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BAG, Be­schluss vom 24.04.2013, 7 ABR 71/11

   
Schlagworte: Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 7 ABR 71/11
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 24.04.2013
   
Leitsätze:

1. Bei der Prüfung, ob die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats sachdienlich iSv. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alt. 2 BetrVG ist, ist von besonderer Bedeutung, wo die mitbestimmungspflichtigen Entscheidungen im Betrieb getroffen werden. Bei der Beurteilung der Sachdienlichkeit sind allerdings noch weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen; dazu gehört insbesondere der Gesichtspunkt der Ortsnähe der Betriebsvertretung.


 

2. Soll die Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats der Erleichterung der Bildung von Betriebsräten nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alt. 1 BetrVG dienen, ist sie dann vom Zweck der Regelung nicht mehr gedeckt, wenn diese Erleichterung ohne Weiteres bereits durch die Zusammenfassung von Betrieben erreicht werden kann und sich demgegenüber die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats als ersichtlich weniger sachgerechte Lösung darstellt.


3. Bei der Frage, ob sie von den sich aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ergebenden Möglichkeiten Gebrauch machen und eine Betriebsvereinbarung nach § 3 Abs. 2 BetrVG abschließen wollen, kommt den Betriebsparteien ein Einschätzungsspielraum hinsichtlich des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen sowie ein Beurteilungs- und ein Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung einer Regelung zu. Ob die Betriebsparteien hierbei die gesetzlichen Vorgaben eingehalten oder überschritten haben, unterliegt im Streitfall der gerichtlichen Überprüfung.

 

4. Für den Abschluss einer derartigen Betriebsvereinbarung ist der Ge-samtbetriebsrat zuständig. Es besteht kein Vetorecht eines örtlichen Betriebsrats.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht München, Beschluss vom 26.11.2010 - 37 BV 73/10
Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 11.8.2011 - 2 TaBV 5/11
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


7 ABR 71/11
2 TaBV 5/11
Lan­des­ar­beits­ge­richt
München


Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

24. April 2013

BESCHLUSS

Schie­ge, Ur­kunds­be­am­ter

der Geschäfts­stel­le

In dem Be­schluss­ver­fah­ren mit den Be­tei­lig­ten

1.

An­trag­stel­le­rin und Be­schwer­deführe­rin,

2.

3.

Rechts­be­schwer­deführer,



4.

 

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hat der Sieb­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der Anhörung vom 24. April 2013 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Lin­sen­mai­er, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Zwan­zi­ger und Prof. Dr. Kiel so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Will­ms und Busch für Recht er­kannt:


Auf die Rechts­be­schwer­de des Be­tei­lig­ten zu 3. wird der Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts München vom 11. Au­gust 2011 - 2 TaBV 5/11 - auf­ge­ho­ben.

Die Sa­che wird zur neu­en Anhörung und Ent­schei­dung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Gründe

A. Die Be­tei­lig­ten strei­ten darüber, ob die zu 1. be­tei­lig­te Ar­beit­ge­be­rin und der zu 2. be­tei­lig­te Ge­samt­be­triebs­rat durch Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung wirk­sam die Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats be­stimmt ha­ben. Das wird von den bei­den bei der Ar­beit­ge­be­rin ge­bil­de­ten Be­triebsräten, dem für die Re­gi­on Nord ge­bil­de­ten Be­tei­lig­ten zu 3. (Be­triebs­rat Nord) und dem für die Re­gi­on Süd ge­bil­de­ten Be­tei­lig­ten zu 4. (Be­triebs­rat Süd) un­ter­schied­lich be­ur­teilt. Während der Be­triebs­rat Süd eben­so wie die Ar­beit­ge­be­rin und der Ge­samt­be­triebs­rat von der Wirk­sam­keit der Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung aus­geht, hält der Be­triebs­rat Nord sie für un­wirk­sam.


Die Ar­beit­ge­be­rin bie­tet Soft­ware­pro­duk­te und sons­ti­ge Dienst­leis­tun­gen für eu­ropäische Ban­ken an. Sie ist nicht ta­rif­ge­bun­den. Bei ihr wer­de


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je­doch kraft ein­zel­ver­trag­li­cher Ver­ein­ba­rung die Ta­rif­verträge der Baye­ri­schen Me­tall- und Elek­tro­in­dus­trie an­ge­wandt. Die Un­ter­neh­mens­zen­tra­le liegt in M. Bei der Ar­beit­ge­be­rin sind 321 Ar­beit­neh­mer beschäftigt. Da­von ar­bei­ten am Stand­ort M 192 und am Stand­ort N 15 Ar­beit­neh­mer. Am Stand­ort F sind 91, am Stand­ort H 16 und am Stand­ort K sie­ben Ar­beit­neh­mer tätig. Die be­ste­hen-de Be­triebs­rats­struk­tur ist auf der Ba­sis ei­ner am 1. Ok­to­ber 2003 in Kraft ge­tre­te­nen Be­triebs­ver­ein­ba­rung (BV 2003) ent­stan­den. Da­nach sind „Be­triebs­tei­le ab­wei­chend von § 4 Ab­satz 1 Be­trVG“ zu­sam­men­ge­fasst. Al­le Stand­or­te südlich von F wählen den Be­triebs­rat Süd, al­le Stand­or­te in und nörd­lich von F den Be­triebs­rat Nord. Der Be­triebs­rat Nord hat sie­ben, der Be­triebs­rats Süd neun Mit­glie­der. Der Ge­samt­be­triebs­rat be­steht aus vier Mit­glie­dern.


Die Ar­beit­ge­be­rin ist stand­ortüberg­rei­fend or­ga­ni­siert. Die Ent­schei­dun­gen über den Ab­schluss von Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen wer­den im We­sent­li­chen in der Zen­tra­le in M ge­trof­fen. Auf An­re­gung der Ar­beit­ge­be­rin sind in der Ver­gan­gen­heit Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen mit bei­den Be­triebsräten weit­ge­hend in­halts­gleich oder ähn­lich ab­ge­schlos­sen wor­den. Trotz der Ähn­lich­kei­ten gibt es auch Un­ter­schie­de; so hat bei­spiels­wei­se der Be­triebs­rat Nord in der Be­triebs­ver­ein­ba­rung über ein neu­es Ent­gelt­sys­tem durch­ge­setzt, dass im Fall von Strei­tig­kei­ten ei­ne pa­ritäti­sche Kom­mis­si­on tagt. Im Zu­sam­men­hang mit den Ver­hand­lun­gen mit der Ar­beit­ge­be­rin kam es wie­der­holt zu ge­mein­sa­men Ta­gun­gen bei­der Be­triebsräte, um ei­ne An­glei­chung der un­ter­schied­li­chen Po­si­tio­nen her­bei­zuführen. Auch die Ver­hand­lun­gen über Mehr­ar­beit wer­den von der Per­so­nal­ab­tei­lung in M mit dem je­weils zuständi­gen Be­triebs­rat geführt. Ein­stel­lun­gen und Ent­las­sun­gen wer­den grundsätz­lich nur über die Geschäfts­lei­tung in Zu­sam­men­ar­beit mit der Per­so­nal­ab­tei­lung vor­ge­nom­men. Der - zu­min­dest früher - in F ansässi­ge Herr A führt zu­sam­men mit ei­nem Ver­tre­ter der Per­so­nal­ab­tei­lung re­gelmäßig Mo­nats­gespräche mit dem Be­triebs­rat Nord in F. Da­bei un­ter­rich­tet er die­sen so­wohl über wirt­schaft­li­che An­ge­le­gen­hei­ten als auch über or­ga­ni­sa­to­ri­sche Ände­run­gen.


Als der Be­triebs­rat Nord am 26. April 2006 gewählt wur­de, gab es für sie­ben Be­triebs­rats­mit­glie­der nur sie­ben Wahl­be­wer­ber. Bei den Wah­len im Jah­re 2010 gab es le­dig­lich ei­ne Lis­te mit neun Kan­di­da­ten. Von den gewähl­ten



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sie­ben Mit­glie­dern leg­te - während des vor­lie­gen­den Ver­fah­rens - ein Mit­glied am 20. Ju­ni 2011 sein Amt nie­der. Der Be­triebs­rats­vor­sit­zen­de wur­de am 1. Au­gust 2011 65 Jah­re alt. Ein wei­te­res Be­triebs­rats­mit­glied ging ab dem 1. Ok­to­ber 2011 in die Frei­stel­lungs­pha­se der Al­ters­teil­zeit.
 

Am 27. Ok­to­ber 2009 über­sand­te die Per­so­nal­lei­te­rin der Ar­beit­ge­be­rin an den Vor­sit­zen­den des Ge­samt­be­triebs­rats, der zu­gleich Vor­sit­zen­der des Be­triebs­rats Süd ist, den Ent­wurf ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung zur Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats mit der Bit­te um Zu­stim­mung des Ge­samt­be­triebs­rats. Da­zu hol­te der Be­triebs­rat Süd mit Zu­stim­mung der Ar­beit­ge­be­rin ein Rechts­gut­ach­ten der Rechts­anwältin B ein. Die­ses kam am 30. Ok­to­ber 2009 zu dem Er­geb­nis, dass recht­lich kei­ne Be­den­ken bestünden. Gleich­zei­tig wur­den dar­in Ände­rungs­vor­schläge zum Ent­wurf der Ar­beit­ge­be­rin ge­macht. Das Gut­ach­ten und die Ände­rungs­vor­schläge über­sand­te der Vor­sit­zen­de des Ge­samt­be­triebs­rats und des Be­triebs­rats Süd am 5. No­vem­ber 2009 an die Per­so­nal­lei­te­rin und am 10. No­vem­ber 2009 an den Be­triebs­rat Nord. Am sel­ben Ta­ge teil­te der Vor­sit­zen­de des Be­triebs­rats Nord dem Vor­sit­zen­den des Ge­samt­be­triebs­rats und des Be­triebs­rats Süd mit, der Be­triebs­rat Nord neh­me mit Er­stau­nen zur Kennt­nis, dass Gut­ach­ten ein­ge­holt würden, oh­ne dass der Ge­samt­be­triebs­rat hier­zu ei­nen Be­schluss ge­fasst ha­be; das bis­he­ri­ge Vor­ge­hen wer­de vom Be­triebs­rat Nord so nicht ge­bil­ligt.


Am 13. No­vem­ber 2009 fan­den wei­te­re Ver­hand­lun­gen zwi­schen dem Ge­samt­be­triebs­rat und der Ar­beit­ge­be­rin über den In­halt der ge­plan­ten Be­triebs­ver­ein­ba­rung statt. Da­bei mach­te die Ar­beit­ge­ber­sei­te ua. das Zu­geständ­nis, dass für den un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rat die Zahl der Be­triebs­rats­mit­glie­der elf statt der ge­setz­lich vor­ge­schrie­be­nen neun Be­triebs­rats­mit­glie­der be­tra­gen sol­le. Noch am sel­ben Ta­ge über­sand­te der Vor­sit­zen­de des Ge­samt­be­triebs­rats den ab­sch­ließen­den Ent­wurf der Be­triebs­ver­ein­ba­rung per E-mail an die wei­te­ren Mit­glie­der des Ge­samt­be­triebs­rats und lud sie zu ei­ner Sit­zung für Mon­tag, den 23. No­vem­ber 2009 in M ein. Am 16. No­vem­ber 2009 be­schloss der Be­triebs­rat Nord die Be­nen­nung ei­nes Sach­verständi­gen zur recht­li­chen Be­ur­tei­lung des Ent­wurfs und teil­te dies mit
 


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E-mail vom sel­ben Ta­ge der Ar­beit­ge­be­rin mit. Die Ar­beit­ge­be­rin lehn­te dies mit E-mail vom 20. No­vem­ber 2009 ab.


Am 23. No­vem­ber 2009 be­schloss der Ge­samt­be­triebs­rat - mit den Stim­men der bei­den vom Be­triebs­rat Süd ent­sand­ten Mit­glie­der ge­gen die Stim­men der bei­den vom Be­triebs­rat Nord ent­sand­ten Mit­glie­der - den Ab­schluss der Be­triebs­ver­ein­ba­rung zur Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats ent­spre­chend dem in der La­dung vor­ge­se­he­nen Ent­wurf. Der Vor­sit­zen­de des Ge­samt­be­triebs­rats un­ter­zeich­ne­te die ar­beit­ge­ber­sei­tig zu die­sem Zeit­punkt be­reits un­ter­zeich­ne­te Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung.


Die Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung (Ges­BV) lau­tet aus­zugs­wei­se wie folgt:

„...

Präam­bel

Die Par­tei­en sind sich darüber ei­nig, dass ei­ne ef­fek­ti­ve Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen der Geschäftsführung und den Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tun­gen und da­mit ei­ne sach­ge­rech­te Wahr­neh­mung der In­ter­es­sen der Ar­beit­neh­mer nur möglich ist, wenn die Struk­tur der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung an die Ent­schei­dungs­abläufe im Un­ter­neh­men ... an­ge­passt wird. Da ein Großteil der Ent­schei­dun­gen in be­tei­li­gungs­pflich­ti­gen An­ge­le­gen­hei­ten zen­tral auf Un­ter­neh­mens­ebe­ne gefällt wird, ver­ein­ba­ren die Par­tei­en gemäß §§ 3 Abs. 1 Nr. 1 a), Abs. 2 Be­trVG die Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats. Da­durch wird gewähr­leis­tet, dass al­le im Un­ter­neh­men beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer ef­fek­tiv und pro­fes­sio­nell ver­tre­ten wer­den.


§ 1 Un­ter­neh­mens­ein­heit­li­cher Be­triebs­rat

Im Un­ter­neh­men ... wird ein un­ter­neh­mens­ein­heit­li­cher Be­triebs­rat ge­bil­det. Er löst die be­ste­hen­den Re­gio­nen­be­triebsräte ‚Nord’ und ‚Süd’ und den Ge­samt­be­triebs­rat ab. Auf den un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rat fin­den die Vor­schrif­ten über die ge­setz­li­chen Rech­te und Pflich­ten des Be­triebs­rats so­wie die Rechts­stel­lung ih­rer Mit­glie­der An­wen­dung. Der un­ter­neh­mens­ein­heit­li­che Be­triebs­rat wird von al­len Beschäftig­ten ... nach den Vor­schrif­ten des Be­trVG gewählt.
Die nach die­ser BV ge­bil­de­te be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tur gilt als ein Be­trieb im be­triebs-

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ver­fas­sungs­recht­li­chen Sinn.


§ 2 Er­mitt­lung von Schwel­len­wer­ten

Bei der Be­ur­tei­lung der Fra­ge ob ei­ne Be­triebsände­rung gemäß § 111 Be­trVG vor­liegt wird aus­nahms­wei­se auf die An­zahl der Mit­ar­bei­ter in den bis­he­ri­gen Re­gio­nen Nord (H, K, F) bzw. Süd (N, M) ab­ge­stellt, so­fern von der Be­triebsände­rung nur Mit­ar­bei­ter ei­ner Re­gi­on be­trof­fen sind und die­se nicht auf ei­ner Ge­samt­pla­nung be­ruht.


§ 3 Or­ga­ni­sa­to­ri­sches

An den ein­zel­nen Stand­or­ten wer­den auf­grund der zu be­treu­en­den Mit­ar­bei­ter ent­spre­chen­de Be­triebs­ratsbüros zur Verfügung ge­stellt, so­fern ein Be­triebs­rats­mit­glied an dem be­tref­fen­den Stand­ort sei­nen Dienst­sitz hat.


§ 4 Größe des Gre­mi­ums

Für die Wahl ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats 2010 wird die An­zahl der Be­triebs­rats­mit­glie­der ab­wei­chend von § 9 Be­trVG auf 11 Mit­glie­der fest­ge­legt.
...


§ 6 Ein­glie­de­rung ei­nes Be­trie­bes

Wird ein Be­trieb oder Be­triebs­teil in das Un­ter­neh­men ein­ge­glie­dert, nimmt der un­ter­neh­mens­ein­heit­li­che Be­triebs­rat das Man­dat auch für die­sen Be­trieb oder Be­triebs­teil wahr. Wenn durch die Ein­glie­de­rung mit Ab­lauf von 24 Mo­na­ten, vom Ta­ge der Wahl des un­ter­neh­mens-ein­heit­li­chen Be­triebs­rats an ge­rech­net, die Zahl der im Un­ter­neh­men re­gelmäßig beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer um die Hälf­te, min­des­tens aber um fünf­zig, ge­stie­gen oder ge­sun­ken ist, fin­det ei­ne Neu­wahl des un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats statt.


§ 7 Ers­te Wahl des un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats


Die erst­ma­li­ge Wahl des un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats fin­det nach In-Kraft-Tre­ten die­ser Be­triebs­ver­ein­ba­rung zum Zeit­punkt der tur­nusmäßigen Be­triebs-



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rats­wahl im Frühjahr 2010 statt.

Der ... Ge­samt­be­triebs­rat be­stellt zu die­sem Zweck ei­nen Wahl­vor­stand, der die Wahl un­verzüglich ein­lei­tet und durchführt.
...


§ 9 In­kraft­tre­ten und Gel­tungs­dau­er

Die­se Be­triebs­ver­ein­ba­rung tritt mit Un­ter­schrift in Kraft und kann mit ei­ner Frist von 6 Mo­na­ten zum En­de ei­ner Amts­pe­ri­ode des un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats gekündigt wer­den. Die Kündi­gung be­darf der Schrift­form.

Ei­ne Nach­wir­kung wird aus­ge­schlos­sen. Nach sei­ner Be­en­di­gung gilt die ge­setz­lich vor­ge­se­he­ne be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Or­ga­ni­sa­ti­on. ...

§ 10 Schluss­be­stim­mun­gen

Die Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 1.10.2003 zu den Re­gio­nen­be­triebsräten wird ein­ver­nehm­lich oh­ne Nach­wir­kung ab­gelöst.


Münd­li­che Ne­ben­ab­re­den be­ste­hen nicht. Soll­te ei­ne Be­stim­mung in die­ser Ver­ein­ba­rung ganz oder teil­wei­se un­wirk­sam sein oder wer­den, so wird die Gültig­keit der übri­gen Be­stim­mun­gen hier­von nicht berührt. Die Ver­trags­par­tei­en ver­pflich­ten sich, an die Stel­le der un­wirk­sa­men Be­stim­mung ei­ne die­ser möglichst na­he kom­men-de wirk­sa­me Be­stim­mung zu set­zen. Das­sel­be gilt für den Fall ei­ner ver­trag­li­chen Lücke.
...“


Be­reits am 18. No­vem­ber 2009 setz­te der Be­triebs­rat Nord die Neu­wah­len zu die­sem Be­triebs­rat auf den 10. März 2010 an. Am 22. De­zem­ber 2009 lei­te­te auch der Be­triebs­rat Süd Neu­wah­len für die­sen Be­triebs­rat ein. Bei­de Wah­len fan­den wie ge­plant im Frühjahr 2010 statt und wur­den nicht an­ge­foch­ten.


Auf­grund ei­nes Be­schlus­ses in der Sit­zung des Ge­samt­be­triebs­rats am 4. No­vem­ber 2010 kam es am 5. No­vem­ber 2010 zur Un­ter­zeich­nung ei­ner Pro­to­koll­no­tiz zur Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 23. No­vem­ber 2009. Dar­in heißt
 


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es:


„...
wird fol­gen­de Ände­rung der Be­triebs­ver­ein­ba­rung zur Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­ra­tes vom 23.11.2009 ab­ge­schlos­sen:

§ 7 Ers­te Wahl des un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats


Entfällt er­satz­los

§ 9 In­kraft­tre­ten und Gel­tungs­dau­er Ab­satz 1 wird wie folgt geändert:

Die­se Be­triebs­ver­ein­ba­rung tritt mit Un­ter­schrift in Kraft. Für die Kündi­gung die­ser Be­triebs­ver­ein­ba­rung gilt die ge­setz­li­che Kündi­gungs­frist. So­fern ein un­ter­neh­mens­ein­heit­li­cher Be­triebs­rat be­steht, beträgt die Kündi­gungs­frist 6 Mo­na­te zum En­de der Amts­zeit. Die Kündi­gung be­darf der Schrift­form.


Al­le übri­gen Re­ge­lun­gen die­ser Be­triebs­ver­ein­ba­rung blei­ben un­verändert be­ste­hen.“

Im Hin­blick auf den vom Be­triebs­rat Nord ver­tre­te­nen Rechts­stand­punkt hat die Ar­beit­ge­be­rin das vor­lie­gen­de Be­schluss­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet, um die Fra­ge zu klären, ob ein un­ter­neh­mens­ein­heit­li­cher Be­triebs­rat zu wählen ist. Sie hat die Ges­BV vom 23. No­vem­ber 2009 idF der Pro­to­koll­no­tiz vom 5. No­vem­ber 2010 für wirk­sam ge­hal­ten. Der Ge­samt­be­triebs­rat sei zum Ab­schluss der Ges­BV be­rech­tigt ge­we­sen. Ein „Ve­to­recht“ des Be­triebs­rats Nord be­ste­he nicht. Dass sie kraft ar­beits­ver­trag­li­cher Ver­ein­ba­rung Ta­rif­verträge an­wen­de, ste­he der Ges­BV nicht ent­ge­gen. Die Ges­BV die­ne ei­ner sach­ge­rech­ten Wahr­neh­mung der In­ter­es­sen der Ar­beit­neh­mer. We­gen der im We­sent­li­chen ein­heit­li­chen Ent­schei­dungs­fin­dung auf Ar­beit­ge­ber­sei­te sei auch ein ein­heit­li­ches Gre­mi­um auf Ar­beit­neh­mer­sei­te an­ge­bracht. Der un­ter­neh­mens­ein­heit­li­che Be­triebs­rat könne auch des­halb bes­ser ar­bei­ten, weil er zB ei­nen Be­triebs­aus­schuss bil­den könne, was zur Pro­fes­sio­na­li­sie­rung der Ver­tre­tung der Ar­beit­neh­mer bei­tra­ge. Zu­dem er­leich­te­re die Ges­BV die Bil­dung von Be­triebsräten, weil auf­grund der Umstände beim Be­triebs­rat Nord nicht si­cher-
 


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ge­stellt wer­den könne, dass sich ge­nug Kan­di­da­ten für ei­ne Be­triebs­rats­ar­beit über die ge­sam­te Wahl­pe­ri­ode fänden.

Die Ar­beit­ge­be­rin hat zu­letzt be­an­tragt 

fest­zu­stel­len, dass durch die Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 23. No­vem­ber 2009 in Ver­bin­dung mit der Ände­rung vom 4. No­vem­ber 2010 wirk­sam die Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats be­stimmt wur­de.

Der Ge­samt­be­triebs­rat und der Be­triebs­rat Süd ha­ben sich die­sem An­trag an­ge­schlos­sen.

Der Be­triebs­rat Nord hat be­an­tragt, den An­trag ab­zu­wei­sen. Er ist der Auf­fas­sung, die La­dung zur Sit­zung am 23. No­vem­ber 2009 15
sei nicht ord­nungs­gemäß ge­we­sen, da die Ge­samt­be­triebs­rats­mit­glie­der sich nicht rich­tig auf die Be­schluss­fas­sung hätten vor­be­rei­ten können. Zu­dem sei für den Ab­schluss der­ar­ti­ger Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen nicht der Ge­samt­be­triebs­rat zuständig, son­dern es sei­en dies die Ein­zel­be­triebsräte, die ei­ne ein­heit­li­che Be­triebs­ver­ein­ba­rung ab­sch­ließen könn­ten. Je­den­falls ste­he ei­nem Be­triebs­rat im Hin­blick dar­auf, dass er bei der Wahl ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats sei­ne Exis­tenz ver­lie­re, ein Ve­to­recht zu. Da die Ar­beit­ge­be­rin Ta­rif­verträge an­wen­de, kom­me nach § 3 Abs. 2 Be­trVG der Ab­schluss ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung nicht in Be­tracht. Sch­ließlich die­ne die ab­ge­schlos­se­ne Ges­BV we­der ei­ner sach­ge­rech­ten Ver­tre­tung der Ar­beit­neh­mer noch der Er­leich­te­rung der Bil­dung von Be­triebsräten. Das In­ter­es­se der Ar­beit­ge­be­rin an ei­ner ein­heit­li­chen Ent­schei­dungs­fin­dung und dem ein­heit­li­chen Ab­schluss von Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen sei un­er­heb­lich, da es um die sach­ge­rech­te Ver­tre­tung von Ar­beit­neh­mer­inter­es­sen ge­he. Auch in der Re­gi­on Nord ge­be es ge­nug In­ter­es­sen­ten, die be­reit sei­en, für den Be­triebs­rat zu kan­di­die­ren.

Das Ar­beits­ge­richt hat den An­trag ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat ihm auf die Be­schwer­de der Ar­beit­ge­be­rin ent­spro­chen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Rechts­be­schwer­de er­strebt der Be­triebs­rat Nord die Wie­der­her­stel­lung der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung.
 


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B. Die zulässi­ge Rechts­be­schwer­de hat Er­folg. Der Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts ist auf­zu­he­ben und die Sa­che an das Be­schwer­de­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen, da den Be­tei­lig­ten Ge­le­gen­heit zu ge­ben ist, wei­ter zum Vor­lie­gen der Vor­aus­set­zun­gen für die Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 Be­trVG vor­zu­tra­gen. Die Sa­che ist nicht aus an­de­ren Gründen ent­schei­dungs­reif.


I. Die Rechts­be­schwer­de ist zulässig. 


1. Ge­gen die recht­li­che Exis­tenz des Be­triebs­rats Nord be­ste­hen kei­ne Be­den­ken. Sei­ne Wahl im Frühjahr 2010 wur­de nicht an­ge­foch­ten. An­halts­punk­te für ei­ne Nich­tig­keit der Wahl be­ste­hen nicht (vgl. zu den stren­gen An­for­de­run­gen an die Nich­tig­keit ei­ner Be­triebs­rats­wahl BAG 21. Sep­tem­ber 2011 - 7 ABR 54/10 - Rn. 26 mwN, BA­GE 139, 197). Da­bei kann da­hin­ste­hen, ob die Wahl noch auf der Grund­la­ge der BV 2003 durch­geführt wer­den durf­te. Selbst wenn dies nicht der Fall ge­we­sen sein soll­te, läge le­dig­lich ei­ne Ver­ken­nung des Be­triebs­be­griffs vor, die zwar ei­ne An­fech­tung der Wahl recht­fer­tigt, re­gelmäßig aber nicht die Nich­tig­keit der Wahl zur Fol­ge hat (BAG 21. Sep­tem­ber 2011 - 7 ABR 54/10 - Rn. 26 mwN, aaO).


2. Auch wenn die Zahl der Be­triebs­rats­mit­glie­der des Be­triebs­rats Nord un­ter die ge­setz­li­che Gren­ze ab­ge­sun­ken sein soll­te, bestünde die­ser wei­ter. Rechts­fol­ge des Ab­sin­kens der Mit­glie­der­zahl des Be­triebs­rats wäre, dass nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 Be­trVG Neu­wah­len an­zu­set­zen wären. Der Be­triebs­rat blie­be aber nach § 22 Be­trVG bis zur Be­kannt­ga­be des Er­geb­nis­ses der Neu­wah­len im Amt. Das gilt auch, wenn sich die Neu­wah­len verzögern (Fit­ting 26. Aufl. § 22 Rn. 11 mwN).

II. Die Rechts­be­schwer­de ist im Sin­ne der Auf­he­bung und Zurück­ver­wei­sung be­gründet. Der An­trag der Ar­beit­ge­be­rin ist zulässig. Ei­ne ab­sch­ließen­de Ent­schei­dung über die Be­gründet­heit des An­trags ist auf­grund der bis­lang ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen nicht möglich. Viel­mehr ist den Be­tei­lig­ten Ge­le­gen­heit zu ge­ben, noch wei­ter zum Vor­lie­gen der ge­setz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen
 


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der Ver­ein­ba­rung über die Er­rich­tung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats vor­zu­tra­gen.


1. Der An­trag der Ar­beit­ge­be­rin ist zulässig. Wie die ge­bo­te­ne Aus­le­gung des An­trags er­gibt, ist die­ser un­ge­ach­tet sei­nes et­was ab­wei­chen­den Wort­lauts auf ei­ne Ent­schei­dung iSv. § 18 Abs. 2 Be­trVG ge­rich­tet. Nach die­ser Be­stim­mung kann bei Zwei­feln darüber, ob ei­ne be­triebs­ratsfähi­ge Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­heit vor­liegt, ua. der Ar­beit­ge­ber ei­ne Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts be­an­tra­gen. Da­mit eröff­net das Ge­setz die Möglich­keit, die Be­triebs­ratsfähig­keit ei­ner Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­heit un­abhängig von ei­ner kon­kre­ten Be­triebs­rats­wahl ge­richt­lich mit Bin­dungs­wir­kung klären zu las­sen. Die ge­setz­li­che Re­ge­lung stellt da­bei klar, dass die Be­triebs­ratsfähig­keit ei­ner Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­heit als Rechts­verhält­nis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO an­zu­se­hen ist. Das Ver­fah­ren nach § 18 Abs. 2 Be­trVG klärt da­mit die für zahl­rei­che be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Fra­ge­stel­lun­gen be­deut­sa­me Vor­fra­ge, wel­che Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­heit als der Be­trieb an­zu­se­hen ist, in dem ein Be­triebs­rat zu wählen ist und in dem er sei­ne Be­tei­li­gungs­rech­te wahr­neh­men kann (vgl. BAG 9. De­zem­ber 2009 - 7 ABR 38/08 - Rn. 18). Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­hei­ten in die­sem Sin­ne sind auch sol­che, für die nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 Be­trVG ein Be­triebs­rat zu wählen ist.


2. Über die Be­gründet­heit des An­trags kann der Se­nat noch nicht ent­schei­den. Sie hängt da­von ab, ob für die Ges­BV vom 23. No­vem­ber 2009 idF der Pro­to­koll­no­tiz vom 5. No­vem­ber 2010 die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst a, Abs. 2 Be­trVG fest­ge­leg­ten Vor­aus­set­zun­gen vor­lie­gen. Dies lässt sich noch nicht ab­sch­ließend be­ur­tei­len.

a) Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 Be­trVG kann durch Be­triebs­ver­ein­ba­rung für Un­ter­neh­men mit meh­re­ren Be­trie­ben die Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats be­stimmt wer­den, wenn dies die Bil­dung von Be­triebsräten er­leich­tert oder ei­ner sach­ge­rech­ten Wahr­neh­mung der In­ter­es­sen der Ar­beit­neh­mer dient. Das ist ver­fas­sungs­gemäß (vgl. zur Be­fug­nis der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en, ab­wei­chen­de Be­triebs­ver­fas­sungs­struk­tu­ren
 


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zu ver­ein­ba­ren, BAG 29. Ju­li 2009 - 7 ABR 27/08 - Rn. 16 ff., BA­GE 131, 277; 13. März 2013 - 7 ABR 70/11 - Rn. 32).


b) § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a iVm. Abs. 2 Be­trVG legt die tat­be­stand­li­chen Vor­aus­set­zun­gen fest, un­ter de­nen durch Be­triebs­ver­ein­ba­rung ein un­ter­neh­mens­ein­heit­li­cher Be­triebs­rat ge­bil­det wer­den kann. Lie­gen die­se nicht vor, ist ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung über die Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats un­wirk­sam. Das Ge­setz lässt Ab­wei­chun­gen von der ge­setz­li­chen Be­triebs­ver­fas­sung nicht vor­aus­set­zungs­los zu (vgl. BAG 13. März 2013 - 7 ABR 70/11 - Rn. 35).

aa) Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alt. 2 iVm. Abs. 2 Be­trVG ist die Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats durch Be­triebs­ver­ein­ba­rung möglich, wenn sie ei­ner sach­ge­rech­ten Wahr­neh­mung der In­ter­es­sen der Ar­beit­neh­mer dient.

(1) Bei der Prüfung, ob die Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats sach­dien­lich ist, ist von be­son­de­rer Be­deu­tung, wo die mit­be­stim­mungs­pflich­ti­gen Ent­schei­dun­gen im Be­trieb ge­trof­fen wer­den. Der Ge­setz­ge­ber des Be­triebs­ver­fas­sungs­re­form­ge­set­zes hat es im Jahr 2001 als Pro­blem an­ge­se­hen, dass ei­nem Be­triebs­rat, der or­ga­ni­sa­to­risch ori­en­tiert an den Be­triebs­for­men der sieb­zi­ger Jah­re ist, heu­te häufig nicht mehr der Per­so­nal­lei­ter „sei­nes Be­trie­bes“ als Ver­hand­lungs­lei­ter ge­genüber­steht (BT-Drucks. 14/5741 S. 23). Der Be­triebs­rat müsse je­doch dort ar­bei­ten, wo die wich­ti­gen Ent­schei­dun­gen im Be­trieb ge­trof­fen wer­den (BT-Drucks. 14/5741 S. 26). Der Ge­setz­ge­ber ist des­halb da­von aus­ge­gan­gen, dass sich die Wahl ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats ins­be­son­de­re dort an­bie­tet, wo die Ent­schei­dungs­kom­pe­ten­zen in be­tei­li­gungs­pflich­ti­gen An­ge­le­gen­hei­ten zen­tral auf Un­ter­neh­mens­ebe­ne an­ge­sie­delt sind (BT-Drucks. 14/5741 S. 34). In­so­weit sind für die sach­ge­rech­te Bil­dung von Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tun­gen die or­ga­ni­sa­to­ri­schen Vor­ga­ben des Ar­beit­ge­bers maßgeb­lich. Sie sind nicht nur für die ge­setz­li­chen, son­dern eben­so bei den ge­willkürten Ver­tre­tungs­struk­tu­ren von Be­deu­tung. An ih­nen darf sich bei der Schaf­fung ei­ner be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­heit die maßgeb­li­che Re­ge­lung ori­en­tie­ren (vgl.
 


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BAG 21. Sep­tem­ber 2011 - 7 ABR 54/10 - Rn. 43, BA­GE 139, 197, für Zu­sam­men­fas­sung meh­re­rer Be­trie­be nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Be­trVG durch Ta­rif­ver­trag).


(2) Bei der Be­ur­tei­lung der Sach­dien­lich­keit ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats sind al­ler­dings noch wei­te­re Ge­sichts­punk­te zu berück­sich­ti­gen. Ins­be­son­de­re ist von Be­deu­tung, ob durch die mit der Er­rich­tung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats häufig ver­bun­de­nen größeren räum­li­chen Ent­fer­nun­gen der Kon­takt zwi­schen den Ar­beit­neh­mern und der sie re­präsen­tie­ren­den Be­triebs­ver­tre­tung un­an­ge­mes­sen er­schwert wird. Die Nähe und wech­sel­sei­ti­ge Er­reich­bar­keit war für den Ge­setz­ge­ber bei der Aus­ge­stal­tung der ge­setz­li­chen Be­triebs­ver­fas­sung er­kenn­bar ein we­sent­li­cher Ge­sichts­punkt. So gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Be­trVG ein Be­triebs­teil dann als selbstständi­ger Be­trieb, wenn er die Vor­aus­set­zun­gen des § 1 Abs. 1 Satz 1 Be­trVG erfüllt und räum­lich weit vom Haupt­be­trieb ent­fernt ist. Der Zweck die­ser Re­ge­lung be­steht nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Se­nats dar­in, den Ar­beit­neh­mern von Be­triebs­tei­len ei­ne ef­fek­ti­ve Ver­tre­tung durch ei­nen ei­ge­nen Be­triebs­rat zu ermögli­chen, wenn we­gen der räum­li­chen Tren­nung des Haupt­be­triebs von dem Be­triebs­teil die persönli­che Kon­takt­auf­nah­me so er­schwert ist, dass der Be­triebs­rat des Haupt­be­triebs die In­ter­es­sen der Ar­beit­neh­mer in dem Be­triebs­teil nicht mit der nöti­gen In­ten­sität und Sach­kun­de wahr­neh­men kann und sich die Ar­beit­neh­mer nur un­ter er­schwer­ten Be­din­gun­gen an den Be­triebs­rat wen­den können (BAG 7. Mai 2008 - 7 ABR 15/07 - Rn. 26 mwN). Auch lie­gen die Mit­be­stim­mungs­rech­te grundsätz­lich bei den ört­li­chen Be­triebsräten und nur dann beim un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Ge­samt­be­triebs­rat, wenn ei­ne Re­ge­lung nicht durch die ein­zel­nen Be­triebsräte in­ner­halb ih­rer Be­trie­be möglich ist (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Be­trVG). Sch­ließlich ge­stal­tet sich auch die Durchführung von Sprech­stun­den des Be­triebs­rats (§ 39 Abs. 1 Be­trVG) und von Be­triebs­ver­samm­lun­gen (§§ 42, 43 Be­trVG) bei großen räum­li­chen Ent­fer­nun­gen deut­lich schwie­ri­ger.

(3) Die Be­triebs­par­tei­en ha­ben da­her bei der Er­rich­tung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 Be­trVG
 


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nicht nur den Um­stand zen­tra­li­sier­ter un­ter­neh­me­ri­scher Ent­schei­dun­gen, son­dern auch den Grund­satz der Ortsnähe zu berück­sich­ti­gen.


bb) Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alt. 1 iVm. Abs. 2 Be­trVG kann durch Be­triebs­ver­ein­ba­rung zu­dem dann ein un­ter­neh­mens­ein­heit­li­cher Be­triebs­rat gewählt wer­den, wenn die Bil­dung von Be­triebsräten er­leich­tert wird. Das ist ins­be­son­de­re dann der Fall, wenn an­de­ren­falls die Ge­fahr be­steht, dass in ein­zel­nen Be­trie­ben oder Be­triebs­tei­len gar kein Be­triebs­rat gewählt wird (vgl. Fit­ting § 3 Rn. 29 mwN). Die Be­stim­mung dient da­bei dem Zweck, „weiße Fle­cken“ auf der Be­triebs­ver­fas­sungs­land­kar­te zu ver­mei­den. Al­ler­dings ist die Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats dann vom Zweck der Re­ge­lung nicht mehr ge­deckt, wenn die Er­leich­te­rung der Bil­dung von Be­triebsräten oh­ne Wei­te­res be­reits durch ei­ne Zu­sam­men­fas­sung von Be­trie­ben nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b iVm. Abs. 2 Be­trVG er­reicht wer­den kann und sich dem­ge­genüber die Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats als er­sicht­lich we­ni­ger sach­ge­rech­te Lösung dar­stellt. Bei der Wahl zwi­schen den sich aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b Be­trVG er­ge­ben­den Möglich­kei­ten ha­ben die Be­triebs­par­tei­en eben­falls den Grund­satz der Ortsnähe zu berück­sich­ti­gen.


cc) Bei der Fra­ge, ob sie von den sich aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 Be­trVG er­ge­ben­den Möglich­kei­ten Ge­brauch ma­chen wol­len, kommt den Be­triebs­par­tei­en ein Einschätzungs­spiel­raum hin­sicht­lich des Vor­lie­gens der ge­setz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen so­wie ein Be­ur­tei­lungs- und ein Er­mes­sens­spiel­raum hin­sicht­lich der in­halt­li­chen Ge­stal­tung ei­ner Re­ge­lung zu. Dies ist von den Ge­rich­ten bei der Über­prüfung ei­ner ent­spre­chen­den Re­ge­lung zu be­ach­ten (vgl. zu ei­ner ta­rif­li­chen Re­ge­lung BAG 13. März 2013 - 7 ABR 70/11 - Rn. 38). Nach den Vor­stel­lun­gen des Ge­setz­ge­bers können die Ver­trags­par­tei­en vor Ort an­ge­sichts der Viel­ge­stal­tig­keit der zu re­geln­den Sach­ver­hal­te die Sach­ge­rech­tig­keit von un­ter­neh­mens­spe­zi­fi­schen Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tungs­struk­tu­ren bes­ser be­ur­tei­len als staat­li­che Stel­len (BT-Drucks. 14/5741 S. 33). Beim Ab­schluss ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2, Abs. 2 Be­trVG ist es da­her zunächst Sa­che der Be­triebs­par­tei­en, zu be­ur­tei­len, ob und ggf. in


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wel­cher Wei­se das ge­setz­li­che Re­präsen­ta­ti­ons­mo­dell er­setzt wer­den soll. Dies er­for­dert zum ei­nen die Einschätzung, ob die tat­be­stand­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne vom ge­setz­li­chen Mo­dell ab­wei­chen­de Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tungs­struk­tur vor­lie­gen, so­wie zum an­de­ren die Be­ur­tei­lung, in wel­cher Wei­se von der durch das Ge­setz eröff­ne­ten Re­ge­lungsmöglich­keit Ge­brauch ge­macht wer­den soll (vgl. BAG 29. Ju­li 2009 - 7 ABR 27/08 - Rn. 27, BA­GE 131, 277). Ob die Be­triebs­par­tei­en hier­bei die ge­setz­li­chen Vor­ga­ben ein­ge­hal­ten oder über­schrit­ten ha­ben, un­ter­liegt al­ler­dings im Streit­fall der ge­richt­li­chen Über­prüfung (vgl. zu ei­ner ta­rif­li­chen Re­ge­lung BAG 13. März 2013 - 7 ABR 70/11 - Rn. 32 mwN).

c) Den Be­tei­lig­ten ist Ge­le­gen­heit zu ge­ben, un­ter Berück­sich­ti­gung die­ser recht­li­chen Vor­ga­ben noch wei­ter vor­zu­tra­gen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zwar zu­tref­fend aus­geführt, der Um­stand, dass die be­tei­li­gungs­pflich­ti­gen Ent­schei­dun­gen im We­sent­li­chen in M ge­trof­fen würden, spre­che für ei­ne sach­ge­rech­te Wahr­neh­mung der Ar­beit­neh­mer­inter­es­sen durch ei­nen un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rat. Zu Un­recht hat es sei­ne Prüfung aber auf aus­sch­ließlich die­sen Ge­sichts­punkt be­schränkt. Ins­be­son­de­re hat es we­der ge­prüft noch gewürdigt, dass durch die bun­des­wei­te Zu­sam­men­fas­sung räum­lich sehr weit aus­ein­an­der lie­gen­der, be­triebs­ratsfähi­ger Be­trie­be die wech­sel­sei­ti­ge Er­reich­bar­keit von Ar­beit­neh­mern und ih­rem Re­präsen­ta­tiv­or­gan er­sicht­lich er­heb­lich er­schwert wird. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird da­her den Be­tei­lig­ten Ge­le­gen­heit zu ge­ben ha­ben, auch zu die­sem Ge­sichts­punkt noch näher vor­zu­tra­gen. Es wird ggf. auch zu prüfen ha­ben, ob durch die Wahl ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats die Bil­dung ei­nes Be­triebs­rats er­leich­tert wird und ob sich dies ge­genüber der bis­he­ri­gen Zu­sam­men­fas­sung meh­re­rer Be­trie­be als er­sicht­lich we­ni­ger sach­ge­rech­te Lösung dar­stellt.


d) Die Zurück­ver­wei­sung ist nicht et­wa des­halb ent­behr­lich, weil die Ges­BV vom 23. No­vem­ber 2009 idF der Pro­to­koll­no­tiz vom 5. No­vem­ber 2010 aus an­de­ren Gründen un­wirk­sam wäre. Die Ges­BV ist for­mell wirk­sam. Der Ge­samt­be­triebs­rat war für ih­ren Ab­schluss zuständig. Der Be­triebs­rat Nord



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hat­te kein Ve­to­recht. Die mögli­che Un­wirk­sam­keit ein­zel­ner Be­stim­mun­gen der Ges­BV führt nicht zu ih­rer Ge­samt­nich­tig­keit.

aa) Der Be­schluss des Ge­samt­be­triebs­rats zum Ab­schluss der Ges­BV in der Fas­sung der Pro­to­koll­no­tiz ist for­mell wirk­sam. Da­bei kann letzt­lich da­hin-ge­stellt blei­ben, ob - wofür ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Be­triebs­rats Nord vie­les spricht - die La­dung zur Sit­zung des Ge­samt­be­triebs­rats am 23. No­vem­ber 2009 ord­nungs­gemäß war. Denn je­den­falls ha­ben die Be­triebs­par­tei­en mit der Pro­to­koll­no­tiz vom 5. No­vem­ber 2010 die Ges­BV kon­sti­tu­tiv bestätigt. Dass dem Ab­schluss der Pro­to­koll­no­tiz kein wirk­sa­mer Be­schluss des Ge­samt­be­triebs­rats zu­grun­de ge­le­gen ha­be, hat der Be­triebs­rat Nord nicht be­haup­tet. Hierfür gibt es auch kei­ne An­halts­punk­te. Der kon­sti­tu­ti­ve Cha­rak­ter der Pro­to­koll­no­tiz er­gibt sich aus ih­rer Aus­le­gung.


(1) Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen - und da­mit auch Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­run­gen - sind nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts we­gen ih­res nor­ma­ti­ven Cha­rak­ters wie Ge­set­ze aus­zu­le­gen. Aus­zu­ge­hen ist da­nach vom Wort­laut und dem da­durch ver­mit­tel­ten Wort­sinn. Ins­be­son­de­re bei un­be­stimm­tem Wort­sinn sind der wirk­li­che Wil­le der Be­triebs­par­tei­en und der von ih­nen be­ab­sich­tig­te Zweck zu berück­sich­ti­gen, so­fern und so­weit sie im Text ih­ren Nie­der­schlag ge­fun­den ha­ben. Ab­zu­stel­len ist fer­ner auf den Ge­samt­zu­sam­men­hang und die Sys­te­ma­tik der Re­ge­lun­gen. Im Zwei­fel gebührt der Aus­le­gung der Vor­zug, die zu ei­nem sach­ge­rech­ten, zweck­ori­en­tier­ten, prak­tisch brauch­ba­ren und ge­set­zes­kon­for­men Verständ­nis der Be­stim­mung führt (vgl. et­wa BAG 14. März 2012 - 7 AZR 147/11 - Rn. 49 mwN). Die­se Grundsätze gel­ten auch für die Aus­le­gung von Pro­to­koll­no­ti­zen zu Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen (vgl. BAG 9. De­zem­ber 1997 - 1 AZR 330/97 - zu II 2 a der Gründe).

(2) Für den kon­sti­tu­ti­ven Cha­rak­ter der Pro­to­koll­no­tiz spricht vor­lie­gend schon ihr Wort­laut. Die Be­triebs­par­tei­en ha­ben aus­drück­lich fest­ge­legt, dass die Re­ge­lun­gen der al­ten Be­triebs­ver­ein­ba­rung an­sons­ten „un­verändert be­ste­hen“ blei­ben. Für ei­nen ent­spre­chen­den Wil­len spricht auch der Ab­lauf der Ge­scheh­nis­se. Die Ges­BV vom 23. No­vem­ber 2009 sah be­reits für das Jahr 2010 die Wahl ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats vor. Da­zu kam es


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nicht. Da­her konn­te der recht­li­che Be­stand der Ges­BV zwei­fel­haft er­schei­nen. Es war da­her sinn­voll, der­ar­ti­ge Zwei­fel durch ei­ne kon­sti­tu­ti­ve Re­ge­lung zu be­sei­ti­gen.


bb) Der Ge­samt­be­triebs­rat war für den Ab­schluss der Be­triebs­ver­ein­ba­rung über ei­nen ein­heit­li­chen Be­triebs­rat im Un­ter­neh­men nach § 50 Abs. 1 Satz 1 Be­trVG zuständig. Es han­delt sich um ei­ne An­ge­le­gen­heit, die das Ge­samt­un­ter­neh­men be­trifft und die nicht durch die ein­zel­nen Be­triebsräte „in­ner­halb ih­rer Be­trie­be“ ge­re­gelt wer­den kann (eben­so Fit­ting § 3 Rn. 72; Fran­zen GK-Be­trVG 9. Aufl. § 3 Rn. 40; DKKW-Trümner 13. Aufl. § 3 Rn. 168; Ri­char­di in Ri­char­di Be­trVG 13. Aufl. § 3 Rn. 79). Et­was an­de­res folgt ent­ge­gen der An­sicht des Be­triebs­rats Nord auch nicht aus der Ver­wen­dung des Be­griffs „Be­triebs­ver­ein­ba­rung“ in § 3 Abs. 2 Be­trVG; die­sen Be­griff ver­wen­det das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz - wie zB § 47 Abs. 4 Be­trVG zeigt - auch für Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­run­gen. Auch § 50 Abs. 1 Satz 2 Be­trVG, wo­nach der Ge­samt­be­triebs­rat den Ein­zel­be­triebsräten nicht über­ge­ord­net ist, steht der Zuständig­keit des Ge­samt­be­triebs­rats für den Ab­schluss ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung über die Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats nicht ent­ge­gen. Die Vor­schrift stellt le­dig­lich klar, dass der Ge­samt­be­triebs­rat dem ört­li­chen Be­triebs­rat bei der Wahr­neh­mung sei­ner Auf­ga­ben kei­ne Wei­sun­gen er­tei­len kann.


cc) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Be­triebs­rats Nord hat die­ser ge­gen den Ab­schluss ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung über ei­nen un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rat nicht des­halb ein Ve­to­recht, weil durch die­se sei­ne er­neu­te Er­rich­tung bei der nächs­ten Be­triebs­rats­wahl ver­hin­dert wird. Ei­ne plan­wid­ri­ge Re­ge­lungslücke, die es ge­bie­ten würde, den Ab­schluss ei­ner Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung über die Er­rich­tung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats von der Zu­stim­mung der ein­zel­nen Be­triebsräte abhängig zu ma­chen, liegt nicht vor (aA Ri­char­di in Ri­char­di Be­trVG § 3 Rn. 80). Al­ler­dings kann die Ab­leh­nung ein­zel­ner, im Ge­samt­be­triebs­rat we­gen § 47 Abs. 7 Be­trVG „in der Min­der­heit“ be­find­li­cher Be­triebsräte ge­genüber der Er­rich­tung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats so­wie ins­be­son­de­re die hierfür ge­ge­be­ne Be­gründung bei


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der Würdi­gung, ob die ge­setz­li­chen Er­rich­tungs­vor­aus­set­zun­gen vor­lie­gen, zu berück­sich­ti­gen sein.

dd) Der Ab­schluss der hier maßgeb­li­chen Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung ist auch nicht ta­rif­lich ge­sperrt.

(1) Nach § 3 Abs. 2 Be­trVG kann ei­ne Re­ge­lung durch ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung nur ge­trof­fen wer­den, wenn kei­ne ta­rif­li­che Re­ge­lung be­steht und auch kein an­de­rer Ta­rif­ver­trag gilt. Da­mit soll er­reicht wer­den, dass für ei­nen Ar­beit­ge­ber, in des­sen Un­ter­neh­men Ta­rif­verträge über Ent­gel­te oder sons­ti­ge Ar­beits­be­din­gun­gen gel­ten, auch für Ver­ein­ba­run­gen über be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren der Ta­rif­ver­trag das maßgeb­li­che Re­ge­lungs­in­stru­ment ist (BT-Drucks. 14/5741 S. 34). Nach der ge­setz­li­chen Re­ge­lung ist da­her der Ab­schluss ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung be­reits dann aus­ge­schlos­sen, wenn im Un­ter­neh­men ir­gend­ei­ne Fra­ge ta­rif­ver­trag­lich ge­re­gelt ist (vgl. zu der im Schrift­tum geäußer­ten Kri­tik an die­ser weit­rei­chen­den Be­schränkung die Nach­wei­se bei Fit­ting § 3 Rn. 66). Die Re­ge­lungs­sper­re des § 3 Abs. 2 Be­trVG setzt al­ler­dings ei­ne nor­ma­ti­ve Gel­tung der ta­rif­li­chen Re­ge­lung iSv. § 4 Abs. 1 TVG vor­aus. Ei­ne ein­zel­ver­trag­li­che Be­zug­nah­me auf ei­nen Ta­rif­ver­trag genügt nicht. Ein Ta­rif­ver­trag „gilt“ nur dann, wenn er nor­ma­tiv, al­so un­mit­tel­bar und zwin­gend iSv. § 4 Abs. 1 TVG wirkt (eben­so Fit­ting § 3 Rn. 68; Fran­zen GK-Be­trVG § 3 Rn. 38; Spin­ner/Wie­sen­ecker FS Löwisch S. 375, 384; aA DKKW-Trümner § 3 Rn. 165).


(2) Hier­nach gibt es vor­lie­gend kei­ne ta­rif­li­che Re­ge­lung, die dem Ab­schluss ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung nach § 3 Abs. 2 Be­trVG ent­ge­genstünde. Die Ar­beit­ge­be­rin ist nicht ta­rif­ge­bun­den, son­dern wen­det die Ta­rif­verträge der Baye­ri­schen Me­tall- und Elek­tro­in­dus­trie nur auf­grund ein­zel­ver­trag­li­cher Be­zug­nah­me an.


ee) Ei­ne mögli­che Un­wirk­sam­keit sons­ti­ger Be­stim­mun­gen der Ges­BV, die nicht - wie § 1 Ges­BV - un­mit­tel­bar die Bil­dung des un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats be­tref­fen, son­dern an­de­re Fra­gen re­geln, führt nicht zur Ge­samt-


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un­wirk­sam­keit der Be­triebs­ver­ein­ba­rung. Das gilt ins­be­son­de­re für § 4 und § 6 Ges­BV.

(1) Recht­lich be­denk­lich er­scheint ins­be­son­de­re § 4 Ges­BV, der die Zahl der Be­triebs­rats­mit­glie­der auf elf Mit­glie­der fest­legt und da­mit von der ge­setz­li­chen Mit­glie­der­zahl ab­weicht, die bei 321 Ar­beit­neh­mern nach § 9 Satz 1 Be­trVG le­dig­lich neun beträgt. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 Be­trVG er­laubt zwar die Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats auch durch Be­triebs­ver­ein­ba­rung. § 3 Abs. 4 Be­trVG ermöglicht zu­dem Re­ge­lun­gen über den Zeit­punkt der erst­ma­li­gen Wahl des so ge­bil­de­ten Be­triebs­rats. Wei­te­re Ab­wei­chun­gen kom­men al­len­falls nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 Be­trVG in Be­tracht. Die­se Be­stim­mung gilt nach § 3 Abs. 2 Be­trVG aber nicht für Re­ge­lun­gen durch Be­triebs­ver­ein­ba­rung. Nach § 3 Abs. 5 Satz 1 Be­trVG gel­ten die durch Be­triebs­ver­ein­ba­rung ge­bil­de­ten be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Or­ga­ni­sa­ti­ons-ein­hei­ten als Be­trie­be iSd. Ge­set­zes. Da­mit sind für sie auch die ge­setz­lich vor­ge­se­he­nen Mit­glie­der­zah­len maßgeb­lich.

(2) Da­hin­ste­hen kann eben­falls, ob die ge­ne­ra­li­sie­ren­de Re­ge­lung in § 6 Ges­BV, wo­nach der un­ter­neh­mens­ein­heit­li­che Be­triebs­rat in je­dem Fall der Ein­glie­de­rung ei­nes Be­triebs un­abhängig von des­sen Größe und Struk­tur für des­sen Be­leg­schaft zuständig wer­den soll, recht­li­chen Be­den­ken be­geg­net.

(3) Hier hätte ei­ne mögli­che Un­wirk­sam­keit von § 4 oder § 6 Ges­BV nicht die Un­wirk­sam­keit der ge­sam­ten Ges­BV zur Fol­ge.

(a) Ist ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung teil­wei­se un­wirk­sam, folgt dar­aus die Ge­samt­un­wirk­sam­keit in der Re­gel nur, wenn der ver­blei­ben­de Teil oh­ne die un­wirk­sa­men Re­ge­lun­gen kei­ne sinn­vol­le und in sich ge­schlos­se­ne Re­ge­lung enthält. An­de­ren­falls kommt es für die iso­lier­te Wei­ter­gel­tung der wirk­sa­men Tei­le auf ei­nen mögli­cher­wei­se ent­ge­gen­ste­hen­den Wil­len der Be­triebs­par­tei­en re­gelmäßig nicht an. Dies folgt aus dem Norm­cha­rak­ter ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung, der es eben­so wie bei Ta­rif­verträgen und Ge­set­zen ge­bie­tet, im In­ter­es­se der Kon­ti­nuität und Rechts­beständig­keit ei­ner ge­setz­ten Ord­nung die­se so­weit auf­recht­zu­er­hal­ten, wie sie auch oh­ne den un­wirk­sa­men Teil Ord­nungs­funk­tio-
 


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nen ent­fal­ten kann. Et­was an­de­res gilt je­doch, wenn die Re­ge­lun­gen ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung kei­ne nor­ma­ti­ve Außen­wir­kung ha­ben, son­dern le­dig­lich Ver­fah­rens­fra­gen im Verhält­nis der Be­triebs­par­tei­en zu­ein­an­der re­geln. In die­sen Fällen ist ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung ins­ge­samt un­wirk­sam, wenn sie oh­ne die un­wirk­sa­me Re­ge­lung nicht ab­ge­schlos­sen wor­den wäre (vgl. BAG 21. Ja­nu­ar 2003 - 1 ABR 9/02 - zu B III 2 der Gründe).


(b) Hier kann da­hin­ge­stellt blei­ben, wel­che Kri­te­ri­en an­zu­le­gen sind. Die Ges­BV stellt auch oh­ne die pro­ble­ma­ti­schen Re­ge­lun­gen in § 4 und § 6 Ges­BV ei­ne sinn­vol­le und in sich ge­schlos­se­ne Re­ge­lung dar. Soll­te es auf den hy­po­the­ti­schen Wil­len der Be­triebs­par­tei­en an­kom­men, so er­gibt sich aus der sal­va­to­ri­schen Klau­sel in § 10 Ges­BV, dass die­se auch oh­ne die mögli­cher­wei­se un­wirk­sa­men Re­ge­lun­gen in § 4 und/oder § 6 Ges­BV ab­ge­schlos­sen wor­den wäre.


Lin­sen­mai­er 

Kiel 

Zwan­zi­ger

Will­ms 

Busch

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