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ARBEITSRECHT AKTUELL // 11/202

Be­triebs­teil­über­gang - BAG ent­schei­det Kla­ren­berg-Fall pro Ar­beit­ge­ber

Kla­ren­berg-Ur­teil des EuGH nutzt dem kla­gen­den Ar­beit­neh­mer letzt­lich nicht: Nie­der­la­ge nach fünf­jäh­ri­ger Pro­zess­dau­er: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 13.10.2011, 8 AZR 455/10
Zwei Firmenschilder, eines durchgestrichen Wann liegt ein ab­grenz­ba­rer Be­triebs­teil vor?
18.10.2011. Geht ein Be­trieb durch Ver­trag auf ei­nen an­de­ren In­ha­ber über, so tritt die­ser ge­mäß § 613a Abs.1 Satz 1 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) in die Rech­te und Pflich­ten aus den be­ste­hen­den Ar­beits­ver­hält­nis­sen ein. Der Be­triebs­er­wer­ber hat al­so, ob er will oder nicht, auf ei­nen Schlag al­le im Be­trieb be­schäf­tig­ten Ar­beit­neh­mer "am Hals", d.h. er ist de­ren neu­er Ar­beit­ge­ber.

Vie­le Be­triebs­er­wer­ber wol­len das aber nicht. Lie­ber su­chen sie sich ziel­ge­rich­tet die Fi­let­stü­cke ei­nes Be­triebs aus, d.h. die "As­sets". Nun gilt § 613a Abs.1 Satz 1 BGB auch für den ver­trag­li­chen Über­gang ei­nes Be­triebs­teils, doch gibt es dann oft Streit zwi­schen As­set-Er­wer­ber und den nicht über­nom­me­nen, d.h. beim al­ten (Rest-)Be­trieb ver­blie­be­nen Ar­beit­neh­mern dar­über, ob die ge­setz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen ei­nes Be­triebs­teil­über­gangs er­füllt sind oder nicht.

Ei­ne der wich­tigs­ten Ent­schei­dun­gen der letz­ten Jah­re zum The­ma Be­triebs­teil­über­gang ist das Kla­ren­berg-Ur­teil des Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hofs (EuGH) vom 12.02.2009 (C-466/07). Da­mit hat der EuGH auf ei­ne Vor­la­ge des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Düs­sel­dorf (Be­schluss vom 10.08.2007, 9 Sa 303/07) zu­guns­ten des kla­gen­den Ar­beit­neh­mers, Herrn Kla­ren­bergs, ent­schie­den, dass ein Be­triebs­teil auch dann über­ge­hen kann, wenn er im über­neh­men­den Be­trieb sei­ne bis­he­ri­ge, beim al­ten Ar­beit­ge­ber be­ste­hen­de or­ga­ni­sa­to­ri­sche Selb­stän­dig­keit ver­liert. Da­mit hat der EuGH den An­wen­dungs­be­reich des § 613a Abs.1 Satz 1 BGB auf Be­triebs­teil­über­gän­ge zu­guns­ten der Ar­beit­neh­mer er­wei­tert.

Am Frei­tag letz­ter Wo­che hat­te dann das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) über den Kla­ren­berg-Fall zu ent­schei­den. Für Herrn Kla­ren­berg kam hier die kal­te Du­sche: Das BAG wies sei­ne Kla­ge letzt­in­stanz­lich ab (BAG, Ur­teil vom 13.10.2011, 8 AZR 455/10).

Be­triebs­teilüber­gang auch bei Ver­lust der or­ga­ni­sa­to­ri­schen Selbständig­keit?

Ob ein Be­triebs­teil auf ei­nen neu­en In­ha­ber über­geht oder nicht, hängt da­von ab, ob die über­nom­me­nen Be­triebs­mit­tel und Ar­beit­neh­mer beim al­ten Ar­beit­ge­ber als ab­grenz­ba­re wirt­schaft­li­che Ein­heit an­zu­se­hen sind, und ob die­se Ein­heit als sol­che, d.h. un­ter Wah­rung ih­rer "Iden­tität" auf den Er­wer­ber über­geht. Ei­ne Be­triebs­ab­tei­lung ist ei­ne "wirt­schaft­li­che Ein­heit" und da­mit ein Be­triebs­teil,

  • wenn sie be­stimm­te, von den Auf­ga­ben an­de­rer Ab­tei­lun­gen ab­grenz­ba­re Auf­ga­ben erfüllt, und/oder
  • wenn die hier täti­ge Teil-Be­leg­schaft be­son­de­re Qua­li­fi­ka­tio­nen oder Fähig­kei­ten hat und/oder
  • wenn die hier täti­ge Teil-Be­leg­schaft nicht in an­de­ren Be­triebs­ab­tei­lun­gen ein­ge­setzt wird, und/oder
  • wenn der Be­triebs­teil spe­zi­el­le Kun­den oder be­son­de­re Kun­den­be­zie­hun­gen hat, und/oder
  • wenn der Be­triebs­teil ei­ge­ne wirt­schaft­li­che Zie­le ver­folgt, und/oder
  • wenn er un­ter ei­nen ei­ge­nen Lei­tung steht, und/oder
  • wenn er über spe­zi­el­le, nur hier ein­ge­setz­te Sach­mit­tel verfügt.

Al­le die­se Umstände zu­sam­men führen da­zu, dass ein über­g­angsfähi­ger Be­triebs­teil vor­liegt. Die­ser muss dann vom Er­wer­ber

  • als iden­ti­sche Ein­heit über­nom­men wor­den sein, d.h. beim Er­wer­ber sei­ne "Iden­tität" be­hal­ten.

Die letz­te Vor­aus­set­zung wird seit dem Kla­ren­berg-Ur­teil des EuGH zu­guns­ten der Ar­beit­neh­mer we­ni­ger streng als früher an­ge­wen­det: Ein Be­triebs­teil kann auch dann über­ge­hen, wenn er beim Er­wer­ber sei­ne bis­he­ri­ge or­ga­ni­sa­to­ri­sche Selbständig­keit ver­liert, d.h. er kann auch dann sei­ne "Iden­tität" be­wah­ren (nähe­re In­for­ma­tio­nen hier­zu fin­den Sie in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 09/034 Be­triebs­teilüber­gang auch bei Ver­lust der or­ga­ni­sa­to­ri­schen Selbständig­keit).

BAG: Im Kla­ren­berg-Fall gab es schon beim al­ten Ar­beit­ge­ber kei­ne selbständi­ge wirt­schaft­li­che Ein­heit, die als Be­triebs­teil auf den Er­wer­ber hätte über­ge­hen können.

Herr Kla­ren­berg war zunächst bei der ET Elec­tro­tech­no­lo­gy GmbH beschäftigt und dort Lei­ter ei­ner größeren Ab­tei­lung. En­de 2005 über­trug die ET GmbH al­le wich­ti­gen Be­triebs­mit­tel an die Fer­ro­tron Tech­no­lo­gies GmbH und das Know How und die Pa­ten­te an de­ren ame­ri­ka­ni­sche Mut­ter­ge­sell­schaft.

Al­ler­dings wur­den nur ein­zel­ne Ar­beit­neh­mer über­nom­men, nicht aber Herr Kla­ren­berg, der wei­ter bei der ET GmbH ar­bei­te­te. Die über­nom­me­nen Ar­beit­neh­mer muss­ten bei der Fer­ro­tron GmbH ne­ben ih­ren bis­he­ri­gen auch zusätz­li­che Ar­bei­ten ver­rich­ten und wur­den an­de­ren Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­rei­chen als bis­her zu­ge­ord­net.

Als die ET GmbH 2006 in­sol­vent wur­de, ver­klag­te Herr Kla­ren­berg die Fer­ro­tron GmbH auf Wei­ter­beschäfti­gung mit der Be­gründung, sie sei auf­grund ei­nes Be­triebs­teilüber­gangs sein neu­er Ar­beit­ge­ber. Das Ar­beits­ge­richt We­sel wies die Kla­ge ab (Ur­teil vom 29.11.2006, 4 Ca 1826/06).

Das LAG Düssel­dorf frag­te den EuGH, ob der Ver­lust der or­ga­ni­sa­to­ri­schen Selbständig­keit ei­nes über­nom­me­nen Be­triebs­teils im Be­trieb des Über­neh­mers ei­nen Be­triebs­teilüber­gang im­mer aus­sch­ließt (Be­schluss vom 21.11.2007, 12 Sa 1311/07), was der EuGH mit nein be­ant­wor­te­te (Ur­teil vom 12.02.2009, Rs. C-466/07). Dar­auf­hin ent­schied das LAG den Fall zu­guns­ten von Herrn Kla­ren­berg (Ur­teil vom 29.01.2010, 9 Sa 303/07).

Das BAG ent­schied an­ders­her­um - mit der Be­gründung, dass die von der ET GmbH auf die Fer­ro­tron GmbH über­tra­ge­nen Be­triebs­mit­tel samt den Ar­beit­neh­mern von vorn­her­ein gar kein über­g­angsfähi­ger Be­triebs­teil wa­ren. Da­her kam es nach An­sicht des BAG auf die vom LAG ge­stell­te und vom EuGH be­ant­wor­te­te Fra­ge gar nicht an, ob nämlich der über­tra­ge­ne Be­triebs­teil beim Er­wer­ber sei­ne or­ga­ni­sa­to­ri­sche Selbständig­keit be­wahrt hat­te oder nicht.

Fa­zit: Das BAG lässt in der Pres­se­mit­tei­lung durch­bli­cken, dass es das Kla­ren­berg-Ur­teil des EuGH kri­tisch sieht, mögli­cher­wei­se als ei­ne Ein­zel­fall­ent­schei­dung, der man am bes­ten kei­ne all­ge­mei­ne Be­deu­tung bei­mes­sen soll­te. Das wäre falsch, da das Kla­ren­berg-Ur­teil ei­ne wich­ti­ge Bot­schaft enthält:

Ar­beit­ge­ber, die ei­nen Be­triebs­teil über­neh­men, von den dort beschäftig­ten Ar­beit­neh­mern aber nur die ih­nen "ge­neh­men" Mit­ar­bei­ter, können die ge­setz­li­che Über­lei­tung auch der übri­gen Ar­beits­verhält­nis­se nicht da­durch ver­hin­dern, dass sie dem über­nom­me­nen Be­triebs­teil in ei­ne neue Or­ga­ni­sa­ti­on hin­ein­stel­len und dem­ent­spre­chend an­de­re Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­zeich­nun­gen ver­lei­hen. Ein bloßes "Um­e­ti­ket­tie­ren" genügt nicht, um § 613a BGB aus­zu­he­beln.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­gründe schrift­lich ab­ge­fasst und veröffent­licht. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 28. März 2018

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