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LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 29.09.2010, 15 Sa 654/10

   
Schlagworte: Kündigung: Betriebsbedingt
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 15 Sa 654/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 29.09.2010
   
Leitsätze: Wer als Arbeitgeber einerseits eine Stellenstreichung plant, andererseits aber den Fall einer Nachbesetzung derart detailliert mit ins Auge fasst, dass sogar Festlegungen zum Verfahren getroffen werden, der kann sich in seiner Prognose zur Realisierbarkeit seiner Konzeption gerade nicht sicher gewesen sein.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 17.02.2010, 26 Ca 19689/08
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg

 

Verkündet

am 29. Sep­tem­ber 2010

Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)

15 Sa 654/10

26 Ca 19689/08
Ar­beits­ge­richt Ber­lin

K., JHS als Ur­kunds­be­am­ter/in
der Geschäfts­stel­le


Im Na­men des Vol­kes

 

Ur­teil

In Sa­chen

pp 

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 15. Kam­mer,
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 29. Sep­tem­ber 2010
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt K. als Vor­sit­zen­der
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herr B. und Herr B.

für Recht er­kannt:

I. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 17.02.2010 - 26 Ca 19689/08 - wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

II. Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

 

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner be­triebs­be­ding­ten or­dent­li­chen Kündi­gung vom 26. No­vem­ber 2008, die das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en zum 31. De­zem­ber 2009 be­en­den soll.

Der Kläger war tech­ni­scher Be­triebs­lei­ter und Pro­ku­rist bei der Be­klag­ten, die ein Fern­heiz­werk be­treibt. Die Be­klag­te be­gründet die Kündi­gung da­mit, sie ha­be durch ei­ne un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung die Hier­ar­chie­ebe­ne des Be­triebs­lei­ters zum Weg­fall ge­bracht. Der Kläger be­haup­tet hin­ge­gen, es sei von An­fang an ge­plant ge­we­sen, sei­ne Stel­le neu zu be­set­zen.

Hin­sicht­lich des un­strei­ti­gen Sach­ver­halts und des Vor­brin­gens der Par­tei­en in der ers­ten In­stanz wird auf den Tat­be­stand des an­ge­foch­te­nen Ur­teils ver­wie­sen.

Mit Ur­teil vom 17. Fe­bru­ar 2010 hat das Ar­beits­ge­richt Ber­lin fest­ge­stellt, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis nicht durch die or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 26. No­vem­ber 2008 zum 31. De­zem­ber 2009 auf­gelöst wor­den ist. Darüber hin­aus hat es den Be­klag­ten ver­ur­teilt, den Kläger vorläufig wei­ter­zu­beschäfti­gen und hat die Kla­ge hin­sicht­lich ei­nes all­ge­mei­nen Fest­stel­lungs­an­tra­ges ab­ge­wie­sen. Bezüglich der Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung hat das Ar­beits­ge­richt aus­geführt, dass es frag­lich sei, ob es ei­ne un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung ge­ge­ben ha­be, die sich nur auf den Aus­spruch der Kündi­gung er­streckt ha­be, oder ob auch be­ab­sich­tigt ge­we­sen sei, die Stel­le des Klägers endgültig zu strei­chen. Die Be­klag­te ha­be nicht dar­ge­legt, wann sie ei­ne kon­kre­te, auf Dau­er an­ge­leg­te Ra­tio­na­li­sie­rungs­ent­schei­dung ge­trof­fen ha­be. Erst nach ständi­ger Hil­fe­stel­lung durch den Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten der Be­klag­ten ha­be der Geschäftsführer im Kam­mer­ter­min erklärt, man ha­be sich auf das Kon­zept ei­ner Schwes­ter­ge­sell­schaft be­ru­fen, bei der im Jah­re 2008 eben­falls die Stel­le des Be­triebs­lei­ters zum Weg­fall ge­bracht wor­den sei. Nach An­sicht des Ar­beits­ge­richts rei­che es nicht aus, erst die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses her­bei­zuführen und dann im Nach­hin­ein zu über­le­gen, wie die ent­spre­chen­den Tätig­kei­ten um­zu­or­ga­ni­sie­ren sei­en. Er­for­der­lich sei, dass die Stel­len­strei­chung auf Dau­er an­ge­legt ist und der Ar­beit­ge­ber sich nicht ei­ne Neu­be­set­zung der Stel­le vor­behält. Dar­an feh­le es, da der Geschäftsführer der Be­klag­ten nach sei­nen

 

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ei­ge­nen An­ga­ben erst nach Aus­spruch der Kündi­gung Gespräche mit den in Be­tracht kom­men­den Ar­beit­neh­mern über die Um­ver­tei­lung der Auf­ga­ben durch­geführt ha­be.

Die­ses Ur­teil ist der Be­klag­ten am 10. März 2010 zu­ge­stellt wor­den. Die Be­ru­fung ging am 24. März 2010 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein. Nach Verlänge­rung bis zum 31. Mai 2010 er­folg­te die Be­ru­fungs­be­gründung am 28. Mai 2010.

Nach­dem im Frühjahr 2010 durch die Be­klag­te ei­ne wei­te­re or­dent­li­che Kündi­gung aus­ge­spro­chen wor­den ist, ha­ben die Par­tei­en den aus­ge­ur­teil­ten Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch übe­rein­stim­mend für er­le­digt erklärt.

Die Be­klag­te be­haup­tet, der Be­triebs­lei­ter bei der Schwes­ter­ge­sell­schaft in N. übe die­se Funk­ti­on schon seit Som­mer 2008 nicht mehr aus. Im Übri­gen be­haup­tet sie nun­mehr, schon am 21. No­vem­ber 2008 ha­be ihr Geschäftsführer mit Herrn K., der Vor­stands­mit­glied bei der Mut­ter­ge­sell­schaft für den Be­reich Wärme ist, das un­ter­neh­me­ri­sche Kon­zept ab­ge­stimmt. Da­nach hätte zur Kos­ten­ein­spa­rung ei­ne Ra­tio­na­li­sie­rung durch­geführt und die Po­si­ti­on der tech­ni­schen Lei­tung ge­stri­chen wer­den sol­len. Ihr Geschäftsführer ha­be ge­wusst, dass die­ses Kon­zept ge­he, da ein sol­ches bei der Schwes­ter­ge­sell­schaft in N. exis­tiert ha­be. Le­dig­lich De­tails hätten bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist kon­kre­ti­siert wer­den müssen. So­weit nach Aus­spruch der Kündi­gung Be­spre­chun­gen mit Herrn O. und Herr St. geführt wur­den, hätten sich die­se nur auf die ver­blie­be­nen Rest­ar­bei­ten be­zo­gen. Es ha­be zu kei­nem Zeit­punkt ei­nen Vor­schlag ge­ge­ben, die Po­si­ti­on des tech­ni­schen Lei­ters wie­der neu zu be­set­zen. Das Kon­zept funk­tio­nie­re nun­mehr schon seit 1 ½ Jah­ren, oh­ne dass von den ver­blie­be­nen Beschäftig­ten über­ob­li­ga­to­ri­sche Leis­tun­gen ver­langt würden. Ent­schei­dend sei, dass das un­ter­neh­me­ri­sche Kon­zept bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist um­ge­setzt wor­den sei.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 17.02.2010 - 26 Ca 19689/08 - ab­zuändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Der Kläger be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

 

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Er ist wei­ter­hin der An­sicht, dass ei­ne Neu­be­set­zung sei­ner Stel­le von An­fang an ge­plant ge­we­sen sei. Der tech­ni­sche Lei­ter der Schwes­ter­ge­sell­schaft sei frühes­tens im März 2009 aus­ge­schie­den. Der Geschäftsführer der Be­klag­ten ha­be nicht wis­sen können, ob sein Kon­zept funk­tio­nie­re. Herr O. ha­be Plus­stun­den in sei­nem Ar­beits­zeit­kon­to auf­ge­baut. Für die Nach­be­set­zung sei­ner Stel­le spre­che auch, dass Herr O. in ei­nem Pro­to­koll der Geschäfts­lei­tung vom 17. De­zem­ber 2008 (Bl. 240 d. A.) als kom­mis­sa­ri­scher tech­ni­scher Lei­ter be­zeich­net wird. Herr O. er­hal­te für sei­ne Tätig­keit nun­mehr ei­ne zusätz­li­che Vergütung. Der Be­triebs­lei­ter der Schwes­ter­ge­sell­schaft ha­be noch im Ja­nu­ar 2009 in sei­ner Funk­ti­on ei­ne Führung durch das Fern­heiz­werk N. ge­macht.

Die Kam­mer hat Be­weis er­ho­ben über die Be­haup­tun­gen der Par­tei­en. Hin­sicht­lich des Be­weis­be­schlus­ses wird auf das Pro­to­koll vom 29. Sep­tem­ber 2010 in Ver­bin­dung mit dem ge­richt­li­chen Schrei­ben vom 30. Au­gust 2010 ver­wie­sen. Das Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me er­gibt sich aus der Sit­zungs­nie­der­schrift vom 29. Sep­tem­ber 2010.

Ent­schei­dungs­gründe

I.

Die Be­ru­fung ist form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den. Sie ist da­her zulässig.

II.

Die Be­ru­fung hat in der Sa­che je­doch kei­nen Er­folg. Zu Recht hat das Ar­beits­ge­richt Ber­lin ent­schie­den, dass die Kündi­gung vom 26. No­vem­ber 2008 un­wirk­sam ist. Sie ist als be­triebs­be­ding­te Kündi­gung nicht gem. § 1 Abs. 2 KSchG so­zi­al ge­recht­fer­tigt.

1. Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts können sich be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se für ei­ne Kündi­gung auch aus in­ner­be­trieb­li­chen Umständen, z. B. ei­ner Ra­tio­na­li­sie­rungs­maßnah­me, er­ge­ben. Die­se be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­se müssen „drin­gend“ sein und ei­ne Kündi­gung im In­ter­es­se des Be­trie­bes not­wen­dig ma­chen. Maßgeb­li­cher Zeit­punkt zur Be­ur­tei­lung der Rechtsmäßig­keit ei­ner Kündi­gung ist der des

 

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Kündi­gungs­zu­gangs. Ei­ne Kündi­gung ist nicht nur möglich, wenn zum Kündi­gungs­zeit­punkt der Ar­beits­platz des Ar­beit­neh­mers nicht mehr zur Verfügung steht. We­gen der Zu­kunfts­be­zo­gen­heit der Kündi­gung und aus Gründen der Prak­ti­ka­bi­lität ist es nach Auf­fas­sung des BAG aus­rei­chend, wenn die für den künf­ti­gen Weg­fall der Beschäfti­gung des Ar­beit­neh­mers maßge­ben­den Ent­wick­lun­gen be­reits zum Kündi­gungs­zeit­punkt fest­ste­hen. Da­von ist aus­zu­ge­hen, wenn im Zeit­punkt des Aus­spruchs der Kündi­gung die auf Tat­sa­chen gestütz­te, vernünf­ti­ge be­triebs­wirt­schaft­li­che Pro­gno­se ge­recht­fer­tigt ist, dass zum Kündi­gungs­ter­min mit ei­ni­ger Si­cher­heit der Ein­tritt des die Ent­las­sung er­for­der­lich ma­chen­den be­trieb­li­chen Grun­des vor­lie­gen wird. So­fern dies nicht der Fall ist, kann ei­ne zum Weg­fall des Ar­beits­plat­zes und zur feh­len­den Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­keit führen­de Pro­gno­se vor dem Ab­lauf der Kündi­gungs­frist nicht er­folg­reich ge­stellt wer­den. In die­sem Fall be­darf es ei­ner zwei­ten - endgülti­gen - un­ter­neh­me­ri­schen Or­ga­ni­sa­ti­ons­ent­schei­dung. Ei­ne so ge­nann­te „Vor­ratskündi­gung“ ist un­wirk­sam (BAG vom 13.02.2008 - 2 AZR 75/06 - ju­ris, Rn. 19 ff.). Der er­for­der­li­che Pro­gno­se­maßstab ist auch nicht in den Fällen ab­zu­mil­dern, in de­nen der Ar­beit­neh­mer sich auf lan­ge Kündi­gungs­fris­ten be­ru­fen kann (BAG vom 12.04.2002 - 2 AZR 256/01 - NZA 2002, 1205).

2. Bei An­wen­dung die­ser Grundsätze kann auf­grund der durch­geführ­ten Be­weis­auf­nah­me nicht fest­ge­stellt wer­den, dass der Ein­tritt der die Kündi­gung er­for­der­lich ma­chen­den be­trieb­li­chen Umstände zum Kündi­gungs­zeit­punkt mit aus­rei­chen­der Si­cher­heit fest­stand. Die Kündi­gung vom 26. No­vem­ber 2008 stellt sich viel­mehr als un­wirk­sa­me so ge­nann­te „Vor­ratskündi­gung“ dar.

2.1 Die Be­klag­te be­haup­tet al­ler­dings, sie ha­be schon vor Aus­spruch der Kündi­gung durch ih­ren Geschäftsführer den Ent­schluss ge­fasst, die Hier­ar­chie­ebe­ne, auf der der Kläger als Be­triebs­lei­ter tätig war, zum Weg­fall zu brin­gen. Die Auf­ga­ben soll­ten im We­sent­li­chen auf Herrn O., an­de­re Un­ter­neh­men des V.-Kon­zerns und ex­ter­ne Dienst­leis­ter um­ver­teilt wer­den. Hin­sicht­lich der Durchführ­bar­keit ha­be man auf Er­fah­run­gen bei ei­nem Schwes­ter­un­ter­neh­men, der F. N. AG, zurück­grei­fen können.

Für die Durchführ­bar­keit des be­haup­te­ten Kon­zepts spricht ins­be­son­de­re, dass der Kläger mit Aus­spruch der Kündi­gung frei­ge­stellt und die­se Stel­le nun­mehr über 1 ½ Jah­re nicht wie­der be­setzt wur­de.

 

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2.2 Auch wenn man zu Guns­ten der Be­klag­ten un­ter­stellt, dass schon im Som­mer 2008 bei dem Schwes­ter­un­ter­neh­men in N. die Hier­ar­chie­ebe­ne des tech­ni­schen Be­triebs­lei­ters ge­stri­chen wor­den ist, so konn­te und hat die Be­klag­te bei Aus­spruch der Kündi­gung nicht mit hin­rei­chen­der Si­cher­heit pro­gnos­ti­ziert, dass der Kläger bei Ab­lauf der Kündi­gungs­frist am 31. De­zem­ber 2009 ent­behrt wer­den kann.

Zum ei­nen war die Struk­tur bei­der Un­ter­neh­men nicht iden­tisch. Im Schwes­ter­un­ter­neh­men verfügte die Geschäfts­lei­tung selbst über tech­ni­schen Sach­ver­stand, denn der Geschäftsführer dort war In­ge­nieur. Dies ist bei der hie­si­gen Be­klag­ten nicht der Fall, wor­auf der Kläger zu Recht hin­ge­wie­sen hat.

Darüber hin­aus sah das Kon­zept der Be­klag­ten nach de­ren Dar­stel­lung vor, Herrn O. mit „Rest­ar­bei­ten“ zu be­trau­en. Nach Aus­sa­ge des Geschäftsführers der Be­klag­ten in sei­ner Ver­neh­mung in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung hat Herr O. un­strei­tig Tei­le der Funk­tio­nen des Klägers über­nom­men und hierfür im Rah­men des Ta­rif­ver­tra­ges ei­ne höhe­re Vergütung um ei­ne Ge­halts­grup­pe er­hal­ten. Letz­te­res war von der Be­klag­ten zu­vor im­mer be­strit­ten wor­den. In der erst­in­stanz­li­chen Ver­neh­mung hat­te der Geschäftsführer der Be­klag­ten fer­ner be­kun­det, mit Herrn O. uns an­de­ren erst nach Aus­spruch der Kündi­gung be­spro­chen zu ha­ben, wer wel­che Tätig­kei­ten über­nimmt. Dann konn­te die Be­klag­te zum Kündi­gungs­zeit­punkt je­den­falls nicht mit der er­for­der­li­chen Si­cher­heit da­von aus­ge­hen, dass Herr O. be­reit sein wird, die­se höher­wer­ti­gen Tätig­kei­ten aus­zuüben.

Die Un­si­cher­heit in der Pro­gno­se hat sich bei der Be­klag­ten auch nach Außen nie­der­ge­schla­gen. Im Ge­gen­satz zum Be­strei­ten der Be­klag­ten hat die Be­weis­auf­nah­me er­ge­ben, dass die Durchführung ei­nes As­sess­ment-Cen­ters durch­aus Ge­gen­stand der Ge­sell­schaf­ter­ver­samm­lung am 3. De­zem­ber 2008 war. So wur­den die Ver­tre­ter der Ge­sell­schaf­te­rin in die­ser Ver­samm­lung im Rah­men ei­ner Präsen­ta­ti­on über die Kündi­gung des Klägers in­for­miert. Ob­wohl die Ge­sell­schaf­ter nach Dar­stel­lung der Be­klag­ten im Hin­blick auf die Strei­chung ei­ner Stel­le des tech­ni­schen Be­triebs­lei­ters nicht ent­schei­dungs­be­fugt wa­ren, wur­den sie hierüber nicht nur ein­fach in­for­miert. Viel­mehr wur­de ih­nen im Rah­men der Präsen­ta­ti­on die In­for­ma­ti­on ge­ge­ben, dass bei ei­ner Neu­be­set­zung der Stel­le ein As­sess­ment-Cen­ter durch­geführt wer­den sol­le. Dies hat der kaufmänni­sche Lei­ter und Pro­ku­rist der Be­klag­ten, Herr J., in sei­ner Ver­neh­mung am 29. Sep­tem­ber 2010 aus­geführt. Wer als Ar­beit­ge­ber ei­ner­seits ei­ne Stel­len­strei­chung plant, an­de­rer­seits aber im

 

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Fall ei­ner Nach­be­set­zung der­art de­tail­liert min­des­tens ins Au­ge fasst, dass so­gar Fest­le­gun­gen zum Ver­fah­ren ge­trof­fen wer­den, der kann sich in sei­ner Pro­gno­se zur Rea­li­sier­bar­keit sei­ner Kon­zep­ti­on ge­ra­de nicht si­cher ge­we­sen sein.

Auch in der Ver­neh­mung vom 29. Sep­tem­ber 2010 tre­ten der­ar­ti­ge Un­si­cher­hei­ten er­kenn­bar zu­ta­ge. Der Geschäftsführer führt in­so­fern aus, dass er kei­nen Vor­schlag zur Neu­be­set­zung der Stel­le oder zur Durchführung ei­nes As­sess­ment-Cen­ters ge­macht ha­be. Er ha­be die Stel­le des Klägers nicht neu be­set­zen wol­len. Er ergänzt dann:

„Wenn ir­gend­wann die Stel­le neu be­setzt wer­den müss­te, weil das un­ter­neh­me­ri­sche Kon­zept sich als Murks her­aus­stel­len würde, dann hätte man nach den Kon­zern­vor­ga­ben je­den­falls ein As­sess­ment-Cen­ter durchführen müssen.“

Herr K., der Ver­tre­ter der Ge­sell­schaf­te­rin, der nach ei­ge­nem Be­kun­den um den gro­ben In­halt des Rechts­streits weiß, be­kun­det:

„Nur im Not­fall, den wir uns nicht vor­stel­len konn­ten, soll­te aus dem Mut­ter­un­ter­neh­men Un­terstützung ge­ge­ben wer­den.“

Im Ge­gen­satz zu die­ser re­la­tiv kla­ren Wort­wahl hat Herr K. am An­fang und am En­de sei­ner Ver­neh­mung aus­ge­sagt:

„In der Ge­sell­schaf­ter­ver­samm­lung ist ge­sagt wor­den, dass die Stel­le zu­min­dest vor­erst nicht neu be­setzt wer­den soll.“
„Zu­min­dest vorläufig soll­te die­se Stel­le nicht be­setzt wer­den.“

Sol­che For­mu­lie­run­gen ma­chen kei­nen Sinn, wenn tatsächlich nur im Not­fall ei­ne Nach­be­set­zung ins Au­ge ge­fasst wor­den wäre. Wenn ei­ne Stel­le „zu­min­dest vor­erst“ oder „zu­min­dest vorläufig“ nicht be­setzt wer­den soll, dann schließt dies die Vor­stel­lung mit ein, dass ei­ne Nach­be­set­zung zu ei­nem späte­ren Zeit­punkt je­den­falls als möglich in Be­tracht ge­zo­gen wur­de.

Der kaufmänni­sche Lei­ter und Pro­ku­rist, Herr J., hat erklärt, dass ei­ne Nach­be­set­zung „nicht be­ab­sich­tigt“ war. Die Möglich­keit ei­ner Nach­be­set­zung wird da­mit aber nicht aus­ge­schlos­sen. Zu Be­ginn sei­ner Ver­neh­mung erklärt er:

„Im Fall ei­ner Nach­be­set­zung soll­te ein As­sess­ment-Ver­fah­ren statt­fin­den.“

 

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Später führt er aus:

„Zum an­de­ren, wenn be­stimm­te Über­le­gun­gen dann doch nicht funk­tio­nie­ren soll­ten, wäre ei­ne Neu­be­set­zung not­wen­dig ge­we­sen. Bei der Po­si­ti­on des Klägers hätte man auf je­den Fall ein As­sess­ment-Cen­ter ge­macht.“

Auch hier wird ei­ne mögli­che Nach­be­set­zung ins Kalkül ein­be­zo­gen, ob­wohl die Be­klag­te nach ih­ren Dar­stel­lun­gen die­se Va­ri­an­te nur für fern lie­gend hielt.

Ins­ge­samt ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die Pro­gno­se zum Weg­fall des Ar­beits­plat­zes des Klägers nicht hin­rei­chend fun­diert er­stellt war. Si­cher­lich muss­te die Be­klag­te nicht vor Aus­spruch der Kündi­gung ein 30-sei­ti­ges Kon­zept er­stel­len. Die­se Einschätzung des Geschäftsführers der Be­klag­ten wird ge­teilt. An­de­rer­seits war die Kon­zep­ti­on der Be­klag­ten mehr als grob. Der Geschäftsführer hat in sei­ner Ver­neh­mung am 29. Sep­tem­ber 2010 aus­geführt, er ha­be mit Herrn J. ein Drei-Säulen-Mo­dell be­spro­chen, wo­nach die Geschäfts­lei­tung auf zwei Per­so­nen ver­klei­nert und Auf­ga­ben des Klägers ei­ne Eta­ge tie­fer ver­la­gert oder auf außen­ste­hen­de Drit­te über­tra­gen wer­den soll­te. Dies ist aber nicht mehr als die Ab­sicht, die vor­her vom Kläger aus­geübten Auf­ga­ben um­zu­ver­tei­len. We­der gab es ei­ne Ana­ly­se, wel­che Auf­ga­ben der Kläger ver­rich­te­te, noch war fest­ge­legt wor­den, wel­che die­ser Auf­ga­ben an wen ver­teilt wer­den soll­ten. Da­her konn­te auch gar nicht ein­geschätzt wer­den, ob ir­gend­je­mand über­ob­li­ga­to­risch zu Leis­tun­gen her­an­ge­zo­gen wer­den soll­te. Tatsächlich kam es nach­fol­gend zu sol­chen über­ob­li­ga­to­ri­schen Leis­tun­gen, die je­doch be­zo­gen auf Herrn O. ein­ver­nehm­lich da­hin­ge­hend aus­ge­gli­chen wur­den, dass er im Rah­men des Ta­rif­ver­tra­ges um ei­ne Vergütungs­grup­pe höher ein­grup­piert wur­de. Zu den Über­le­gun­gen der Be­klag­ten zum Kündi­gungs­zeit­punkt gehörte es je­den­falls auch, die Nach­be­set­zung der Stel­le des Klägers je­den­falls für den Fall of­fen zu hal­ten, dass ihr Kon­zept schei­tern soll­te. Für die­sen Fall wa­ren ih­re Über­le­gun­gen so de­tail­liert, dass selbst die Durchführung ei­nes As­sess­ment-Cen­ters aus­drück­lich an­ge­spro­chen wur­de.

Da­mit hat die Be­klag­te den Ein­druck nicht ausräum­en können, sie ha­be erst ein­mal gekündigt und erst da­nach ge­nau ge­prüft, wie künf­tig im Ein­zel­nen ver­fah­ren wer­den sol­le. Aus die­sem Grun­de geht die Kam­mer von ei­ner un­zulässi­gen Vor­ratskündi­gung aus.

 

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3. Es konn­te of­fen blei­ben, ob die Be­klag­te die Nach­be­set­zung der Po­si­ti­on des Klägers von An­fang an be­ab­sich­tigt hat­te.

Die am 29. Sep­tem­ber 2010 ver­nom­me­nen Zeu­gen des Klägers ha­ben nicht po­si­tiv bestätigt, dass auf der Be­leg­schafts­ver­samm­lung am 26. No­vem­ber 2008 der Geschäftsführer der Be­klag­ten ei­ne be­ab­sich­tig­te Nach­be­set­zung der Stel­le durch ei­nen Ar­beit­neh­mer des V.-Kon­zerns mit­ge­teilt ha­be. Sie konn­ten sich in­so­fern an die Be­leg­schafts­ver­samm­lung nicht mehr er­in­nern. Die Kam­mer hat durch­aus Zwei­fel, ob dies zu­tref­fend ist. Die Be­leg­schafts­ver­samm­lung hat­te ei­nen außer­gewöhn­li­chen Hin­ter­grund, nämlich die Be­ur­lau­bung und das Aus­schei­den ei­nes langjähri­gen Mit­ar­bei­ters und Vor­ge­setz­ten. Ge­ra­de auch vor die­sem Hin­ter­grund wäre ein bes­se­res Er­in­nern zu er­war­ten ge­we­sen, zu­mal es für das in­ner­be­trieb­li­che Kli­ma von Re­le­vanz ge­we­sen wäre, ob die Stel­le von ei­nem Außen­ste­hen­den nach­be­setzt wer­den soll­te.

4. Über den erst­in­stanz­lich aus­ge­ur­teil­ten Wei­ter­beschäfti­gungs­an­trag war nicht mehr zu ent­schei­den, nach­dem die Par­tei­en die­sen im Hin­blick auf ei­ne wei­te­re Kündi­gung übe­rein­stim­mend für er­le­digt erklärt ha­ben.

III.

Die Be­klag­te hat die Kos­ten des er­folg­lo­sen Rechts­mit­tels zu tra­gen (§ 97 ZPO). So­weit der Wei­ter­beschäfti­gungs­an­trag übe­rein­stim­mend für er­le­digt erklärt wur­de, fal­len der Be­klag­ten die Kos­ten hierfür eben­falls gem. § 91 a ZPO zur Last, da der An­trag ursprüng­lich zulässig und be­gründet war. Die Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers war - im Ge­gen­satz zur Auf­fas­sung der Be­klag­ten - auch nicht ob­jek­tiv unmöglich. Die Be­klag­te war viel­mehr durch­aus in der La­ge, die Struk­tur ih­res Be­trie­bes zu­min­dest vorüber­ge­hend in­so­fern zu verändern, dass der Kläger hätte wei­ter­beschäftigt wer­den können.

Die Vor­aus­set­zung für die Zu­las­sung der Re­vi­si­on lie­gen nicht vor (§ 72 ArbGG). Auf die Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de (§ 72 a ArbGG) wird hin­ge­wie­sen.

 

K.

B.

B.

 

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