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ARBEITSRECHT AKTUELL // 18/025

Be­triebs­über­gang als Täu­schungs­ma­nö­ver

Be­auf­tragt und be­voll­mäch­tigt ein Be­triebs­ei­gen­tü­mer ei­nen an­de­ren mit der lau­fen­den Be­triebs­füh­rung im Ei­gen­tü­mer­na­men, liegt kein Be­triebs­über­gang vor: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 25.01.2018, 8 AZR 338/16
Ansturm auf RA

29.01.2018. Vor ei­ni­ger Zeit be­rich­te­ten wir über ei­nen Fall des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg, in dem ein Her­stel­ler von Fens­ter­bän­ken und Tü­ren sei­ne Be­leg­schaft los­wer­den woll­te, in­dem er sie durch ei­nen (an­geb­li­chen) Be­triebs­über­gang auf ei­ne Be­triebs­füh­rungs­ge­sell­schaft ver­schob, die den Be­trieb dann schloss und al­le Ar­beit­neh­mer ent­ließ (Ar­beits­recht ak­tu­ell: 16/245 Be­triebs­über­gang und Be­triebs­füh­rungs­ver­trag).

Nach­dem die ent­las­se­nen Ar­beit­neh­mer oh­ne Er­folg ge­gen ih­re Kün­di­gun­gen ge­klagt hat­ten, ver­lang­ten ei­ni­ge von dem Fens­ter­pro­du­zen­ten die Fort­set­zung ih­rer Ar­beits­ver­hält­nis­se. Ihr Ar­gu­ment: Der Deal zwi­schen Fens­ter­pro­du­zent und Be­triebs­füh­rungs­ge­sell­schaft war über­haupt kein Be­triebs­über­gang im Sin­ne von § 613a Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch (BGB).

Da­mit hat­ten sie recht, so das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­nem Ur­teil vom Don­ners­tag letz­ter Wo­che: BAG, Ur­teil vom 25.01.2018, 8 AZR 338/16 (Pres­se­mel­dung des Ge­richts).

Was un­ter­schei­det ei­nen ech­ten Be­triebs­er­wer­ber von ei­nem Stell­ver­tre­ter des (bis­he­ri­gen) Be­triebs­in­ha­bers?

§ 613a Abs.1 Satz 1 BGB schreibt vor, dass der Er­wer­ber ei­nes Be­trie­bes au­to­ma­tisch als neu­er Ar­beit­ge­ber in die Rech­te und Pflich­ten aus den Ar­beits­verhält­nis­sen ein­tritt, die zum Zeit­punkt des Be­triebsüber­gangs be­stan­den. Vor­aus­set­zung für die­se Ar­beit­neh­mer­schutz­vor­schrift ist, dass ein kom­plet­ter Be­trieb oder zu­min­dest ein deut­lich ab­grenz­ba­rer Be­triebs­teil "durch Rechts­geschäft", d.h. auf ver­trag­li­cher Grund­la­ge auf ei­nen neu­en Be­triebs­in­ha­ber über­tra­gen wird.

Da § 613a BGB nicht de­fi­niert, was un­ter ei­nem Be­triebsüber­gang zu ver­ste­hen ist, prüfen die Ar­beits­ge­rich­te auf der Grund­la­ge der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs (EuGH) und des BAG, ob im Streit­fall ei­ne „wirt­schaft­li­che Ein­heit“ vor­liegt, die un­ter Bei­be­hal­tung ih­rer "Iden­tität" von dem bis­he­ri­gen auf ei­nen neu­en In­ha­ber über­ge­gan­gen ist.

Vor Ge­richt wird dann oft darüber ge­strit­ten, ob der (mögli­che) Be­triebs­er­wer­ber die we­sent­li­chen Be­triebs­mit­tel, Kun­den und Know-how-Träger un­ter den Ar­beit­neh­mern über­nom­men hat und ob er oh­ne (lan­ge) Un­ter­bre­chung auf die­sel­be Wei­se wie sein Vorgänger wei­ter­wirt­schaf­tet, denn dann hat der Er­wer­ber ei­ne vor­han­de­ne wirt­schaft­li­che Ein­heit un­ter Wah­rung ih­rer Iden­tität über­nom­men und es liegt ein Be­triebs(teil)über­gang vor.

Da­bei sind es in der Re­gel die nicht über­nom­me­nen Ar­beit­neh­mer, die vom neu­en In­ha­ber die Fort­set­zung ih­rer Ar­beits­verhält­nis­se ver­lan­gen und da­her vor Ge­richt ei­nen Be­triebs- oder Be­triebs­teilüber­gang nach­wei­sen wol­len. Aus­nahms­wei­se ist es aber um­ge­kehrt so, dass sich die Ar­beit­neh­mer durch ei­nen vom Ar­beit­ge­ber be­haup­te­ten Be­triebsüber­gang ver­schlech­tern würden, wenn ih­nen nämlich statt ih­res bis­he­ri­gen fi­nanz­star­ken Ar­beit­ge­bers ein wirt­schaft­lich schwa­ches Un­ter­neh­men als (an­geb­li­cher) Be­triebs­er­wer­ber vor­ge­setzt wird.

Legt die­ser den Be­trieb dann auch noch still und entlässt die Be­leg­schaft, hat der al­te Ar­beit­ge­ber ein In­ter­es­se an dem Nach­weis, dass er sei­nen Be­trieb samt Be­leg­schaft per Be­triebsüber­gang los­ge­wor­den ist. Um­ge­kehrt müssen die ent­las­se­nen Ar­beit­neh­mer in ei­nem sol­chen Fall nach­wei­sen, dass es nie ei­nen Be­triebsüber­gang gab. Denn dann be­ste­hen ih­re Ar­beits­verhält­nis­se mit dem (ver­meint­li­chen) Be­triebs­veräußerer fort, d.h. mit dem wirt­schaft­lich so­li­den Un­ter­neh­men.

An die­ser Stel­le kann es dar­auf an­kom­men, ob der an­geb­li­che Be­triebs­er­wer­ber über­haupt in sei­nem ei­ge­nen Na­men und in ei­ge­ner wirt­schaft­li­cher Ver­ant­wor­tung den Be­trieb führt oder als Ma­nage­ment­ge­sell­schaft nur der verlänger­te Arm des bis­he­ri­gen Be­triebs­in­ha­bers ist.

Im Streit: Be­triebsführungs­ge­sell­schaft tritt un­ter Be­ru­fung auf § 613a BGB als neu­er Ar­beit­ge­ber auf, führt den Be­trieb aber nur im Na­men der In­ha­ber­ge­sell­schaft

Ei­ne Ge­sell­schaft mit Be­trie­ben in Ber­lin, Obers­ten­feld und Nie­deror­schel hat­te zu An­fang April 2011 die Führung ih­rer drei Be­trie­be auf ei­ne Schwes­ter­ge­sell­schaft über­tra­gen. Da­bei hat­te sie al­le Im­mo­bi­li­en, Pro­duk­ti­ons­mit­tel und Pa­ten­te be­hal­ten, die für ihr Geschäft, die Her­stel­lung von Fens­terbänken und Türen, er­for­der­lich wa­ren.

Die Schwes­ter­ge­sell­schaft muss­te gemäß ei­nem "Be­triebsführungs­ver­trag" ge­gen ei­ne ge­rin­ge Be­zah­lung die Ar­beits­verhält­nis­se der Be­leg­schaft führen und im Übri­gen al­le Geschäfte im Na­men und auf Rech­nung der In­ha­ber­ge­sell­schaft be­trei­ben.

Drei Jah­re nach dem (an­geb­li­chen) Be­triebsüber­gang be­schloss die Be­triebsführungs­ge­sell­schaft die Sch­ließung al­ler drei Stand­or­te und kündig­te den Ar­beit­neh­mern be­triebs­be­dingt. Da­ge­gen er­ho­ben ei­ni­ge der in Ber­lin be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer Kündi­gungs­schutz­kla­ge, aber oh­ne Er­folg.

Im Som­mer 2015 er­fuh­ren die Ber­li­ner Ar­beit­neh­mer, dass ihr al­ter Ar­beit­ge­ber die Pro­duk­ti­on von Fens­terbänken und Türen an den an­de­ren bei­den Stand­or­ten (Obers­ten­feld und Nie­deror­schel) fort­setz­te. Dar­auf­hin ver­lang­ten ei­ni­ge von ih­rem al­ten Ar­beit­ge­ber die Fort­set­zung der Ar­beits­verhält­nis­se.

Der Ar­beit­ge­ber re­agier­te dar­auf mit ar­beits­ge­richt­li­chen Fest­stel­lungs­kla­gen, d.h. er klag­te auf die ge­richt­li­che Fest­stel­lung, dass zwi­schen ihm und den be­klag­ten Ar­beit­neh­mern nach dem 31.03.2011 kein Ar­beits­verhält­nis mehr be­stand bzw. be­steht.

In dem Fall ei­nes langjährig beschäftig­ten ge­werb­li­che Ar­beit­neh­mers und Be­triebs­rats­mit­glieds gab das Ar­beits­ge­richt Ber­lin der Kla­ge des Ar­beit­ge­bers statt (Ur­teil vom 18.11.2015, 39 Ca 8638/15), wo­hin­ge­gen das LAG Ber­lin-Bran­den­burg die Kla­ge ab­wies (LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 11.05.2016, 15 Sa 108/16, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 16/245 Be­triebsüber­gang und Be­triebsführungs­ver­trag). Denn sei­ner Mei­nung nach gab es hier kei­nen Be­triebsüber­gang, weil die an­geb­li­che Er­wer­ber­ge­sell­schaft nie als Be­triebs­in­ha­ber auf­trat.

BAG: Bei ei­nem Be­triebsüber­gang muss die Per­son wech­seln, die für den Be­trieb der wirt­schaft­li­chen Ein­heit ver­ant­wort­lich ist

Auch das BAG gab dem be­klag­ten Ar­beit­neh­mer recht. In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des Ge­richts heißt es zur Be­gründung:

Das Ar­beits­verhält­nis des be­klag­ten Ar­beit­neh­mers ist hier nicht durch Be­triebsüber­gang gemäß § 613a Abs.1 Satz 1 BGB von der kla­gen­den In­ha­ber­ge­sell­schaft auf die Be­triebsführungs­ge­sell­schaft über­ge­gan­gen, so die Er­fur­ter Rich­ter.

Denn ein Be­triebsüber­gang setzt laut BAG vor­aus, dass die für den Be­trieb des Un­ter­neh­mens ver­ant­wort­li­che (natürli­che oder ju­ris­ti­sche) Per­son, "die in­so­weit die Ar­beit­ge­ber­ver­pflich­tun­gen ge­genüber den Beschäftig­ten ein­geht, im Rah­men ver­trag­li­cher Be­zie­hun­gen wech­selt". Die­se not­wen­di­ge Be­din­gung für ei­nen Be­triebsüber­gang war im Streit­fall nicht ge­ge­ben, denn die kla­gen­de In­ha­ber­ge­sell­schaft hat­te ih­re Ver­ant­wor­tung für ih­ren Be­trieb nicht wirk­lich an die Be­triebsführungs­ge­sell­schaft ab­ge­ge­ben.

Ergänzend stellt das BAG klar, dass es dem be­klag­ten Ar­beit­neh­mer auch nicht nach Treu und Glau­ben (§ 242 BGB) ver­sagt war, sich auf den Fort­be­stand sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses mit der In­ha­ber­ge­sell­schaft zu be­ru­fen. Denn al­lein auf­grund der Tat­sa­che, dass sich der Ar­beit­neh­mer zunächst ge­gen die Kündi­gung der Be­triebsführungs­ge­sell­schaft mit ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge zu Wehr ge­setzt hat­te (oh­ne Er­folg), konn­te die In­ha­ber­ge­sell­schaft nicht dar­auf ver­trau­en, dass sie ih­re Ar­beit­ge­ber­pflich­ten nicht mehr erfüllen müss­te. Der ge­gen den fal­schen Ar­beit­ge­ber geführ­te Vor­pro­zess war, so das BAG, hier im Streit­fall "oh­ne Be­lang".

Fa­zit: Ei­ne Be­triebsführungs­ge­sell­schaft ist kein Be­triebs­er­wer­ber im Sin­ne von § 613a Abs.1 Satz 1 BGB, wenn der Be­triebsführungs­ver­trag sie nicht da­zu ermäch­tigt, den Be­trieb im ei­ge­nen Na­men zu führen. An­ders ge­sagt: Ist die Be­triebsführungs­ge­sell­schaft nur im Auf­trag und in Voll­macht der In­ha­ber­ge­sell­schaft tätigt, bleibt die In­ha­ber­ge­sell­schaft Be­triebs­in­ha­ber und Ar­beit­ge­ber.

Ermäch­tigt ein Be­triebsführungs­ver­trag ei­ne Be­triebsführungs­ge­sell­schaft al­ler­dings da­zu, den Be­trieb im ei­ge­nen Na­men zu führen, liegt ein Be­triebsüber­gang vor. Dann müssen die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer aber darüber in­for­miert wer­den, dass sie künf­tig für ei­ne Ge­sell­schaft ar­bei­ten sol­len, die von der In­ha­ber­ge­sell­schaft wirt­schaft­lich abhängig ist und letzt­lich nur Ma­nage­ment­auf­ga­ben wahr­nimmt. Auf die­ser Grund­la­ge liegt es für die Ar­beit­neh­mer na­he, dem Über­gang ih­rer Ar­beits­verhält­nis­se gemäß § 613a Abs.6 BGB zu wi­der­spre­chen.

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Letzte Überarbeitung: 2. September 2019

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