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LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 06.12.2011, 3 Sa 1300/11

   
Schlagworte: Zeugnis
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 3 Sa 1300/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 06.12.2011
   
Leitsätze:

1. Eine Klausel in einem Prozessvergleich zur Erledigung eines Kündigungsschutzrechtsstreites mit dem Wortlaut: "Mit Erfüllung dieses Vergleichs sind sämtliche gegenseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis, dessen Beendigung und dem vorliegenden Rechtstreit ausgeglichen." umfasst grundsätzlich auch den Anspruch des Arbeitnehmers auf Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses (aA BAG 16. September 1974 - 5 AZR 255/74 -).

2. Ein Verzicht auf den Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses bzw. ein konstitutives negatives Schuldanerkenntnis, das den Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses umfasst, kann nach Entstehen des Anspruchs auf Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses wirksam vereinbart werden.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Eberswalde, Urteil vom 10. Mai 2011, 2 Ca 995/10
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg

 

Verkündet

am 06. De­zem­ber 2011

Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)

3 Sa 1300/11

2 Ca 995/10
Ar­beits­ge­richt Ebers­wal­de
 

L.
Ge­richts­beschäftig­te
als Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le


Im Na­men des Vol­kes

 

Ur­teil

In Sa­chen

pp

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 3. Kam­mer,
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 6. De­zem­ber 2011
durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt S. als Vor­sit­zen­de
so­wie die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin G. und den eh­ren­amt­li­che Rich­ter Si.

für Recht er­kannt:

I. Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ebers­wal­de
vom 10. Mai 2011 - 2 Ca 995/10 - wird auf sei­ne Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

II. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

S. G. Si.

 

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob die Be­klag­te ver­pflich­tet ist, dem Kläger ein qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis zu er­tei­len.

Der am …. 1949 ge­bo­re­ne Kläger war seit dem 1. De­zem­ber 1984 bei der Be­klag­ten als Ver­triebs­in­ge­nieur zu ei­nem Brut­to­mo­nats­ent­gelt von zu­letzt 3.541,54 Eu­ro beschäftigt. Der Kläger, der als schwer­be­hin­der­ter Mensch iSd. § 2 Abs. 2 SGB IX an­er­kannt ist, war seit

 

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De­zem­ber 2006 ar­beits­unfähig krank. In ei­nem an die Be­klag­te ge­rich­te­ten Schrei­ben des Klägers vom 16. März 2007 heißt es:

„Wenn ich kei­ne großen fi­nan­zi­el­len Ein­bußen ha­be, bin ich so­mit auch be­reit, mich aus dem ak­ti­ven Ar­beits­le­ben zurück­zu­zie­hen, bis ich mei­ne Ren­te frühestmöglich, nach bis­he­ri­gem mir be­kann­ten und von der BfA mit­ge­teil­ten Er­kennt­nis­stand ab 01.12.2009, er­hal­te.“

Am 8. Mai 2007 wur­de der Kläger in der Fir­ma der Be­klag­ten of­fi­zi­ell ver­ab­schie­det. Ent­spre­chend ei­ner zwi­schen den Par­tei­en ge­trof­fe­nen Ver­ein­ba­rung stell­te die Be­klag­te den Kläger seit dem 1. Ja­nu­ar 2008 un­ter Fort­zah­lung sei­ner Bezüge bis zum 30. No­vem­ber 2009 von der Er­brin­gung der Ar­beits­leis­tung frei. Kurz vor dem 30. No­vem­ber 2009 mach­te der Kläger ge­genüber der Be­klag­ten gel­tend, auch über den 30. No­vem­ber 2009 hin­aus in ei­nem Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten zu ste­hen. Er woll­te ab dem 1. De­zem­ber 2009 die Ar­beit wie­der auf­neh­men; in ei­ner ärzt­li­chen Be­schei­ni­gung war die Ar­beitsfähig­keit des Klägers bestätigt wor­den.

Der Kläger und die Geschäftsführe­rin der Be­klag­ten kann­ten sich gut und wa­ren je­den­falls früher auch mit­ein­an­der be­freun­det. In ei­ner E-Mail vom 5. No­vem­ber 2009 schrieb der Kläger an die Geschäftsführe­rin:

„Das sind Er­schei­nungs­bil­der ei­ner „West­un­ter­neh­me­rin“, für die sich be­stimmt ei­ni­ge Zeit­schrif­ten in­ter­es­sie­ren wer­den, und da wir uns hier im Ein­zugs­ge­biet Ost be­fin­den, wird das vie­le an­spre­chen.“

Die­se E-Mail nahm die Be­klag­te zum An­lass für ei­ne nach dem 30. No­vem­ber 2009 aus­ge­spro­che­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung; ins­ge­samt sprach die Be­klag­te meh­re­re außer­or­dent­li­che und or­dent­li­che Kündi­gun­gen ge­genüber dem Kläger aus.

Der Kläger er­hob vor dem Ar­beits­ge­richt Ebers­wal­de Kündi­gungs­schutz­kla­ge zum Ak­ten­zei­chen 1 Ca 1063/09. Nach ei­ner durch­geführ­ten Be­weis­auf­nah­me ent­schied das Ar­beits­ge­richt am 4. März 2010, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht durch di­ver­se Kündi­gun­gen auf­gelöst wor­den ist, son­dern durch den zwi­schen den Par­tei­en ge­schlos­se­nen Auf­he­bungs­ver­trag am 30. No­vem­ber 2009 ge­en­det hat. Das Ar­beits­ge­richt ging da­von aus, dass hier aus­nahms­wei­se ei­ne münd­lich ge­trof­fe­ne Auf­he­bungs­ver­ein­ba­rung das Ar­beits­verhält­nis tatsächlich be­en­den konn­te. Der Kündi­gungs­rechts­streit wur­de sehr emo­tio­nal zwi­schen den Par­tei­en geführt, da sich der Kläger und die Geschäftsführe­rin der Be­klag­ten wech­sel­sei­tig von­ein­an­der ver­ra­ten und ge­demütigt fühl­ten.

 

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Der Kläger leg­te ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ebers­wal­de Be­ru­fung ein. In dem Be­ru­fungs­ver­fah­ren zu den Ak­ten­zei­chen 19 Sa 657/10 und 19 Sa 1276/10 schlos­sen die Par­tei­en in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg am 3. Au­gust 2010, in der der Kläger und die Geschäftsführe­rin der Be­klag­ten an­we­send wa­ren, ei­nen ge­richt­lich pro­to­kol­lier­ten Ver­gleich und zwar nach Erörte­rung der Rechts- und Sach­la­ge und auf Vor­schlag des Ge­richts. Zu­vor hat­te der Vor­sit­zen­de der Kam­mer 19 des Lan­des­ar­beits­ge­richts die Par­tei­en dar­auf hin­ge­wie­sen, dass bei ei­nem Auf­he­bungs­ver­trag der Form­zwang gel­te und der Kläger sich auf den Form­feh­ler be­ru­fen könne. Es wur­de auch der In­halt der vom Kläger ge­schrie­be­nen E-Mail vom 5. No­vem­ber 2009 im Zu­sam­men­hang mit der Wirk­sam­keit der aus­ge­spro­che­nen Kündi­gun­gen erörtert. Vor Ab­schluss des Ver­gleichs war die Sit­zung zwei­mal für ei­ne Zwi­schen­be­ra­tung un­ter­bro­chen wor­den. In den Ver­gleichs­gesprächen zeich­ne­te sich zunächst ei­ne Ei­ni­gung über die Be­en­di­gung und die Ab­rech­nung des Ar­beits­verhält­nis­ses ab. Nach­dem der Kläger noch ei­ne For­de­rung bezüglich der Über­tra­gung des Scha­den­frei­heits­ra­bat­tes ge­stellt hat­te, erklärte die Be­klag­te ih­re Zu­stim­mung hier­zu, be­stand aber nun auf ei­ner um­fas­sen­den „Er­le­di­gungs­klau­sel“. Über ei­nen Zeug­nis­an­spruch wur­de in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung vor Ab­schluss des Ver­gleichs nicht ge­spro­chen. Der vor­ge­le­se­ne und von den Par­tei­en ge­neh­mig­te Ver­gleich hat fol­gen­den In­halt:

„1. Die Par­tei­en sind sich darüber ei­nig, dass ihr Ar­beits­verhält­nis auf­grund ar­beit­ge­ber­sei­ti­ger or­dent­li­cher Kündi­gung aus be­triebs­be­ding­ten Gründen mit dem 30.06.2011 be­en­det wor­den ist.

2. Die Be­klag­te rech­net das Ar­beits­verhält­nis un­ter Berück­sich­ti­gung von Zif­fer 1 und ab 01.12.2009 auf der Grund­la­ge ei­nes Brut­to­mo­nats­ent­gelts von 3.541,54 EUR mo­nat­lich ge­genüber dem Kläger ab und zahlt – un­ter Berück­sich­ti­gung et­wai­ger An­spruchsübergänge – das sich dar­aus er­ge­ben­de Net­to­ar­beits­ent­gelt un­verzüglich an den Kläger aus.

3. Der Kläger wird dafür Sor­ge tra­gen, dass die Lohn­steu­er­kar­te für 2010 un­verzüglich der Be­klag­ten zu­geht.

4. Die Par­tei­en sind sich darüber ei­nig, dass der Kläger den während des Ar­beits­verhält­nis­ses bei der Be­klag­ten er­wor­be­nen Scha­dens­frei­heits­ra­batt für sei­ne KfZ-Ver­si­che­rung mit­nimmt.

5. Der Kläger erklärt, ich bin ab 01.12.2009 bis zum 30.06.2010 nicht ar­beits­unfähig krank ge­we­sen.

6. Da­mit ist der vor­lie­gen­de Rechts­streit er­le­digt.

7. Für die Kos­ten ers­ter In­stanz ver­bleibt es bei der Ent­schei­dung im an­ge­foch­te­nen Ur­teil; die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens wer­den ge­gen­ein­an­der auf­ge­ho­ben.

 

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8. Mit Erfüllung die­ses Ver­gleichs sind sämt­li­che ge­gen­sei­ti­gen Ansprüche der Par­tei­en aus dem Ar­beits­verhält­nis, des­sen Be­en­di­gung und dem vor­lie­gen­den Recht­streit aus­ge­gli­chen.“

Auf den In­halt der Sit­zungs­nie­der­schrift vom 3. Au­gust 2010 wird im Übri­gen Be­zug ge­nom­men (Bl. 3 bis 4 der Ak­te).

Mit E-Mail vom 25. Sep­tem­ber 2010 (Bl. 89 der Ak­te) for­der­te der Kläger die Geschäftsführe­rin der Be­klag­ten auf, ihm „end­lich ein or­dent­li­ches Ar­beits­zeug­nis“ zu sen­den. Der Kläger hat sich ar­beits­los ge­mel­det.

Mit sei­ner am 3. No­vem­ber 2010 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge vom 2. No­vem­ber 2010 hat der Kläger die Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses be­gehrt. In der Güte­ver­hand­lung, an der we­der der Kläger noch die Geschäftsführe­rin der Be­klag­ten teil­ge­nom­men hat­ten, erklärten die Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten der Par­tei­en, sie woll­ten ei­ne außer­ge­richt­li­che Ei­ni­gung ver­su­chen. In ei­nem Schrei­ben vom 20. De­zem­ber 2010 der Be­klag­ten wur­de un­ter Zif­fer 6 die Er­war­tung der Ent­schul­di­gung durch den Kläger aus­ge­drückt. Die Pro­zess­be­vollmäch­tig­te des Klägers über­sand­te dem Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten der Be­klag­ten mit Schrei­ben vom 4. Ja­nu­ar 2011 ei­nen Zeug­nis­ent­wurf. In ei­nem Schrei­ben vom 7. Ja­nu­ar 2011 ver­wies der Pro­zess­be­vollmäch­tig­te der Be­klag­ten auf Zif­fer 6 des Schrei­bens vom 20. De­zem­ber 2010. Ei­ne Ent­schul­di­gung sei­tens des Klägers er­folg­te nicht.

In ei­ner E-Mail vom 31. März 2011 (Bl. 99 der Ak­te) bestätig­te der ehe­ma­li­ge wei­te­re Geschäftsführer der Be­klag­ten, Herr J. S., dem Kläger u.a. ei­ne her­vor­ra­gen­de Be­treu­ung des ihm ob­lie­gen­den Auf­ga­ben­ge­bie­tes.

Der Kläger hat im We­sent­li­chen vor­ge­tra­gen: Die Par­tei­en sei­en in dem Par­al­lel­streit so aus­ein­an­der­ge­gan­gen, dass zu­ge­si­chert wor­den sei, ihm ein Zeug­nis zu er­tei­len und der Über­sen­dung ei­nes kläge­ri­schen Ent­wurfs ent­ge­gen­ge­se­hen wer­de. So sei auch ver­fah­ren wor­den, oh­ne dass ihm das ge­setz­lich zu­ste­hen­de Zeug­nis er­teilt wor­den sei. Der Be­klag­ten ste­he es in kei­ner Wei­se zu, zu be­ur­tei­len, ob und wo er wei­ter ei­ner be­ruf­li­chen Tätig­keit nach­ge­hen wer­de oder nicht. Er be­wer­be sich re­gelmäßig um ent­spre­chen­de Ar­beits­stel­len. Der Kläger hat die An­sicht ver­tre­ten, sein Zeug­nis­an­spruch sei von der Aus­schluss­klau­sel im Ver­gleich nicht um­fasst.

 

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Der Kläger hat be­an­tragt,

die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, dem Kläger ein auf Führung und Leis­tung ge­rich­te­tes qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis zu er­tei­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te hat im We­sent­li­chen be­haup­tet, der Kläger ha­be seit 2004 im zu­neh­men­den Maß an Al­ko­hol­pro­ble­men ge­lit­ten mit er­heb­li­chen nach­tei­li­gen Aus­wir­kun­gen auf Leis­tung und Ver­hal­ten im Verhält­nis zu den Kun­den, Vor­ge­setz­ten und Kol­le­gen. Nach­dem im Jahr 2006 noch ei­ne Krank­heit des Klägers hin­zu­ge­kom­men sei, ha­be man sich im März 2007 nach ausführ­li­chen Be­rech­nun­gen dar­auf ge­ei­nigt, dass der Kläger zum frühes­ten Zeit­punkt in Ren­te ge­he, nämlich ab dem 1. De­zem­ber 2009 und bis da­hin von der Ar­beit frei­ge­stellt wer­de un­ter Fort­zah­lung der im Ein­zel­nen fest­ge­leg­ten Bezüge. Kurz vor dem Be­en­di­gungs­zeit­punkt ha­be sich der Kläger un­er­war­tet auf die Un­wirk­sam­keit der Ver­ein­ba­rung be­ru­fen. In der Be­ru­fungs­ver­hand­lung ha­be der Vor­sit­zen­de die E-Mail vom 5. No­vem­ber 2009 als wei­te­ren Be­en­di­gungs­grund her­an­ge­zo­gen und dem Kläger klar­ge­macht, dass sein Ver­hal­ten in­ak­zep­ta­bel und der Be­klag­ten die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht zu­mut­bar sei, frag­lich sei le­dig­lich, ob die außer­or­dent­li­che Kündi­gung mit so­for­ti­ger Wir­kung oder erst mit ei­ner ge­wis­sen Aus­lauf­frist wirk­sam wer­de. Der Vor­sit­zen­de ha­be zu er­ken­nen ge­ge­ben, dass die Ent­schei­dung in Rich­tung der letz­ten Al­ter­na­ti­ve ge­hen könne, des­halb ha­be sie die ver­gleichs­wei­se Be­en­di­gung zum 30. Ju­ni 2010 ak­zep­tiert. Es sei erklärter Wil­le der Par­tei­en ge­we­sen, sämt­li­che Rechts­be­zie­hun­gen ein für al­le Mal ab­sch­ließend zu klären. Auch der Kläger sei zunächst da­von aus­ge­gan­gen, dass der Ver­gleich ei­ne ab­sch­ließen­de Ei­ni­gung ha­be be­inhal­ten sol­le. Der Kläger wol­le auch gar nicht wei­ter ar­bei­ten, son­dern stre­be die Ren­te an. Die Be­klag­te hat die An­sicht ver­tre­ten, der Ver­gleich ha­be auch den Zeug­nis­an­spruch er­le­digt. Das Ver­lan­gen des Klägers sei im Übri­gen rechts­miss­bräuch­lich. Auch das wei­te­re nicht hin­nehm­ba­re Ver­hal­ten des Klägers, we­gen der dies­bezügli­chen Ausführun­gen der Be­klag­ten wird auf den Schrift­satz vom 9. März 2011, Sei­ten 8 bis 9 (Bl.85 bis 86 der Ak­te), Be­zug ge­nom­men, ver­bie­te die Er­tei­lung ei­nes Zeug­nis­ses.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge mit Ur­teil vom 10. Mai 2011 ab­ge­wie­sen und zur Be­gründung im We­sent­li­chen aus­geführt: Ein Zeug­nis sol­le dem be­ruf­li­chen Fort­kom­men des Ar­beit­neh­mers die­nen. Das be­an­trag­te Zeug­nis würde dem be­ruf­li­chen Fort­kom­men des Klägers nicht die­nen. Der Kläger sei seit De­zem­ber 2007 kei­ner Be­rufstätig­keit mehr nach­ge­gan­gen. Er ha­be in dem Schrei­ben vom 16. März 2007 erklärt, wenn er kei­ne großen

 

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fi­nan­zi­el­len Ein­bußen ha­be, sei er so­mit be­reit, sich aus dem ak­ti­ven Ar­beits­le­ben zurück­zu­zie­hen, bis er sei­ne Ren­te frühestmöglich er­hal­te. In dem gan­zen Pro­zess­ver­lauf von Be­ginn des Rechts­streits En­de 2009 bis zur Kla­ge vom 2. No­vem­ber 2010 sei nie die Re­de da­von ge­we­sen, dass sich der Kläger wie­der ernst­haft um Ar­beit bemühe. Der Kläger ha­be vor die­sem Hin­ter­grund ausführ­lich dar­le­gen und be­gründen müssen, dass er tatsächlich das Zeug­nis für sein be­ruf­li­ches Fort­kom­men benöti­ge. Er ha­be nicht dar­ge­legt, seit wann und mit wel­chem Ziel hin­sicht­lich wel­cher kon­kre­ten Tätig­kei­ten er sich um Ar­beit bemühe. Die Par­tei­en hätten auf den An­spruch auf Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses aus § 109 Ge­wO ver­zich­tet. Die große Aus­gleichs­klau­sel ent­hal­te kei­ne Be­schränkung auf rein fi­nan­zi­el­le Ansprüche und brin­ge deut­lich zum Aus­druck, dass sämt­li­che Strei­tig­kei­ten hier­mit ein für al­le­mal be­en­det sein sol­len. Ein sol­cher Ver­zicht sei je­den­falls auch möglich für die Zeit nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses. Es be­ste­he hier auch kein Zwei­fel, worüber sich die Par­tei­en ge­ei­nigt hätten, nämlich dass nach dem emo­tio­nal aufwühlen­den Streit tatsächlich sämt­li­che nur in Be­tracht kom­men­den wech­sel­sei­ti­gen Ansprüche aus­ge­gli­chen wer­den soll­ten.

Ge­gen das dem Kläger am 7. Ju­ni 2011 zu­ge­stell­te Ur­teil hat die­ser mit beim Lan­des­ar­beits­ge­richt am 21. Ju­ni 2011 ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se mit beim Lan­des­ar­beits­ge­richt am 28. Ju­li 2011 ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz be­gründet.

Der Kläger trägt zur Be­gründung der Be­ru­fung vor: In dem Vor­pro­zess sei dar­ge­legt und nach­ge­wie­sen wor­den, dass ei­ne vor­zei­ti­ge Be­an­spru­chung von Ren­te nur mit er­heb­li­chen fi­nan­zi­el­len Nach­tei­len ein­her­gin­ge. In dem vor­aus­ge­gan­ge­nen Rechts­streit hätte er ob­siegt. Er sei be­reit ge­we­sen, sich auf ei­ne Ei­ni­gung zur Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ein­zu­las­sen. Er ha­be auf wei­ter­ge­hen­de fi­nan­zi­el­le Ansprüche ver­zich­tet, weil er be­ab­sich­tigt ha­be, be­ruf­lich wei­ter­hin los­gelöst vom Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten tätig zu sein. Der An­satz, dass hier kei­ne Zwei­fel an ei­nem et­wai­gen Ver­zicht auf Er­tei­lung ei­nes Zeug­nis­ses be­ste­hen würden, sei da­her ver­fehlt. Er müsse nicht vor­tra­gen, wel­chen Tätig­kei­ten er künf­tig nach­ge­hen wol­le, es sei aus­rei­chend vor­zu­tra­gen, dass er das Zeug­nis für sein be­ruf­li­ches Fort­kom­men benöti­ge. Er ha­be nie ei­ne be­ruf­li­che Tätig­keit aus­ge­schlos­sen. Die Par­tei­en hätten nicht wirk­sam und zwei­fels­frei auf den Zeug­nis­er­tei­lungs­an­spruch ver­zich­ten können.

In der münd­li­chen Ver­hand­lung am 6. De­zem­ber 2011 hat der Kläger erklärt, er ha­be in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung am 3. Au­gust 2010 geäußert, dass er wie­der ar­bei­ten ge­hen möch­te.

 

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Der Kläger und Be­ru­fungskläger be­an­tragt,

un­ter Abände­rung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Ebers­wal­de vom 10. Mai 2011, zu­ge­stellt am 7. Ju­ni 2011 zum Geschäfts­zei­chen 2 Ca 995/10, wird die Be­klag­te ver­ur­teilt, dem Kläger ein auf Führung und Leis­tung ge­rich­te­tes qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis zu er­tei­len.

Die Be­klag­te und Be­ru­fungs­be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te ver­tei­digt das an­ge­grif­fe­ne Ur­teil und wie­der­holt ihr erst­in­stanz­li­ches Vor­brin­gen. Sie trägt wei­ter vor: Die im Schrei­ben vom 16. März 2007 erwähn­ten fi­nan­zi­el­len Ein­bußen hätten nicht be­stan­den. Von ir­gend­wel­chen Plänen des Klägers, an­der­wei­tig wei­ter ar­bei­ten zu wol­len, oder ei­nem Zeug­nis­wunsch sei we­der im Vor­ver­fah­ren noch im Zu­sam­men­hang mit dem Ver­gleichs­schluss die Re­de ge­we­sen. Auf die Zeug­nis­idee sei der Kläger erst rund zwei Mo­na­te nach dem Ver­gleichs­schluss ver­fal­len, nach­dem er sie lau­fend mit un­be­rech­tig­ten For­de­run­gen drang­sa­liert, belästigt und be­lei­digt ha­be. Die Er­tei­lung ei­nes Zeug­nis­ses sei nie zu­ge­stan­den wor­den.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Sach- und Streit­stan­des wird auf die zwi­schen den Par­tei­en ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen so­wie auf den Tat­be­stand der an­ge­foch­te­nen Ent­schei­dung und die Sit­zungs­nie­der­schrif­ten bei­der In­stan­zen Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

I. Die Be­ru­fung ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b ArbGG statt­haft und gemäß §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519 Abs. 1 und Abs. 2, 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO frist- und form­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den.

II. Die Be­ru­fung ist nicht be­gründet. Das Ar­beits­ge­richt hat zu Recht die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Der Kläger hat ge­gen die Be­klag­te kei­nen An­spruch auf Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten, al­so auf Führung und Leis­tung ge­rich­te­ten Zeug­nis­ses. Der sich aus § 109 Abs. 1 Ge­wO er­ge­ben­de An­spruch des Klägers ist durch das in Zif­fer 8 des Pro­zess­ver­gleichs vom 3. Au­gust 2010 ver­ein­bar­te kon­sti­tu­ti­ve ne­ga­ti­ve Schuld­an­er­kennt­nis

 

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i.S.v. § 397 Abs. 2 BGB wirk­sam er­lo­schen. Die Par­tei­en ha­ben auch nicht zu ei­nem späte­ren Zeit­punkt ei­ne Ver­ein­ba­rung über die Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses ge­trof­fen.

1. Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 Ge­wO hat der Ar­beit­neh­mer bei Be­en­di­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses An­spruch auf ein schrift­li­ches Zeug­nis. Gemäß Satz 2 kann der Ar­beit­neh­mer ver­lan­gen, dass sich die An­ga­ben in dem Zeug­nis auch auf Leis­tung und Ver­hal­ten im Ar­beits­verhält­nis (qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis) er­streckt. Der An­spruch auf ein qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis, der al­lein Ge­gen­stand des vor­lie­gen­den Ver­fah­rens ist, ist durch den zwi­schen den Par­tei­en ver­ein­bar­ten Pro­zess­ver­gleich un­ter­ge­gan­gen.

a) Der Pro­zess­ver­gleich hat ei­ne recht­li­che Dop­pel­na­tur. Er ist so­wohl ei­ne Pro­zess­hand­lung, de­ren Wir­kun­gen sich nach den Grundsätzen des Ver­fah­rens­rechts rich­ten, als auch ein pri­vat­recht­li­cher Ver­trag, für den die Re­geln des ma­te­ri­el­len Rechts gel­ten (BAG 9. Sep­tem­ber 2011 – 3 AZB 35/11 – Rn. 13, DB 2011, 2444 (red. Leit­satz); BGH 19. Mai 1982 – IVb ZR 705/80 – Ju­ris-rn. 11, NJW 1982, 2072).
b) In Zif­fer 8 des Pro­zess­ver­gleichs ha­ben die Par­tei­en ein kon­sti­tu­ti­ves ne­ga­ti­ves Schuld­an­er­kennt­nis i.S.v. § 397 Abs. 2 BGB ver­ein­bart, wel­ches auch den An­spruch des Klägers auf Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses um­fasst. Dies er­gibt die Aus­le­gung des Pro­zess­ver­gleichs. Da­bei kann da­hin­ge­stellt blei­ben, ob es sich bei Zif­fer 8 des Pro­zess­ver­gleichs um ei­ne All­ge­mei­ne Geschäft­be­din­gung iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB han­delt, die gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB als von der Be­klag­ten ge­stellt gilt.

aa) Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat in sei­ner Ent­schei­dung vom 16. Sep­tem­ber 1974 – 5 AZR 255/74 – (NJW 1975, 407) an­ge­nom­men, dass all­ge­mein ge­hal­te­ne Aus­gleichs­klau­seln - et­wa in Ver­glei­chen, die ei­nen Kündi­gungs­pro­zess be­en­den - nicht oh­ne wei­te­res da­hin aus­ge­legt wer­den können, dass sie auch ei­nen Ver­zicht auf ein qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis ent­hal­ten. We­gen der be­son­de­ren Be­deu­tung des Zeug­nis­ses für den Be­rufs­weg des Ar­beit­neh­mers könne der Rück­sicht auf das Ver­kehrs­in­ter­es­se nicht schlecht­hin der Vor­rang vor dem In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers an ei­nem Zeug­nis ein­geräumt wer­den. Es müsse auf al­le Fälle klar­ge­stellt sein, dass ein Ar­beit­neh­mer nicht un­be­dacht in ei­ner ganz all­ge­mein ge­fass­ten Erklärung auch auf ein Zeug­nis ver­zich­tet, oh­ne sich über die Trag­wei­te ei­nes sol­chen Ver­zichts im Kla­ren zu sein. Des­halb könne man al­len­falls dann an­neh­men, dass ei­ne Ver­zichts­erklärung sich auch auf den Zeug­nis­an­spruch be­zieht, wenn sich dies mit aus­rei­chen­der Si­cher­heit aus dem Wort­laut der Aus­gleichs­klau­sel oder auch den Be­gleit­umständen er­gibt (BAG 16. Sep­tem­ber 1974 – 5 AZR 255/74 – Ju­ris-Rn. 19 ff., NJW 1975, 407; vgl. auch ErfK/Müller-Glöge 12. Aufl. § 109 Ge­wO Rn. 52; HWK/Gänt­gen 4. Aufl. § 109 Ge­wO Rn. 18;Be­ckOK/Till­manns Stand 1. Sep­tem­ber 2011 § 109 Ge­wO Rn.15).

 

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bb) All­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gun­gen sind nach ih­rem ob­jek­ti­ven In­halt und ty­pi­schen Sinn ein­heit­lich so aus­zu­le­gen, wie sie von verständi­gen und red­li­chen Ver­trags­part­nern un­ter Abwägung der In­ter­es­sen der nor­ma­ler­wei­se be­tei­lig­ten Ver­kehrs­krei­se ver­stan­den wer­den, wo­bei nicht die Verständ­nismöglich­kei­ten des kon­kre­ten, son­dern die des durch­schnitt­li­chen Ver­trags­part­ners des Ver­wen­ders zu­grun­de zu le­gen sind. An­satz­punkt für die nicht am Wil­len der kon­kre­ten Ver­trags­part­ner zu ori­en­tie­ren­de Aus­le­gung All­ge­mei­ner Geschäfts­be­din­gun­gen ist in ers­ter Li­nie der Ver­trags­wort­laut. Ist der Wort­laut ei­nes For­mu­lar­ver­trags nicht ein­deu­tig, kommt es für die Aus­le­gung ent­schei­dend dar­auf an, wie der Ver­trags­text aus der Sicht der ty­pi­scher­wei­se an Geschäften die­ser Art be­tei­lig­ten Ver­kehrs­krei­se zu ver­ste­hen ist, wo­bei der Ver­trags­wil­le verständi­ger und red­li­cher Ver­trags­part­ner be­ach­tet wer­den muss (BAG 17. Au­gust 2011 – 10 AZR 322/10 – Rn. 17; EzA-SD 2011, Nr. 24, 7 (red. Leit­satz); 9. Ja­nu­ar 2011 - 10 AZR 738/09 - Rn. 13, AP BGB § 307 Nr. 50; 25. Au­gust 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 19, EzA BGB 2002 § 307 Nr. 49). Für die Aus­le­gung des In­halts sons­ti­ger ver­trag­li­cher Re­ge­lun­gen gel­ten die §§ 133, 157 BGB. Aus­ge­hend vom Wort­laut der Klau­sel ist de­ren ob­jek­ti­ver Be­deu­tungs­ge­halt zu er­mit­teln. Maßge­bend ist da­bei der all­ge­mei­ne Sprach­ge­brauch un­ter Berück­sich­ti­gung des ver­trag­li­chen Re­ge­lungs­zu­sam­men­hangs. Ein übe­rein­stim­men­der Wil­le der Par­tei­en geht da­bei dem Wort­laut des Ver­trags und je­der an­der­wei­ti­gen In­ter­pre­ta­ti­on vor und setzt sich auch ge­genüber ei­nem völlig ein­deu­ti­gen Ver­trags­wort­laut durch. Von Be­deu­tung für das Aus­le­gungs­er­geb­nis sind auch der von den Ver­trags­par­tei­en ver­folg­te Re­ge­lungs­zweck und die In­ter­es­sen­la­ge der Be­tei­lig­ten so­wie die Be­gleit­umstände der Erklärung, so­weit sie ei­nen Schluss auf den Sinn­ge­halt der Erklärung zu­las­sen. Die tatsächli­che Hand­ha­bung des Ver­trags­verhält­nis­ses kann eben­falls Rück­schlüsse auf des­sen In­halt ermögli­chen (BAG 15. Ju­ni 2011 – 10 AZR 62/09 – Rn. 18, ZTR 2011, 694; 23. Fe­bru­ar 2011 - 4 AZR 536/09 - Rn. 22, BB 2011, 1725). Die­se Grundsätze gel­ten auch für die Fra­ge, ob über­haupt ei­ne rechts­geschäft­li­che Erklärung vor­liegt (BAG 7. No­vem­ber 2007 – 5 AZR 880/06 – Rn. 17, BA­GE 124, 349).

cc) Un­ter Berück­sich­ti­gung die­ser Aus­le­gungs­grundsätze ha­ben die Par­tei­en in Zif­fer 8 des Pro­zess­ver­gleichs ein kon­sti­tu­ti­ves ne­ga­ti­ves Schuld­an­er­kennt­nis i.S.v. § 397 Abs. 2 BGB ver­ein­bart.

(1) Als rechts­tech­ni­sche Mit­tel mit un­ter­schied­li­chen Rechts­fol­gen kom­men für den Wil­len der Par­tei­en, ih­re Rechts­be­zie­hung zu be­rei­ni­gen, der Er­lass­ver­trag, das kon­sti­tu­ti­ve und das de­kla­ra­to­ri­sche ne­ga­ti­ve Schuld­an­er­kennt­nis in Be­tracht. Ein Er­lass­ver­trag (§ 397 Abs. 1 BGB) ist dann an­zu­neh­men, wenn die Par­tei­en vom Be­ste­hen ei­ner be­stimm­ten

 

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Schuld aus­ge­hen, die­se aber übe­rein­stim­mend als nicht mehr zu erfüllen be­trach­ten. Ein kon­sti­tu­ti­ves ne­ga­ti­ves Schuld­an­er­kennt­nis i.S.v. § 397 Abs. 2 BGB liegt dann vor, wenn der Wil­le der Par­tei­en dar­auf ge­rich­tet ist, al­le oder ei­ne be­stimm­te Grup­pe von be­kann­ten oder un­be­kann­ten Ansprüchen zum Erlöschen zu brin­gen. Ein de­kla­ra­to­ri­sches ne­ga­ti­ves Schuld­an­er­kennt­nis ist an­zu­neh­men, wenn die Par­tei­en nur die von ih­nen an­ge­nom­me­ne Rechts­la­ge ein­deu­tig do­ku­men­tie­ren und da­mit fi­xie­ren wol­len (BAG 7. No­vem­ber 2007 – 5 AZR 880/06 – Rn. 17, BA­GE 124, 349; 19. No­vem­ber 2003 – 10 AZR 174/03 – Rn. 36, NZA 2004, 554).

(2) In dem die Par­tei­en Zif­fer 8 in den Ver­gleich auf­nah­men, brach­ten sie ih­ren rechts­geschäft­li­chen Wil­len zum Aus­druck, al­le Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis, fer­ner al­le Ansprüche, die anläss­lich der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ent­ste­hen, und al­le Ansprüche, die Ge­gen­stand des Rechts­streits wa­ren, und die nicht in den vor­ste­hen­den Zif­fern des Ver­gleichs erwähnt wur­den, zum Erlöschen zu brin­gen, und zwar un­abhängig da­von, ob sie an die­se Ansprüche bei Ab­schluss des Ver­gleichs ge­dacht hat­ten bzw. ih­nen die­se be­kannt oder un­be­kannt wa­ren. Zif­fer 8 enthält nämlich nicht nur ei­nen Hin­weis, dass die Par­tei­en sämt­li­che Ansprüche, die nicht in den Zif­fern 1 bis 7 des Ver­gleichs ge­re­gelt wur­den, be­reits als erfüllt be­trach­ten. Die Ver­wen­dung des Wor­tes „aus­ge­gli­chen“ bringt viel­mehr den Wil­len der Par­tei­en zum Aus­druck, dass durch die un­ter Zif­fer 1 bis 7 des Ver­gleichs po­si­tiv ge­re­gel­ten Rech­te und Pflich­ten sämt­li­che an­de­ren Ansprüche, die die ei­ne Ver­trags­par­tei je­weils ge­genüber der an­de­ren hat­te, kom­pen­siert wer­den und da­mit un­ter­ge­hen sol­len. Ge­gen­sei­ti­ge Ansprüchen sind da­bei al­le Ansprüche, die je­weils zwi­schen den Par­tei­en aus dem Ar­beits­verhält­nis und des­sen Be­en­di­gung ent­stan­den sind oder in dem Rechts­streit gel­tend ge­macht wur­den. Es kommt nicht dar­auf an, ob es sich um un­mit­tel­bar im Sy­nal­lag­ma ste­hen­de Ansprüche han­delt, weil die Aus­gleichs­klau­sel sich nach ih­rem Wort­laut nicht nur auf Haupt­leis­tungs­pflich­ten aus ei­nem ge­gen­sei­ti­gen Ver­trag be­zieht.

dd) Von dem kon­sti­tu­ti­ven ne­ga­ti­ven Schuld­an­er­kennt­nis ist auch der An­spruch des Klägers auf Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses er­fasst. Dies gilt so­wohl bei ob­jek­ti­ver Aus­le­gung als auch dann, wenn die Verständ­nismöglich­kei­ten der kon­kre­ten Ver­trags­par­tei­en maßge­bend zu berück­sich­ti­gen sind.

(1) Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, der sich die Kam­mer an­sch­ließt, sind Aus­gleichs- und Ab­gel­tungs­klau­seln in Auf­he­bungs­ver­ein­ba­run­gen, ge­richt­li­chen Auflösungs­ver­glei­chen und so­ge­nann­ten Ab­wick­lungs­ver­ein­ba­run­gen grundsätz­lich weit aus­zu­le­gen sind. Die Par­tei­en wol­len in sol­chen Ver­ein­ba­run­gen in der

 

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Re­gel das Ar­beits­verhält­nis ab­sch­ließend be­rei­ni­gen und al­le Ansprüche er­le­di­gen, gleichgültig ob sie dar­an dach­ten oder nicht (z.B. BAG 19. No­vem­ber 2008 – 10 AZR 671/07 – Rn. 20 mwN, NJW 2009, 1019).

(2) Nach dem ob­jek­ti­ven In­halt und ty­pi­schen Sinn der in Zif­fer 8 des Ver­gleichs ent­hal­te­nen Re­ge­lung un­terfällt auch der An­spruch des Ar­beit­neh­mers auf ein qua­li­fi­zier­tes Ar­beits­zeug­nis dem kon­sti­tu­ti­ven ne­ga­ti­ven Schuld­an­er­kennt­nis.

(a) Nach dem ein­deu­ti­gen Wort­laut wer­den von der in Zif­fer 8 des Ver­gleichs ge­re­gel­ten Aus­gleichs­klau­sel sämt­li­che ge­gen­sei­ti­gen Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis, des­sen Be­en­di­gung und dem da­mals anhängi­gen Rechts­streit er­fasst. Die Klau­sel be­zieht sich da­mit nicht nur auf fi­nan­zi­el­le Ansprüche. Ein verständi­ger und red­li­cher durch­schnitt­li­cher Ar­beit­neh­mer, der in ei­nem Kündi­gungs­rechts­streit ei­nen Pro­zess­ver­gleich mit ei­ner sol­chen Aus­gleichs­klau­sel schließt, muss er­ken­nen, dass un­ter ei­nem An­spruch nicht nur ein auf Geld ge­rich­te­ter An­spruch ge­meint ist (aA wohl BAG 16. Sep­tem­ber 1974 – 5 AZR 255/74 – Ju­ris-Rn.21, NJW 1975). Fer­ner ist für ihn auch er­kenn­bar, dass er ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber über­haupt ei­nen An­spruch auf ein qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis hat. Auf­grund die­ser Umstände kann auch der verständi­ge, red­li­che durch­schnitt­li­che Ar­beit­neh­mer die Klau­sel nur da­hin ver­ste­hen, dass sein An­spruch auf Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses un­ter die Aus­gleichs­klau­sel fällt.

(b) Auch un­ter Abwägung der In­ter­es­sen der nor­ma­ler­wei­se be­tei­lig­ten Ver­kehrs­krei­se kann die Klau­sel nicht da­hin ver­stan­den wer­den, dass der An­spruch auf Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses nicht von Zif­fer 8 des Ver­gleichs er­fasst wird. Zwar kann ein qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis von ent­schei­den­der Be­deu­tung für das be­ruf­li­che Fort­kom­men ei­nes Ar­beit­neh­mers sein. Al­ler­dings hängt die tatsächli­che Be­deu­tung, die ei­nem qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis zu­kommt, je­weils von den Umständen des Ein­zel­fal­les ab, nämlich ua. von dem In­halt ei­nes Zeug­nis­ses, von der je­wei­li­gen Be­rufs­spar­te und von den je­wei­li­gen Be­rufs­vor­stel­lun­gen des Ar­beit­neh­mers. Ein qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis ist nach § 109 Abs. 1 Satz 3 Ge­wO zu­dem nur auf Ver­lan­gen des Ar­beit­neh­mers zu er­tei­len. Über den zu­tref­fen­den In­halt ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses kann zwi­schen den Ar­beits­ver­trags­par­tei­en durch­aus Streit be­ste­hen, der wei­te­re Recht­strei­tig­kei­ten auslösen kann. Durch ei­ne Aus­gleichs­klau­sel sol­len aber kla­re Verhält­nis­se ge­schaf­fen und künf­ti­gen Strei­tig­kei­ten vor­ge­beugt wer­den. Der Ar­beit­ge­ber kann un­ter Berück­sich­ti­gung die­ser Umstände bei ei­ner Ver­ein­ba­rung ei­ner um­fas­sen­den Aus­gleichs­klau­sel im Rah­men ei­nes Pro­zess­ver­gleichs zur Er­le­di­gung ei­nes Kündi­gungs­rechts­streits da­von aus­ge­hen, dass der Ar­beit­neh­mer, wenn er sein Ver­lan­gen auf Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses nicht spätes­tens bis zum Ab­schluss des

 

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Ver­gleichs zum Aus­druck ge­bracht hat, für sich ent­schie­den hat, dass er für sein wei­te­res be­ruf­li­ches Fort­kom­men kein qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis benötigt bzw. ein sol­ches für sein be­ruf­li­ches Fort­kom­men nicht als förder­lich an­sieht und sei­nen An­spruch auf ein qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis da­her auf­gibt. Dies ist auch für den verständi­gen durch­schnitt­li­chen Ar­beit­neh­mer er­kenn­bar (aA wohl BAG 16. Sep­tem­ber 1974 – 5 AZR 255/74 – Ju­ris-Rn.22f., NJW 1975, 407). Der Ar­beit­neh­mer hat durch die Ver­ein­ba­rung der Aus­gleichs­klau­sel eben­falls zum Aus­druck ge­bracht, dass ei­ne ab­sch­ließen­de Re­ge­lung sämt­li­cher zur Dis­po­si­ti­on der Par­tei­en ste­hen­der Ansprüche er­fol­gen soll und sei­ne von der Aus­gleichs­klau­sel er­fass­ten Ansprüche durch die sons­ti­gen Re­ge­lun­gen im Ver­gleich kom­pen­siert wer­den.

(3) Auch un­ter Berück­sich­ti­gung des von den Par­tei­en ver­folg­ten Re­ge­lungs­zwecks und de­ren In­ter­es­sen­la­ge so­wie der Be­gleit­umstände des Ver­gleichs­schlus­ses um­fasst Zif­fer 8 des Ver­gleichs den An­spruch des Klägers auf Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses. Wie be­reits aus­geführt, spricht der kla­re Wort­laut der Re­ge­lung in Zif­fer 8 dafür, dass der streit­ge­genständ­li­che An­spruch un­ter das kon­sti­tu­ti­ve ne­ga­ti­ve Schuld­an­er­kennt­nis fällt. Für den Kläger war auf­grund der Be­gleit­umstände er­kenn­bar, dass durch den Pro­zess­ver­gleich ei­ne um­fas­sen­de Be­rei­ni­gung sämt­li­cher zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­der Ansprüche er­reicht und ein wei­te­rer mögli­cher Streit über sons­ti­ge (mögli­che) Ansprüche, wie zB den In­halt des Zeug­nis­ses, ver­mie­den wer­den soll­te. Denn die Be­klag­te ver­lang­te ei­ne Er­le­di­gungs­klau­sel, nach­dem der Kläger wei­te­re For­de­run­gen ge­stellt hat­te. Für den Kläger war auch er­kenn­bar, dass die Be­klag­te nicht mit ei­ner Gel­tend­ma­chung ei­nes Zeug­nis­an­spru­ches rech­nen muss­te. Der Kläger war in dem Ar­beits­verhält­nis meh­re­re Jah­re von sei­ner Ar­beits­leis­tung frei­ge­stellt wor­den, oh­ne dass er ein qua­li­fi­zier­tes (Zwi­schen-)Zeug­nis ver­langt hat­te. Der Kläger hat auch nicht be­haup­tet, er ha­be während des Kündi­gungs­rechts­streits von der Be­klag­ten ein Zeug­nis ver­langt. In dem Schrei­ben vom 16. März 2007 hat­te er ge­genüber der Be­klag­ten erklärt, wenn er kei­ne großen fi­nan­zi­el­len Ein­bußen ha­be, sei er be­reit, sich aus dem ak­ti­ven Ar­beits­le­ben zurück­zu­zie­hen, bis er sei­ne Ren­te frühestmöglich, nach­dem ihm be­kann­ten Er­kennt­nis­stand ab 1. De­zem­ber 2009, er­hal­te. Dar­aus konn­te die Be­klag­te schließen, dass der Kläger nicht mehr ei­ner Ar­beitstätig­keit nach­ge­hen möch­te, wenn er kei­ne großen fi­nan­zi­el­len Ein­bußen hat. Durch den Ver­gleich wur­de das Ar­beits­verhält­nis erst zum 30. Ju­ni 2010 be­en­det und es war bis zu die­sem Zeit­punkt ab­zu­rech­nen. Der Kläger er­warb hier­durch im Verhält­nis zu dem von der Be­klag­ten ver­tre­te­nen Rechts­stand­punkt, nämlich dass das Ar­beits­verhält­nis schon zum 30. No­vem­ber 2009 oder je­den­falls auf­grund ei­ner frist­lo­sen Kündi­gung ge­en­det hat­te, ei­nen fi­nan­zi­el­len Vor­teil. Selbst wenn der Kläger während der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt am 3. Au­gust 2010 erklärt ha­ben soll­te, er möch­te wie­der ar­bei­ten

 

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ge­hen, muss­te die Be­klag­te dar­aus nicht schließen, dass der An­spruch auf Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses nicht von der dann letzt­lich zwi­schen den Par­tei­en ver­ein­bar­ten Aus­gleichs­klau­sel um­fasst sein soll­te. Denn ob und in­wie­weit ein Zeug­nis über­haupt dem be­ruf­li­chen Fort­kom­men dient, hängt zum ei­nen von dem In­halt ab. Zum an­de­ren ist ein Zeug­nis nicht zwin­gen­de Vor­aus­set­zung für die Auf­nah­me ei­ner neu­en Tätig­keit. Ein Ar­beits­verhält­nis kann bei­spiels­wei­se durch persönli­che Kon­tak­te bzw. Be­zie­hun­gen ver­mit­telt wer­den. Der Ar­beit­neh­mer kann sei­ne Qua­li­fi­ka­ti­on fer­ner auch auf an­de­re Wei­se nach­wei­sen, z.B. durch Re­fe­ren­zen. Ge­ra­de vor dem Hin­ter­grund des zwi­schen den Par­tei­en sehr emo­tio­nal geführ­ten Kündi­gungs­rechts­strei­tes, in dem die Par­tei­en auch über die Wirk­sam­keit ei­ner frist­lo­sen Kündi­gung strit­ten, hätte der Kläger er­ken­nen können, dass auch über den In­halt ei­nes Zeug­nis­ses Streit ent­ste­hen könn­te, durch die Aus­gleichs­klau­sel aber ge­ra­de ein Rechts­frie­den zwi­schen den Par­tei­en her­ge­stellt und wei­te­re Strei­tig­kei­ten ver­mie­den wer­den soll­ten. Der Kläger konn­te da­her nicht da­von aus­ge­hen, dass sein An­spruch auf Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses trotz des ein­deu­ti­gen Ver­trags­tex­tes nicht von dem kon­sti­tu­ti­ven ne­ga­ti­ven Schuld­an­er­kennt­nis er­fasst wird.

c) Ein Ver­zicht auf den An­spruch auf Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses bzw. ein ei­nen sol­chen An­spruch um­fas­sen­des kon­sti­tu­ti­ves ne­ga­ti­ves Schuld­an­er­kennt­nis ist wirk­sam, wenn der Ver­zicht bzw. das kon­sti­tu­ti­ve ne­ga­ti­ve Schuld­an­er­kennt­nis nach Ent­ste­hung des An­spruchs zwi­schen den Ar­beits­ver­trags­par­tei­en ver­ein­bart wird (vgl. auch BAG 4. De­zem­ber 1985 – 5 AZR 607/84 – Ju­ris-Rn. 22; ErfK/Müller-Glöge § 109 Ge­wO Rn. 54; Be­ckOK/Till­manns § 109 Ge­wO Rn. 15; of­fen­ge­las­sen BAG 16. Sep­tem­ber 1974 – 5 AZR 255/74 – NJW 1974, 407).

aa) Der An­spruch ent­steht nach § 109 Abs. 1 Satz 1 BGB bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses. Ein Ar­beit­neh­mer hat spätes­tens mit der tatsächli­chen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­nen An­spruch auf ein endgülti­ges Zeug­nis (vgl. BAG 27. Fe­bru­ar 1987 – 5 AZR 710/86 – Ju­ris-Rn. 19 mwN, AP BGB § 630 Nr. 16 zu ei­nem frist­ge­recht ent­las­se­nen Ar­beit­neh­mer). Spricht der Ar­beit­ge­ber ei­ne frist­lo­se Kündi­gung aus und beschäftigt er den Ar­beit­neh­mer nicht mehr, ist der An­spruch auf Er­tei­lung ei­nes Ar­beits­zeug­nis­ses mit Zu­gang der frist­lo­sen Kündi­gung ent­stan­den und zu­gleich fällig (vgl. ErfK/Müller-Glöge § 109 Ge­wO Rn. 9; HWK/Gänt­gen 4. Aufl. § 109 Ge­wO Rn. 16). Da die Be­klag­te vor­lie­gend vor Ab­schluss des Ver­gleichs ei­ne frist­lo­se Kündi­gung aus­ge­spro­chen hat­te, war der An­spruch des Klägers auf Er­tei­lung ei­nes Zeug­nis­ses im Zeit­punkt des Ab­schlus­ses des Ver­gleichs am 3. Au­gust 2010 be­reits ent­stan­den.

 

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bb) We­der der Ge­set­zes­wort­laut noch der Schutz­zweck der Norm auch un­ter Berück­sich­ti­gung der sich aus Art. 12 Abs. 1 GG er­ge­ben­den Wer­tun­gen ste­hen ei­nem wirk­sa­men Ver­zicht bzw. Er­lass auf den be­reits ent­stan­de­nen An­spruch auf Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses ent­ge­gen.

(1) Ei­ne aus­drück­li­che ge­setz­li­che Re­ge­lung, wo­nach auf den Zeug­nis­an­spruch nicht ver­zich­tet wer­den darf, be­steht nicht. Der Ge­setz­ge­ber hat nicht an­ge­ord­net, dass von der Re­ge­lung in § 109 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 3 Ge­wO nicht ab­ge­wi­chen wer­den darf. Viel­mehr spricht der Um­stand, dass ein qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis nur auf Ver­lan­gen des Ar­beit­neh­mers zu er­tei­len ist, dafür, dass es zur Dis­po­si­ti­on des Ar­beit­neh­mers steht, auf den ent­stan­de­nen An­spruch zu ver­zich­ten.

(2) Auch die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschütz­ten In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers an sei­nem be­ruf­li­chen Fort­kom­men schließen ei­nen nach Ent­ste­hung des An­spruchs erklärten Ver­zicht auf Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses nicht aus. Der Ar­beit­neh­mer kann nach der tatsächli­chen oder recht­li­chen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses einschätzen, ob er vor­aus­sicht­lich für sein wei­te­res be­ruf­li­ches Fort­kom­men über­haupt ein von dem bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­ber er­teil­tes qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis benötigt. Ein qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis ist nicht zwin­gen­de Vor­aus­set­zung für die Be­gründung ei­ner neu­en Be­rufstätig­keit. Fer­ner hängt es auch von den je­wei­li­gen Umständen ab, ob der Ar­beit­neh­mer über­haupt ei­ne wei­te­re Be­rufstätig­keit ausüben will. Je nach dem In­halt des Zeug­nis­ses kann des­sen Vor­la­ge bei ei­nem po­ten­ti­el­len neu­en Ar­beit­ge­ber u.U. auch ei­nem be­ruf­li­chen Fort­kom­men eher hin­der­lich sein.

d) Zif­fer 8 des Ver­gleichs ist auch nicht nach den §§ 305 ff BGB un­wirk­sam, wenn es sich hier­bei um ei­ne All­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gung han­deln soll­te.

aa) Die Klau­sel ist we­der über­ra­schend noch un­gewöhn­lich i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB. Ge­ra­de in Pro­zess­ver­glei­chen zur Er­le­di­gung von ar­beits­recht­li­chen Be­stands­schutz­strei­tig­kei­ten sind Aus­gleichs­klau­seln der vor­lie­gen­den Art nicht un­gewöhn­lich, son­dern durch­aus üblich. Die Klau­sel ist nicht un­klar i.S.v. § 305c Abs. 2 BGB. Vor­lie­gend sind nicht zwei un­ter­schied­li­che Aus­le­gun­gen recht­lich möglich (vgl. ins­ge­samt zur Wirk­sam­keit von Ab­gel­tungs­klau­seln in Auf­he­bungs­verträgen gemäß §§ 305 ff. BGB: BAG 19. No­vem­ber 2008 – 10 AZR 671/07 – Rn. 31ff., NJW 2009, 1019).

bb) Die Klau­sel ist nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB un­wirk­sam.

 

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(1) Zif­fer 8 des Ver­gleichs ist nicht in­trans­pa­rent i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Viel­mehr er­gibt sich aus der Be­stim­mung klar und verständ­lich, dass al­le Ansprüche der Par­tei­en aus dem Ar­beits­verhält­nis und sei­ner Be­en­di­gung, so­weit sie nicht in den Zif­fern 1 bis 7 des Ver­gleichs ge­re­gelt wer­den, von der Aus­gleichs­klau­sel er­fasst sind.
(2) Es kann da­hin­ge­stellt blei­ben, ob es sich bei der in ei­nem ge­richt­li­chen Ver­gleich auf­ge­nom­me­nen Aus­gleichs­klau­sel um ei­ne von Rechts­vor­schrif­ten ab­wei­chen­de Re­ge­lung han­delt (dies wur­de für ei­ne in ei­nem Auf­he­bungs­ver­trag ver­ein­bar­te Ab­gel­tungs­klau­sel be­jaht in der Ent­schei­dung BAG 21. Ju­ni 2011 – 9 AZR 203/10 – Rn. 43ff., DB 2011, 2663). Denn je­den­falls be­nach­tei­ligt die­se Klau­sel den Kläger nicht un­an­ge­mes­sen i.S.v. § 307 BGB.

(a) Ei­ne for­mu­larmäßige Ver­trags­be­stim­mung ist un­an­ge­mes­sen, wenn der Ver­wen­der durch ein­sei­ti­ge Ver­trags­ge­stal­tung miss­bräuch­lich ei­ge­ne In­ter­es­sen auf Kos­ten sei­nes Ver­trags­part­ners durch­zu­set­zen ver­sucht, oh­ne von vorn­her­ein auch des­sen Be­lan­ge hin­rei­chend zu berück­sich­ti­gen und ihm ei­nen an­ge­mes­se­nen Aus­gleich zu gewähren. Die Fest­stel­lung ei­ner un­an­ge­mes­se­nen Be­nach­tei­li­gung setzt ei­ne wech­sel­sei­ti­ge Berück­sich­ti­gung und Be­wer­tung recht­lich an­zu­er­ken­nen­der In­ter­es­sen der Ver­trags­part­ner vor­aus. Bei die­sem Vor­gang sind auch grund­recht­lich geschütz­te Rechts­po­si­tio­nen zu be­ach­ten. Zur Be­ur­tei­lung der An­ge­mes­sen­heit ist ein ge­ne­rel­ler, ty­pi­sie­ren­der, vom Ein­zel­fall gelöster Maßstab an­zu­le­gen. Im Rah­men der In­halts­kon­trol­le sind da­bei Art und Ge­gen­stand, Zweck und be­son­de­re Ei­gen­art des Geschäfts zu berück­sich­ti­gen. Zu prüfen ist, ob der Klau­sel­in­halt bei der in Re­de ste­hen­den Art des Rechts­geschäfts ge­ne­rell un­ter Be­ach­tung der ty­pi­schen In­ter­es­sen der be­tei­lig­ten Ver­kehrs­krei­se ei­ne un­an­ge­mes­se­ne Be­nach­tei­li­gung des Ver­trags­part­ners er­gibt (BAG 21. Ju­ni 2011 – 9 AZR 203/10 – Rn. 46, DB 2011, 2663; 14. De­zem­ber 2010 - 9 AZR 642/09 - Rn. 53, NZA 2011, 509).

(b) Ei­ne un­an­ge­mes­se­ne Be­nach­tei­lung liegt da­nach nicht vor. Es han­delt sich hier­bei nicht um ei­ne Klau­sel, die ein­sei­tig nur die Ansprüche des Ar­beit­neh­mers um­fasst. Die­se die bei­der­sei­ti­gen Ansprüche um­fas­sen­de Re­ge­lung ist viel­mehr im Zu­sam­men­hang mit ei­nem je­den­falls an­sons­ten in­di­vi­du­ell aus­ge­han­del­ten Ver­trags­in­halt zur Bei­le­gung ei­ner ge­richt­li­chen Be­stands­schutz­strei­tig­keit in den Pro­zess­ver­gleich auf­ge­nom­men wor­den. Die Par­tei­en ha­ben durch den Pro­zess­ver­gleich ein­sch­ließlich des­sen Zif­fer 8 im We­ge des ge­gen­sei­ti­gen Nach­ge­bens ih­re Ansprüche um­fas­send zur Bei­le­gung ei­nes kon­kre­ten Recht­streits ge­re­gelt. Dies schließt die An­nah­me ei­ner miss­bräuch­li­chen ein­sei­ti­gen Ver­trags­ge­stal­tung durch den Ar­beit­ge­ber aus.

2. Die Be­klag­te hat dem Kläger auch zu kei­nem Zeit­punkt die Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses zu­ge­sagt. Der in­so­weit dar­le­gungs- und be­weis­pflich­ti­ge Kläger hat

 

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ei­ne sol­che von der Be­klag­ten be­strit­te­ne Zu­sa­ge nicht sub­stan­ti­iert und zwar auch nicht auf ei­nen ent­spre­chen­den Hin­weis in der münd­li­chen Ver­hand­lung am 6. De­zem­ber 2011. Er hat in kei­ner Wei­se dar­ge­legt, aus wel­chem Ver­hal­ten oder wel­chen Erklärun­gen er ei­ne Zu­sa­ge der Be­klag­ten her­lei­tet. Es ist ins­be­son­de­re nicht er­kenn­bar, dass die Be­klag­te dem Kläger in rechts­geschäft­lich bin­den­der Wei­se ge­genüber im Güte­ter­min am 16. De­zem­ber 2010 erklärt hat­te, sie wer­de dem Kläger nach Vor­la­ge ei­nes ent­spre­chen­den Ent­wurfs ein Zeug­nis er­tei­len. Aus dem Pro­to­koll der Güte­ver­hand­lung er­gibt sich, dass le­dig­lich ei­ne gütli­che Ei­ni­gung ver­sucht wer­den soll­te, wo­bei die­se Erklärun­gen nur die Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten der Par­tei­en ab­ga­ben.

III. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Re­vi­si­on wur­de gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ArbGG zu­ge­las­sen.

 


Rechts­mit­tel­be­leh­rung
 


Ge­gen die­ses Ur­teil kann von d. Kläger bei dem

Bun­des­ar­beits­ge­richt,

Hu­go-Preuß-Platz 1, 99084 Er­furt

(Post­adres­se: 99113 Er­furt),

Re­vi­si­on ein­ge­legt wer­den.

Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb

ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat

schrift­lich beim Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­legt wer­den.

Sie ist gleich­zei­tig oder in­ner­halb

ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten

schrift­lich zu be­gründen.

Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­setz­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Die Re­vi­si­ons­schrift muss die Be­zeich­nung des Ur­teils, ge­gen das die Re­vi­si­on ge­rich­tet wird und die Erklärung ent­hal­ten, dass ge­gen die­ses Ur­teil Re­vi­si­on ein­ge­legt wer­de.

Die Re­vi­si­ons­schrift und die Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten un­ter­zeich­net sein. Als sol­che sind außer Rechts­anwälten nur fol­gen­de Stel­len zu­ge­las­sen, die zu­dem durch Per­so­nen mit Befähi­gung zum Rich­ter­amt han­deln müssen:

 

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• Ge­werk­schaf­ten und Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern so­wie Zu­sam­men­schlüsse sol­cher Verbände für ih­re Mit­glie­der oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der,
• ju­ris­ti­sche Per­so­nen, de­ren An­tei­le sämt­lich im wirt­schaft­li­chen Ei­gen­tum ei­ner der vor­ge­nann­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen ste­hen, wenn die ju­ris­ti­sche Per­son aus­sch­ließlich die Rechts­be­ra­tung und Pro­zess­ver­tre­tung die­ser Or­ga­ni­sa­ti­on und ih­rer Mit­glie­der oder an­de­rer Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der ent­spre­chend de­ren Sat­zung durchführt, und wenn die Or­ga­ni­sa­ti­on für die Tätig­keit der Be­vollmäch­tig­ten haf­tet.
 

Für d. Be­klag­te ist kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben.
Auf die Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de gem. § 72 a ArbGG wird hin­ge­wie­sen.

Der Schrift­form wird auch durch Ein­rei­chung ei­nes elek­tro­ni­schen Do­ku­ments i. S. d. § 46 c ArbGG genügt. Nähe­re In­for­ma­tio­nen da­zu fin­den sich auf der In­ter­net­sei­te des Bun­des­ar­beits­ge­richts un­ter www.bun­des­ar­beits­ge­richt.de.
 

S.

G.

Si.


 

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