der Ge­sell­schaf­ter, ver­traut. Dies ändert an ih­rer Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit der Schuld­ne­rin nichts.

cc) Aus dem Vor­trag der Be­klag­ten er­gibt sich al­ler­dings nicht, ob sie be­reits vor Er­stel­len der „Ar­beits-Bi­lanz“ Kennt­nis vom feh­len­den Zu­fluss aus­rei­chen­der Mit­tel hat­te. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat auch nicht fest­ge­stellt, ob die Be­klag­te auf­grund der von ihr lau­fend durch­geführ­ten Buch­hal­tung spätes­tens ab En­de Ja­nu­ar 2007 fort­lau­fend Kennt­nis von der zu­min­dest dro­hen­den Zah­lungs­unfähig­keit der Schuld­ne­rin hat­te.


3. Auf den kon­kre­ten Zeit­punkt, in dem die Be­klag­te Kennt­nis von der zu­min­dest dro­hen­den Zah­lungs­unfähig­keit der Schuld­ne­rin er­langt hat, kommt es je­doch nicht an. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, trotz Kennt­nis ih­rer Zah­lungs­unfähig­keit ha­be die Schuld­ne­rin das streit­be­fan­ge­ne Ent­gelt oh­ne den er­for­der­li­chen Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz ge­zahlt. Je­den­falls ha­be die Be­klag­te ei­nen sol­chen zu­guns­ten des Klägers zu un­ter­stel­len­den Vor­satz un­abhängig da­von, ob ihr die Zah­lungs­unfähig­keit der Schuld­ne­rin be­kannt ge­we­sen sei, nicht ge­kannt. Ge­gen die­se Fest­stel­lun­gen er­hebt die Re­vi­si­on kei­ne durch­grei­fen­den Rügen. Die sub­jek­ti­ven Vor­aus­set­zun­gen der Vor­satz­an­fech­tung sind ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on nicht stets schon dann zu be­ja­hen, wenn der Ar­beit­ge­ber zah­lungs­unfähig war und der Ar­beit­neh­mer dies wuss­te. Viel­mehr muss auch das In­diz der Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit ein­zel­fall­be­zo­gen auf sei­ne Be­weis­kraft hin ge­prüft wer­den. Das gilt so­wohl für den Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz auf Sei­ten des Schuld­ners als auch für die Kennt­nis des An­fech­tungs­geg­ners da­von.

a) Die ver­meint­lich ein­sei­ti­ge und sche­ma­ti­sche Ori­en­tie­rung der Recht­spre­chung an der In­dizwir­kung der Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit wird ge­ra­de in jüngs­ter Zeit im in­sol­venz­recht­li­chen Schrift­tum - zum Teil hef­tig - kri­ti­siert. Vor­satz und Mo­tiv würden ver­wech­selt (Jen­sen NZI 2013, 471, 474). Das Stu­fen­verhält­nis zu § 130 In­sO wer­de ver­wischt (Jen­sen NZI 2013, 471 mwN zu Fn. 1). Der Tat­be­stand des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 In­sO so­wie die Zu­las-
 


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sung von Bar­geschäften würden aus­gehöhlt (Fo­ers­te ZIn­sO 2013, 897, 900). Letzt­lich führe die Recht­spre­chung zu ei­ner Um­keh­rung von Re­gel- und Aus­nah­me­verhält­nis der An­fech­tungs­tat­bestände. §§ 130 und 131 In­sO sei­en nur noch un­ter­ge­ord­ne­te Son­derfälle des § 133 Abs. 1 In­sO (Prie­be ZIn­sO 2013, 2479, 2481). Die Vor­satz­an­fech­tung ent­wi­cke­le sich zu ei­nem „Su­per­an­fech­tungs­tat­be­stand“ (Lütcke ZIn­sO 2013, 1984, 1990). Fak­tisch wer­de durch die Recht­spre­chung ei­ne zehn Jah­re zurück­grei­fen­de De­ckungs­an­fech­tung ermöglicht. Das wei­se auf ei­ne ver­deck­te Rechts­fort­bil­dung hin, die der Recht­spre­chung un­ter­sagt sei (Fo­ers­te ZIn­sO 2013, 897, 902). Die Recht­spre­chung hat An­lass zu ei­nem Po­si­ti­ons­pa­pier des BDI und des ZDH vom 14. Ok­to­ber 2013 ge­ge­ben, in dem befürch­tet wird, dass die „aus­ufern­de An­wen­dungs­pra­xis“ des § 133 Abs. 1 In­sO die Un­ter­neh­mens­pra­xis lähme (ZIn­sO 2013, 2312). Ver­ein­zelt wird im Schrift­tum so­gar of­fen da­zu auf­ge­ru­fen, ge­gen Ur­tei­le, die bei Schuld­til­gun­gen vor der Drei-Mo­nats-Frist An­fech­tun­gen zu­las­sen, Ver­fas­sungs­be­schwer­de ein­zu­le­gen (Fo­ers­te aaO).

b) Der Se­nat hat­te in sei­ner bis­he­ri­gen Recht­spre­chung kei­nen An­lass, sich mit der mas­si­ven Kri­tik im Schrift­tum an der vom Bun­des­ge­richts­hof an­ge­nom­me­nen In­dizwir­kung der Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit bei kon­gru­en­ten De­ckun­gen aus­ein­an­der­zu­set­zen. In den sei­nen Ent­schei­dun­gen vom 6. Ok­to­ber 2011 zu­grun­de lie­gen­den Fällen hat­ten die Vor­in­stan­zen ent­we­der das Vor­lie­gen der sub­jek­ti­ven Vor­aus­set­zun­gen des § 133 In­sO rechts­feh­ler­frei ver­neint (- 6 AZR 262/10 - Rn. 36 ff., BA­GE 139, 235; - 6 AZR 731/10 - Rn. 42 ff.; - 6 AZR 732/10 - Rn. 40 ff.) oder zu den An­fech­tungs­vor­aus­set­zun­gen kei­ne aus­rei­chen­den Fest­stel­lun­gen ge­trof­fen (- 6 AZR 585/10 - Rn. 42 ff.). Die am 12. Sep­tem­ber 2013 ent­schie­de­nen Fälle (- 6 AZR 913/11 -; - 6 AZR 980/11 -; - 6 AZR 981/11 -) be­tra­fen die aty­pi­sche und zu­dem in­kon­gru­en­te Ver­ein­ba­rung und Zah­lung von Hal­te­prämi­en.

c) Ein pau­scha­les und ste­reo­ty­pes An­knüpfen der sub­jek­ti­ven An­for­de­run­gen der Vor­satz­an­fech­tung an das Be­weis­an­zei­chen der Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit wird bei rich­ti­gem Verständ­nis der Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­hofs, der sich der Se­nat in­so­weit an­ge­schlos­sen hat (BAG

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12. Sep­tem­ber 2013 - 6 AZR 980/11 - Rn. 66 f.), we­der dem We­sen des Rück­schlus­ses auf die sub­jek­ti­ven Vor­aus­set­zun­gen der Vor­satz­an­fech­tung aus In­di­zi­en noch dem Norm­zweck des § 133 In­sO ge­recht, wenn der späte­re Schuld­ner un­an­fecht­bar be­gründe­te Ent­gelt­ansprüche von Ar­beit­neh­mern im We­ge des Bar­geschäfts erfüllt. Das über­sieht die Re­vi­si­on, wenn sie an­nimmt, auch bei Ge­halts­zah­lun­gen an Ar­beit­neh­mer im Rah­men ei­nes Bar­geschäfts sei aus der Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit nur dann nicht auf den Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz des Schuld­ners zu schließen, wenn die­ser sub­jek­tiv über­zeugt ge­we­sen sei, er wer­de kurz­fris­tig aus­rei­chen­de Mit­tel er­lan­gen, um al­le Ver­bind­lich­kei­ten erfüllen zu können, und da­bei auf die Recht­spre­chung zu Sa­nie­rungs­ver­su­chen zurück­grei­fen will. Ei­ne sol­che sche­ma­ti­sche An­wen­dung des In­di­zes der Zah­lungs­unfähig­keit ver­bie­tet sich. Viel­mehr hat das Tat­sa­chen­ge­richt ei­ne ein­zel­fall­be­zo­ge­ne Ge­wich­tung der Be­weis­an­zei­chen im We­ge der Ge­samt­be­trach­tung vor­zu­neh­men (kri­tisch Smid ZIn­sO 2014, 275, 280, der ei­ne sol­che Ge­samt­be­trach­tung für un­kon­tu­riert und die Fein­ab­stim­mung aus­ge­ar­bei­te­ter Tat­bestände ver­wi­schend hält).

aa) Die Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit be­gründet kei­ne ge­setz­li­che Ver­mu­tung iSd. § 292 ZPO für das Vor­lie­gen der sub­jek­ti­ven Vor­aus­set­zun­gen des § 133 Abs. 1 In­sO, son­dern ist nur ein Be­weis­an­zei­chen für das Vor­lie­gen des Be­nach­tei­li­gungs­vor­sat­zes (BAG 12. Sep­tem­ber 2013 - 6 AZR 980/11 - Rn. 66 f.), das al­ler­dings be­son­de­re Be­deu­tung hat (BGH 24. Ok­to­ber 2013 - IX ZR 104/13 - Rn. 10). Es kann - wie je­des an­de­re Be­weis­an­zei­chen auch - ent­kräftet wer­den (Kay­ser WM 2013, 293, 298; vgl. zur Ent­kräftung des Be­weis­an­zei­chens der In­kon­gru­enz BGH 5. März 2009 - IX ZR 85/07 - Rn. 17, BGHZ 180, 98) bzw. im Ein­zel­fall ei­ne so ge­rin­ge Be­weis­kraft ent­fal­ten, dass es den Schluss auf den Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz als Haupt­tat­sa­che nicht mehr zulässt (vgl. Hu­ber EWiR 2013, 781, 782; ders. FS Gan­ter S. 203, 217).


(1) Aus den von der Re­vi­si­on her­an­ge­zo­ge­nen Ent­schei­dun­gen (vgl. nur BGH 10. Ja­nu­ar 2013 - IX ZR 13/12 - Rn. 14; 5. März 2009 - IX ZR 85/07 - Rn. 10, BGHZ 180, 98) er­gibt sich nichts an­de­res. Der Bun­des­ge­richts­hof hat in­so­weit stets nur an­ge­nom­men, dass aus der Kennt­nis der Zah­lungs-

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unfähig­keit auf den Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz des Schuld­ners ge­schlos­sen wer­den „kann“. Erst dann, wenn dies nach den Fest­stel­lun­gen der Tat­sa­chen­ge­rich­te der Fall ist, kommt es auf das Vor­lie­gen ei­nes Sa­nie­rungs­ver­suchs als ge­genläufi­ges In­diz an, durch das im Rah­men der er­for­der­li­chen Ge­samt­abwägung das In­diz der Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit wie­der sei­ne Be­deu­tung ver­lie­ren kann (BGH 10. Ja­nu­ar 2013 - IX ZR 13/12 - Rn. 17; 8. De­zem­ber 2011 - IX ZR 156/09 - Rn. 18; Kay­ser WM 2013, 293, 298). Im Übri­gen hat der Bun­des­ge­richts­hof auch in der vom Kläger ge­nann­ten Ent­schei­dung vom 10. Ja­nu­ar 2013 (- IX ZR 13/12 - Rn. 25) be­tont, das Be­weis­an­zei­chen der Zah­lungs­unfähig­keit dürfe nicht sche­ma­tisch im Sin­ne ei­ner vom An­fech­tungs­geg­ner zu wi­der­le­gen­den Ver­mu­tung an­ge­wandt wer­den. In der von der Re­vi­si­on an­geführ­ten Ent­schei­dung vom 13. April 2006 (- IX ZR 158/05 - Rn. 17, BGHZ 167, 190) hat der Bun­des­ge­richts­hof le­dig­lich an­ge­nom­men, Umstände, die das In­diz der Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit hätten ent­kräften können, sei­en we­der fest­ge­stellt noch er­sicht­lich (vgl. Kay­ser FS Fi­scher S. 267, 281 f.).


(2) Ent­ge­gen der vom Kläger in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Se­nat ver­tre­te­nen Auf­fas­sung folgt auch aus den ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen in der In­sol­venz­ord­nung und im Ak­ti­en­ge­setz über die Pflich­ten des Vor­stands bei Zah­lungs­unfähig­keit nicht, dass bei Zah­lun­gen in Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit stets ein Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz ge­ge­ben ist. Zwar sind die Mit­glie­der des Ver­tre­tungs­or­gans ei­ner ju­ris­ti­schen Per­son nach § 15a Abs. 1 Satz 1 In­sO ver­pflich­tet, spätes­tens drei Wo­chen nach Ein­tritt der Zah­lungs­unfähig­keit oder Über­schul­dung In­sol­venz­an­trag zu stel­len. Vor­stands­mit­glie­der, die Zah­lun­gen leis­ten, ob­wohl Zah­lungs­unfähig­keit ein­ge­tre­ten ist, haf­ten der Ge­sell­schaft gemäß § 92 Abs. 2 iVm. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG auf Er­satz des durch die Mas­se­schmäle­rung ent­stan­de­nen Scha­dens. Ver­let­zun­gen die­ser Vor­schrif­ten sind al­lein straf- und ge­sell­schafts­recht­lich sank­tio­niert und ha­ben Scha­den­er­satz­pflich­ten bzw. Er­satz­pflich­ten ei­ge­ner Art zur Fol­ge. An­fech­tungs­recht­lich sind die­se Vor­schrif­ten da­ge­gen oh­ne Be­deu­tung. An­trag und Eröff­nung sind An­fech­tungs­vor­aus­set­zun­gen. Ihr Un­ter­las­sen ist kei­ne selbst an­fecht­ba­re Rechts­hand­lung. An­fech­tungs­recht­lich soll nicht die Rechts­wid­rig­keit ei­nes Tuns oder Un­ter­las­sens sank­tio­niert wer­den, son­dern der durch ei­ne Rechts-

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hand­lung her­bei­geführ­te gläubi­ger­be­nach­tei­li­gen­de Er­folg (BGH 16. Ja­nu­ar 2014 - IX ZR 31/12 - Rn. 16; KPB/Bork In­sO Bd. II Stand Sep­tem­ber 2012 § 133 Rn. 18). Die Verzöge­rung des In­sol­venz­an­trags wirkt sich al­lein auf die nach §§ 130 bis 136 In­sO maßgeb­li­chen Fris­ten aus. Schiebt der Schuld­ner in be­wuss­tem Zu­sam­men­wir­ken mit ei­nem oder meh­re­ren Gläubi­gern den Eröff­nungs­an­trag hin­aus, um ei­ne Rechts­hand­lung un­an­fecht­bar zu ma­chen, macht er sich un­ter Umständen straf­bar. Die Mas­se ist in die­sen Fällen durch § 826 BGB geschützt (BGH 10. Fe­bru­ar 2005 - IX ZR 211/02 - zu II 3 c und d der Gründe, BGHZ 162, 143). Zah­lun­gen, durch die größere Nach­tei­le von der In­sol­venz­mas­se ab­ge­wen­det wer­den, können da­ge­gen mit der Sorg­falt ei­nes or­ent­li­chen Kauf­manns iSd. § 64 Satz 2 Gmb­HG bzw. § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG ver­ein­bar sein, so dass be­reits ei­ne Haf­tung des Ver­tre­tungs­or­gans aus­schei­det. Das ist et­wa der Fall bei Zah­lun­gen, durch die ei­ne so­for­ti­ge Ein­stel­lung des Be­triebs ver­mie­den und da­mit die Chan­ce auf Sa­nie­rung oder Fortführung im In­sol­venz­ver­fah­ren er­hal­ten bleibt (BGH 5. No­vem­ber 2007 - II ZR 262/06 - Rn. 6 un­ter Be­zug auf BGH 8. Ja­nu­ar 2001 - II ZR 88/99 - zu II 1 der Gründe, BGHZ 146, 264).


bb) Bei der Prüfung, wel­chen Be­weis­wert das Be­weis­an­zei­chen der Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit bei Zah­lun­gen im Rah­men ei­nes Bar­geschäfts oder in bar­geschäftsähn­li­cher La­ge für die Vor­satz­an­fech­tung hat, ist dar­auf zu ach­ten, dass die Vor­satz­an­fech­tung nicht über ih­ren Norm­zweck hin­aus aus­ge­dehnt wird (vgl. Kay­ser WM 2013, 293, 298; ders. FS Fi­scher S. 267, 279). So wird auch dem vom Ge­setz­ge­ber be­ab­sich­tig­ten Stu­fen­verhält­nis von § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 133 In­sO Rech­nung ge­tra­gen.


(1) Der Schutz­zweck des § 133 Abs. 1 In­sO un­ter­schei­det sich grund­le­gend von dem der §§ 130 bis 132 In­sO.

(a) §§ 130 bis 132 In­sO er­le­gen den Gläubi­gern zum Schutz der Gläubi­ger­ge­samt­heit die Pflicht zur wech­sel­sei­ti­gen Rück­sicht­nah­me auf und ge­ben des­halb dem Gleich­be­hand­lungs­grund­satz Vor­rang vor dem Prio­ritätsprin­zip. Außer­halb des von die­sen Nor­men be­son­ders geschütz­ten Zeit­raums (höchs­tens drei Mo­na­te vor dem Eröff­nungs­an­trag) muss der Gläubi­ger bei der Ver­fol-
 


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gung sei­ner Rech­te ge­genüber dem Schuld­ner grundsätz­lich die Be­lan­ge der Gläubi­ger­ge­samt­heit nicht be­ach­ten. Das Prio­ritätsprin­zip gilt in­so­weit un­ein­ge­schränkt (BGH 10. Fe­bru­ar 2005 - IX ZR 211/02 - zu II 2 b aa der Gründe, BGHZ 162, 143).


(b) Dem­ge­genüber steht § 133 In­sO nicht in un­mit­tel­ba­rem Zu­sam­men­hang mit der ma­te­ri­el­len In­sol­venz, son­dern miss­bil­ligt be­stimm­te Ver­hal­tens­wei­sen des Schuld­ners. Rechts­hand­lun­gen, die un­ter den von § 133 In­sO miss­bil­lig­ten Umständen er­folgt sind, sol­len rück­ab­ge­wi­ckelt wer­den. Die Vor­schrift ist Aus­druck des Ge­dan­kens, dass ein Schuld­ner nicht be­rech­tigt ist, vorsätz­lich ein­zel­ne Gläubi­ger ge­genüber an­de­ren zu be­vor­zu­gen, so­weit die ih­nen ge­genüber be­ste­hen­den Ver­pflich­tun­gen gleich­ran­gig sind. Sie schützt das In­ter­es­se der Gläubi­ger dar­an, dass der Schuld­ner ih­re prin­zi­pi­ell glei­chen Be­frie­di­gungs­chan­cen nicht be­ein­träch­tigt. Zen­tra­ler An­knüpfungs­punkt der ge­setz­li­chen Re­ge­lung ist der in ei­ner Rechts­hand­lung zum Aus­druck ge­kom­me­ne Wil­le des Schuld­ners, den An­fech­tungs­geg­ner zum Nach­teil an­de­rer Gläubi­ger zu be­vor­zu­gen. Nur der Leis­tungs­empfänger, der die­sen Vor­satz des Schuld­ners kennt, ist rück­gewähr­pflich­tig (BGH 10. Fe­bru­ar 2005 - IX ZR 211/02 - zu II 2 b bb der Gründe, BGHZ 162, 143; 10. De­zem­ber 2009 - IX ZR 128/08 - Rn. 9). § 133 In­sO soll des­halb nicht dem Ge­dan­ken der Gläubi­ger­gleich­be­hand­lung auch für die Zeit vor Be­ginn des Drei-Mo­nats-Zeit­raums Gel­tung ver­schaf­fen, son­dern ein die glei­chen Zu­griffs­chan­cen der Gläubi­ger be­ein­träch­ti­gen­des Ver­hal­ten des Schuld­ners sank­tio­nie­ren (Bork in Bork Hand­buch des In­sol­venz­an­fech­tungs­rechts Kap. 5 Rn. 2; Münch­Kom­mIn­sO/Kay­ser 3. Aufl. § 133 Rn. 1a; Lütcke ZIn­sO 2013, 1984, 1986).


(2) Der Rück­griff auf die von der Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­hofs ent­wi­ckel­ten Be­weis­an­zei­chen im Rah­men der Prüfung des § 133 In­sO darf nicht da­zu führen, dass die Vor­satz­an­fech­tung an den Tat­beständen der De­ckungs­an­fech­tung „vor­bei­zieht“, das ge­setz­lich be­stimm­te Stu­fen­verhält­nis zwi­schen der An­fech­tung kon­gru­en­ter De­ckun­gen nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 In­sO und § 133 In­sO ver­lo­ren geht und § 142 In­sO leer läuft (Kay­ser FS Fi­scher S. 267, 280). Ei­ne Aus­le­gung, die da­zu führ­te, dass die Vor­satz­an­fech­tung
 


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schon un­ter den Vor­aus­set­zun­gen des § 130 Abs. 1 In­sO durch­grei­fen würde und da­mit der letzt­ge­nann­te Tat­be­stand im prak­ti­schen Er­geb­nis nicht auf den Drei-Mo­nats-Zeit­raum be­schränkt, son­dern auf zehn Jah­re aus­ge­dehnt würde, stünde im un­ver­ein­ba­ren Wi­der­spruch zu dem ein­deu­tig zeit­lich be­grenz­ten An­wen­dungs­be­reich des § 130 In­sO (BGH 10. Fe­bru­ar 2005 - IX ZR 211/02 - zu II 2 d der Gründe, BGHZ 162, 143).


cc) Bei Zah­lun­gen im Rah­men ei­nes Bar­geschäfts oder in bar­geschäftsähn­li­chen La­gen ist des­halb stets zu prüfen, ob die Zah­lung im Ein­zel­fall tatsächlich den Rück­schluss auf den Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz des Schuld­ners und die Kennt­nis des An­fech­tungs­geg­ners zulässt. Da­bei kann nach den Umständen des Ein­zel­falls die Be­weisstärke des In­di­zes der Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit so schwach sein, dass es den Rück­schluss auf den Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz des Schuld­ners und die Kennt­nis des An­fech­tungs­geg­ners da­von nicht zulässt (vgl. zur Be­weisstärke BGH 18. No­vem­ber 2004 - IX ZR 299/00 - zu III 1 a der Gründe [kein „star­kes“ Be­weis­an­zei­chen]; Hu­ber EWiR 2013, 781, 782; Kay­ser FS Fi­scher S. 267, 282 spricht von der feh­len­den „Ty­pi­zität“ des In­di­zes). Die Re­vi­si­on berück­sich­tigt die­se Be­son­der­heit des In­di­zi­en­be­wei­ses nicht hin­rei­chend, wenn sie pau­schal an­nimmt, bei Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit lie­ge zwangsläufig ein (be­ding­ter) Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz vor.

dd) Die­ses Er­for­der­nis ei­ner ein­zel­fall­be­zo­ge­nen Prüfung des Be­weis­werts der Be­weis­an­zei­chen, ins­be­son­de­re auch des Be­weis­an­zei­chens der Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit, für die sub­jek­ti­ven Vor­aus­set­zun­gen der Vor­satz­an­fech­tung bei Bar­geschäften oder in bar­geschäftsähn­li­chen La­gen, steht im Ein­klang mit der Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­hofs (BGH 16. Ju­li 2009 - IX ZR 28/07 -; vgl. auch 24. Sep­tem­ber 2009 - IX ZR 178/07 -). Die Ent­schei­dung vom 16. Ju­li 2009 be­traf Zah­lun­gen, die in bar­geschäftsähn­li­cher La­ge er­folgt wa­ren und bei de­ren Vor­nah­me so­wohl die Schuld­ne­rin als auch die An­fech­tungs­geg­ne­rin Kennt­nis von der Zah­lungs­unfähig­keit hat­ten. Die Vor­in­stanz (OLG Saarbrücken 23. Ja­nu­ar 2007 - 4 U 311/06-95 ua. -) hat­te den Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz der Schuld­ne­rin be­jaht, al­ler­dings die Kennt­nis der


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An­fech­tungs­geg­ne­rin, die zu den Haupt­lie­fe­ran­ten der Schuld­ne­rin gehörte, von die­sem Vor­satz ver­neint. Der Bun­des­ge­richts­hof hat die Zu­las­sung der ge­gen die­se Ent­schei­dung ein­ge­leg­ten Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de man­gels grundsätz­li­cher Be­deu­tung ab­ge­lehnt. Ein Schuld­ner han­de­le in der Re­gel nicht mit Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz, wenn er ei­ne kon­gru­en­te Ge­gen­leis­tung für die von ihm emp­fan­ge­ne Leis­tung er­brin­ge, wel­che zur Fortführung sei­nes ei­ge­nen Un­ter­neh­mens nötig sei und da­mit den Gläubi­gern im All­ge­mei­nen nütze. Der Bun­des­ge­richts­hof hat da­mit an sei­ne älte­re Recht­spre­chung an­ge­knüpft, wo­nach un­ter die­sen Vor­aus­set­zun­gen die An­nah­me fern­lie­ge, dass es dem Schuld­ner we­ni­ger auf die Erfüllung sei­ner Ver­bind­lich­keit als auf die Zurück­set­zung an­de­rer Gläubi­ger an­kom­me (BGH 10. Ju­li 1997 - IX ZR 234/96 - zu 3 der Gründe).


d) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat auf­grund der Umstände des Ein­zel­falls rechts­feh­ler­frei be­reits den hin­rei­chen­den Be­weis­wert der Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit für den Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz der Schuld­ne­rin ver­neint und da­bei zu Recht die Grundsätze der Ent­schei­dun­gen des Bun­des­ge­richts­hofs vom 16. Ju­li 2009 (- IX ZR 28/07 -) und 10. Ju­li 1997 (- IX ZR 234/96 -) her­an­ge­zo­gen.


aa) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, der Kläger ha­be nicht dar­ge­legt, dass die Schuld­ne­rin die streit­be­fan­ge­nen Zah­lun­gen mit Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz er­bracht ha­be. Auch durch die Ar­beits­leis­tung der Be­klag­ten sei es der Schuld­ne­rin möglich ge­we­sen, den Be­trieb auf­recht­zu­er­hal­ten, was im In­ter­es­se al­ler Gläubi­ger ge­we­sen sei. Dafür sei­en die an­ge­foch­te­nen Ge­halts­zah­lun­gen er­for­der­lich ge­we­sen, die er­sicht­lich er­folgt sei­en, um den Be­trieb auf­recht­zu­er­hal­ten und nach Möglich­keit zu ret­ten.


bb) Die Re­vi­si­on greift die­se Würdi­gung und die Fest­stel­lun­gen, auf de­nen sie be­ruht, nur mit recht­li­chen Ausführun­gen an. Auch dann, wenn die Zah­lung zur Fortführung des ei­ge­nen Un­ter­neh­mens er­fol­ge und da­mit den Gläubi­gern im All­ge­mei­nen nütze, sei der Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz nur zu ver­nei­nen, wenn die Zah­lung im Rah­men ei­nes aus­sichts­rei­chen Sa­nie­rungs­ver­suchs er­folgt sei. Dies trifft, wie aus­geführt, so nicht zu.

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cc) Nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts ist es der Schuld­ne­rin ge­ra­de nicht auf die Schädi­gung der an­de­ren Gläubi­ger durch Be­sei­ti­gung von Zu­griffs­ob­jek­ten, son­dern al­lein auf die Erfüllung ih­rer Ver­trags­pflich­ten an­ge­kom­men, um so den Be­trieb zu ret­ten und auch ih­re übri­gen Zah­lungs­ver­pflich­tun­gen erfüllen zu können. Die gleich­wohl ein­ge­tre­te­ne mit­tel­ba­re Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gung ist ihr nach die­sen Fest­stel­lun­gen nicht be­wusst ge­wor­den. Ihr stand bei der Zah­lung im Rah­men ei­nes Bar­geschäfts al­lein die Gleich­wer­tig­keit der aus­ge­tausch­ten Leis­tun­gen vor Au­gen. Der dar­aus vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­zo­ge­ne Schluss, das Be­weis­an­zei­chen der Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit las­se nicht den Schluss auf den Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz der Schuld­ne­rin zu, ist rechts­feh­ler­frei. Er­folgt die Ent­gelt­zah­lung im We­ge des Bar­geschäfts, kann sich auch bei Kennt­nis der ei­ge­nen Zah­lungs­unfähig­keit der Wil­le des Ar­beit­ge­bers dar­in erschöpfen, ei­ne gleich­wer­ti­ge Ge­gen­leis­tung für die Ar­beits­leis­tung zu er­brin­gen, die zur Fortführung des Un­ter­neh­mens nötig ist und da­mit den Gläubi­gern auch nützen kann, so dass ihm ei­ne mit der Zah­lung ver­bun­de­ne mit­tel­ba­re Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gung nicht be­wusst ge­wor­den ist (vgl. BAG 12. Sep­tem­ber 2013 - 6 AZR 980/11 - Rn. 69; BGH 16. Ju­li 2009 - IX ZR 28/07 -; Münch­Kom­mIn­sO/Kay­ser 3. Aufl. § 133 Rn. 33a; Kay­ser WM 2013, 293, 298; ders. FS Fi­scher S. 267, 283; Gan­ter WM 2009, 1441, 1444; Fi­scher NZI 2008, 588, 593 f.; Gott­wald/Hu­ber In­sol­venz­rechts-Hand­buch 4. Aufl. § 48 Rn. 16; Uh­len­bruck/Hir­te 13. Aufl. § 133 In­sO Rn. 6; kri­tisch Fo­ers­te ZIn­sO 2013, 897, 900, der die­se Wer­tung für sys­tem­wid­rig hält).

e) Je­den­falls fehl­te es an der Kennt­nis der Be­klag­ten vom Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz der Schuld­ne­rin. Die­se Kennt­nis war auch nicht nach § 133 Abs. 1 Satz 2 In­sO zu ver­mu­ten. Auch das hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt mit zu­tref­fen­der Be­gründung fest­ge­stellt.


aa) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat aus­geführt, die Be­klag­te ha­be je­den­falls nicht ge­wusst, dass die Schuld­ne­rin mit ei­nem in­so­weit zu­guns­ten des Klägers zu un­ter­stel­len­den Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz ge­han­delt ha­be. Aus Sicht der Be­klag­ten sei­en die Zah­lun­gen al­lein in Erfüllung ih­res ar­beits­ver­trag­li­chen Ent­gelt­an­spruchs und in der Ab­sicht er­folgt, die Be­klag­te da­zu an­zuhal-
 


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ten, auch künf­tig im In­ter­es­se der Fortführung des Be­triebs und da­mit letzt­lich zum Woh­le al­ler an­de­ren Gläubi­ger ih­re Ar­beits­leis­tung zu er­brin­gen.


bb) Die ge­gen die­se Fest­stel­lun­gen er­ho­be­nen Ver­fah­rensrügen der Re­vi­si­on grei­fen nicht durch.

(1) Die Re­vi­si­on macht gel­tend, das Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­be den An­spruch des Klägers auf recht­li­ches Gehör ver­letzt. Es ha­be sei­nen Vor­trag, die Be­klag­te ha­be die buch­hal­te­ri­schen Grund­la­gen für die „Ar­beits-Bi­lanz“ zum 30. April 2007 er­ar­bei­tet, zwar als un­strei­tig im Tat­be­stand fest­ge­stellt, die­sen nach dem Stand­punkt des Be­ru­fungs­ge­richts für die Tätig­kei­ten und Kennt­nis­se der Be­klag­ten re­le­van­ten Vor­trag aber in den Ent­schei­dungs­gründen nicht gewürdigt. Darüber hin­aus ha­be das Lan­des­ar­beits­ge­richt sei­nen un­ter Be­weis­an­tritt er­folg­ten Vor­trag, die Be­klag­te ha­be po­si­ti­ve Kennt­nis von der Li­qui­ditätsla­ge und dem Zah­lungs­ver­hal­ten der Schuld­ne­rin ge­habt, eben­so über­g­an­gen wie den Um­stand, dass er den Vor­trag der Be­klag­ten, es sei ein neu­er Ge­sell­schaf­ter ein­ge­tre­ten, be­strit­ten ha­be.


(2) Die­se Rügen genügen den for­mel­len, an ei­ne Rüge nach § 286 ZPO zu stel­len­den An­for­de­run­gen (da­zu ausführ­lich BAG 21. No­vem­ber 2013 - 6 AZR 23/12 - Rn. 32). Sie sind je­doch un­be­gründet.


(a) Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt kei­ne Pflicht der Ge­rich­te, sich mit je­dem Vor­brin­gen in den Ent­schei­dungs­gründen aus­drück­lich zu be­fas­sen. Grundsätz­lich ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die Ge­rich­te Par­tei­vor­brin­gen zur Kennt­nis neh­men und in Erwägung zie­hen. Der An­spruch auf recht­li­ches Gehör ist da­her erst dann ver­letzt, wenn sich im Ein­zel­fall aus be­son­de­ren Umständen klar er­gibt, dass tatsächli­ches Vor­brin­gen ei­nes Be­tei­lig­ten ent­we­der über­haupt nicht zur Kennt­nis ge­nom­men oder doch bei der Ent­schei­dung nicht er­wo­gen wor­den ist. Geht das Ge­richt auf den we­sent­li­chen Kern des Tat­sa­chen­vor­trags ei­ner Par­tei zu ei­ner Fra­ge, die für das Ver­fah­ren von zen­tra­ler Be­deu­tung ist, in den Ent­schei­dungs­gründen nicht ein, so lässt dies zwar grundsätz­lich auf die Nicht­berück­sich­ti­gung des Vor­trags schließen. Das gilt aber nur dann, wenn die­ser Vor­trag nicht nach dem Rechts­stand­punkt des Ge­richts un­er­heb­lich oder

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aber of­fen­sicht­lich un­sub­stan­ti­iert war (BVerfG 14. März 2013 - 1 BvR 1457/12 - Rn. 10).

(b) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat - wor­auf die Re­vi­si­on hin­weist - den Vor­trag, die Be­klag­te ha­be die „Ar­beits-Bi­lanz“ er­stellt, im Tat­be­stand erwähnt und da­mit zur Kennt­nis ge­nom­men. Auf die­sen nach Auf­fas­sung der Re­vi­si­on bei der Ent­schei­dungs­fin­dung über­g­an­ge­nen Vor­trag kam es nach dem Rechts­stand­punkt des Lan­des­ar­beits­ge­richts aber eben­so we­nig an wie auf die Be­haup­tung, die Be­klag­te ha­be po­si­ti­ve Kennt­nis von Li­qui­ditätsla­ge und Zah­lungs­ver­hal­ten der Schuld­ne­rin ge­habt, und auf das Be­strei­ten des Vor­trags der Be­klag­ten, es sei ein neu­er Ge­sell­schaf­ter ein­ge­tre­ten. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat al­lein auf die sub­jek­ti­ve Sicht der Be­klag­ten bei Emp­fang der an­ge­foch­te­nen Zah­lun­gen ab­ge­stellt. Es hat im Er­geb­nis an­ge­nom­men, die Be­klag­te ha­be trotz Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit der Schuld­ne­rin de­ren et­wai­ge Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­ab­sicht nicht er­kannt, son­dern die Zah­lung als bloße Ver­trags­erfüllung ge­wer­tet. Es hat­te da­her kei­nen An­lass, auf den aus Sicht der Re­vi­si­on über­g­an­ge­nen Vor­trag aus­drück­lich ein­zu­ge­hen.

cc) Die ein­zel­fall­be­zo­ge­ne Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die Be­klag­te ha­be an­ge­sichts der bei den streit­be­fan­ge­nen Zah­lun­gen vor­lie­gen­den bar­geschäftsähn­li­chen La­ge kei­ne Kennt­nis von ei­nem et­wai­gen Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz der Schuld­ne­rin ge­habt, lässt auch kei­nen Rechts­feh­ler er­ken­nen. Im Ge­gen­teil ist un­ter sol­chen Umständen die Erschütte­rung des Be­weis­an­zei­chens der Kennt­nis von der (dro­hen­den) Zah­lungs­unfähig­keit des Schuld­ners und der dar­aus fol­gen­den Kennt­nis der Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gung auf Sei­ten des An­fech­tungs­geg­ners na­he­lie­gend. Wird ei­ne Ent­gelt­leis­tung im Rah­men ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses im en­gen zeit­li­chen Zu­sam­men­hang mit ei­ner gleich­wer­ti­gen Ge­gen­leis­tung er­bracht, spricht viel dafür, dass der Ar­beit­neh­mer da­von aus­geht und aus­ge­hen darf, dass er nur be­kom­men hat, was ihm zu­stand, die Un­ter­neh­mens­fortführung er­folg­ver­spre­chend ist und er die Erfüllung des Ent­gelt­an­spruchs des­halb als nicht gläubi­ger­be­nach­tei­li­gend an­sieht (vgl. BAG 12. Sep­tem­ber 2013 - 6 AZR 980/11 - Rn. 70). Be­son­de­re Umstände des Ein­zel­falls, die dem Lan­des­ar­beits­ge­richt den­noch die Über­zeu­gung von
 


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der nach § 133 Abs. 1 In­sO er­for­der­li­chen Kennt­nis der Be­klag­ten von ei­nem Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz der Schuld­ne­rin hätten ver­schaf­fen können (vgl. RG 11. März 1902 - VII 13/02 - RGZ 51, 76, 79 f.; Münch­Kom­mIn­sO/Kay­ser 3. Aufl. § 133 Rn. 38b), la­gen nach Auf­fas­sung des Be­ru­fungs­ge­richts nicht vor. Sol­che Umstände zeigt auch die Re­vi­si­on nicht auf.


f) Die ab­sch­ließen­de Kon­trollüber­le­gung an­hand des Zwecks des § 133 In­sO zeigt, dass das vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­won­ne­ne Er­geb­nis rich­tig ist. We­der die Schuld­ne­rin noch die Be­klag­te ha­ben ein von § 133 In­sO miss­bil­lig­tes Ver­hal­ten ge­zeigt. Die Be­klag­te soll­te nicht zum Nach­teil an­de­rer Gläubi­ger be­vor­zugt wer­den. Es liegt ein Fall vor, der die An­wen­dung des § 133 In­sO grundsätz­lich nicht recht­fer­tigt (vgl. Bork ZIP 2008, 1041, 1046). Be­jah­te man gleich­wohl bei Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit stets die sub­jek­ti­ven Vor­aus­set­zun­gen der Vor­satz­an­fech­tung, würde nicht ein durch miss­bil­lig­tes Ver­hal­ten er­lang­ter Son­der­vor­teil der Be­klag­ten rückgängig ge­macht, son­dern im Re­gel­fall vom Ar­beit­neh­mer, der oh­ne adäqua­te Hand­lungs­al­ter­na­ti­ve ver­pflich­tet war, sei­ne Ar­beits­leis­tung wei­ter zu er­brin­gen, ein Son­der­op­fer ver­langt (vgl. Lütcke ZIn­sO 2013, 1984, 1989). Das würde dem Norm­zweck des § 133 In­sO nicht ge­recht. Zu­gleich wäre das er­for­der­li­che Stu­fen­verhält­nis zwi­schen der An­fech­tung kon­gru­en­ter De­ckun­gen nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 In­sO und der Vor­satz­an­fech­tung nicht ge­wahrt.


D. Ei­ne An­fech­tung nach § 133 Abs. 2 In­sO schei­det be­reits nach dem Wort­laut die­ser Be­stim­mung, je­den­falls aber we­gen Feh­lens ei­ner un­mit­tel­ba­ren Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gung aus (Münch­Kom­mIn­sO/Kay­ser 3. Aufl. § 133 Rn. 39; Henckel in Ja­e­ger In­sO § 142 Rn. 7). Es kann da­her da­hin­ste­hen, ob ein Näheverhält­nis iSd. § 133 Abs. 2 In­sO vor­lag.
 


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E. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. 

Fi­scher­mei­er 

Gall­ner 

Spel­ge

Ma­ti­as­ke 

Koch

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