HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 16/277

Be­triebs­über­gang und ma­te­ri­el­le Be­triebs­mit­tel

Auch bei Be­trie­ben, die durch Be­triebs­mit­tel ge­prägt sind wie ein Ret­tungs­dienst, setzt die Fest­stel­lung ei­nes Be­triebs­über­gangs ei­ne Ge­samt­be­wer­tung vor­aus: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 25.08.2016, 8 AZR 53/15
Rettungsdienst, Krankenwagen, Notruf Oh­ne Ret­tungs­wa­gen (RTW) kein Ret­tungs­dienst

02.09.2016. Legt ein Ar­beit­ge­ber ei­nen Be­trieb still und ent­lässt al­le Ar­beit­neh­mer, wer­den oft kur­ze Zeit spä­ter ei­ni­ge oder so­gar al­le Ar­beit­neh­mer durch ei­nen Nach­fol­ger über­nom­men.

Ob in ei­nem sol­chen Fall ein Be­triebs­über­gang vor­liegt, hängt von vie­len Um­stän­den des Ein­zel­falls ab, un­ter an­de­rem da­von, ob der Nach­fol­ger ne­ben der Be­leg­schaft auch Be­triebs­mit­tel und Kun­den­be­zie­hun­gen über­nimmt.

In ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) deut­lich ge­macht, dass auch bei der Fort­füh­rung von Ein­rich­tun­gen, die durch ih­re Be­triebs­mit­tel ge­prägt sind, al­le As­pek­te des Ein­zel­falls sorg­fäl­tig durch­zu­prü­fen sind, be­vor man zu dem Er­geb­nis kommt, dass ein Be­triebs­über­gang ge­ge­ben oder nicht ge­ge­ben ist.

Al­lein die Tat­sa­che, dass der Nach­fol­ger die Be­triebs­mit­tel ei­nes be­triebs­mit­tel­ge­präg­ten Be­triebs nicht über­nimmt, schließt ei­nen Be­triebs­über­gang nicht aus: BAG, Ur­teil vom 25.08.2016, 8 AZR 53/15.

Fest­stel­lung ei­nes Be­triebsüber­gangs in Be­trie­ben, die von ma­te­ri­el­len Be­triebs­mit­teln ge­prägt sind

Geht ein Be­trieb durch Ver­trag auf ei­nen an­de­ren In­ha­ber über, soll sich das nicht zu­las­ten der Ar­beit­neh­mer aus­wir­ken. Da­her schreibt § 613a Abs.1 Satz 1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) vor, dass in ei­nem sol­chen Fall der Be­triebs­er­wer­ber au­to­ma­tisch in die Rech­te und Pflich­ten aus den Ar­beits­verhält­nis­sen ein­tritt, die im Zeit­punkt des Über­gangs be­ste­hen. Er wird Ar­beit­ge­ber der im Be­trieb täti­gen Ar­beit­neh­mer, und an de­ren Ar­beits­verträgen ändert sich nichts.

Ob ein "Be­trieb" vor­liegt und ob er auf ei­nen Er­wer­ber über­ge­gan­gen ist oder nicht, hängt nach der Recht­spre­chung da­von ab, ob es ei­ne „wirt­schaft­li­che Ein­heit“ gibt, die un­ter Bei­be­hal­tung ih­rer "Iden­tität" von ei­nem neu­en In­ha­ber geführt wird. Das sind zwar ziem­lich schwam­mi­ge Be­grif­fe, aber bei ih­rer An­wen­dung hilft ei­ne an­er­kann­te, sie­ben Punk­te um­fas­sen­de Check­lis­te. Prüft man die­se Check­lis­te bzw. Prüffra­gen im Ein­zel­fall durch, weiß man am En­de recht ge­nau, ob ein Be­triebsüber­gang vor­liegt oder nicht.

Die ers­te die­ser sie­ben Prüffra­gen lau­tet, ob es sich bei der mögli­chen "wirt­schaft­li­chen Ein­heit" um ei­nen pro­duk­ti­ons­mit­tel­ge­prägten Be­trieb oder um ei­nen Dienst­leis­tungs­be­trieb han­delt, der durch das Know How der im Be­trieb täti­gen Ar­beit­neh­mer cha­rak­te­ri­siert ist.

Denn wenn es um ei­nen pro­duk­ti­ons­mit­tel­ge­prägten Be­trieb wie ei­ne Fa­brik oder um ei­nen großen Schlacht­hof geht, setzt ein Be­triebsüber­gang in al­ler Re­gel vor­aus, dass die­se Pro­duk­ti­ons­mit­tel auch vom Nach­fol­ger ge­nutzt wer­den. Da­ge­gen kommt es bei ei­nem Dienst­leis­tungs­be­trieb wie z.B. ei­ner Gebäuderei­ni­gungs­fir­ma, ei­nem Call Cen­ter oder ei­nem Be­wa­chungs­ser­vice dar­auf auf, dass der Großteil der Be­leg­schaft zum Er­wer­ber ge­wech­selt hat, d.h. die Über­tra­gung der (nicht oder kaum vor­han­de­nen) sächli­chen Be­triebs­mit­tel ist dann zweit­ran­gig.

Da die recht­li­che Fest­stel­lung, dass ein Be­triebsüber­gang vor­liegt (oder eben nicht vor­liegt), trotz der Sie­ben-Punk­te-Check­lis­te im­mer wie­der zwei­fel­haft ist, würde es Ju­ris­ten die Ar­beit er­leich­tern, wenn sie ei­nen Be­triebsüber­gang bei pro­duk­ti­ons­mit­tel­ge­prägten Be­trie­ben de­fi­ni­tiv aus­sch­ließen könn­ten, falls der (mögli­che) Er­wer­ber die Be­triebs­mit­tel nicht über­nom­men hat. Auf die an­de­ren sechs Prüfpunk­te käme es dann nicht mehr an, d.h. auf die Bei­be­hal­tung der Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on, auf die Über­nah­me der Be­leg­schaft, auf die Fortführung der Kun­den­be­zie­hun­gen und Auf­träge usw.

Es fragt sich da­her, ob man sich ei­ne Ge­samt­be­wer­tung al­ler für bzw. ge­gen ei­nen Über­gang spre­chen­den In­di­zi­en bei be­triebs­mit­tel­ge­prägten Be­trie­ben spa­ren kann, wenn fest­steht, dass der (mögli­che) Er­wer­ber die Be­triebs­mit­tel nicht über­nom­men hat.

Der Fall des BAG: 39jähri­ge Ret­tungs­as­sis­ten­tin wech­selt not­ge­drun­gen von ei­nem dia­ko­ni­schen Ver­ein zu ei­nem Land­kreis

Ge­klagt hat­te ei­ne 1972 ge­bo­re­ne Ret­tungs­as­sis­ten­tin, die seit 2001 bei ei­nem dia­ko­ni­schen Ver­ein beschäftigt war. Der Ver­ein si­cher­te den Ret­tungs­dienst für ei­nen Land­kreis in Sach­sen-An­halt ab. Da­zu be­trieb er vier Ret­tungs­wa­chen und beschäftig­te 41 Ar­beit­neh­mer auf der Grund­la­ge der Ar­beits­ver­trags­richt­li­ni­en (AVR) des Dia­ko­ni­schen Werks der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land.

Da der Land­kreis den Ret­tungs­dienst ab Ju­ni 2011 selbst durchführen woll­te, kündig­te er die mit dem Ver­ein be­ste­hen­den Un­ter­miet- und Miet­verträge über die Ret­tungs­wa­chen, kauf­te neue Ret­tungs­wa­gen und such­te Ar­beit­neh­mer. Aus 70 Be­wer­bern wähl­te der Land­kreis die schon zu­vor beim Ver­ein täti­gen 41 Ar­beit­neh­mer so­wie gut zehn wei­te­re Kan­di­da­ten aus, d.h. er ver­größer­te die Be­leg­schaft um mehr als ein Vier­tel, um ein veränder­tes Schicht­mo­dell durchführen zu können.

Der Land­kreis ver­ein­bar­te mit al­len über 50 Ar­beit­neh­mern neue Ar­beits­verträge zum 01.06.2011. Die Verträge ent­hiel­ten ei­ne Pro­be­zeit und ver­wie­sen auf den Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst (TVöD). Die neu­en Ret­tungs­wa­gen ka­men pünkt­lich ab dem 01.06.2011 zum Ein­satz. Die al­ten, vom dia­ko­ni­schen Ver­ein be­nutz­ten Ret­tungs­wa­gen wur­den aus­ge­mus­tert.

Die Ret­tungs­as­sis­ten­tin zog dar­auf­hin vor das Ar­beits­ge­richt Hal­le und ver­klag­te den Land­kreis un­ter Be­ru­fung auf ei­nen Be­triebsüber­gang auf die Fest­stel­lung, dass sie be­reits seit 2001 und nicht erst seit Ju­ni 2011 bei ihm als Ret­tungs­as­sis­ten­tin beschäftigt sein. Da­bei ging nicht um den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses, son­dern um die Be­zah­lung gemäß den AVR Dia­ko­nie so­wie um die Dienst­zei­ten seit 2001 und da­mit um Kündi­gungs­fris­ten.

Das Ar­beits­ge­richt Hal­le gab der Kläge­rin Recht (Ur­teil vom 23.01.2013, 8 Ca 1237/12) während das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Sach­sen-An­halt pro Land­kreis ur­teil­te (LAG Sach­sen-An­halt, Ur­teil vom 26.11.2014, 4 Sa 274/13). Da­bei be­rief sich das LAG auf ein Ur­teil des BAG aus dem Jah­re 2012, das ei­nen ähn­li­chen, aus Sach­sen stam­men­den Fall der Neu­ord­nung ei­nes Ret­tungs­diens­tes be­traf (BAG, Ur­teil vom 10.05.2012, 8 AZR 434/11; über ei­nes der da­mals er­gan­ge­nen Par­al­lel­ur­tei­le des BAG (Ur­teil vom 10.05.2012, 8 AZR 639/10) be­rich­te­ten wir in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/190 Be­triebsüber­gang bei Ret­tungs­zweck­ver­band).

In dem BAG-Ur­teil vom 10.05.2012 (8 AZR 434/11) fin­det sich nämlich die Aus­sa­ge, dass Ret­tungs­diens­te be­triebs­mit­tel­ge­prägte Be­trie­be sind, denn es kommt ent­schei­dend auf ge­eig­ne­te Kran­ken­trans­port­wa­gen (KTW), auf Ret­tungs­wa­gen (RTW) so­wie auf Not­arz­t­ein­satz­fahr­zeu­ge (NEF) an, so das BAG 2012. Un­ter Be­ru­fung dar­auf mach­te es sich das LAG leicht und be­gründe­te sei­ne Ent­schei­dung ein­fach da­mit, dass der Land­kreis sämt­li­che Fahr­zeu­ge neu ge­kauft und da­mit die prägen­den Be­triebs­mit­tel nicht vom Ver­ein über­nom­men hat­te.

BAG: Auch bei Be­trie­ben, die durch Be­triebs­mit­tel ge­prägt sind wie ein Ret­tungs­dienst, setzt die Fest­stel­lung ei­nes Be­triebsüber­gangs ei­ne Ge­samt­be­wer­tung vor­aus

Das BAG wies die Re­vi­si­on der Ar­beit­neh­me­rin zwar zurück, d.h. es bestätig­te das LAG-Ur­teil im Er­geb­nis. Da­bei rüffel­te es aber die LAG-Rich­ter we­gen der von ih­nen ge­lie­fer­ten Be­gründung.

Denn das LAG hätte sein klag­ab­wei­sen­des Ur­teil nicht nur da­mit be­gründen dürfen, al­lein die Be­triebs­mit­tel bzw. die Ret­tungs­fahr­zeu­ge sei­en für den Be­trieb des Ret­tungs­diens­tes iden­titätsprägend; hier hat­te das LAG ar­gu­men­tiert, dass der Ein­satz der Wa­gen den Kern des be­trieb­li­chen Funk­ti­ons­zu­sam­men­hangs und da­mit der Wertschöpfung aus­ma­che. Viel­mehr hätte das LAG noch die übri­gen sechs Prüfpunk­te berück­sich­ti­gen müssen, so das BAG.

Die­se um­fas­sen­de Prüfung hol­ten die Er­fur­ter Rich­ter nach und ka­men da­bei zum sel­ben Er­geb­nis wie das LAG: Der Land­kreis hat­te von dem dia­ko­ni­schen Ver­ein kei­ne wirt­schaft­li­che Ein­heit über­nom­men, d.h. als iden­ti­sche Ein­heit fort­geführt. War­um das BAG zu die­ser Be­ur­tei­lung kommt, geht aus der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung nicht ganz klar her­vor. An­schei­nend hat­te das BAG die Auf­sto­ckung der Be­leg­schaft um mehr als ein Vier­teil und die Ände­rung des Schicht­mo­dells vor Au­gen, d.h. Verände­run­gen bei der Be­leg­schaft und der Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on.

Fa­zit: Auch wenn der Ge­gen­stand ei­nes mögli­chen Be­triebsüber­gangs ei­ne be­triebs­mit­tel­ge­prägte Ein­rich­tung ist, ist die recht­li­che Prüfung, ob ei­ne wirt­schaft­li­che Ein­heit un­ter Wah­rung ih­rer Iden­tität auf ei­nen neu­en In­ha­ber über­ge­gan­gen ist, nicht ein­fach mit der Fest­stel­lung be­en­det, dass die (we­sent­li­chen) Be­triebs­mit­tel von dem (mögli­chen) Er­wer­ber nicht über­nom­men wur­den.

Dann ist ein Be­triebsüber­gang zwar ziem­lich un­wahr­schein­lich, doch müssen auch in ei­nem sol­chen Fall die übri­gen sechs Prüfpunk­te durch­ge­checkt und ei­ne wer­ten­de Ge­samt­be­trach­tung vor­ge­nom­men wer­den.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 2. September 2019

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de