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ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/190

Be­triebs­über­gang bei Ret­tungs­zweck­ver­band

Der Er­wer­ber von Be­triebs­mit­teln muss den Be­trieb selbst als Ar­beit­ge­ber füh­ren, sonst liegt kein Be­triebs­über­gang vor: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 10.05.2012, 8 AZR 639/10
Rettungssanitäter Ret­tungs­zweck­ver­band als Be­triebs­über­neh­mer?
12.05.2012. Wenn ein Be­trieb oder Be­triebs­teil durch ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung auf ei­nen an­de­ren In­ha­ber über­geht, tritt die­ser ge­mäß § 613a Abs.1 Satz 1 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) in die Rech­te und Pflich­ten aus den be­ste­hen­den Ar­beits­ver­hält­nis­sen ein. Der Be­triebs­er­wer­ber hat da­her in­fol­ge des Be­triebs­über­gangs al­le im Be­trieb be­schäf­tig­ten Ar­beit­neh­mer "am Hals", d.h. er ist de­ren neu­er Ar­beit­ge­ber - ob er will oder nicht.

Vie­le Be­triebs­er­wer­ber wol­len das nicht. Sie su­chen sich lie­ber ziel­ge­rich­tet die be­son­ders in­ters­san­ten Tei­le ei­nes Be­triebs aus, d.h. die "As­sets", und auch nur be­stimm­te Tei­le der Be­leg­schaft. Dann gibt es oft recht­li­che Strei­tig­kei­ten zwi­schen dem As­set-Er­wer­ber und den von ihm nicht über­nom­me­nen Ar­beit­neh­mern. Ge­strit­ten wird dar­über, ob die ge­setz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen ei­nes Be­trie­b­über­gangs er­füllt sind oder nicht.

In ei­nem wich­ti­gen Ur­teil hat der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) 2009 klar­ge­stellt, dass ein Be­triebs­teil auch dann über­ge­hen kann, wenn er im über­neh­men­den Be­trieb sei­ne bis­he­ri­ge, beim al­ten Ar­beit­ge­ber be­ste­hen­de or­ga­ni­sa­to­ri­sche Selb­stän­dig­keit ver­liert (Ur­teil vom 12.02.2009, C-466/07). Da­mit hat der EuGH den An­wen­dungs­be­reich des § 613a Abs.1 Satz 1 BGB auf Be­triebs­teil­über­gän­ge zu­guns­ten der Ar­beit­neh­mer er­wei­tert.

An die­sem EuGH-Ur­teil hat sich das Säch­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) ori­en­tert und zu­guns­ten ei­nes Ret­tungs­sa­ni­tä­ters ent­schie­den, dass sein Ar­beits­ver­hält­nis auf ei­nen öf­fent­li­chen Trä­ger von Ret­tungs­dienstein­rich­tun­gen über­ge­gan­gen war (Ur­teil vom 24.09.2010, 3 Sa 79/10). Hier hat Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) nicht mit­ge­macht und zu­guns­ten des Ret­tungs­zweck­ver­bands ent­schie­den (BAG, Ur­teil vom 10.05.2012, 8 AZR 639/10).

Be­triebsüber­gang auf ei­nen öffent­li­chen Träger von Ret­tungs­ein­rich­tun­gen, der ei­nem un­zu­verlässi­gen Auf­trag­neh­mer kurz­fris­tig kündigt?

Ob ein Be­trieb auf ei­nen neu­en In­ha­ber über­geht oder nicht, hängt da­von ab, ob die vor­han­de­nen Be­triebs­mit­tel und Ar­beit­neh­mer beim bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­ber als ei­ne ab­grenz­ba­re wirt­schaft­li­che Ein­heit an­zu­se­hen sind, und ob die­se Ein­heit als sol­che, d.h. un­ter Wah­rung ih­rer "Iden­tität" auf den Er­wer­ber über­geht. Letzt­lich geht es dar­um, ob der über­nom­me­ne Be­trieb auch nach dem In­ha­ber­wech­sel noch "der al­te" ist oder nicht.

Da­bei kommt es auf sämt­li­che As­pek­te des Be­triebs an, d.h. auf die Be­triebs­mit­tel, auf spe­zi­el­le For­men der Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on oder der Qua­litäts­si­che­rung (Know How), auf die Über­nah­me oder Nicht-Über­nah­me der Be­leg­schaft und der Kun­den so­wie auf die Ähn­lich­keit der Be­triebs­me­tho­den und Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on vor und nach dem In­ha­ber­wech­sel. Da die­se As­pek­te in je­dem Ein­zel­fall ver­schie­den stark aus­gesprägt sind, ist ein Be­triebsüber­gang kein be­son­ders ex­ak­ter ju­ris­ti­scher Tat­be­stand.

In dem vom BAG ent­schie­de­nen Fall ging es um die Fra­ge, ob ein kom­mu­na­ler Träger von Ret­tungs­ein­rich­tun­gen, der ei­nem un­zu­verlässi­gen Auf­trag­neh­mer kurz­fris­tig kündigt und neue Fir­men mit der Durchführung des Ret­tungs­diens­tes be­auf­tragt, auf­grund ei­nes Be­triebsüber­gangs Ar­beit­neh­mer der beim al­ten Auf­trag­neh­mer täti­gen Ret­tungs­as­sis­ten wird oder nicht.

BAG: Der Er­wer­ber von Be­triebs­mit­teln muss den Be­trieb selbst als Ar­beit­ge­ber führen, sonst liegt kein Be­triebsüber­gang vor

Im Streit­fall ging es um ei­nen Ret­tungs­sa­nitäter. Sein Ar­beit­ge­ber, ei­ne pri­va­te Ret­tungs­dienst­fir­ma, hat­te die Durchführung der Ret­tungs­diens­te von ei­nem kom­mu­na­len Ret­tungs­zweck­ver­band ver­trag­lich über­nom­men. Die­se Be­auf­tra­gung kündig­te der Ret­tungs­zweck­ver­band im De­zem­ber 2008 frist­los, da die Ret­tungs­dienst­fir­ma un­zu­verlässig war.

Die Ret­tungs­fir­ma gab dem­ent­spre­chend Fahr­zeu­ge und Diensträume, die dem Ret­tungs­zweck­ver­band gehörten, brav an den Ver­band her­aus. Der wie­der­um ver­pflich­te­te von heu­te auf mor­gen drei an­de­re Fir­men mit der Durchführung der Ret­tungs­auf­ga­ben, und zwar durch ei­ne ho­heit­li­che An­ord­nung ("Ver­wal­tungs­akt"). Die­se war zwar nicht rech­tens, wur­de aber von den ver­pflich­te­ten Fir­men be­folgt.

Der Sa­nitäter zog vor das Ar­beits­ge­richt Leip­zig mit dem Ziel der Fest­stel­lung, dass der Ret­tungs­zweck­ver­band auf­grund ei­nes Be­triebsüber­gangs sein neu­er Ar­beit­ge­ber ge­wor­den ist. Mit die­ser Kla­ge hat­te er vor dem Ar­beits­ge­richt zwar zunächst kei­nen Er­folg (Ur­teil vom 17.12.2009, 1 Ca 2413/09), doch ent­schied das Säch­si­sche LAG zu sei­nen Guns­ten (Ur­teil vom 24.09.2010, 3 Sa 79/10). Das LAG mein­te, dass der Ret­tungs­zweck­ver­band die Ar­bei­ten als Ar­beit­ge­ber or­ga­ni­sie­re, weil die drei von ihm be­auf­trag­ten pri­va­ten Ret­tungs­fir­men nur sei­ne Ausführungs­ge­hil­fen sei­en.

Das BAG sah das an­ders. Denn der Ret­tungs­zweck­ver­band wur­de in­fol­ge der Her­aus­ga­be von Fahr­zeu­gen und Räum­en nicht Be­triebs­in­ha­ber ei­nes Be­triebs „Ret­tungs­dienst“, so das BAG. Ei­nen sol­chen Be­trieb hat der Ver­band zu kei­nem Zeit­punkt als Ar­beit­ge­ber geführt. Dass der Ver­band sehr kurz­fris­tig drei pri­va­te Ret­tungs­fir­men durch ho­heit­li­che An­ord­nung zur Auf­ga­ben­erfüllung her­an­ge­zo­gen hat­te, mach­te ihn nicht zum Be­triebs­in­ha­ber.

Fa­zit: Wenn ein Un­ter­neh­men oder ei­ne öffent­lich-recht­li­che Körper­schaft In­ha­ber von Be­triebs­mit­teln wird, führt noch nicht zu ei­nem Be­triebsüber­gang. Da­zu muss als wei­te­re Vor­aus­set­zung hin­zu­kom­men, dass der Be­triebs­mit­tel­in­ha­ber sei­ne Be­triebs­mit­tel auch selbst, d.h. als Ar­beit­ge­ber zum Zwe­cke der Be­triebs­lei­tung ein­setzt.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 30. Januar 2018

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