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LAG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 30.01.2014, 5 Sa 433/13

   
Schlagworte: Kündigung: Verhaltensbedingt, Kündigung: Tätlichkeit, Tätlichkeit
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen: 5 Sa 433/13
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 30.01.2014
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Kaiserslautern, Urteil vom 22.08.2013, 2 Ca 436/13
   

Ak­ten­zei­chen:
5 Sa 433/13
2 Ca 436/13
ArbG Kai­sers­lau­tern
Ent­schei­dung vom 30.01.2014

Te­nor:

Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Kai­sers­lau­tern vom 22. Au­gust 2013, Az. 2 Ca 436/13, wird kos­ten­pflich­tig zurück­ge­wie­sen.

Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand:

Die Par­tei­en strei­ten zweit­in­stanz­lich noch über die Wirk­sam­keit ei­ner hilfs­wei­se erklärten or­dent­li­chen Kündi­gung we­gen tätli­chen An­griffs auf ei­nen Vor­ge­setz­ten.

Der Kläger (geb. 1974, le­dig, kin­der­los) war seit dem 06.12.2000 bei der Be­klag­ten als Pro­duk­ti­ons­hel­fer im Schicht­be­trieb zu ei­nem Brut­to­mo­nats­ent­gelt von ca. € 2.000,00 beschäftigt. Die Be­klag­te beschäftigt ca. 450 Ar­beit­neh­mer; es be­steht ein Be­triebs­rat.

Der Kläger war im Jahr 2012 an 61 Ta­gen ar­beits­unfähig krank­ge­schrie­ben. Am 09.11.2012 fand ein Fehl­zei­ten­gespräch statt, an dem auch sein Vor­ge­setz­ter, der Ab­tei­lungs­lei­ter K., teil­ge­nom­men hat. Der Kläger soll sei­ne Fehl­zei­ten ua. mit ei­ner Schul­ter­er­kran­kung erklärt ha­ben, was er be­strei­tet. Am 29.01.2013 er­teil­te die Be­klag­te dem Kläger ei­ne Ab­mah­nung we­gen Unpünkt­lich­keit, am 11.03.2013 er­teil­te sie ihm ei­ne wei­te­re Ab­mah­nung we­gen ver­späte­ter An­zei­ge der Ar­beits­unfähig­keit. Der Kläger war vom 25.02. bis 08.03.2013 und dann bis 13.03.2013 von sei­nem Haus­arzt ar­beits­unfähig krank­ge­schrie­ben. Für die Zeit vom 12.03. bis 27.03.2013 er­folg­te die Krank­schrei­bung durch ei­nen Neu­ro­lo­gen. In ei­ner ner­venärzt­li­chen Stel­lung­nah­me zur Vor­la­ge bei Ge­richt vom 19.08.2013 führt der be­han­deln­de Fach­arzt für Neu­ro­lo­gie und Psych­ia­trie aus, dass sich der Kläger seit 12.03.2013 in sei­ner re­gelmäßigen Be­hand­lung be­fin­de. Er lei­de un­ter ei­nem de­pres­si­ven Syn­drom, die jet­zi­ge Sym­pto­ma­tik re­sul­tie­re aus ei­nem Ar­beits­platz­kon­flikt.

Am Sams­tag, dem 16.03.2013, traf der Vor­ge­setz­te den Kläger ge­gen 10:00 Uhr an ei­ner Au­to­wasch­an­la­ge in Kai­sers­lau­tern an. Der Kläger rei­nig­te ge­mein­sam mit sei­nem Va­ter ein Kraft­fahr­zeug. Der Vor­ge­setz­te be­ob­ach­te­te den Kläger da­bei, dass er Fußmat­ten mit Schwung ge­gen ein Me­tall­git­ter schlug, um die­se aus­zu­klop­fen. Er war über die körper­li­che Ver­fas­sung des krank­ge­schrie­be­nen Klägers er­staunt und fer­tig­te mit sei­ner Han­dy­ka­me­ra Fo­tos, um sei­ne Be­ob­ach­tung zu do­ku­men­tie­ren.

Es kam zu ei­ner - auch körper­li­chen - Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen dem Kläger und sei­nem Va­ter mit dem Vor­ge­setz­ten. Der Her­gang wird un­ter­schied­lich dar­ge­stellt. Die Be­klag­te kündig­te das Ar­beits­verhält­nis mit dem Kläger we­gen tätli­chen An­griffs auf sei­nen Vor­ge­setz­ten mit Schrei­ben vom 23.03.2013 frist­los, hilfs­wei­se frist­ge­recht zum 31.08.2013. Mit Schrei­ben vom 11.04.2013 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis er­neut frist­los, hilfs­wei­se frist­ge­recht zum 30.09.2013. Der Be­triebs­rat gab in den Anhörungs­ver­fah­ren kei­ne Stel­lung­nah­me ab.

Ge­gen die­se Kündi­gun­gen wen­det sich der Kläger mit sei­ner am 28.03.2013 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen und am 18.04.2013 er­wei­ter­ten Kla­ge. Von ei­ner wei­ter­ge­hen­den Dar­stel­lung des un­strei­ti­gen Tat­be­stan­des und des erst­in­stanz­li­chen Par­tei­vor­brin­gens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ab­ge­se­hen und auf den Tat­be­stand des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Kai­sers­lau­tern vom 22.08.2013 Be­zug ge­nom­men.

Der Kläger hat erst­in­stanz­lich be­an­tragt,

fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis des Klägers durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 23.03.2013 we­der außer­or­dent­lich noch or­dent­lich zum 31.08.2013 auf­gelöst wor­den ist, 

fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis des Klägers durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 11.04.2013 we­der außer­or­dent­lich noch or­dent­lich zum 30.09.2013 auf­gelöst wor­den.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Das Ar­beits­ge­richt hat mit Ur­teil vom 22.08.2013 der Kla­ge teil­wei­se statt­ge­ge­ben und fest­ge­stellt, dass die frist­lo­sen Kündi­gun­gen der Be­klag­ten vom 23.03. und 11.04.2013 un­wirk­sam sei­en. Das Ar­beits­verhält­nis sei je­doch durch die or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 23.03. zum 31.08.2013 auf­gelöst wor­den. Die or­dent­li­che Kündi­gung sei gemäß § 1 Abs. 2 KSchG so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Nach sei­nem ei­ge­nen Vor­brin­gen ha­be der Kläger sei­nen Vor­ge­setz­ten zu Bo­den ge­drückt, so dass die­ser letzt­lich zu Bo­den ge­fal­len sei. Er könne sein Han­deln nicht da­mit recht­fer­ti­gen, dass er sei­nem Va­ter zu Hil­fe ge­kom­men sei. Der Vor­ge­setz­te sei be­rech­tigt ge­we­sen, den Kläger zu fo­to­gra­fie­ren. Da der Va­ter den Vor­ge­setz­ten ha­be dar­an hin­dern wol­len, das Han­dy auf­zu­he­ben, ha­be er rechts­wid­rig ge­han­delt. Der Kläger könne sich nicht auf Not­wehr be­ru­fen. Bei ei­ner der­ar­ti­gen Tätlich­keit bedürfe es kei­ner vor­her­ge­hen­den Ab­mah­nung. Es sei un­er­heb­lich, dass sich das zur Kündi­gung führen­de Ver­hal­ten an ei­ner öffent­li­chen Au­to­wasch­an­la­ge ab­ge­spielt ha­be. Ein außer­dienst­li­ches Ver­hal­ten könne ei­ne Kündi­gung recht­fer­ti­gen, wenn das Ar­beits­verhält­nis - wie hier - kon­kret berührt wer­de. Im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung sei der Be­klag­ten die Ein­hal­tung der or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist zu­zu­mu­ten.

Das ge­nann­te Ur­teil ist dem Kläger am 23.09.2013 zu­ge­stellt wor­den. Er hat mit am 16.10.2013 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nem Schrift­satz Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se mit am 18.11.2013 ein­ge­gan­ge­nem Schrift­satz be­gründet.

Der Kläger macht gel­tend, die or­dent­li­chen Kündi­gun­gen der Be­klag­ten vom 23.03. und vom 11.04.2013 sei­en nicht gemäß § 1 KSchG so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Er ha­be we­der rechts­wid­rig noch schuld­haft ge­han­delt, ob­wohl er sei­nen Vor­ge­setz­ten zu Bo­den ge­drückt ha­be, so dass die­ser zu Bo­den ge­fal­len sei. Ein schuld­haf­tes Ver­hal­ten sei aus­zu­sch­ließen, weil er im We­ge der Not­hil­fe sei­nem Va­ter zu Hil­fe ge­eilt sei. Der Vor­ge­setz­te ha­be sei­nen Va­ter körper­lich be­drängt, so dass er ge­meint ha­be, der Va­ter han­de­le in Not­wehr. Selbst wenn man mit dem Ar­beits­ge­richt der An­sicht sein soll­te, der Vor­ge­setz­te sei be­rech­tigt ge­we­sen, ihn mit der Han­dy­ka­me­ra beim Aus­klop­fen der Fußmat­ten zu fo­to­gra­fie­ren, so dass der Vor­ge­setz­te von sei­nem Va­ter rechts­wid­rig dar­an ge­hin­dert wor­den sei, sein Han­dy wie­der auf­zu­he­ben, tref­fe ihn kein Ver­schul­den. Er hätte dann zwar die recht­li­che Si­tua­ti­on ver­kannt, je­doch aus sei­ner Sicht ei­ne tatsächlich nicht vor­lie­gen­de Not­wehr- bzw. Not­hil­fel­a­ge an­ge­nom­men und da­nach ge­han­delt. Dies schließe ein schuld­haf­tes Ver­hal­ten aus. An­ge­sichts der es­ka­lie­ren­den Si­tua­ti­on vor Ort und der Not­wen­dig­keit ei­ner schnel­len Ent­schei­dung, dem Va­ter zu Hil­fe ei­len zu müssen, sei sein Irr­tum als un­ver­meid­lich an­zu­se­hen.

Die Be­haup­tung der Be­klag­ten, er ha­be den Vor­ge­setz­ten von hin­ten in den Schwitz­kas­ten ge­nom­men, gleich­zei­tig mit zwei Händen gewürgt und zu Bo­den ge­ris­sen, sei falsch. Rich­tig sei viel­mehr, dass er den Vor­ge­setz­ten le­dig­lich um die Schul­ter ge­packt und zu Bo­den ge­drückt ha­be. Der Vor­ge­setz­te hätte ihn an der Wasch­an­la­ge nach sei­ner Er­kran­kung bzw. dem Grund fra­gen können, be­vor er mit sei­nem Han­dy Fo­tos mach­te. Dem Vor­ge­setz­ten sei bes­tens be­kannt ge­we­sen, dass er an ei­ner psy­chi­schen Er­kran­kung ge­lit­ten ha­be. Es sei un­zu­tref­fend, dass sein Va­ter zum Vor­ge­setz­ten ge­sagt ha­be: "Du Sau, du Arsch­loch, pass auf, ich mach dich ka­putt!" Der Vor­fall ha­be sich viel­mehr so zu­ge­tra­gen, wie ihn sein Va­ter am 14.05.2013 schrift­lich dar­ge­legt ha­be.

Ent­ge­gen der An­sicht des Ar­beits­ge­richts sei vor Aus­spruch der or­dent­li­chen Kündi­gun­gen ei­ne Ab­mah­nung er­for­der­lich ge­we­sen. Es sei un­zu­tref­fend, dass er in den 13 Jah­ren sei­ner Be­triebs­zu­gehörig­keit im Be­trieb ag­gres­siv ge­we­sen sei oder Kon­flik­te ver­ur­sacht ha­be. Erst nach­dem er ein­mal zu spät ge­kom­men sei und im Jahr 2013 ei­ne Ab­mah­nung er­hal­ten ha­be, die er für rechts­wid­rig hal­te, sei es zu Span­nun­gen ge­kom­men. We­gen wei­te­rer Ein­zel­hei­ten der Be­ru­fungs­be­gründung wird auf den In­halt der Schriftsätze des Klägers vom 13.11.2013 und vom 17.01.2014 Be­zug ge­nom­men.

Der Kläger be­an­tragt zweit­in­stanz­lich,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Kai­sers­lau­tern vom 22.08.2013, Az. 2 Ca 436/13, teil­wei­se ab­zuändern und fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en auch nicht durch die or­dent­li­chen Kündi­gun­gen der Be­klag­ten vom 23.03. zum 31.08.2013 und vom 11.04. zum 30.09.2013 auf­gelöst wor­den ist.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Sie ver­tei­digt das an­ge­foch­te­ne Ur­teil nach Maßga­be ih­rer Be­ru­fungs­er­wi­de­rung vom 20.12.2013, auf die Be­zug ge­nom­men wird, als zu­tref­fend. Der Vor­ge­setz­te sei dem krank­ge­schrie­be­nen Kläger am 16.03.2013 zufällig an der Au­to­wasch­an­la­ge be­geg­net. Er ha­be vom Kläger beim Aus­klop­fen der Fußmat­ten zwei Fo­tos an­ge­fer­tigt. Der Va­ter des Klägers ha­be den Vor­ge­setz­ten mit den Wor­ten: "Du Sau, du Arsch­loch, pass auf, dich mach ich ka­putt!" be­schimpft. Als der Vor­ge­setz­te ein drit­tes Fo­to an­ge­fer­tigt ha­be, sei der Va­ter auf ihn zu­gestürmt, ha­be ihm das Han­dy aus der Hand ge­schla­gen, ihn am Kra­gen ge­packt und geschüttelt. Der Kläger sei hin­zu­ge­eilt, ha­be sei­nen Vor­ge­setz­ten von hin­ten in den Schwitz­kas­ten ge­nom­men, mit bei­den Händen gewürgt und zu Bo­den ge­ris­sen. Dar­auf­hin sei ein un­be­tei­lig­ter Drit­ter, ein pen­sio­nier­ter Po­li­zist, auf­merk­sam ge­wor­den, ha­be den Kläger und sei­nen Va­ter von dem am Bo­den lie­gen­den Vor­ge­setz­ten ge­trennt und die Po­li­zei verständigt. Die­ser An­griff recht­fer­ti­ge den Aus­spruch der Kündi­gung, zu­mal das Ar­beits­verhält­nis schon im Vor­feld der Tätlich­keit durch Ag­gres­sio­nen des Klägers be­las­tet ge­we­sen sei.

Ergänzend wird auf die zwi­schen den Par­tei­en ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen so­wie den In­halt der Sit­zungs­nie­der­schrif­ten Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe:

I. Die gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. c ArbGG statt­haf­te Be­ru­fung des Klägers ist zulässig. Sie ist ins­be­son­de­re form- so­wie frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO).

II. In der Sa­che hat die Be­ru­fung des Klägers kei­nen Er­folg. Da die Be­klag­te ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts kei­ne Be­ru­fung ein­ge­legt hat, steht fest, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht durch die außer­or­dent­li­chen Kündi­gun­gen der Be­klag­ten vom 23.03.2013 und 11.04.2013 mit so­for­ti­ger Wir­kung be­en­det wor­den ist. Das Ar­beits­verhält­nis ist je­doch durch die hilfs­wei­se erklärte or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 23.03.2013 mit Ab­lauf der Kündi­gungs­frist von fünf Mo­na­ten zum 31.08.2013 auf­gelöst wor­den. Dies hat das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend er­kannt. Auf die Wirk­sam­keit der vor­sorg­lich erklärten zwei­ten or­dent­li­chen Kündi­gung vom 11.04.2013 zum 30.09.2013 kommt es nicht mehr an.

Die hilfs­wei­se erklärte or­dent­li­che Kündi­gung vom 23.03.2013 ist so­zi­al ge­recht­fer­tigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG und da­mit rechts­wirk­sam (§ 1 Abs. 1 KSchG). Zu Recht hat das Ar­beits­ge­richt ei­nen ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gungs­grund an­ge­nom­men.

1. Das Ar­beits­ge­richt ist zu­tref­fend da­von aus­ge­gan­gen, dass Tätlich­kei­ten ge­genüber Vor­ge­setz­ten ei­nen aus­rei­chen­den Grund - zu­min­dest - für ei­ne or­dent­li­che ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung dar­stel­len können. Ein tätli­cher An­griff auf ei­nen Vor­ge­setz­ten oder ei­nen Ar­beits­kol­le­gen ist ei­ne schwer­wie­gen­de Ver­let­zung der ar­beits­ver­trag­li­chen Ne­ben­pflich­ten des Ar­beit­neh­mers (st. Rspr., vgl. nur BAG 18.09.2008 - 2 AZR 1039/06 - DB 2009, 964; LAG Rhein­land-Pfalz 12.08.2010 - 11 Sa 184/10 - Ju­ris; je­weils mwN).

Der tätli­che An­griff auf ei­nen Vor­ge­setz­ten oder ei­nen Ar­beits­kol­le­gen ist ein an sich ge­eig­ne­ter Sach­ver­halt, um so­gar ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung zu recht­fer­ti­gen. Denn es han­delt sich hier­bei um ei­ne schwer­wie­gen­de Ver­let­zung der ar­beits­ver­trag­li­chen Ne­ben­pflich­ten. Der Ar­beit­ge­ber ist nicht nur al­len Ar­beit­neh­mern ge­genüber ver­pflich­tet, dafür Sor­ge zu tra­gen, dass sie kei­nen Tätlich­kei­ten aus­ge­setzt sind, son­dern hat auch ein ei­ge­nes In­ter­es­se dar­an, dass die be­trieb­li­che Zu­sam­men­ar­beit nicht durch tätli­che Aus­ein­an­der­set­zun­gen be­ein­träch­tigt wird und nicht durch Ver­let­zun­gen Ar­beits­kräfte aus­fal­len. Ein tätli­cher An­griff auf ei­nen Vor­ge­setz­ten oder Ar­beits­kol­le­gen hat mit­hin auch Aus­wir­kun­gen auf das Ar­beits­verhält­nis, wenn er - wie vor­lie­gend - außer­halb des dem Ar­beit­neh­mer zu­ge­wie­se­nen ört­li­chen oder räum­li­chen Ar­beits­plat­zes er­folgt; dies er­gibt sich aus der Zu­gehörig­keit bei­der Ar­beit­neh­mer zu dem Be­trieb des­sel­ben Ar­beit­ge­bers. Ob die Aus­wir­kun­gen so gra­vie­rend sind, dass sie die so­for­ti­ge Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses recht­fer­ti­gen, ist an­hand der Ein­zel­fal­l­umstände zu ent­schei­den (vgl. statt vie­ler: ErfK/ Müller-Glöge 14. Aufl. § 626 BGB Rn. 106, 132; LAG Rhein­land-Pfalz - 23.08.2006 - 9 Sa 431/06 - Ju­ris).

Bei Tätlich­kei­ten ge­genüber ei­nem Vor­ge­setz­ten oder ei­nem Ar­beits­kol­le­gen be­darf es vor Aus­spruch ei­ner Kündi­gung re­gelmäßig kei­ner Ab­mah­nung. Denn der Ar­beit­neh­mer weiß von vorn­her­ein, dass der Ar­beit­ge­ber ein der­ar­ti­ges Fehl­ver­hal­ten miss­bil­ligt. Dies gilt un­ein­ge­schränkt bei schwe­ren Tätlich­kei­ten. Hier kann schon ein ein­ma­li­ger Vor­fall ei­nen wich­ti­gen Grund zur Kündi­gung dar­stel­len, oh­ne dass der Ar­beit­ge­ber noch ei­ne Wie­der­ho­lungs­ge­fahr be­gründen und den Ar­beit­neh­mer zu­vor ab­mah­nen müss­te (vgl. BAG 18.09.2008 - 2 AZR 1039/06 - aaO.).

2. Un­ter An­wen­dung die­ser Grundsätze recht­fer­tigt be­reits der un­strei­ti­ge Ge­sche­hens­ab­lauf den Aus­spruch der hilfs­wei­se erklärten or­dent­li­chen Kündi­gung vom 23.03.2013. Ent­ge­gen der An­sicht der Be­ru­fung be­durf­te es kei­ner Be­weis­auf­nah­me über die ge­nau­en Ein­zel­hei­ten der von bei­den Par­tei­en be­schrie­be­nen Aus­ein­an­der­set­zung vom 16.03.2013 zwi­schen dem Kläger, sei­nem Va­ter und dem Vor­ge­setz­ten an der Au­to­wasch­an­la­ge.

a) Nach sei­ner ei­ge­nen Ein­las­sung hat der Kläger sei­nen Vor­ge­setz­ten, der ihn beim Aus­klop­fen der Fußmat­ten mit der Han­dy­ka­me­ra fo­to­gra­fier­te, mit sei­nem Körper zu Bo­den ge­drückt, so dass er hin­ge­fal­len ist. Die­ser vorsätz­li­che tätli­che An­griff auf den Vor­ge­setz­ten war nicht ge­recht­fer­tigt. Er ist ge­eig­net, ei­nen ru­hig und verständig ur­tei­len­den Ar­beit­ge­ber - zu­min­dest - zu ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung zu be­stim­men. Die ge­bo­te­ne In­ter­es­sen­abwägung geht zu Las­ten des Klägers aus, da das Auflösungs­in­ter­es­se der Be­klag­ten deut­lich das Be­stands­in­ter­es­se über­wiegt. Der Be­klag­ten ist es nicht zu­zu­mu­ten, den Kläger über den Ab­lauf der Kündi­gungs­frist am 31.08.2013 hin­aus wei­ter zu beschäfti­gen.

b) Auf ei­nen Recht­fer­ti­gungs­grund, ins­be­son­de­re Not­wehr, kann sich der Kläger nicht be­ru­fen. Nach § 32 Abs. 2 StGB, § 227 Abs. 2 BGB ist Not­wehr die Ver­tei­di­gung, die er­for­der­lich ist, um ei­nen ge­genwärti­gen rechts­wid­ri­gen An­griff von sich oder ei­nem an­de­ren ab­zu­wen­den. Wie be­reits im einst­wei­li­gen Verfügungs­ver­fah­ren aus­geführt, han­del­te der Vor­ge­setz­te in An­be­tracht der kon­kre­ten Umstände des vor­lie­gen­den Falls nicht rechts­wid­rig, als er den Kläger am 16.03.2013 an der Au­to­wasch­an­la­ge mit sei­ner Han­dy­ka­me­ra fo­to­gra­fier­te (vgl. ausführ­lich: LAG Rhein­land-Pfalz 11.07.2013 - 10 Sa­Ga 3/13 - Ju­ris).

Der Vor­ge­setz­te traf den ar­beits­unfähig krank­ge­schrie­be­nen Kläger am Sams­tag, dem 16.03.2013, zufällig an der Au­to­wasch­an­la­ge an. Der Kläger war mit dem Aus­klop­fen von Fußmat­ten beschäftigt und mach­te auf sei­nen Vor­ge­setz­ten ei­nen körper­lich ge­sun­den Ein­druck. Er fer­tig­te mit sei­ner Han­dy­ka­me­ra drei Fo­tos, um sei­ne Be­ob­ach­tung zu do­ku­men­tie­ren. Aus sei­ner Sicht be­stand der Ver­dacht, dass der Kläger sei­ne Ar­beits­unfähig­keit le­dig­lich vor­getäuscht ha­ben könn­te. Da der Be­weis­wert ei­ner ärzt­li­chen Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung durch an­de­re Tat­sa­chen mehr oder we­ni­ger ent­wer­tet wer­den kann, hat­te der Vor­ge­setz­te das In­ter­es­se die körper­li­chen Ak­ti­vitäten des Klägers an der Wasch­an­la­ge zu Be­weis­zwe­cken zu fo­to­gra­fie­ren. Der Ein­griff in das Persönlich­keits­recht des Klägers durch die Spei­che­rung der Fo­tos auf der Han­dy­ka­me­ra war nicht schwer­wie­gend. Der Vor­ge­setz­te hat die Ak­ti­vitäten des Klägers an der öffent­lich zugäng­li­chen Au­to­wasch­an­la­ge un­mit­tel­bar be­ob­ach­tet, so dass er als Au­gen­zeu­ge zur Verfügung stand. Die Spei­che­rung der Fo­tos über sei­ne punk­tu­el­le persönli­che Be­ob­ach­tung stell­te un­ter den ge­ge­be­nen Umständen kei­nen un­verhält­nismäßigen Ein­griff in das all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht des Klägers dar. Es be­stand aus Sicht des Vor­ge­setz­ten der kon­kre­te Ver­dacht, dass der Kläger sei­ne Ar­beits­unfähig­keit vor­getäuscht und da­mit ei­nen Ent­gelt­fort­zah­lungs­be­trug be­gan­gen ha­ben könn­te.

Ent­ge­gen der An­sicht der Be­ru­fung kann der Kläger den tätli­chen An­griff auf sei­nen Vor­ge­setz­ten auch nicht da­mit ent­schul­di­gen, dass er im We­ge der Not­hil­fe sei­nem Va­ter zu Hil­fe ge­eilt sei, weil er an­ge­nom­men ha­be, die­ser wer­de von sei­nem Vor­ge­setz­ten an­ge­grif­fen. Bei ei­ner Ge­samt­be­trach­tung des Ge­sche­hens ha­ben der Kläger und sein Va­ter den Vor­ge­setz­ten an­ge­grif­fen, um ihn un­ter Ausübung körper­li­cher Ge­walt dar­an zu hin­dern, den Kläger zu fo­to­gra­fie­ren. Es be­ste­hen kei­ner­lei An­halts­punk­te dafür, dass es nach der Vor­stel­lung des Klägers zum Zeit­punkt des körper­li­chen An­griffs auf den Vor­ge­setz­ten ei­nen ver­meint­li­chen An­griff auf sei­nen Va­ter ab­zu­weh­ren galt. Es hat ob­jek­tiv kei­ne Not­hil­fel­a­ge vor­ge­le­gen. Der Vor­ge­setz­te hat - nach der Dar­stel­lung des Va­ters in sei­ner schrift­li­chen Ein­las­sung vom 14.05.2013 - ver­sucht, sein durch "hek­ti­sche Be­we­gun­gen" zu Bo­den ge­fal­le­nes Han­dy zurück­zu­er­lan­gen, wor­an ihn der Va­ter al­ler­dings hin­der­te. Für ei­nen Irr­tum des Klägers über die tatsächli­chen Vor­aus­set­zun­gen des Recht­fer­ti­gungs­grun­des der Not­hil­fe ist nach den ge­ge­be­nen Umständen kein Raum. Auch ein Ver­bots­irr­tum un­ter Hin­weis dar­auf, dass er sei­nen tätli­chen An­griff auf den Vor­ge­setz­ten für rechtmäßig ge­hal­ten ha­be, kann dem Kläger nicht zu­gu­te­kom­men. Ein sol­cher Irr­tum wäre leicht ver­meid­bar ge­we­sen.

c) Die Be­ru­fungs­kam­mer schließt sich auch der vom Ar­beits­ge­richt vor­ge­nom­me­nen In­ter­es­sen­abwägung an, nach der der Be­klag­ten auf­grund des schwer­wie­gen­den Fehl­ver­hal­tens des Klägers ei­ne wei­te­re Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses über den Ab­lauf der or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist hin­aus nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann. Zu­guns­ten des Klägers ist zwar sei­ne langjähri­ge Be­triebs­zu­gehörig­keit seit De­zem­ber 2000 zu berück­sich­ti­gen. Wei­ter­hin ist zu­guns­ten des Klägers zu berück­sich­ti­gen, dass sein all­ge­mei­nes Persönlich­keits­recht durch das An­fer­ti­gen der Fo­tos mit der Han­dy­ka­me­ra an der Au­to­wasch­an­la­ge be­ein­träch­tigt wor­den ist. Das Ver­hal­ten des Klägers als Re­ak­ti­on auf das An­fer­ti­gen der Fo­tos war je­doch - wie oben aus­geführt - nicht durch Not­wehr oder (Pu­ta­tiv-)Not­hil­fe ent­schul­digt. Der Be­klag­ten kann nicht zu­ge­mu­tet wer­den, auf den Vor­fall le­dig­lich mit ei­ner Ab­mah­nung zu re­agie­ren, wie die Be­ru­fung meint. Der Kläger hat die Be­herr­schung ver­lo­ren und sei­nen Vor­ge­setz­ten körper­lich an­ge­grif­fen. Ihm hätte oh­ne wei­te­res klar sein müssen, dass er sei­nen Ar­beits­platz aufs Spiel setzt, wenn er ge­genüber sei­nem Vor­ge­setz­ten körper­lich ag­gres­siv re­agiert. In An­be­tracht die­ser Es­ka­la­ti­on ist der Be­klag­ten ei­ne wei­te­re Zu­sam­men­ar­beit mit dem Kläger über den 31.08.2013 hin­aus nicht mehr zu­mut­bar.

III. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten sei­ner er­folg­lo­sen Be­ru­fung zu tra­gen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeb­li­chen ge­setz­li­chen Kri­te­ri­en des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zu­las­sung der Re­vi­si­on recht­fer­ti­gen könn­te, be­steht nicht.

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