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LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.08.2009, 26 TaBV 1185/09
Schlagworte: | Betriebsänderung, Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg | |
Aktenzeichen: | 26 TaBV 1185/09 | |
Typ: | Beschluss | |
Entscheidungsdatum: | 19.08.2009 | |
Leitsätze: | 1. Für die Frage, ob die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist, ist auf den Sachverhalt abzustellen, wie er sich zum Zeitpunkt der Anhörung bzw. Entscheidung darstellt (ArbGG/Koch § 98 Rn. 17). Soweit eine Betriebsänderung bereits durchgeführt ist, kommt die Einsetzung einer Einigungsstelle hinsichtlich eines Interessenausgleichs nicht mehr in Betracht. Ist zu vermuten, dass den Maßnahmen ein einheitliches Konzept zugrunde liegt und dass sie noch nicht abgeschlossen sind, kommt ein Interessenausgleich für alle nicht auszuschließenden künftigen Teilmaßnahmen (hier: weitere Filialschließungen) in Betracht. 2. Das Vorliegen eines einheitlichen Konzepts wird jedenfalls vermutet, wenn in kurzer zeitlicher Abfolge zehn Prozent der Filialen einer bestimmten Größenordnung eines Betriebs geschlossen werden und solange der Arbeitgeber nicht anhand konkreter Planungsunterlagen bzw. der Benennung der Entscheidungsträger belegt, wann durch wen welche Entscheidungen getroffen worden sind. Von dem Vermutungstatbestand werden auch alle künftigen Maßnahmen erfasst, die in das Schließungsschema passen. 3. Für die Beantwortung der Frage, ob eine relevante Betriebseinschränkung vorliegt, von der erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sind, ist dann nicht nur auf bereits durchgeführte Maßnahmenteile, sondern auch auf eine von diesem Vermutungstatbestand erfasste mögliche und nicht ganz fern liegende weitere Entwicklung abzustellen. Eine zeitliche Grenze ist anzunehmen, wenn und soweit sich eine solche aus dem Inhalt des vermuteten Konzepts selbst bzw. einem entsprechenden Vortrag des Betriebsrats ergibt. |
|
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Berlin, Beschluss vom 27.05.2009, 20 BV 8472/09 | |
Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Verkündet
am 19. August 2009
Geschäftszeichen (bitte immer angeben)
26 TaBV 1185/09
20 BV 8472/09
Arbeitsgericht Berlin
M., VA
als Urkundsbeamter/in
der Geschäftsstelle
Im Namen des Volkes
Beschluss
In dem Beschwerdeverfahren mit den Beteiligten
pp
hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 26. Kammer, auf die Anhörung vom 19. August 2009 durch den Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht K. als Vorsitzenden
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 27. Mai 2009 – 20 BV 8472/09 – unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen teilweise abgeändert und der Tenor der Entscheidung insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Vorsitzende Richter am Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Dr. R. P. wird zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Interessenausgleich anlässlich der Schließung von Verkaufsstellen des Beklagten im Bezirk 263 in Berlin in der Zeit vom 19. August 2009 bis zum 31. August 2010 sowie Sozialplan im Hinblick auf die Schließung von Verkaufsstellen des Beklagten in diesem Bezirk in der Zeit von Januar 2009 bis 31. August 2010“ bestellt. Die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer wird auf 2 festgesetzt.
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Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Errichtung einer Einigungsstelle. Die Arbeitgeberin betreibt Einzelhandelsfilialen, die in Bezirken zusammengefasst sind. Der Betriebsrat ist für den Bezirk 263 errichtet. In diesem Bezirk waren im Januar 2009 182 Mitarbeiterinnen in 50 Verkaufsstellen beschäftigt. Neben der Einzelfirma des Arbeitgebers gehört zum Sch.-Konzern auch die Sch.-XL-GmbH. Diese Schwestergesellschaft ist nicht tarifgebunden. Sie eröffnet und führt sog. Sch.-XL-Märkte. In einer Hausmitteilung 25 „Sch. informiert“ kündigte diese an, dass „sich künftig immer mehr Sch.-Märkte in frischem Shop-Layout präsentieren“. Zwischen den Unternehmen findet eine Zusammenarbeit statt.
Im Jahr 2001 bis 2008 schloss der Arbeitgeber im Bezirk 263 ein bis zwei, in einem Jahr keine und in einem Jahr drei Filialen. Nachdem in zahleichen Presseorganen über eine beabsichtigte bundesweite Schließung von ca. 4.000 Filialen des Beklagten mit bis zu 200 qm und eine Ersetzung durch sog. XL-Märkte der Sch.-XL-GmbH berichtet worden und dem Betriebsrat bekannt geworden war, dass in seinem Bezirk allein in den Monaten Januar bis April 2009 vier Filialen geschlossen werden sollten, forderte er unter Hinweis auf das vermutete Konzept den Arbeitgeber mit Schreiben vom 13. Februar 2009 zu Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan auf. Mit Schreiben vom 28. Februar 2009 wies der Arbeitgeber auf die aus seiner Sicht fehlenden Voraussetzungen hin. Während des Beschlussverfahrens erfolgte eine weitere Filialschließung. Drei der Filialen lagen nahe beieinander. Insgesamt waren 15 Mitarbeiterinnen (drei je Filiale) unmittelbar betroffen, mittelbar darüber hinaus weitere Belegschaftsmitglieder. Folgen waren mindestens fünf (so die Arbeitgeberin), nach Darstellung des Betriebsrats 17 Kündigungen und zahlreiche Versetzungen. Die Bundesagentur für Arbeit bot am 10. August 2009 eine Stelle für eine Filialleiterin/einen Filialleiter eines Sch.-XL-Marktes in Berlin an. Als Arbeitgeber ist dort die „A. Sch. Zentralverwaltung“ angegeben.
Am 4. Mai 2009 ging beim Arbeitsgericht Berlin der Antrag des Betriebsrats auf Einsetzung einer Einigungsstelle ein. Der Betriebsrat hat den Antrag zunächst mit den bisherigen und geplanten fünf Filialschließungen begründet. Außerdem seien weitere Filialschließungen zu befürchten. Er hat behauptet, der Konzerndirektor Vertrieb des Arbeitgebers, Herr B., habe im Dezember 2008 vor leitenden Angestellten in Nordrhein-Westfalen verkündet, dass eine sukzessive Schließung von ca. 4.000 Verkaufsstellen geplant sei. Es gehe um Verkaufsstellen mit einer geringen Verkaufsflächenzahl und einem niedrigen Umsatz. Er befürchte daher in seinem Bezirk die Schließung von weiteren 14 Verkaufsstellen mit Verkaufsflächen von bis zu 200 qm und einem Umsatz von bis zu 24.000 Euro. Durch eine beabsichtigte Eröffnung von ca. 500 XL-Märkten allein im Jahr 2009 komme es zu einer
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Verdrängung der Märkte des Arbeitgebers. Es gebe bereits jetzt eine rege Zusammenarbeit ua. hinsichtlich der Lager, der gesamten Logistik usw.
Der Betriebsrat hat beantragt,
1. Herrn Dr. R. P. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Verhandlung eines Interessenausgleichs und Abschluss eines Sozialplans wegen Schließungen und Umstrukturierungen von Verkaufsstellen“ zu bestellen,
2. die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf 2 festzusetzen.
Der Arbeitgeber hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Er hat die Ansicht vertreten, es sei sofort erkennbar, dass eine Betriebsänderung nicht vorliege. Die Zahlenwerte des § 17 KSchG seien nicht erreicht. Eine einheitliche unternehmerische Planung liege nicht vor. Außerdem fehle es an einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung des Betriebsrats zur Beauftragung seines Verfahrensbevollmächtigten.
Das Arbeitsgericht hat den Anträgen stattgegeben und das im Wesentlichen damit begründet, dass – unter Berücksichtigung des Prüfungsmaßstabs im vorliegenden Verfahren - jedenfalls nicht auszuschließen sei, dass die durchgeführten Maßnahmen auf einer einheitlichen Entscheidung beruhten und auch die Schließung weitere Filialen nicht ausgeschlossen sei, zumal die Schließungen in ein bestimmtes Schema passten. Daher komme es nicht darauf an, dass der Schwellenwert des § 17 KSchG noch nicht erreicht sei. Die Beantwortung Frage, ob eine konkrete Planung zur Schließung weiterer Verkaufsstellen vorliege, sei Aufgabe der Einigungsstelle. Außerdem erfolgten die Schließungen der Einigungsstellen oft kurzfristig, sodass dem Betriebsrat die Einschätzung erschwert werde, ob und wenn ja in welchem Umfang der Arbeitgeber die Schließung der Verkaufsstellen plane. Ein Einfluss auf die Planung könne anders nicht erreicht werden. Jedenfalls sei unstreitig auch in Berlin die Eröffnung von XL-Märkten geplant.
Die Arbeitgeberin hat gegen den ihr am 3. Juni 2009 zugestellten Beschluss am 15. Juni 2009 Beschwerde eingelegt und diese zeitgleich begründet.
Sie wiederholt hierzu im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Jedenfalls seien nur unerhebliche Teile der Belegschaft betroffen. Es stehe weder fest, dass die Eröffnung von Drogeriemärkten durch die Schwestergesellschaft geplant sei, noch dass es durch die Schließung von Verkaufsstellen zu einem Personalabbau komme. Der Arbeitgeber wisse auch gar nicht, wann seine Schwestergesellschaft eine Filiale neu eröffne. Eine ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats mit entsprechender Tagesordnung werde weiterhin bestritten. Leiter aller Berliner Filialen sei Herr J., was insoweit unstreitig ist.
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Dieser erläuterte in der Beschwerdeverhandlung, dass er früher teilweise das Verfahren im Zusammenhang mit der Schließung von Filialen einbezogen worden sei, diese zT. auch auf seine Veranlassung erfolgt seien. Das sei bei den letzten fünf Schließungen aber nicht mehr der Fall gewesen. Er sei darüber nur noch informiert worden und habe diese Information sodann an den Betriebsrat weitergeleitet. Ihm sei auch die Absicht weiterer Filialschließungen nicht bekannt. Entsprechend positionierte sich der Prozessbevollmächtigte des Arbeitgebers. Allerdings könnten Planungen auch kurzfristig erfolgen. Die Entscheidung, die Verkaufsstelle in der R. Straße zum 28. Januar 2009 „zu optimieren“ (gemeint: zu schließen) habe der Arbeitgeber im November 2008 getroffen und Herrn J. am 19. November 2008 informiert. Die Schließung der Verkaufsstelle in der M.straße 6 am 4. Februar 2009 sei ebenfalls im November 2008 getroffen und Herrn J. am 19. November 2008 mitgeteilt worden, der den Betriebsrat am 21. November 2009 informiert habe. Die Entscheidung über die Schließung der Verkaufsstelle in der der R. Straße 56a am 22. April 2009 sei im Entscheidungsprozess Januar/Februar 2009 getroffen worden. Nach der Erinnerung des Herrn J. habe dieser den Betriebsrat hierüber in der fünften Kalenderwoche unterrichtet. Die Entscheidung über die Schließung der Verkaufsstelle in F. sei im Februar 2009 getroffen worden. Ursprünglicher Schließungstermin sei der 29. April 2009 gewesen. Nach der Erinnerung des Herrn J. sei der Betriebsrat hierüber im Februar 2009 unterrichtet worden. Nach einem Personalgespräch sei der Schließungstermin in Abstimmung mit der Zentrale des Arbeitgebers auf den 13. Mai 2009 verlegt und der Betriebsrat unverzüglich informiert worden. Planungsunterlagen, die Schließung der einzelnen Verkaufsstellen betreffend, gebe es tatsächlich nicht.
Der Arbeitgeber beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 27.05.2009 – 20 BV 8472/09 - abzuändern und die Anträge des Betriebsrats zurückzuweisen.
Der Betriebsrat beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er vertieft und ergänzt seinen erstinstanzlichen Vortrag insbesondere im Hinblick auf im Zusammenhang mit den Verkaufsstellenschließungen durchgeführte Personalmaßnahmen. Im Zusammenhang mit den Filialschließungen seien entgegen dem Vortrag der Arbeitgeberin neun Beschäftigten betriebsbedingte Beendigungskündigungen und drei weiteren Belegschaftsmitgliedern betriebsbedingte Änderungskündigungen ausgesprochen worden. Die Änderungsangebote seien abgelehnt worden. Fünf Versetzungen seien ebenfalls zu berücksichtigen. Darüber hinaus habe der Arbeitgeber fünf weitere verdeckte betriebsbedingte Kündigungen unter Angabe nicht haltbarer krankheits- und
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verhaltensbedingter Gesichtspunkte ausgesprochen. Insgesamt sei es zu 22 Personalmaßnahmen gekommen.
Es gebe erhebliche Personalverflechtungen zwischen dem Arbeitgeber und seiner Schwestergesellschaft. So sollen die Bezirksleiter des Beklagten auch die XL-Märkte betreuen, aus den Warenlagern des Beklagten sollen auch die XL-Märkte beliefert werden, außerdem würden auch Mitarbeiter der Verkaufsstellen des Beklagten in XL-Märkte versetzt. Mitglieder des Wirtschaftsausschusses hätten dem Wirtschaftsprüfungsbericht entnehmen können, dass Verkaufsstellen des Beklagten im Zusammenhang mit der Einführung von XL-Märkten massiv zurückgeführt würden. Der Umsatzrückgang bei dem Arbeitgeber korreliere mit der Umsatzsteigerung bei der Schwestergesellschaft und den „I. P.“-Filialen. Dem Beschluss des Vorsitzenden einer Einigungsstelle nach § 109 BetrVG, in dem der Arbeitgeber sehr detailliert zur Beantwortung von Fragen zum Zusammenhang zwischen der Errichtung von Sch. XL-Märkten, „I. P.“-Filialen und der Schließung seiner Filialen aufgefordert worden ist, komme dieser nicht nach, habe ihn vielmehr angefochten, was unter den Beteiligten nicht streitig ist.
Außerdem verweist er zum Zusammenhang von erhöhtem Aufkommen an Filialschließungen und der Errichtung von XL-Märkten auf vier konkrete Beispiele. Insoweit wird Bezug genommen auf Seite 3 des Schriftsatzes des Betriebsrats vom 11. August 2009.
In der Beschwerdeverhandlung vom 19. August 2009 teilte der Betriebsrat mit, dass ihm durch die Filialleiterin der Filiale in der S. Straße soeben, dh. am Morgen des 19. August 2009, mitgeteilt worden sei, dass in der Filiale des Arbeitgebers sechs Männer erschienen seien, um ihr mitzuteilen, dass sie beauftragt seien, Einrichtungsgegenstände in ein 20 Meter entferntes Verkaufslokal – eine ehemalige Videothek - zu bringen. Es seien auch bereits Einrichtungsgegenstände abgebaut worden. Die Verkaufsstellenleiterin der betroffenen Filiale habe den Betriebsrat auch darüber informiert, dass der Vermieter der Verkaufsstelle ihr mitgeteilt habe, es sei die Errichtung eines XL-Marktes geplant. Während die bisherige Verkaufsstelle eine Größe von etwas 200 qm aufweise, sei die der ehemaligen Videothek etwa 400 qm groß, also für einen XL-Markt geeignet. Hierzu konnte der Prozessbevollmächtigte des Arbeitgebers keine Stellungnahme abgeben. Ihm sei dazu nichts bekannt.
Der Betriebsrat beruft sich zur Zulässigkeit seines Antrags nun ergänzend auf seinen Beschluss vom 8. Mai 2009, in dem es heißt:
„Der Betriebsrat beschließt in seiner heutigen Sitzung die Beauftragung und Bevollmächtigung von Herrn RA …, zur Durchsetzung eines Interessenausgleichs und Sozialplanes wegen Schließungen und Umstrukturierungen von Verkaufsstellen ein
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Beschlussverfahren einzuleiten, in dem festgestellt werden soll, dass jede Seite drei Beisitzer bestimmen kann und Dr. P. als Vorsitzender bestellt wird. …“
und einen Beschluss für die Beschwerde vom 26. Juni 2009.
In der Sitzung vom 8. Mai 2009 waren acht Betriebsratsmitglieder und für das erkrankte Betriebsratsmitglied Frau M. das Ersatzmitglied Frau Pr. anwesend.
Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf das erst- und zweitinstanzliche Vorbringen der Beteiligten. Die Unterlagen zu der Sitzung des Betriebsrats sind dem Gericht in der Beschwerdeverhandlung im Original vorgelegt worden. Die Übereinstimmung mit den zur Akte gereichten Unterlagen wurde festgestellt.
II.
1) Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
2) Die Beschwerde ist begründet, soweit das Arbeitsgericht die Einigungsstelle hinsichtlich des Regelungsgegenstandes „Verhandlung eines Interessenausgleichs“ ohne Begrenzung auf künftige, also noch nicht durchgeführte (Teil-)Maßnahmen eingesetzt hat. Insoweit wäre die begehrte Einigungsstelle offensichtlich unzuständig iSd. § 98 Abs. 1 ArbGG. Begründet ist die Beschwerde auch, soweit keine zeitliche Begrenzung vorgenommen worden ist. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig und in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet.
a) Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig. Insbesondere fehlt es auch nicht an einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung zur Beauftragung seines Verfahrensbevollmächtigten.
aa) Ein solcher Beschluss ist allerdings sowohl zur Verfahrenseinleitung als auch zur wirksamen Beauftragung eines Rechtsanwalts erforderlich. Fehlt es daran, ist der Betriebsrat gerichtlich nicht wirksam vertreten und kommt ein Prozessrechtsverhältnis nicht zustande; für den Betriebsrat gestellte Anträge sind bereits als unzulässig abzuweisen. Demgegenüber bedarf es keiner gesonderten Beschlussfassung des Betriebsrats über die Bevollmächtigung seines Verfahrensbevollmächtigten im Beschwerdeverfahren. Die einem Rechtsanwalt erteilte Verfahrensvollmacht umfasst auch die Berechtigung zur Vertretung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens, § 80 Abs. 2, § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 81 ZPO (vgl. BAG 6. Dezember 2006 - 7 ABR 62/05 - AP Nr. 5, zu § 21b BetrVG 1972, zu B I der Gründe).
Die Unwirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses über die Einleitung eines Beschlussverfahrens und die Beauftragung eines Rechtsanwalts kann durch einen ordnungsgemäßen späteren Beschluss geheilt werden, wenn dieser noch vor Erlass einer
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den Antrag als unzulässig zurückweisenden Prozessentscheidung gefasst wird (vgl. BAG 18. Februar 2003 - 1 ABR 17/02 - BAGE 105, 19 = AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 11 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 4, zu B I 2 b der Gründe mwN). Zu einem späteren Zeitpunkt kann eine rückwirkende Heilung des Mangels nicht mehr erfolgen (vgl. BAG 18. Februar 2003 - 1 ABR 17/02 - aaO, zu B I 3 a der Gründe). Lediglich der Nachweis über die bis zum Zeitpunkt der Prozessentscheidung erfolgte Beschlussfassung kann noch im Rechtsmittelverfahren geführt werden (vgl. BAG 18. Februar 2003 - 1 ABR 17/02 - aaO, zu B I 3 a der Gründe; 16. November 2005 - 7 ABR 12/05 - EzA BetrVG 2002 § 80 Nr. 4, zu B I 1 a der Gründe).
bb) Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze fehlt es hier nicht an einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung zur Beauftragung des Verfahrensbevollmächtigten. Der Betriebsrat hat jedenfalls in der Berufungsinstanz die Unterlagen eingereicht, aus denen sich die Teilnehmer an der Betriebsratssitzung vom 8. Mai 2009, die Abstimmungsverhältnisse und der in der Sitzung gefasste Beschluss zur Beauftragung seines Verfahrensbevollmächtigten ergeben. Die durch den Arbeitgeber ursprünglich nicht ganz zu Unrecht angemahnten Zweifel hinsichtlich der zuvor vorgelegten Beschlüsse sind jedenfalls durch die in der Verhandlung übergebenen Unterlagen ausgeräumt worden. Von neun Betriebsratsmitgliedern nahmen an der Sitzung acht ordentliche und ein Ersatzmitglied teil. Der Beschluss ist mit acht Ja-Stimmen getroffen worden. Nach den durch das Gericht insoweit getroffenen Feststellungen hat der Verfahrensbevollmächtigte der Arbeitgeberin Einwände auch nicht mehr erhoben, insbesondere die Echtheit der Urkunden nicht in Zweifel gezogen.
b) Hinsichtlich des Regelungsgegenstandes „Interessenausgleich wegen Schließung und Umstrukturierung von Verkaufsstellen“ ist die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig, soweit es um Verhandlungen über das Ob, Wie und Wann der bereits geschlossenen fünf Filialen geht.
aa) Im Verfahren nach § 98 ArbGG ist die gerichtliche Zuständigkeitsprüfung der Einigungsstelle allerdings weitgehend eingeschränkt. Der Antrag auf Errichtung einer Einigungsstelle nach § 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 BetrVG kann nach § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nur zurückgewiesen werden, wenn diese offensichtlich unzuständig ist. Offensichtliche Unzuständigkeit liegt vor, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass das vom Betriebsrat in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt. Dies erklärt sich aus den Besonderheiten des Bestellungsverfahrens, das darauf gerichtet ist, den Betriebspartnern, die keine ständige Einigungsstelle eingerichtet haben, im Bedarfsfalle beim Auftreten von Meinungsverschiedenheiten möglichst rasch eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung zu stellen. Diese Zielsetzung erfordert ein unkompliziertes
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Bestellungsverfahren ohne zeitraubende Prüfung schwieriger Rechtsfragen (vgl. BAG 24. November 1981 - 1 ABR 42/79 - AP Nr. 11 zu § 76 BetrVG 1972 = EzA § 76 BetrVG 1972 Nr 33, zu B 1 der Gründe). Dem entspricht das vereinfachte gerichtliche Verfahren ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter unter Ausschluss der Rechtsbeschwerde. Der eingeschränkte Prüfungsmaßstab korrespondiert damit, dass die Einigungsstelle die Vorfrage ihrer Zuständigkeit selbst prüft und sich, wenn sie diese nicht für gegeben hält, für unzuständig erklären kann (vgl. BAG 30. Januar 1990 - 1 ABR 2/89 - AP Nr. 41 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = NZA 1990, 571, zu B I 5 der Gründe, mwN). Die Entscheidung des Arbeitsgerichts bindet die Einigungsstelle insoweit nicht. Sie kann ungeachtet ihrer Errichtung im Bestellungsverfahren ihre Zuständigkeit verneinen und damit eine Regelung ablehnen.
Ist eine Rechtsfrage durch das Bundesarbeitsgericht höchstrichterlich entschieden, so wird zumindest dann die offensichtliche Unzuständigkeit zu bejahen sein, wenn diese Rechtsprechung als gefestigt angesehen werden kann und angesichts uneingeschränkter Akzeptanz keine Anhaltspunkte für ein Abweichen erkennbar sind (vgl. dazu auch: LAG Baden-Württemberg 4. Dezember 2003 - 10 TaBV 2/03 – Juris, zu II 2 der Gründe, mwN, mit Anm. Bertzbach JurisPR-ArbR 33/2004 Anm. 3). Die Sachverhaltsaufklärung ist auf Tatsachen zur „offensichtlichen Unzuständigkeit“ der Einigungsstelle beschränkt, da die endgültige Klärung der Zuständigkeit der Einigungsstelle einem gesonderten Beschlussverfahren vor der vollbesetzten Kammer vorbehalten ist (BVerfG 24. September 1986 – 1 BvR 1481/83, nv).
bb) Es ist hier sofort erkennbar, dass das vom Betriebsrat in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht hinsichtlich des Versuchs eines Interessenausgleich für bereits abgeschlossene Maßnahmeteile unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt. Die Voraussetzungen für ein Mitbestimmungsrecht nach § 111 Satz 3, § 112 Abs. 4 BetrVG liegen hinsichtlich der bereits geschlossenen Filialen nicht mehr vor. Für die Frage, ob die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist, ist auf den Sachverhalt abzustellen, wie er sich zum Zeitpunkt der Anhörung bzw. Entscheidung darstellt (ArbGG/Koch § 98 Rn. 17). Für bereits durchgeführte Maßnahmen, hier die Schließung von fünf Filialen im Bezirk 263 im ersten Halbjahr 2009, sieht das Gesetz die Durchführung von Interessenausgleichsverhandlung und damit auch die Errichtung einer hierauf bezogenen Einigungsstelle nicht vor (vgl. BAG 28. März 2006 - 1 ABR 5/05 - AP Nr. 12 zu § 112a BetrVG 1972 = NZA 2006, 932 = EzA § 111 BetrVG 2001 Nr. 4, zu II 1 a dd der Gründe). Dieser kann nur vor der Durchführung verhandelt werden.
c) Nach den festgestellten Indizien ist es aber nicht sofort erkennbar, dass keine vor Schließung der Filialen im ersten Halbjahr 2009 geplante und noch nicht abgeschlossene mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung nach § 111 Satz 3 Nr. 1 u. 4, § 112 Abs. 4
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BetrVG vorliegt. Auch § 112a BetrVG steht mangels eines reinen Personalabbaus nicht entgegen. Insoweit kommen ein Interessenausgleich sowie ein Sozialplan in Betracht.
aa) Es nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass bei einer bisher nicht vollständig durchgeführten Maßnahme noch ein dahingehender Mitbestimmungstatbestand erfüllt wird. Das Recht des Betriebsrats auf Unterrichtung sowie auf Verhandlungen über das Ob, Wann und Wie der Maßnahme kann zwar nicht erst nach deren teilweisen Durchführung auf Grund einer Zusammenrechnung mit späteren Maßnahmen begründet werden. Eine spätere, von einer einheitlichen vorangegangenen Planung erfasste Teilmaßnahme kann aber auch nach vorangegangenen (Teil-)Maßnahmen noch einen Anspruch auf Interessenausgleichsverhandlungen hinsichtlich der geplanten, aber noch nicht durchgeführten Maßnahmen rechtfertigen. Insoweit besteht noch die Möglichkeit der Einflussnahme.
bb) Ein Mitbestimmungsrecht nach § 111 Satz 3 Nr. 1, § 112 Abs. 4 BetrVG ist nicht auszuschließen. Es kommt jedenfalls eine Betriebsänderung in Form einer Betriebseinschränkung in Betracht. Ganz auszuschließen ist darüber hinaus auch eine Betriebsänderung in Form einer grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation iSd. § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG nicht.
(1) Nach § 111 Satz 3 Nr. 1 in Verbindung mit § 112 Abs. 2, Abs. 4 BetrVG kann der Betriebsrat bei der Einschränkung von wesentlichen Betriebsteilen oder des ganzen Betriebes einseitig die Einigungsstelle zur Verhandlung eines Interessenausgleichs und zur Aufstellung eines Sozialplans anrufen. Eine Betriebseinschränkung definiert das Bundesarbeitsgericht als eine erhebliche, ungewöhnliche und nicht nur vorübergehende Herabsetzung der Leistungsfähigkeit des Betriebes, gleichgültig, ob die Verminderung der Leistungsfähigkeit durch Außerbetriebsetzung von Betriebsanlagen oder durch Personalreduzierung erfolgt (vgl. BAG 22.05.1979 - 1 ABR 17/77 – AP Nr. 4 zu § 111 BetrVG 1972 = NJW 1980, 83, zu II 1 e der Gründe). Der Begriff der Betriebseinschränkung verlangt dabei, dass eine größere Zahl von Arbeitnehmern betroffen ist. Das ergibt sich schon daraus, dass die Einschränkung sich auf den ganzen Betrieb oder doch auf wesentliche Betriebsteile beziehen muss. Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang allgemein die Ausgangsvorschrift des § 111 Satz 1 BetrVG zu beachten, die nur solche Betriebsänderungen anspricht, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile derselben zur Folge haben können (vgl. BAG 22.05.1979 - 1 ABR 17/77 – AP Nr. 4 zu § 111 BetrVG 1972 = NJW 1980, 83, zu II 1 d der Gründe). Ist in diesem Sinne eine Betriebsänderung gegeben, wird nach § 111 Satz 1 BetrVG der Eintritt von wirtschaftlichen Nachteilen fingiert (vgl. BAG 18. März 2008 - 1 ABR 77/06 - ZIP 2008, 1444, zu B II 1 b cc der Gründe). Dass tatsächlich Nachteile für die Mitarbeiter entstanden sind, ist nicht erforderlich. Ob ausgleichs- oder milderungswürdige Nachteile entstehen bzw. entstanden
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sind, ist bei der Aufstellung des Sozialplans von der Einigungsstelle zu prüfen und zu entscheiden.
(2) Die Schließung von Filialen kommt danach grds. als Betriebseinschränkung in Betracht. Die Schließung einzelner Filialen im Bezirk 263 genügte diesen Anforderungen allerdings nicht. Insoweit besteht unter den Beteiligten auch keine Streit. Einzubeziehen sind jedoch für die Frage, ob die dargestellten qualitativen bzw. quantitativen Voraussetzungen erfüllt sind, alle Filialschließungen, die aufgrund einer einheitlichen Planung durchgeführt worden sind. Eine einheitliche Planungsentscheidung kann auch eine stufenweise Durchführung vorsehen.
Eine einheitliche Planung ist hinsichtlich der fünf im Jahr 2009 geschlossenen Filialen jedenfalls nicht offensichtlich ausgeschlossen. Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen mehreren Entlassungswellen stellt ein wesentliches Indiz für eine von Anfang an einheitliche Planung dar (vgl. BAG 28. März 2006 - 1 ABR 5/05 - AP Nr. 12 zu § 112a BetrVG 1972 = NZA 2006, 932 = EzA § 111 BetrVG 2001 Nr. 4, zu B II 1 a bb der Gründe). Dieses Indiz ist durch den Arbeitgeber nicht ausgeräumt worden. Er hat zwar zum Beweis für eine fehlende einheitliche Planung Herrn J. benannt. Dieser hat aber in der Verhandlung ausführlich dargestellt, dass er gerade hinsichtlich der letzten fünf im Bezirk 263 geschlossenen Filialen nur noch durch die Geschäftsleitung in Kenntnis gesetzt worden sei. Nach seiner sowie der Darstellung des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung trifft die Entscheidung über die Schließung der Filiale der Arbeitgeber letztlich allein. Schriftliche Vorgänge gebe es hierzu nicht. Z.T. seien die Schließungen früher zwar zuvor durch Herrn J. angeregt worden. Gerade bei den hier streitgegenständlichen Filialschließungen sei das aber nicht der Fall gewesen. Soweit der Arbeitgeber – allerdings auch nur für vier Filialen - zuletzt noch mit Schriftsatz vom 17. August 2009 Monate benannt hat, in denen die Entscheidungen getroffen worden sein sollen, war das nicht ausreichend. Unterlagen, aus denen sich Anhaltspunkte dafür ergeben, wie Kündigung der Mietverträge, Abmeldung von Anschlüssen usw. sind nicht vorgelegt worden. Der als Zeuge benannte Herr J. ist nach eigenem Bekunden hinsichtlich der fünf Filialschließungen selbst nur insoweit in die Schließungsvorgänge einbezogen worden, dass ihm diese mitgeteilt worden sind und er dies dem Betriebsrat weitergeleitet hat. Aussagen zur zugrunde liegende Planung - auch im Einzelfall - konnte er nach eigenen Angaben des Arbeitgebers nicht treffen. Es wäre aber Aufgabe des Arbeitgebers gewesen, darzulegen und unter Beweis zu stellen, dass eine neue, von Anfang an nicht vorhersehbare Situation ihn zu weiteren Maßnahmen gezwungen hat, die ursprünglich nicht geplant waren. Dem ist er nicht nachgekommen, sodass es bei der Vermutung einer vorangegangenen einheitlichen Planung bleibt, zumal die Schließungen – worauf das Arbeitsgericht zutreffend hinweist – auch in ein Schema zu passen scheinen.
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(3) Bereits bei Einbeziehung sämtlicher im Jahr 2009 geschlossener Filialen ist es nach den oben dargestellten Grundsätzen nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass eine interessenausgleichs- und sozialplanpflichtige Betriebsänderung durchgeführt worden ist. Dabei ist es angesichts der Tatsache, dass hier zehn Prozent der Filialen geschlossen worden sind, auch nicht auszuschließen, dass eine nicht nur vorübergehende erhebliche Herabsetzung der Leistungsfähigkeit herbeigeführt worden ist. Die Schließung von fünf Filialen geht jedenfalls deutlich über den Umfang der Filialschließungen in den vorangegangenen Jahren hinaus. Auszuschließen ist auch nicht, dass eine solche Maßnahme zusammen mit dem Personalabbau (dazu BAG 28. März 2006 - 1 ABR 5/05 – aaO., zu 2 a cc der Gründe) die notwendigen oben dargestellten Auswirkungen auf die Belegschaft hatte. Hier ging es nicht um einen reinen Personalabbau. Maßgeblich sind daher nicht die dazu entwickelten Grundsätze. Unmittelbar betroffen waren mindestens 15 Belegschaftsmitglieder. Mittelbar kamen weitere (aufgrund von Versetzungen) hinzu. Angesichts der durch den Arbeitgeber nicht widerlegten Vermutung, wonach auch allen künftigen Filialschließungen ein einheitliches Konzept zugrunde liegt, ist darüber hinaus die Betroffenheit zahlreicher weiterer Belegschaftsmitglieder nicht ausgeschlossen, ohne dass es darauf ankommt, ob es sich bei der durch den Betriebsrat erwähnten Maßnahme vom 19. August 2009 tatsächlich bereits um eine weitere Filialschließung zugunsten eines XL-Marktes der Schwestergesellschaft handelt.
(4) Auch eine Betriebsänderung in Form einer grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation iSd. § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG ist nicht vollkommen ausgeschlossen. Das Bundesarbeitsgericht hat jedenfalls eine Betriebsänderung unter dem Gesichtspunkt einer grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation bejaht, wenn durch die Schließung von Filialen das Wesen der Filialstruktur verändert wird. Die Betreuung eines Teils der Kunden in den “kleineren” Filialen kann danach ein Wesenselement der Arbeitsorganisation darstellen (vgl. BAG 29. August 2007 - 4 AZR 552/06 - AP Nr. 14 zu § 1 TVG Tarifverträge: Banken = NZA-RR 2008, 72, zu I 3 b dd (2) der Gründe). Da hier eine Betriebsänderung bereits unter dem Gesichtspunkt der Betriebseinschränkung nicht auszuschließen ist, musste der Frage, ob die Schließung der Filialen zugleich zu Änderungen hinsichtlich der innerbetrieblichen Hierarchie und Aufgabenverteilung geführt hat, nicht weiter nachgegangen werden.
cc) Auch § 112a BetrVG steht der Errichtung der Einigungsstelle nicht entgegen. Zwar sind die dort genannten Zahlen hier nicht erreicht. Es liegt aber auch kein reiner Personalabbau vor. Eine mit einem Personalabbau einhergehende Reduzierung sächlicher Mittel führt aber in diesem Fall erst dann zu einer Sozialplanpflicht, wenn sie ihrerseits, ggf. unter Berücksichtigung des Personalabbaus, eine Betriebsänderung iSv. § 111 BetrVG darstellt. Erreichen die Einschränkungen der sächlichen Mittel dieses Ausmaß nicht, sind sie
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nicht geeignet, die Anwendung des § 112a Abs. 1 BetrVG zu sperren (vgl. BAG 28. März 2006 - 1 ABR 5/05 – aaO., zu 2 a cc der Gründe). Dass die Filialschließungen das danach notwendige Ausmaß erreicht haben, ist hier (nach dem oben Ausgeführten) gerade nicht ausgeschlossen.
dd) Der Regelungsgegenstand „Interessenausgleich“ der Einigungsstelle bezieht sich auf künftige Filialschließungen, zahlenmäßig allerdings unter Berücksichtigung der bereits erfolgten. Da der Arbeitgeber Anhaltspunkte dafür, dass die Maßnahme nicht auf einzelnen Entscheidungen beruht, nicht vorgetragen hat, ist auch nicht auszuschließen, dass weitere Filialschließungen beabsichtigt und von einem vorangegangenen einheitlichen Konzept getragen sind. Er hat es in der Hand, durch entsprechende Dokumentation der Vorgänge und Angabe der Personen, die konkret für die Entscheidungsfindung zuständig sind, diesen Nachweis zu führen. Solange er dem nicht nachkommt, bleibt es bei der Vermutung, dass angesichts des kurzen zeitlichen Abstandes sämtliche bisherigen und in entsprechenden Abständen folgenden Filialschließungen durch ein einheitliches Konzept getragen sind.
Der Einigungsstellengegenstand ist - auch hinsichtlich des Sozialplans - insoweit zunächst auf einen Zeitraum bis Ende August 2010 begrenzt worden. Zwar lässt sich den Angaben des Arbeitgebers nicht entnehmen, dass die Maßnahme bis dahin bereits vollständig abgeschlossen sein wird. Bei einer den bisherigen Schließungen entsprechenden zeitlichen Abfolge wären aber zu diesem Zeitpunkt alle nach dem Vortrag des Betriebsrats noch in Betracht kommenden 14 Filialen geschlossen.
III.
Die Entscheidung ergeht nach § 2 Abs. 2 GKG iVm § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG gerichtskostenfrei.
IV.
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht vorgesehen, § 98 Abs. 2 Satz 4.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung gibt es kein Rechtsmittel.
K.
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Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Geschäftszeichen (bitte immer angeben)
26 TaBV 1185/09
20 BV 8472/09
Arbeitsgericht Berlin
Beschluss
In dem Beschwerdeverfahren mit den Beteiligten
pp
hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 26. Kammer, durch den Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht K. als Vorsitzenden
am 2. Oktober 2009 beschlossen:
Der Tenor des Beschlusses vom 19. August 2009 – 26 TaBV 1185/09 – wird nach § 319 ZPO wegen offenbarer Unrichtigkeit in Übereinstimmung mit dem Protokoll des Verkündungstermins und zur Klarstellung von Amts wegen dahin berichtigt, dass es richtigerweise heißen muss:
„Der Vorsitzende Richter am Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Dr. R. P. wird zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Interessenausgleich anlässlich der Schließung und Umstrukturierung von Verkaufsstellen des Arbeitgebers im Bezirk 263 in Berlin in der Zeit vom 19. August 2009 bis zum 31. August 2010 sowie Sozialplan im Hinblick auf die Schließung und Umstrukturierung von Verkaufsstellen des Arbeitgebers in diesem Bezirk in der Zeit von Januar 2009 bis 31. August 2010“ bestellt. Die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer wird auf 2 festgesetzt.“
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
K.
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