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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/005

Kein Be­triebs­über­gang bei grund­le­gen­der Än­de­rung des Be­triebs­kon­zepts

Ko­chen ist ein an­de­rer Be­triebs­zweck als das blo­ße Auf­wär­men und Aus­ge­ben fer­ti­ger Spei­sen: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 17.12.2009, 8 AZR 1019/08
Zwei Firmenschilder, eines durchgestrichen Be­triebs­über­gang bei Än­de­rung des Be­triebs­kon­zepts?

08.01.2010. Für das Vor­lie­gen ei­nes Be­triebs­über­gangs im Sin­ne des § 613a Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) ist es oft von er­heb­li­cher Be­deu­tung, ob der Er­wer­ber die vor­han­de­nen sach­li­chen Be­triebs­mit­tel über­nimmt oder nicht. Die­se sind meist das Rück­grat des vor­han­de­nen (und mög­li­cher­wei­se über­nom­me­nen) Be­triebs.

Das gilt al­ler­dings dann nicht, wenn der Be­triebs­er­wer­ber auf­grund ei­nes ver­än­der­ten Be­triebs­kon­zepts die über­nom­me­ne Be­triebs­ein­rich­tung nur noch teil­wei­se be­nö­tigt und nutzt.

Führt der Er­wer­ber er­heb­li­che Än­de­run­gen in der Or­ga­ni­sa­ti­on und der Per­so­nal­struk­tur des Be­trie­bes ein und kann da­her die über­nom­me­nen Be­triebs­mit­tel nur noch teil­wei­se nut­zen, liegt kein Be­triebs­über­gang vor. Dies hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­nem ak­tu­el­len Fall noch­mals be­stä­tigt: BAG, Ur­teil vom 17.12.2009, 8 AZR 1019/08.

Über­gang ei­ner „iden­ti­schen wirt­schaft­li­chen Ein­heit“ und Be­triebs­zweck bzw. Be­triebs­kon­zept

Wird ein Be­trieb oder ein Be­triebs­teil vom bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­ber an ei­nen Nach­fol­ger veräußert, ge­hen die von ei­nem sol­chen Be­triebs(teil)über­gang be­trof­fe­nen Ar­beits­verhält­nis­se der in dem Be­trieb bzw. Be­triebs­teil beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer gemäß § 613a Abs.1 Satz 1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) kraft Ge­set­zes, d.h. au­to­ma­tisch auf den Er­wer­ber über.

Da die­se Rechts­fol­ge zum Schutz der be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­se zwin­gend ist und da­her nicht zu­las­ten der Ar­beit­neh­mer durch ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung verändert wer­den kann, be­steht oft Streit darüber, ob die Vor­aus­set­zun­gen ei­nes Be­triebsüber­gangs vor­lie­gen bzw. nicht vor­lie­gen.

Das Ge­setz selbst de­fi­niert nicht, was un­ter ei­nem Be­triebsüber­gang zu ver­ste­hen ist. Die Recht­spre­chung ver­steht dar­un­ter den Über­gang ei­ner „wirt­schaft­li­chen Ein­heit“, die als „iden­ti­sche“ Ein­heit vom al­ten auf den neu­en Ar­beit­ge­ber über­ge­hen muss. Da­bei kommt es auf al­le Umstände des Ein­zel­falls an, die den Cha­rak­ter des mögli­cher­wei­se über­nom­me­nen Be­triebs prägen, d.h. auf

  1. die Art des be­tref­fen­den Un­ter­neh­mens oder Be­trie­bes,
  2. den et­wai­gen Über­gang der ma­te­ri­el­len Be­triebs­mit­tel wie Gebäude und be­weg­li­che Güter,
  3. den Wert der im­ma­te­ri­el­len Ak­ti­va im Zeit­punkt des Über­gangs,
  4. die et­wai­ge Über­nah­me der Haupt­be­leg­schaft,
  5. den et­wai­gen Über­gang der Kund­schaft,
  6. den Grad der Ähn­lich­keit zwi­schen den vor und nach dem Über­gang ver­rich­te­ten Tätig­kei­ten so­wie
  7. die Dau­er ei­ner even­tu­el­len Un­ter­bre­chung die­ser Tätig­keit.

Ob­wohl kei­nes die­ser sie­ben Kri­te­ri­en im all­ge­mei­nen wich­ti­ger ist als die übri­gen sechs, sind doch Art des Be­triebs und die vor und nach dem Über­gang ver­rich­te­ten Tätig­kei­ten zu­sam­men oft von ent­schei­den­der Be­deu­tung. Gibt es hier auf­grund des In­ha­ber­wech­sels grund­le­gen­de Verände­run­gen, kann von ei­nem Be­triebsüber­gang nicht die Re­de sein.

Über ei­nen sol­chen Fall hat­te Mit­te De­zem­ber 2009 das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) zu ent­schei­den (BAG, Ur­teil vom 17.12.2009, 8 AZR 1019/08).

Der Fall des Bun­des­ar­beits­ge­richts: Oh­ne Koch kein Re­stau­rant

Die kla­gen­de Ar­beit­neh­me­rin war beim be­klag­ten Ar­beit­ge­ber seit 2002 als Küchen­hil­fe beschäftigt und be­zog zu­letzt ei­ne Brut­to­mo­nats­vergütung von mo­nat­lich 1.280,00 EUR. Seit De­zem­ber 2003 be­fand sie sich we­gen der Ge­burt drei­er Kin­der fort­lau­fend in Mut­ter­schutz bzw. in El­tern­zeit.

Die letz­te El­tern­zeit dau­er­te bis Sep­tem­ber 2009. Der Ar­beit­ge­ber be­wirt­schaf­te­te bis En­de 2006 drei Be­triebs­re­stau­rants der Re­gio­nal­nie­der­las­sung ei­nes Au­to­mo­bil­her­stel­lers. Dem Au­to­mo­bil­her­stel­ler ge­genüber war der Ar­beit­ge­ber da­zu ver­pflich­tet, die Mit­tag­es­sen vor Ort frisch zu­zu­be­rei­ten. Da­zu setz­te der Ar­beit­ge­ber in je­dem Be­triebs­re­stau­rant ei­nen Koch und bis zu zwei Küchen­hil­fen ein. Ei­ne die­ser Küchen­hil­fen war die Kläge­rin, die sich En­de 2006 in El­tern­zeit be­fand.

Zum 01.01.2007 über­nahm ei­ne an­de­re Be­trei­ber­ge­sell­schaft die Be­wirt­schaf­tung der drei Kan­ti­nen. An­ders als zu­vor wur­den die Spei­sen je­doch nun­mehr zen­tral vor­ge­fer­tigt und im Re­stau­rant nur noch auf­gewärmt und aus­ge­ge­ben. Da­her sind seit An­fang 2007 kei­ne Köche mehr in den Kan­ti­nen tätig, die neue Be­trei­ber­ge­sell­schaft beschäftigt nur noch Hilfs­kräfte.

Der Ar­beit­ge­ber kündig­te im Hin­blick auf die Über­nah­me der Kan­ti­nen­be­wirt­schaf­tung durch die neue Be­trei­ber­ge­sell­schaft zum 01.01.2007 den bei ihm täti­gen Köchen und emp­fahl den Küchen­hil­fen, der neu­en Be­trei­ber­ge­sell­schaft die Ar­beits­leis­tung an­zu­bie­ten. Aus Sicht des al­ten Ar­beit­ge­bers lag nämlich ein Be­triebsüber­gang auf die neue Be­trei­ber­ge­sell­schaft vor. Das sah die­se an­ders und lehn­te da­her die Wei­ter­beschäfti­gung der Kläge­rin für die Zeit nach ih­rer El­tern­zeit ab.

Dar­auf zog die Kläge­rin vor Ge­richt und ver­klag­te ih­ren al­ten Ar­beit­ge­ber mit dem Ziel der Fest­stel­lung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses. Man­gels ei­nes Be­triebsüber­gangs sei ihr Ar­beits­verhält­nis nicht auf die neue Be­trei­ber­ge­sell­schaft über­ge­gan­gen, son­dern über den 31.12.2006 hin­aus beim bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­ber ver­blie­ben.

Mit die­ser Kla­ge hat­te sie vor dem Ar­beits­ge­richt Würz­burg (Ur­teil vom 14.12.2007, 3 Ca 1067/07) eben­so wie vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nürn­berg Er­folg (Ur­teil vom 27.08.2008, 4 Sa 36/08).

Bun­des­ar­beits­ge­richt: Trotz Be­triebs­mit­telüber­nah­me kein Be­triebsüber­gang, wenn der Er­wer­ber Or­ga­ni­sa­ti­on und Per­so­nal­struk­tur er­heb­lich ändert und die Be­triebs­mit­tel da­her nicht nutzt

Auch das BAG ent­schied zu­guns­ten der kla­gen­den Ar­beit­neh­me­rin, die da­mit in al­len drei In­stan­zen den Pro­zess ge­won­nen hat­te. Zur Be­gründung heißt es in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mit­tei­lung des BAG:

Ein Be­triebsüber­gang ist trotz weit­ge­hend über­nom­me­ner säch­li­cher Be­triebs­mit­tel nicht an­zu­neh­men, wenn der Be­triebs­er­wer­ber auf­grund ei­nes veränder­ten Be­triebs­kon­zepts die­se nur noch teil­wei­se benötigt und nutzt. Dies gilt nach An­sicht des BAG je­den­falls dann, wenn der Er­wer­ber er­heb­li­che Ände­run­gen in der Or­ga­ni­sa­ti­on und der Per­so­nal­struk­tur des Be­trie­bes einführt.

Dies war hier der Fall, da der Er­wer­ber der Kan­ti­ne nicht mehr selbst vor Ort die aus­ge­ge­be­nen Spei­sen frisch zu­be­rei­te­te und da­her kei­ne Köche mehr ein­setz­te, son­dern sich dar­auf be­schränk­te, die be­reits zen­tral zu­be­rei­te­ten Spei­sen auf­zuwärmen und aus­zu­ge­ben. In­fol­ge die­ser Ände­rung des Be­triebs­zwecks hal­bier­te sich der Per­so­nal­be­darf und be­schränk­te sich auf Hilfs­per­so­nal, d.h. Köche wur­den nicht mehr ein­ge­setzt. Es fehlt dies­bezüglich an der Wah­rung der be­trieb­li­chen Iden­tität des Kan­ti­nen­be­triebs.

Fa­zit: Ändert der Er­wer­ber ei­ner Kan­ti­ne grund­le­gend Kon­zept und Ar­beits­abläufe, in­dem er in der Kan­ti­ne nicht mehr ko­chen lässt, son­dern nur noch vor­ge­fer­tig­te Spei­sen aus­ge­ben lässt, liegt kei­ne "iden­titäts­wah­ren­der" Über­gang ei­ner wirt­schaft­li­chen Ein­heit und da­mit kein Be­triebsüber­gang vor.

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Letzte Überarbeitung: 30. Januar 2018

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