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EuGH, Ur­teil vom 14.03.2017, C-157/15 - G4S Se­cu­re So­lu­ti­ons

   
Schlagworte: Diskriminierung: Religion, Kopftuch
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-157/15
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 14.03.2017
   
Leitsätze: Art.2 Abs.2 Buchst.a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass das Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt.

Eine solche interne Regel eines privaten Unternehmens kann hingegen eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art.2 Abs.2 Buchst.b der Richtlinie 2000/78 darstellen, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden, es sei denn, sie ist durch ein rechtmäßiges Ziel wie die Verfolgung einer Politik der politischen, philosophischen und religiösen Neutralität durch den Arbeitgeber im Verhältnis zu seinen Kunden sachlich gerechtfertigt, und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Vorinstanzen: Hof van Cassatie (Kassationshof), Belgien, Entscheidung vom 09.03.2015
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Große Kam­mer)

14. März 2017(*)

„Vor­la­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung - So­zi­al­po­li­tik - Richt­li­nie 2000/78/EG - Gleich­be­hand­lung - Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung - Un­ter­neh­mens­in­ter­ne Re­ge­lung, die den Ar­beit­neh­mern ver­bie­tet, am Ar­beits­platz sicht­ba­re po­li­ti­sche, phi­lo­so­phi­sche oder re­li­giöse Zei­chen zu tra­gen - Un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung - Feh­len - Mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung - Ver­bot für ei­ne Ar­beit­neh­me­rin, ein is­la­mi­sches Kopf­tuch zu tra­gen“

In der Rechts­sa­che C-157/15

be­tref­fend ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 267 AEUV, ein­ge­reicht vom Hof van Cas­sa­tie (Kas­sa­ti­ons­hof, Bel­gi­en) mit Ent­schei­dung vom 9. März 2015, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 3. April 2015, in dem Ver­fah­ren

Sa­mi­ra Ach­bi­ta,

Cen­trum voor ge­li­jk­heid van kan­sen en voor ra­cis­me­be­stri­j­ding

ge­gen

G4S Se­cu­re So­lu­ti­ons NV

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Große Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung des Präsi­den­ten K. Lena­erts, des Vi­ze­präsi­den­ten A. Tiz­za­no, der Kam­mer­präsi­den­tin R. Sil­va de La­pu­er­ta, der Kam­mer­präsi­den­ten M. Ilešič und L. Bay Lar­sen, der Kam­mer­präsi­den­tin M. Ber­ger, der Kam­mer­präsi­den­ten M. Vil­a­ras und E. Re­gan, der Rich­ter A. Ro­sas, A. Borg Bart­het, J. Ma­le­n­ovský, E. Le­vits und F. Bilt­gen (Be­richt­er­stat­ter), der Rich­te­rin K. Jürimäe und des Rich­ters C. Ly­cour­gos,

Ge­ne­ral­anwältin: J. Ko­kott,

Kanz­ler: M. Fer­rei­ra, Haupt­ver­wal­tungsrätin,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens und auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 15. März 2016,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

- des Cen­trum voor ge­li­jk­heid van kan­sen en voor ra­cis­me­be­stri­j­ding, ver­tre­ten durch C. Ba­yart und I. Bos­mans, ad­vo­ca­ten,

- der G4S Se­cu­re So­lu­ti­ons NV, ver­tre­ten durch S. Raets und I. Ver­helst, ad­vo­ca­ten,

- der bel­gi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch L. Van den Bro­eck und M. Ja­cobs als Be­vollmäch­tig­te,

- der französi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch G. de Ber­gues, D. Co­las und R. Coe­s­me als Be­vollmäch­tig­te,

- der Re­gie­rung des Ver­ei­nig­ten König­reichs, ver­tre­ten durch J. Kra­ehling, S. Sim­mons und C. R. Bro­die als Be­vollmäch­tig­te im Bei­stand von A. Ba­tes, Bar­ris­ter,

- der Eu­ropäischen Kom­mis­si­on, ver­tre­ten durch G. Wils und D. Mar­tin als Be­vollmäch­tig­te,

nach Anhörung der Schluss­anträge der Ge­ne­ral­anwältin in der Sit­zung vom 31. Mai 2016

fol­gen­des

Ur­teil

1 Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­trifft die Aus­le­gung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).
2 Es er­geht im Rah­men ei­nes Rechts­streits zwi­schen Frau Sa­mi­ra Ach­bi­ta so­wie dem Cen­trum voor ge­li­jk­heid van kan­sen en voor ra­cis­me­be­stri­j­ding (Zen­trum für Chan­cen­gleich­heit und Bekämp­fung des Ras­sis­mus, im Fol­gen­den: Cen­trum) auf der ei­nen Sei­te und der G4S Se­cu­re So­lu­ti­ons NV (im Fol­gen­den: G4S), ei­nem Un­ter­neh­men mit Sitz in Bel­gi­en, auf der an­de­ren Sei­te we­gen des von G4S ih­ren Ar­beit­neh­mern er­teil­ten Ver­bots, am Ar­beits­platz sicht­ba­re Zei­chen ih­rer po­li­ti­schen, phi­lo­so­phi­schen oder re­li­giösen Über­zeu­gun­gen zu tra­gen oder jeg­li­chen sich dar­aus er­ge­ben­den Ri­tus zum Aus­druck zu brin­gen.

Recht­li­cher Rah­men

Richt­li­nie 2000/78

3 Die Erwägungs­gründe 1 und 4 der Richt­li­nie 2000/78 lau­ten:

„(1) Nach Ar­ti­kel 6 Ab­satz 2 des Ver­trags über die Eu­ropäische Uni­on be­ruht die Eu­ropäische Uni­on auf den Grundsätzen der Frei­heit, der De­mo­kra­tie, der Ach­tung der Men­schen­rech­te und Grund­frei­hei­ten so­wie der Rechts­staat­lich­keit; die­se Grundsätze sind al­len Mit­glied­staa­ten ge­mein­sam. Die Uni­on ach­tet die Grund­rech­te, wie sie in der Eu­ropäischen Kon­ven­ti­on zum Schut­ze der Men­schen­rech­te und Grund­frei­hei­ten gewähr­leis­tet sind und wie sie sich aus den ge­mein­sa­men Ver­fas­sungsüber­lie­fe­run­gen der Mit­glied­staa­ten als all­ge­mei­ne Grundsätze des Ge­mein­schafts­rechts er­ge­ben.

(4) Die Gleich­heit al­ler Men­schen vor dem Ge­setz und der Schutz vor Dis­kri­mi­nie­rung ist ein all­ge­mei­nes Men­schen­recht; die­ses Recht wur­de in der All­ge­mei­nen Erklärung der Men­schen­rech­te, im VN-Übe­r­ein­kom­men zur Be­sei­ti­gung al­ler For­men der Dis­kri­mi­nie­rung von Frau­en, im In­ter­na­tio­na­len Pakt der VN über bürger­li­che und po­li­ti­sche Rech­te, im In­ter­na­tio­na­len Pakt der VN über wirt­schaft­li­che, so­zia­le und kul­tu­rel­le Rech­te so­wie in der Eu­ropäischen Kon­ven­ti­on zum Schut­ze der Men­schen­rech­te und Grund­frei­hei­ten an­er­kannt, die von al­len Mit­glied­staa­ten un­ter­zeich­net wur­den. Das Übe­r­ein­kom­men 111 der In­ter­na­tio­na­len Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on un­ter­sagt Dis­kri­mi­nie­run­gen in Beschäfti­gung und Be­ruf.

…“

4 Art.1 der Richt­li­nie 2000/78 be­stimmt:

„Zweck die­ser Richt­li­nie ist die Schaf­fung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Aus­rich­tung in Beschäfti­gung und Be­ruf im Hin­blick auf die Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung in den Mit­glied­staa­ten.“

5 Art.2 die­ser Richt­li­nie sieht vor:

„(1) Im Sin­ne die­ser Richt­li­nie be­deu­tet ‚Gleich­be­hand­lungs­grund­satz‘, dass es kei­ne un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­nes der in Ar­ti­kel 1 ge­nann­ten Gründe ge­ben darf.

(2) Im Sin­ne des Ab­sat­zes 1

a) liegt ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes der in Ar­ti­kel 1 ge­nann­ten Gründe in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt, als ei­ne an­de­re Per­son erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde;

b) liegt ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung vor, wenn dem An­schein nach neu­tra­le Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren Per­so­nen mit ei­ner be­stimm­ten Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung, ei­ner be­stimm­ten Be­hin­de­rung, ei­nes be­stimm­ten Al­ters oder mit ei­ner be­stimm­ten se­xu­el­len Aus­rich­tung ge­genüber an­de­ren Per­so­nen in be­son­de­rer Wei­se be­nach­tei­li­gen können, es sei denn:

i) [D]ie­se Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sach­lich ge­recht­fer­tigt, und die Mit­tel sind zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich …

(5) Die­se Richt­li­nie berührt nicht die im ein­zel­staat­li­chen Recht vor­ge­se­he­nen Maßnah­men, die in ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft für die Gewähr­leis­tung der öffent­li­chen Si­cher­heit, die Ver­tei­di­gung der Ord­nung und die Verhütung von Straf­ta­ten, zum Schutz der Ge­sund­heit und zum Schutz der Rech­te und Frei­hei­ten an­de­rer not­wen­dig sind.“

6 Art.3 Abs.1 der Richt­li­nie lau­tet:

„Im Rah­men der auf die Ge­mein­schaft über­tra­ge­nen Zuständig­kei­ten gilt die­se Richt­li­nie für al­le Per­so­nen in öffent­li­chen und pri­va­ten Be­rei­chen, ein­sch­ließlich öffent­li­cher Stel­len, in Be­zug auf

c) die Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen, ein­sch­ließlich der Ent­las­sungs­be­din­gun­gen und des Ar­beits­ent­gelts;

…“

Bel­gi­sches Recht

7 Die Wet ter be­stri­j­ding van dis­cri­mi­na­tie en tot wi­jzi­ging van de wet van 15 fe­bru­ari 1993 tot opricht­ing van een Cen­trum voor ge­li­jk­heid van kan­sen en voor ra­cis­me­be­stri­j­ding (Ge­setz zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung und zur Abände­rung des Ge­set­zes vom 15. Fe­bru­ar 1993 zur Schaf­fung ei­nes Zen­trums für Chan­cen­gleich­heit und Bekämp­fung des Ras­sis­mus) vom 25. Fe­bru­ar 2003 (Bel­gisch Staats­blad vom 17. März 2003, S. 12844) dient u. a. zur Um­set­zung der Be­stim­mun­gen der Richt­li­nie 2000/78.
8 Art.2 § 1 die­ses Ge­set­zes be­stimmt:

„Ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung liegt vor, wenn ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung, die nicht sach­lich und an­ge­mes­sen ge­recht­fer­tigt wird, un­mit­tel­bar auf dem Ge­schlecht, ei­ner so­ge­nann­ten Ras­se, der Haut­far­be, der Her­kunft, der na­tio­na­len oder eth­ni­schen Ab­stam­mung, der se­xu­el­len Aus­rich­tung, dem Zi­vil­stand, der Ge­burt, dem Vermögen, dem Al­ter, dem Glau­ben oder der Welt­an­schau­ung, dem heu­ti­gen oder zukünf­ti­gen Ge­sund­heits­zu­stand, ei­ner Be­hin­de­rung oder ei­ner körper­li­chen Ei­gen­schaft be­ruht.“

9 Art. 2 § 2 des Ge­set­zes sieht vor:

„Ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung liegt vor, wenn dem An­schein nach neu­tra­le Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren als sol­che ei­ne schädli­che Aus­wir­kung auf Per­so­nen ha­ben, für die ei­ner der in § 1 an­geführ­ten Dis­kri­mi­nie­rungs­gründe gilt, es sei denn, die­se Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren wer­den sach­lich und an­ge­mes­sen ge­recht­fer­tigt.“

Aus­gangs­rechts­streit und Vor­la­ge­fra­ge

10 G4S ist ein pri­va­tes Un­ter­neh­men, das für Kun­den aus dem öffent­li­chen und pri­va­ten Sek­tor u. a. Re­zep­ti­ons- und Emp­fangs­diens­te er­bringt. 
11 Am 12. Fe­bru­ar 2003 trat Frau Ach­bi­ta, die mus­li­mi­schen Glau­bens ist, mit ei­nem un­be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trag als Re­zep­tio­nis­tin in den Dienst von G4S. Bei G4S galt zu die­ser Zeit ei­ne un­ge­schrie­be­ne Re­gel, wo­nach Ar­beit­neh­mer am Ar­beits­platz kei­ne sicht­ba­ren Zei­chen ih­rer po­li­ti­schen, phi­lo­so­phi­schen oder re­li­giösen Über­zeu­gun­gen tra­gen durf­ten.
12 Im April 2006 kündig­te Frau Ach­bi­ta ih­ren Vor­ge­setz­ten an, dass sie be­ab­sich­ti­ge, künf­tig während der Ar­beits­zei­ten das is­la­mi­sche Kopf­tuch zu tra­gen.
13 Die Geschäfts­lei­tung von G4S ant­wor­te­te Frau Ach­bi­ta auf die­se Ankündi­gung, dass das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs nicht ge­dul­det wer­de, da das sicht­ba­re Tra­gen po­li­ti­scher, phi­lo­so­phi­scher oder re­li­giöser Zei­chen der von G4S an­ge­streb­ten Neu­tra­lität wi­der­spre­che.
14 Nach ei­ner krank­heits­be­ding­ten Ab­we­sen­heit teil­te Frau Ach­bi­ta ih­rem Ar­beit­ge­ber am 12. Mai 2006 mit, dass sie am 15. Mai ih­re Ar­beit wie­der auf­neh­men und das is­la­mi­sche Kopf­tuch tra­gen wer­de.
15 Der Be­triebs­rat von G4S bil­lig­te am 29. Mai 2006 ei­ne An­pas­sung der Ar­beits­ord­nung, die am 13. Ju­ni 2006 in Kraft trat und wie folgt lau­te­te: „Es ist den Ar­beit­neh­mern ver­bo­ten, am Ar­beits­platz sicht­ba­re Zei­chen ih­rer po­li­ti­schen, phi­lo­so­phi­schen oder re­li­giösen Über­zeu­gun­gen zu tra­gen und/oder jeg­li­chen Ri­tus, der sich dar­aus er­gibt, zum Aus­druck zu brin­gen.“
16 Am 12. Ju­ni 2006 wur­de Frau Ach­bi­ta auf­grund ih­rer fes­ten Ab­sicht, als Mus­li­ma am Ar­beits­platz das is­la­mi­sche Kopf­tuch zu tra­gen, ent­las­sen. Sie er­hielt ei­ne Ent­las­sungs­ab­fin­dung in Höhe von drei Mo­nats­gehältern, und ihr wur­den die auf der Grund­la­ge des Ar­beits­ver­trags er­wor­be­nen Vergüns­ti­gun­gen aus­be­zahlt.
17

Nach­dem die Kla­ge von Frau Ach­bi­ta ge­gen ih­re Ent­las­sung von der Ar­beids­recht­bank te Ant­wer­pen (Ar­beits­ge­richt Ant­wer­pen, Bel­gi­en) ab­ge­wie­sen wor­den war, leg­te sie ge­gen die­se Ent­schei­dung ein Rechts­mit­tel beim Ar­beids­hof te Ant­wer­pen (Ar­beits­ge­richts­hof Ant­wer­pen, Bel­gi­en) ein. Die­ses Rechts­mit­tel wur­de u. a. mit der Be­gründung zurück­ge­wie­sen, die Ent­las­sung sei nicht als un­ge­recht­fer­tigt an­zu­se­hen, da das all­ge­mei­ne Ver­bot, am Ar­beits­platz sicht­ba­re Zei­chen po­li­ti­scher, phi­lo­so­phi­scher oder re­li­giöser Über­zeu­gun­gen zu tra­gen, nicht zu ei­ner un­mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung geführt ha­be und auch kei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung oder Ver­let­zung der persönli­chen Frei­heit oder der Re­li­gi­ons­frei­heit er­sicht­lich sei.  

18 Zum Feh­len ei­ner un­mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung führ­te der Ar­beids­hof te Ant­wer­pen (Ar­beits­ge­richts­hof Ant­wer­pen) im Ein­zel­nen aus, Frau Ach­bi­ta sei un­strei­tig nicht we­gen ih­res mus­li­mi­schen Glau­bens ent­las­sen wor­den, son­dern des­halb, weil sie die fes­te Ab­sicht ge­habt ha­be, die­sen Glau­ben während der Ar­beits­zeit sicht­bar durch das Tra­gen ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs zu be­ken­nen. Die Be­stim­mung der Ar­beits­ord­nung, ge­gen die Frau Ach­bi­ta ver­s­toßen ha­be, ha­be all­ge­mei­ne Gel­tung, da sie je­dem Ar­beit­neh­mer das Tra­gen sicht­ba­rer Zei­chen po­li­ti­scher, phi­lo­so­phi­scher oder re­li­giöser Über­zeu­gun­gen am Ar­beits­platz ver­bie­te. Nichts deu­te dar­auf hin, dass sich G4S ge­genüber ei­nem an­de­ren Ar­beit­neh­mer in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on, ins­be­son­de­re ge­genüber ei­nem Ar­beit­neh­mer mit an­de­ren re­li­giösen oder phi­lo­so­phi­schen Über­zeu­gun­gen, der sich be­harr­lich ge­wei­gert hätte, die­ses Ver­bot ein­zu­hal­ten, ent­ge­gen­kom­men­der ver­hal­ten hätte.
19 Der Ar­beids­hof te Ant­wer­pen (Ar­beits­ge­richts­hof Ant­wer­pen) wies das Vor­brin­gen, das bei G4S gel­ten­de Ver­bot, sicht­ba­re Zei­chen re­li­giöser oder phi­lo­so­phi­scher Über­zeu­gun­gen zu tra­gen, sei schon für sich ge­nom­men ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung von Frau Ach­bi­ta als Gläubi­ge, mit der Be­gründung zurück, da die­ses Ver­bot nicht nur das Tra­gen von Zei­chen re­li­giöser Über­zeu­gun­gen be­tref­fe, son­dern auch das Tra­gen von Zei­chen phi­lo­so­phi­scher Über­zeu­gun­gen, ste­he es im Ein­klang mit dem Schutz­kri­te­ri­um der Richt­li­nie 2000/78, in der von „Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung“ die Re­de sei.
20 Zur Stützung ih­rer Kas­sa­ti­ons­be­schwer­de macht Frau Ach­bi­ta u. a. gel­tend, dass der Ar­beids­hof te Ant­wer­pen (Ar­beits­ge­richts­hof Ant­wer­pen) die Be­grif­fe „un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung“ und „mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung“ im Sin­ne von Art. 2 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78 ver­kannt ha­be, in­dem er da­von aus­ge­gan­gen sei, dass die re­li­giöse Über­zeu­gung, auf die sich das von G4S auf­ge­stell­te Ver­bot gründe, ein neu­tra­les Kri­te­ri­um sei, und die­ses Ver­bot mit der Be­gründung, es rich­te sich nicht ge­gen ei­ne be­stimm­te re­li­giöse Über­zeu­gung und tref­fe al­le Ar­beit­neh­mer, nicht als Un­gleich­be­hand­lung von Ar­beit­neh­mern, die ein is­la­mi­sches Kopf­tuch trügen, und sol­chen, die kei­nes trügen, an­ge­se­hen ha­be.
21 Un­ter die­sen Umständen hat der Hof van Cas­sa­tie (Kas­sa­ti­ons­hof, Bel­gi­en) be­schlos­sen, das Ver­fah­ren aus­zu­set­zen und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­zu­le­gen:

Ist Art.2 Abs.2 Buchst.a der Richt­li­nie 2000/78 so aus­zu­le­gen, dass das Ver­bot, als Mus­li­ma am Ar­beits­platz ein Kopf­tuch zu tra­gen, kei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung dar­stellt, wenn die beim Ar­beit­ge­ber be­ste­hen­de Re­gel es al­len Ar­beit­neh­mern ver­bie­tet, am Ar­beits­platz äußere Zei­chen po­li­ti­scher, phi­lo­so­phi­scher und re­li­giöser Über­zeu­gun­gen zu tra­gen?

Zur Vor­la­ge­fra­ge

22 Mit sei­ner Fra­ge möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, ob Art.2 Abs.2 Buchst.a der Richt­li­nie 2000/78 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass das Ver­bot, ein is­la­mi­sches Kopf­tuch zu tra­gen, das sich aus ei­ner in­ter­nen Re­gel ei­nes pri­va­ten Un­ter­neh­mens er­gibt, die all­ge­mein das sicht­ba­re Tra­gen je­des po­li­ti­schen, phi­lo­so­phi­schen oder re­li­giösen Zei­chens am Ar­beits­platz ver­bie­tet, ei­ne durch die­se Richt­li­nie ver­bo­te­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung dar­stellt.
23 Ers­tens be­steht nach Art. 1 der Richt­li­nie 2000/78 ihr Zweck in der Schaf­fung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Aus­rich­tung in Beschäfti­gung und Be­ruf im Hin­blick auf die Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung in den Mit­glied­staa­ten.
24 Nach Art.2 Abs.1 der Richt­li­nie 2000/78 „be­deu­tet ‚Gleich­be­hand­lungs­grund­satz‘, dass es kei­ne un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­nes der in Ar­ti­kel 1 [die­ser Richt­li­nie] ge­nann­ten Gründe ge­ben darf“. In Art.2 Abs.2 Buchst. a der Richt­li­nie heißt es, dass ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung im Sin­ne ih­res Art.2 Abs.1 vor­liegt, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes der in Art. ge­nann­ten Gründe, dar­un­ter die Re­li­gi­on, in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung als ei­ne an­de­re Per­son erfährt. 
25 Der in Art.1 der Richt­li­nie 2000/78 ver­wen­de­te Be­griff der Re­li­gi­on wird in die­ser Richt­li­nie nicht de­fi­niert.
26 Im ers­ten Erwägungs­grund der Richt­li­nie 2000/78 hat der Uni­ons­ge­setz­ge­ber je­doch auf die Grund­rech­te Be­zug ge­nom­men, wie sie in der am 4. No­vem­ber 1950 in Rom un­ter­zeich­ne­ten Eu­ropäischen Kon­ven­ti­on zum Schutz der Men­schen­rech­te und Grund­frei­hei­ten (im Fol­gen­den: EM­RK) gewähr­leis­tet sind. Die EM­RK sieht in ih­rem Art.9 vor, dass je­de Per­son das Recht auf Ge­dan­ken-, Ge­wis­sens- und Re­li­gi­ons­frei­heit hat, wo­bei die­ses Recht u. a. die Frei­heit um­fasst, sei­ne Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung ein­zeln oder ge­mein­sam mit an­de­ren öffent­lich oder pri­vat durch Got­tes­dienst, Un­ter­richt oder Prak­ti­zie­ren von Bräuchen und Ri­ten zu be­ken­nen.
27 Der Uni­ons­ge­setz­ge­ber hat im ers­ten Erwägungs­grund der Richt­li­nie 2000/78 außer­dem auf die ge­mein­sa­men Ver­fas­sungsüber­lie­fe­run­gen der Mit­glied­staa­ten als all­ge­mei­ne Grundsätze des Uni­ons­rechts Be­zug ge­nom­men. Zu den Rech­ten, die sich aus die­sen ge­mein­sa­men Ver­fas­sungsüber­lie­fe­run­gen er­ge­ben und die in der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on (im Fol­gen­den: Char­ta) be­kräftigt wur­den, gehört das in Art.10 Abs.1 der Char­ta ver­an­ker­te Recht auf Ge­wis­sens- und Re­li­gi­ons­frei­heit. Es um­fasst nach die­ser Be­stim­mung die Frei­heit, die Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung zu wech­seln, und die Frei­heit, sei­ne Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung ein­zeln oder ge­mein­sam mit an­de­ren öffent­lich oder pri­vat durch Got­tes­dienst, Un­ter­richt, Bräuche und Ri­ten zu be­ken­nen. Wie sich aus den Erläute­run­gen zur Char­ta der Grund­rech­te (ABl. 2007, C 303, S.17) er­gibt, ent­spricht das in Art.10 Abs.1 der Char­ta ga­ran­tier­te Recht dem durch Art.9 EM­RK ga­ran­tier­ten Recht, und nach Art.52 Abs.3 der Char­ta hat es die glei­che Be­deu­tung und die glei­che Trag­wei­te wie die­ses.
28 Da die EM­RK und in der Fol­ge die Char­ta dem Be­griff der Re­li­gi­on ei­ne wei­te Be­deu­tung bei­le­gen und dar­un­ter auch die Frei­heit der Per­so­nen, ih­re Re­li­gi­on zu be­ken­nen, fas­sen, ist da­von aus­zu­ge­hen, dass der Uni­ons­ge­setz­ge­ber beim Er­lass der Richt­li­nie 2000/78 den glei­chen An­satz ver­fol­gen woll­te, so dass der Be­griff der Re­li­gi­on in Art.1 der Richt­li­nie da­hin aus­zu­le­gen ist, dass er so­wohl das „fo­rum in­ter­num“, d. h. den Um­stand, Über­zeu­gun­gen zu ha­ben, als auch das „fo­rum ex­ter­num“, d. h. die Be­kun­dung des re­li­giösen Glau­bens in der Öffent­lich­keit, um­fasst.
29 Zwei­tens ist zu klären, ob sich aus der im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den in­ter­nen Re­gel ei­ne Un­gleich­be­hand­lung der Ar­beit­neh­mer we­gen ih­rer Re­li­gi­on oder ih­rer Welt­an­schau­ung er­gibt und - wenn ja - ob die­se Un­gleich­be­hand­lung ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung im Sin­ne von Art.2 Abs.2 Buchst.a der Richt­li­nie 2000/78 dar­stellt.
30 Im vor­lie­gen­den Fall be­zieht sich die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de in­ter­ne Re­gel auf das Tra­gen sicht­ba­rer Zei­chen po­li­ti­scher, phi­lo­so­phi­scher oder re­li­giöser Über­zeu­gun­gen und gilt da­mit un­ter­schieds­los für je­de Be­kun­dung sol­cher Über­zeu­gun­gen. Da­her ist da­von aus­zu­ge­hen, dass nach die­ser Re­gel al­le Ar­beit­neh­mer des Un­ter­neh­mens gleich be­han­delt wer­den, in­dem ih­nen all­ge­mein und un­dif­fe­ren­ziert u. a. vor­ge­schrie­ben wird, sich neu­tral zu klei­den, was das Tra­gen sol­cher Zei­chen aus­sch­ließt.
31 Den Ak­ten, die dem Ge­richts­hof vor­lie­gen, ist in­so­weit nicht zu ent­neh­men, dass die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de in­ter­ne Re­gel auf Frau Ach­bi­ta an­ders an­ge­wandt wor­den wäre als auf je­den an­de­ren Ar­beit­neh­mer.
32 Da­her ist im Er­geb­nis fest­zu­stel­len, dass ei­ne in­ter­ne Re­gel wie die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de kei­ne un­mit­tel­bar auf der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung be­ru­hen­de Un­gleich­be­hand­lung im Sin­ne von Art.2 Abs.2 Buchst.a der Richt­li­nie 2000/78 be­gründet.
33 Al­ler­dings hin­dert nach ständi­ger Recht­spre­chung der Um­stand, dass das vor­le­gen­de Ge­richt ei­ne Fra­ge un­ter Be­zug­nah­me nur auf be­stimm­te Vor­schrif­ten des Uni­ons­rechts for­mu­liert hat, den Ge­richts­hof nicht dar­an, die­sem Ge­richt un­abhängig da­von, wor­auf es in sei­nen Fra­gen Be­zug ge­nom­men hat, al­le Aus­le­gungs­hin­wei­se zu ge­ben, die ihm bei der Ent­schei­dung der bei ihm anhängi­gen Rechts­sa­che von Nut­zen sein können. Der Ge­richts­hof hat in­so­weit aus dem ge­sam­ten vom ein­zel­staat­li­chen Ge­richt vor­ge­leg­ten Ma­te­ri­al und ins­be­son­de­re aus der Be­gründung der Vor­la­ge­ent­schei­dung die­je­ni­gen Ele­men­te des Uni­ons­rechts her­aus­zu­ar­bei­ten, die un­ter Berück­sich­ti­gung des Ge­gen­stands des Rechts­streits ei­ner Aus­le­gung bedürfen (vgl. u.a. Ur­teil vom 12. Fe­bru­ar 2015, Oil Tra­ding Po­land, C-349/13, EU:C:2015:84, Rn.45 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).
34 Im vor­lie­gen­den Fall ist nicht aus­ge­schlos­sen, dass das vor­le­gen­de Ge­richt zu dem Er­geb­nis ge­langt, dass die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de in­ter­ne Re­gel ei­ne mit­tel­bar auf der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung be­ru­hen­de Un­gleich­be­hand­lung im Sin­ne von Art.2 Abs.2 Buchst.b der Richt­li­nie 2000/78 be­gründet, wenn sich er­weist - was zu prüfen Sa­che des vor­le­gen­den Ge­richts ist -, dass die dem An­schein nach neu­tra­le Ver­pflich­tung, die sie enthält, tatsächlich da­zu führt, dass Per­so­nen mit ei­ner be­stimm­ten Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung in be­son­de­rer Wei­se be­nach­tei­ligt wer­den.
35 Nach Art.2 Abs.2 Buchst.b Ziff.i der Richt­li­nie 2000/78 würde ei­ne sol­che Un­gleich­be­hand­lung je­doch nicht zu ei­ner mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung im Sin­ne ih­res Art.2 Abs.2 Buchst.b führen, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sach­lich ge­recht­fer­tigt wäre und die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich wären.
36 In­so­weit ist fest­zu­stel­len, dass es zwar letzt­lich Sa­che des al­lein für die Be­ur­tei­lung des Sach­ver­halts zuständi­gen na­tio­na­len Ge­richts ist, darüber zu be­fin­den, ob und in­wie­weit die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de in­ter­ne Re­gel die­sen An­for­de­run­gen genügt, doch ist der Ge­richts­hof, der dem na­tio­na­len Rich­ter in sach­dien­li­cher Wei­se zu ant­wor­ten hat, be­fugt, auf der Grund­la­ge der Ak­ten des Aus­gangs­ver­fah­rens und der ihm un­ter­brei­te­ten schrift­li­chen und münd­li­chen Erklärun­gen Hin­wei­se zu ge­ben, die es dem na­tio­na­len Rich­ter ermögli­chen, über den kon­kre­ten bei ihm anhängi­gen Rechts­streit zu ent­schei­den.
37 Ers­tens ist zur Vor­aus­set­zung des Vor­lie­gens ei­nes rechtmäßigen Ziels dar­auf hin­zu­wei­sen, dass der Wil­le, im Verhält­nis zu den öffent­li­chen und pri­va­ten Kun­den ei­ne Po­li­tik der po­li­ti­schen, phi­lo­so­phi­schen oder re­li­giösen Neu­tra­lität zum Aus­druck zu brin­gen, als rechtmäßig an­zu­se­hen ist.
38 Der Wunsch ei­nes Ar­beit­ge­bers, den Kun­den ein Bild der Neu­tra­lität zu ver­mit­teln, gehört zur un­ter­neh­me­ri­schen Frei­heit, die in Art.16 der Char­ta an­er­kannt ist, und ist grundsätz­lich rechtmäßig, ins­be­son­de­re dann, wenn der Ar­beit­ge­ber bei der Ver­fol­gung die­ses Ziels nur die Ar­beit­neh­mer ein­be­zieht, die mit sei­nen Kun­den in Kon­takt tre­ten sol­len.
39 Die Aus­le­gung, dass die Ver­fol­gung ei­nes sol­chen Ziels in­ner­halb be­stimm­ter Gren­zen ei­ne Be­schränkung der Re­li­gi­ons­frei­heit er­laubt, wird im Übri­gen durch die Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs für Men­schen­rech­te zu Art. 9 EM­RK bestätigt (Ur­teil des EGMR vom 15. Ja­nu­ar 2013, Ewei­da u. a. ge­gen Ver­ei­nig­tes König­reich, CE:ECHR:2013:0115JUD004842010, Rn. 94).
40 Zwei­tens ist zur An­ge­mes­sen­heit ei­ner in­ter­nen Re­gel wie der im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den fest­zu­stel­len, dass das Ver­bot für Ar­beit­neh­mer, Zei­chen po­li­ti­scher, phi­lo­so­phi­scher oder re­li­giöser Über­zeu­gun­gen sicht­bar zu tra­gen, zur Gewähr­leis­tung der ord­nungs­gemäßen An­wen­dung ei­ner Po­li­tik der Neu­tra­lität ge­eig­net ist, so­fern die­se Po­li­tik tatsächlich in kohären­ter und sys­te­ma­ti­scher Wei­se ver­folgt wird (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­tei­le vom 10. März 2009, Hart­lau­er, C-169/07, EU:C:2009:141, Rn.55, und vom 12.Ja­nu­ar 2010, Pe­ter­sen, C-341/08, EU:C:2010:4, Rn.53).
41 In­so­weit ist es Sa­che des vor­le­gen­den Ge­richts, zu prüfen, ob G4S vor der Ent­las­sung von Frau Ach­bi­ta für ih­re Beschäftig­ten mit Kun­den­kon­takt ei­ne all­ge­mei­ne und un­dif­fe­ren­zier­te Po­li­tik des Ver­bots ein­geführt hat­te, Zei­chen po­li­ti­scher, phi­lo­so­phi­scher oder re­li­giöser Über­zeu­gun­gen sicht­bar zu tra­gen.
42 Drit­tens ist in Be­zug auf die Er­for­der­lich­keit des im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den Ver­bots zu prüfen, ob es sich auf das un­be­dingt Er­for­der­li­che be­schränkt. Im vor­lie­gen­den Fall ist zu klären, ob sich das Ver­bot des sicht­ba­ren Tra­gens je­des Zei­chens oder Klei­dungsstücks, das mit ei­nem re­li­giösen Glau­ben oder ei­ner po­li­ti­schen oder phi­lo­so­phi­schen Über­zeu­gung in Ver­bin­dung ge­bracht wer­den kann, nur an die mit Kun­den in Kon­takt tre­ten­den Ar­beit­neh­mer von G4S rich­tet. Ist dies der Fall, ist das Ver­bot als für die Er­rei­chung des ver­folg­ten Ziels un­be­dingt er­for­der­lich an­zu­se­hen.
43 Im vor­lie­gen­den Fall ist hin­sicht­lich der Wei­ge­rung ei­ner Ar­beit­neh­me­rin wie Frau Ach­bi­ta, im Rah­men der Ausübung ih­rer be­ruf­li­chen Tätig­keit bei Kun­den von G4S auf das Tra­gen des is­la­mi­schen Kopf­tuchs zu ver­zich­ten, vom vor­le­gen­den Ge­richt zu prüfen, ob es G4S, un­ter Berück­sich­ti­gung der un­ter­neh­mens­in­ter­nen Zwänge und oh­ne ei­ne zusätz­li­che Be­las­tung tra­gen zu müssen, möglich ge­we­sen wäre, ihr in An­be­tracht die­ser Wei­ge­rung ei­nen Ar­beits­platz oh­ne Sicht­kon­takt mit Kun­den an­zu­bie­ten, statt sie zu ent­las­sen. Es ist Sa­che des vor­le­gen­den Ge­richts, in An­be­tracht al­ler Umstände, die sich aus den Ak­ten er­ge­ben, den bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen Rech­nung zu tra­gen und die Be­schränkun­gen der in Re­de ste­hen­den Frei­hei­ten auf das un­be­dingt Er­for­der­li­che zu be­gren­zen.
44 Nach al­le­dem ist die Fra­ge des vor­le­gen­den Ge­richts wie folgt zu be­ant­wor­ten:

- Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richt­li­nie 2000/78 ist da­hin aus­zu­le­gen, dass das Ver­bot, ein is­la­mi­sches Kopf­tuch zu tra­gen, das sich aus ei­ner in­ter­nen Re­gel ei­nes pri­va­ten Un­ter­neh­mens er­gibt, die das sicht­ba­re Tra­gen je­des po­li­ti­schen, phi­lo­so­phi­schen oder re­li­giösen Zei­chens am Ar­beits­platz ver­bie­tet, kei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung im Sin­ne die­ser Richt­li­nie dar­stellt.

- Ei­ne sol­che in­ter­ne Re­gel ei­nes pri­va­ten Un­ter­neh­mens kann hin­ge­gen ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung im Sin­ne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richt­li­nie 2000/78 dar­stel­len, wenn sich er­weist, dass die dem An­schein nach neu­tra­le Ver­pflich­tung, die sie enthält, tatsächlich da­zu führt, dass Per­so­nen mit ei­ner be­stimm­ten Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung in be­son­de­rer Wei­se be­nach­tei­ligt wer­den, es sei denn, sie ist durch ein rechtmäßiges Ziel wie die Ver­fol­gung ei­ner Po­li­tik der po­li­ti­schen, phi­lo­so­phi­schen und re­li­giösen Neu­tra­lität durch den Ar­beit­ge­ber im Verhält­nis zu sei­nen Kun­den sach­lich ge­recht­fer­tigt, und die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels sind an­ge­mes­sen und er­for­der­lich; dies zu prüfen, ist Sa­che des vor­le­gen­den Ge­richts.

Kos­ten

45 Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem beim vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Große Kam­mer) für Recht er­kannt:

Art.2 Abs.2 Buchst.a der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf ist da­hin aus­zu­le­gen, dass das Ver­bot, ein is­la­mi­sches Kopf­tuch zu tra­gen, das sich aus ei­ner in­ter­nen Re­gel ei­nes pri­va­ten Un­ter­neh­mens er­gibt, die das sicht­ba­re Tra­gen je­des po­li­ti­schen, phi­lo­so­phi­schen oder re­li­giösen Zei­chens am Ar­beits­platz ver­bie­tet, kei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung im Sin­ne die­ser Richt­li­nie dar­stellt.

Ei­ne sol­che in­ter­ne Re­gel ei­nes pri­va­ten Un­ter­neh­mens kann hin­ge­gen ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung im Sin­ne von Art.2 Abs.2 Buchst.b der Richt­li­nie 2000/78 dar­stel­len, wenn sich er­weist, dass die dem An­schein nach neu­tra­le Ver­pflich­tung, die sie enthält, tatsächlich da­zu führt, dass Per­so­nen mit ei­ner be­stimm­ten Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung in be­son­de­rer Wei­se be­nach­tei­ligt wer­den, es sei denn, sie ist durch ein rechtmäßiges Ziel wie die Ver­fol­gung ei­ner Po­li­tik der po­li­ti­schen, phi­lo­so­phi­schen und re­li­giösen Neu­tra­lität durch den Ar­beit­ge­ber im Verhält­nis zu sei­nen Kun­den sach­lich ge­recht­fer­tigt, und die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels sind an­ge­mes­sen und er­for­der­lich; dies zu prüfen, ist Sa­che des vor­le­gen­den Ge­richts.

Un­ter­schrif­ten

* Ver­fah­rens­spra­che: Nie­derländisch.

Quel­le: Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH), http://cu­ria.eu­ro­pa.eu  

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