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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/239

Ta­rif­ge­halt kann auch oh­ne aus­drück­li­che Re­ge­lung ei­nen Nacht­zu­schlag ent­hal­ten

Nacht­zu­schlä­ge gibt es nicht bei All-in­clu­si­ve-Ge­halt: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 16.04.2010, 10 Sa 276/10
Münzen, Münzhaufen Das "Klein­ge­druck­te" wird oft zum Zank­ap­fel
07.12.2010. Das auf der eu­ro­päi­schen Ar­beits­zeit-Richt­li­nie ba­sie­ren­de Ar­beits­zeit­ge­setz (Arb­ZG) dient in ers­ter Li­nie dem Schutz der Ge­sund­heit des Ar­beit­neh­mers. Dies gilt ins­be­son­de­re für die so ge­nann­te Nacht­ar­beit, die dem bio­lo­gi­schen Rhyth­mus des Men­schen wi­der­spricht und da­her nach ge­si­cher­ten ar­beits­me­di­zi­ni­schen Er­kennt­nis­sen im Ver­gleich zur Tag­ar­beit ganz be­son­ders be­las­tend ist. Als Nacht­ar­beit de­fi­niert das Ge­setz grund­sätz­lich je­de Ar­beit, die mehr als zwei St­un­den in der Zeit von 23 bis 6 Uhr um­fasst (§ 2 Abs. 4 und Abs. 3 Arb­ZG).

Für so ge­nann­te Nacht­ar­beit­neh­mer gel­ten da­her ganz be­son­ders stren­ge Vor­schrif­ten. Das sind Ar­beit­neh­mer, die ent­we­der auf­grund ih­rer Ar­beits­zeit­ge­stal­tung nor­ma­ler­wei­se Nacht­ar­beit in Wech­sel­schicht zu leis­ten ha­ben oder Nacht­ar­beit an min­des­tens 48 Ta­gen im Ka­len­der­jahr leis­ten (§ 2 Abs. 5 Arb­ZG).

Zwar gilt für die­se eben­so wie für nor­ma­le Ar­beit­neh­mer ei­ne werk­täg­li­che Ar­beits­zeit von ma­xi­mal 8 St­un­den (sie­he § 3 Satz 1 Arb­ZG ei­ner­seits und § 6 Abs. 2 Satz 1 Arb­ZG an­de­rer­seits). Ei­ne an sich mög­li­che Ver­län­ge­rung auf bis zu 10 St­un­den ist aber im Ver­gleich zu Tag­ar­beit­neh­mern nur in­ner­halb ei­nes ver­kürz­ten Aus­gleichs­zeit­raums von ei­nem statt sechs Ka­len­der­mo­na­ten bzw. vier statt vier­und­zwan­zig Wo­chen mög­lich (sie­he § 3 Satz 2 Arb­ZG und § 6 Abs. 2 Sät­ze 2 und 3 Arb­ZG).

Au­ßer­dem ha­ben Nacht­ar­beit­neh­mer die Mög­lich­keit, sich in re­gel­mä­ßi­gen Ab­stän­den ar­beits­me­di­zi­nisch un­ter­su­chen zu las­sen (§ 6 Abs. 3 Arb­ZG) und ge­ge­be­nen­falls so­gar die Um­set­zung auf ei­nen Ta­ges­ar­beits­platz ver­lan­gen zu kön­nen (§ 6 Abs. 4 Arb­ZG).

Au­ßer­dem schreibt § 6 Abs. 5 Arb­ZG vor, dass Nacht­ar­beit­neh­mer für die wäh­rend der Nacht­zeit ge­leis­te­ten Ar­beits­stun­den ei­ne "an­ge­mes­se­ne" Zahl be­zahl­ter frei­er Ta­ge oder ei­nen "an­ge­mes­se­nen" Zu­schlag auf das ihm hier­für zu­ste­hen­de Brut­to­ar­beits­ent­gelt be­an­spru­chen kön­nen. Da­bei hat der Ar­beit­ge­ber die Wahl zwi­schen die­sen bei­den Aus­gleichs­mög­lich­kei­ten, so das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) mit Ur­teil vom 05.09.2002 (9 AZR 202/01).

Dies gilt je­doch nur, so­weit kei­ne ta­rif­ver­trag­li­chen Aus­gleichs­re­ge­lun­gen be­ste­hen. Nach der Recht­spre­chung des BAG kann ein fi­nan­zi­el­ler Aus­gleich näm­lich auch oh­ne aus­drück­li­che Be­zeich­nung in ta­rif­li­chen Leis­tun­gen ent­hal­ten sein, die Nacht­ar­bei­tern er­hal­ten (BAG, Be­schluss vom 26.08.1997, 1 ABR 16/97).

Ein der­zeit beim BAG an­hän­gi­ger Fall geht es wie­der um die­se Fra­ge, ob ta­rif­li­che Leis­tun­gen ei­nen Nacht­zu­schlag ent­hal­ten oder nicht. Ei­ne bei ei­nem Toch­ter­un­ter­neh­men der Deut­schen Bahn be­schäf­tig­te und zeit­wei­se im Nacht­dienst tä­ti­ge Ste­war­dess mit Zug­schaff­ner­funk­ti­on hat­te hier Nacht­zu­schlä­ge ein­ge­klagt.

In ei­nem auf ihr Ar­beits­ver­hält­nis an­wend­ba­ren Fir­men­ta­rif­ver­trag wur­de aber zwi­schen Ar­beit­neh­mern im sta­tio­nä­ren Dienst und sol­chen im Fahr­dienst un­ter­schie­den. Nur das sta­tio­nä­re Per­so­nal er­hielt ein Nacht­zu­schlag, ob­wohl den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en be­wusst war, dass auch im Fahr­dienst Nacht­ar­beit an­fiel. Dies er­gab sich zum ei­nen aus ta­rif­ver­trag­lich aus­drück­lich ge­nann­ten Tä­tig­keits­bei­spie­len und zum an­de­ren dar­aus, dass wäh­rend der Ver­hand­lun­gen aus­drück­lich er­klärt wor­den war, im Fahr­dienst fal­le re­gel­mä­ßig ein ho­her An­teil an Ar­beits­be­reit­schaft an.

Aus Sicht des Ar­beits­ge­richts Ber­lin (Ur­teil vom 14.01.2010, 24 Ca 10178/08) und des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg (Ur­teil vom 16.04.2010, 10 Sa 276/10) ge­nüg­ten die­se An­halts­punk­te, um ei­ne "still­schwei­gen­de" ta­rif­ver­trag­li­che Aus­gleichs­re­ge­lung im Sin­ne der Recht­spre­chung des BAG an­zu­neh­men.

Fa­zit: Die Re­vi­si­on ist zur Zeit beim Bun­des­ar­beits­ge­richt un­ter dem Ak­ten­zei­chen 10 AZR 369/10 an­hän­gig. Der­zeit ist of­fen, ob das BAG sei­ne Vor­in­stan­zen be­stä­ti­gen wird oder nicht.

Nä­he­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt über den Fall ent­schie­den und die Ur­tei­le des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg und des Ar­beits­ge­richts Ber­lin auf­ge­ho­ben. Das BAG-Ur­teil im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 4. Dezember 2020

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