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LAG Nürnberg, Urteil vom 30.04.2012, 7 Sa 557/11
Schlagworte: | Insolvenz des Arbeitgebers, Insolvenzanfechtung | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Nürnberg | |
Aktenzeichen: | 7 Sa 557/11 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 30.04.2012 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Nürnberg, Endurteil vom 13.4.2011, 7 Ca 5449/10 Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.10.2013, 6 AZR 466/12 |
|
Urteil:
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg - Gerichtstag Weißenburg – vom 13.04.2011 aufgehoben.
2. Die Widerklage wird abgewiesen.
3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Frage, ob die Klägerin verpflichtet ist, Arbeitsentgelt zurückzuzahlen.
Die Klägerin war seit 01.03.1983 bei der Firma A… + B… GmbH & Co. KG (i.F.: Schuldnerin) als Arbeitnehmerin beschäftigt.
Da die Schuldnerin das Arbeitsentgelt für November 2006 nicht zahlte, erhob die Klägerin eine entsprechende Klage beim Arbeitsgericht Nürnberg, die unter dem Aktenzeichen 7 Ca 9536/06 W geführt wurde. Das Verfahren endete am 16.01.2007 mit einem gerichtlichen Vergleich. Darin verpflichtete sich die Schuldnerin, für November 2006 2.321,65 € brutto entsprechend 1.024,29 € netto zuzüglich 40,00 € vermögenswirksame Leistungen zu zahlen.
In einem weiteren Verfahren vor dem Arbeitsgericht Nürnberg, das die Vergütung für De-zember 2006 zum Gegenstand hatte (7 Ca 549/07 W), verpflichtete sich die Schuldnerin in einem Vergleich vom 09.02.2007, an die Klägerin 1.665,67 € brutto entsprechend 782,08 € netto zuzüglich 40,00 € vermögenswirksame Leistungen zu zahlen.
Die Klägerin betrieb, vertreten durch ihre damaligen Prozessvertreter, aus beiden Vergleichen die Zwangsvollstreckung.
Der Geschäftsführer der Schuldnerin, Herr S…, beantragte am 10.05.2007 beim Amtsgericht Ansbach die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Das Insolvenzverfahren wurde am 01.07.2007 eröffnet. Zum Insolvenzverwalter wurde der Beklagte bestellt.
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 16.07.2007 zum 31.10.2007.
Unter dem 23.04.2010 machte der Beklagte gegenüber der Klägerin geltend, sie habe am 02.03.2007 eine Zahlung in Höhe von 1.121,07 € und am 19.03.2007 die Zahlung in Höhe von 870,61 € erhalten. Der Beklagte erklärte die insolvenzrechtliche Anfechtung der Zah-lung und forderte die Klägerin auf, bis 05.05.2010 die Summe, 1.991,68 €, zuzüglich Zin-sen seit 01.07.2007 zu zahlen.
Mit Klage vom 25.08.2010 begehrte die Klägerin die Feststellung, dass der Beklagte keinen Rückzahlungsanspruch habe. Der Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 10.09.2010, die Klage abzuweisen. Am 29.12.2010 erhob er Widerklage auf Zahlung der geltend gemachten Beträge. Daraufhin nahm die Klägerin die Feststellungsklage zurück.
Das Arbeitsgericht Nürnberg verurteilte die Klägerin mit Urteil vom 13.04.2011, an den Beklagten 1.991,68 € zuzüglich Zinsen hieraus seit 01.07.2007 zu zahlen.
Das Urteil wurde der Klägerin am 29.08.2011 zugestellt.
Die Klägerin legte gegen das Urteil am 28.09.2011 Berufung ein und begründete sie am 30.11.2011. Bis dahin war die Berufungsbegründungsfrist verlängert worden.
Die Klägerin macht geltend, auf das Arbeitsverhältnis fänden die Regelungen des Mantel-tarifvertrags für die bayerische Metall- und Elektroindustrie Anwendung. Die Geltung der Tarifverträge sei im Arbeitsvertrag vom 13.09.1983 vereinbart worden. In einer Betriebsvereinbarung vom 11.09.1995, die anlässlich eines Betriebsüberganges abgeschlossen worden sei, hätten die Betriebsparteien die Weitergeltung der Regelungen des Manteltarifvertrags der bayerischen Metallindustrie vereinbart, bis diese ausliefen oder durch an-dere ersetzt würden. Wegen des Wortlauts des Arbeitsvertrags sowie der Betriebsverein-barung wird auf die vorgelegten Kopien Bezug genommen (Bl. 243 und 228 d.A.).
Die Klägerin macht geltend, der geltend gemachte Anspruch sei entsprechend der tarifvertraglichen Ausschlussfrist verfallen. Sie trägt vor, sie habe mit Schreiben vom 02.06.2010 die Rückzahlung abgelehnt.
Die Klägerin führt aus, der Rechtsprechung, wonach eine Befriedigung, die im Rahmen von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erlangt sei, inkongruent im Sinne des § 131 InsO sei, sei nicht zu folgen. Sowohl der Wortlaut als auch die Gesetzessystematik stehe der Auslegung, wie sie von der Rechtsprechung vorgenommen werde, entgegen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 13.04.2011, Az.: 7 Ca 5449/10, abzuändern und die Widerklage abzuweisen.
Der Beklagte beantragt:
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Berufungsklägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Der Beklagte macht geltend, das Ersturteil entspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sowie des Bundesarbeitsgerichts.
Die tarifliche Ausschlussfrist greife nicht. Gesetzliche Schuldverhältnisse stünden außer-halb der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien. Die §§ 129 ff InsO begründeten ein solches gesetzliches Schuldverhältnis.
Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Absatz 1 und 2 b) ArbGG, sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Absatz 1 ArbGG.
Die Berufung ist begründet.
Der Beklagte hat keinen Anspruch auf Rückzahlung des Arbeitsentgelts für die Monate November und Dezember 2006, das die Klägerin im Wege der Zwangsvollstreckung er-halten hat, §§ 131 Absatz 1 Ziffer 2, 143 InsO; § 22 Nr. 3 Absatz 2 und 3 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der bayerischen Elektro- und Metallindustrie (TR 5/10 – 300 ab 145), i. F.: MTV.
Der Anspruch ist bereits gemäß der tariflichen Ausschlussfrist verfallen, § 611 BGB iVm § 22 Manteltarifvertrag.
Der zitierte Manteltarifvertrag findet auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien Anwendung.
Der Arbeitsvertrag, den die Klägerin und die Schuldnerin am 13.09.1983 abgeschlossen haben, enthält eine dynamische Verweisungsklausel. Darin ist bestimmt, dass für das Arbeitsverhältnis „alle übrigen“ Bestimmungen für die gewerblichen Arbeitnehmer der bayerischen Metallindustrie einschließlich aller diesbezüglichen Ergänzungs- und Zusatz-abkommen gelten sollen.
Es lässt sich nicht feststellen, ob es sich bei der Klausel um eine sog. Gleichstellungsabrede handelt. Dies ist der Fall, wenn die Schuldnerin tarifgebunden war und mit der Klausel eine Anwendung der einschlägigen Tarifverträge auch für die nicht tarifgebundenen Mitarbeiter herbeiführen wollte. Ob die Schuldnerin bei Abschluss des Arbeitsvertrags tarifgebunden war, lässt sich dem Sachvortrag der Parteien nicht entnehmen.
Letztlich kann dies dahinstehen.
War die Schuldnerin nicht tarifgebunden, gelten die für die Gleichstellungsabrede entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung ohnehin nicht.
Liegt eine Gleichstellungsabrede vor, ist, da der Arbeitsvertrag vor dem 1. Januar 2002 vereinbart worden ist, die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Gleichstellungsabreden anzuwenden. Danach führt der Wegfall der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers dazu, dass die in Bezug genommenen Tarifverträge nur noch statisch in der Fassung anzuwenden sind, die zum Zeitpunkt des Eintritts der fehlenden Tarifgebundenheit galt (vgl. Bundesarbeitsgericht - Urteil vom 19.10.2011 - 4 AZR 811/09 = DB 2011/2783). Eine entsprechende Auslegung von Altverträgen hat danach zur Folge, dass die vertragliche Anbindung an die dynamische Entwicklung der tariflich geregelten Arbeitsbedingungen endet, wenn sie tarifrechtlich auch für einen tarifgebundenen Arbeitnehmer endet, z.B. durch den Austritt des Arbeitgebers aus dem zuständigen Arbeitgeberverband, durch das Herausfallen des Betriebs aus dem Geltungsbereich oder durch den Übergang des Betriebs auf einen nicht tarifgebundenen neuen Arbeitgeber (vgl. Bundesarbeitsgericht - Urteil vom 29.08.2007 - 4 AZR 765/06 = ArbuR 2008/181).
Es ist weder ersichtlich, dass eine etwaige Tarifbindung der Schuldnerin entfallen wäre, noch, dass ein Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Rechtsnachfolger stattgefunden hat.
Dies ergibt sich insbesondere nicht aus der von der Klägerin vorgelegten Betriebsvereinbarung vom 11.09.1995. Diese betrifft zwar den Übergang eines Betriebsteils der Schuldnerin. Es ist indes nicht ersichtlich, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin von diesem Teilbetriebsübergang betroffen war. Der Umstand, dass der Beklagte als Insolvenzverwalter der Schuldnerin das Arbeitsverhältnis gekündigt hat, spricht für die Fortführung des Arbeitsverhältnisses mit der Schuldnerin.
Der streitgegenständliche Anspruch ist von § 22 MTV umfasst.
Es wird nicht übersehen, dass nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19.11.2003 (10 AZR 110/03 = BAGE 108/367 und NZA 2004/208) eine tarifliche Ausschlussfrist auf Ansprüche des Insolvenzverwalters aus § 143 Absatz 1 InsO nicht anwendbar sein soll. Dies wird damit begründet, dass die §§ 129 ff InsO ein gesetzliches Schuldverhältnis ohne jede Rücksicht auf ein in der Insolvenz fortbestehendes Arbeitsverhältnis oder ein früheres Arbeitsverhältnis zum Insolvenzschuldner begründeten und ein derartiges gesetzliches Schuldverhältnis außerhalb der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien stehe.
Dem kann sich das erkennende Gericht nicht anschließen. Dabei wird nicht in Abrede gestellt, dass das Anfechtungsrecht ein gesetzliches Schuldverhältnis in der Weise begründet, dass der Empfänger der Leistung aufgrund einer gesetzlichen Regelung zur Rückgewähr verpflichtet wird. Es ist auch der Ansicht zu folgen, dass ein gesetzliches Schuldverhältnis an sich außerhalb der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien steht. Genauso wenig, wie Tarifvertragsparteien Voraussetzungen und Folgen einer unerlaubten Handlung regeln können, ist ihnen eine Disposition der insolvenzrechtlichen Anfechtungsmöglichkeiten zugänglich. Die Tarifvertragsparteien können aber wie bei sonstigen gesetzlichen Anspruchsgrundlagen regeln, wie und innerhalb welcher Frist Forderungen, die sich aus der Wahrnehmung des Anfechtungsrechts ergeben, geltend zu machen sind.
Demgemäß kann zwar nicht die Anfechtung gemäß §§ 129 ff InsO als solche, wohl aber der sich aus der Anfechtung gemäß § 143 InsO ergebende Rückgewähranspruch der tariflichen Ausschlussfrist unterliegen. Eine weitergehende Regelung beinhaltet § 22 MTV nicht.
Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.12.2008 (8 AZR 105/08 = AP Nr. 9 zu § 717 ZPO und ZTR 2009/432) sind „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” im Sinn einer tariflichen Ausschlussklausel grundsätzlich alle denkbaren Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis in einem Zusammenhang stehen. Es komme danach nur darauf an, ob der betreffende Lebensvorgang eine enge Verknüpfung mit dem Arbeitsverhältnis auf-weise. Bereits aus dem Wortlaut „Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis“ werde deutlich, dass Anspruchsgrundlage für den Anspruch nicht der Arbeitsvertrag sein müsse. Denn es werde nicht auf arbeitsvertragliche Ansprüche abgestellt. Erforderlich sei lediglich, dass das Arbeitsverhältnis die Grundlage für den Anspruch bilde. Unter die Verfallklausel fielen demnach alle Ansprüche, die sich aus den Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ergäben oder die in eng mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen rechtlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihren Entstehungsgrund hätten. Erfasst würden deshalb von einer tariflichen Ausschlussklausel, die für „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ gelte, auch gesetzliche Ansprüche auf Rückgewähr rechtsgrundlos erbrachter Leistungen des Arbeitgebers.
Das erkennende Gericht sieht keinen Grund, einen Anspruch aus § 717 Absatz 2 ZPO, um den es in der zitierten Entscheidung ging, anders zu behandeln als einen Anspruch aus § 143 InsO.
Dieses Ergebnis wird durch die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27.09.2010 (GmS-OGB 1/09 = BGHZ 187/105 und NZA 2011/534) bestätigt.
Danach ist der Streit über die Rückgewähr vom Schuldner geleisteter Arbeitsvergütung nach § 143 InsO eine Rechtsstreitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis. Rechtsstreitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis seien nach der Begründung der zitierten Entscheidung solche, die einem Arbeitsverhältnis entsprängen, das zur Zeit der Klage bestehe, zuvor bestanden habe oder begründet werden solle. Die Rückgewähr verdienten Arbeitsentgelts nach § 143 Absatz 1 InsO, das der Arbeitnehmer aufgrund seines Arbeitsverhältnisses und in Erfüllung der sich daraus ergebenden beiderseitigen Hauptleistungspflichten erhalten habe, sei auf die Rückabwicklung einer arbeitsrechtlichen Leistungsbeziehung gerichtet: Der Masse soll im Interesse der Gläubiger wieder zugeführt werden, was ihr im Rahmen der arbeitsrechtlichen Austauschbeziehung zwischen späterem Schuldner und Arbeitnehmer in - aus der Sicht des Insolvenzverwalters - anfechtbarer Weise entzogen wurde. Die wirksame Anfechtung ermögliche dem Insolvenzverwalter, in die arbeitsrechtliche Leistungsbeziehung korrigierend einzugreifen. Der Arbeitnehmer müsse zugunsten der Masse das verdiente Arbeitsentgelt zurückgewähren. Im Gegenzug lebe nach § 144 Absatz 1 InsO sein Vergütungsanspruch wieder auf.
Etwas anderes kann für die Frage, ob der Anspruch nach § 143 InsO unter eine (tarifliche) Ausschlussfrist fällt, nicht gelten.
Der Beklagte hat die tarifliche Frist, innerhalb der der Anspruch gerichtlich geltend zu machen war, nicht eingehalten.
§ 22 MTV enthält eine zweistufige Ausschlussfrist. Die danach vorgesehen dreimonatige Frist zur Geltendmachung hat der Beklagte allerdings entgegen der Auffassung der Klägerin eingehalten. Die Ausschlussfrist beginnt mit Fälligkeit des Anspruchs zu laufen. Der Rückgewähranspruch wurde erst mit Zugang des Schreibens des Beklagten vom 23.04.2010 fällig. Darin übte der Beklagte sein Anfechtungsrecht aus und forderte die Klägerin auf, das empfangene Geld bis 05.05.2010 zurückzuzahlen.
Der Beklagte hat die Frist, innerhalb der er den Anspruch hätte gerichtlich geltend machen müssen, nicht eingehalten.
Die Klägerin hat den erhobenen Anspruch mit Schreiben vom 02.06.2010 abgelehnt. Dies ergibt sich aus dem Vorbringen der Klägerin, das der Beklagte nicht bestreitet und das daher als zugestanden anzusehen ist, § 138 Absatz 3 ZPO.
Der Beklagte hätte innerhalb von sechs Monaten, gerechnet ab diesem Zeitpunkt, die im Schreiben vom 23.04.2010 bezeichneten Forderungen einklagen müssen. Dies ist nicht erfolgt. Die vorliegende Widerklage ist erst nach Ablauf der Frist, nämlich am 29.12.2010 beim Arbeitsgericht eingegangen.
Darüber hinaus liegen nach Auffassung des erkennenden Gerichts die Voraussetzungen für eine Rückerstattung des Arbeitsentgelts durch die Klägerin nicht vor, § 131 Satz 1 Nr. 2 InsO.
Zwar hat der Beklagte unter dem 23.04.2010 die insolvenzrechtliche Anfechtung der Zahlungen an die Klägerin erklärt. Die im Wege der Zwangsvollstreckung erlangten Zahlungen sind indes nicht anfechtbar. Insbesondere liegt nach Auffassung des erkennenden Gerichts eine inkongruente Deckung im Sinne des § 131 InsO nicht vor.
Die Befriedigung, die die Klägerin erlangt hat – Zahlung des Lohns für die Monate November und Dezember 2006 – hatte sie im Sinne der genannten Regelung zu beanspruchen.
Die Klägerin hat für November und Dezember 2006 einen Vergütungsanspruch erworben, §§ 611, 612, 614 BGB. Sie hat für die Schuldnerin eine entsprechende Arbeitsleistung erbracht. Dies ist zwischen den Parteien nicht streitig. Die erfolgte Zahlung stand ihr daher zu.
Die Klägerin hatte die Zahlungen auch „zu der Zeit“ zu beanspruchen. Dieses Tatbestandsmerkmal betrifft die Frage, ob die erfüllte Forderung fällig, betagt oder befristet war (vgl. Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 6. Auflage, RdNr.14 zu § 131). Der Anspruch auf Arbeitsvergütung war fällig, § 614 BGB. Auch darüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.
Schließlich hatte die Klägerin das Arbeitsentgelt „in der Art“ zu beanspruchen.
Allerdings wird nicht verkannt, dass der Bundesgerichtshof § 131 InsO in ständiger Rechtsprechung in der Weise auslegt, dass eine Befriedigung als nicht beansprucht gilt, wenn sie durch Zwangsvollstreckung oder auch nur unter dem Druck einer drohenden Zwangsvollstreckung erlangt ist (vgl. Bundesgerichtshof - Urteil vom 09.09.1997 - IX ZR 14/97 = BGHZ 136/309 und NJW 1997/3445; Urteil vom 20.01.2011- IX ZR 8/10 = DB 2011/468 und MDR 2011/512).
Unter Hinweis auf das Protokoll der Reichstagskommission vom 11.11.1875 führt der Bundesgerichtshof hierzu aus, im Gesetzgebungsverfahren habe Einigkeit darüber bestanden, dass die vom Gläubiger im Vollstreckungswege vorgenommenen Handlungen unter § 30 Nr. 2 KO fallen müssten. Deswegen seien aus dem ursprünglich vorgesehenen Text "Rechtshandlungen des Schuldners" die Worte "des Schuldners" gestrichen worden. Damit seien ausdrücklich "Rechtshandlungen" schlechthin für anfechtbar erklärt worden, um auch Handlungen des Gläubigers zu erfassen, an denen der Schuldner nicht beteiligt sei. Eine derartige Handlung des Gläubigers setze nicht voraus, dass sie zum Entstehen eines Pfändungspfandrechts geführt hat. Die Ausdehnung der Anfechtung auf Rechtshandlungen des Gläubigers bedeute auch nicht, dass diese allein - ohne Zutun des Schuldners - zu der schließlich erlangten Sicherung oder Befriedigung geführt haben müssten. Habe der Schuldner zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistet, falle diese Rechtshandlung somit dem Wortlaut nach unter § 30 Nr. 2 KO. Für die Anfechtbarkeit dürfe nicht den Ausschlag geben, wie weit Vollstreckungszwang ausgeübt habe wer-den müssen, um zum Ziel zu gelangen. Noch weniger könne es darauf ankommen, ob bei der Geldpfändung ein Pfändungspfandrecht entstehe oder nicht. Entscheidend sei allein die inhaltliche Wertung des zu beurteilenden Vorgangs. Die Vorschrift des § 30 Nr. 2 KO bezwecke, den konkursrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zeitlich vorzuziehen. Das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip und der dadurch bedingte "Wettlauf der Gläubiger" seien nur so lange hinzunehmen, wie für die zurückgesetzten Gläubiger noch eine Aussicht bestehe, sich aus anderen Vermögensgegenständen des Schuldners volle Deckung zu verschaffen. Dies sei nicht mehr der Fall, wenn der Schuldner die Zahlungen eingestellt habe oder der Eröffnungsantrag gestellt sei und - wie das Gesetz (Anmerkung: § 30 Nr. 2 KO) annehme - auch schon nicht mehr in den letzten zehn Tagen zuvor. Der Gleichbehandlungsgrundsatz allein rechtfertige allerdings noch nicht die Konkursanfechtung nach § 30 Nr. 2 KO. Denn es verstoße in gleicher Weise gegen die Gleichbehandlung aller Gläubiger, wenn der Schuldner, nachdem der "materielle Konkurs" bereits eingetreten sei, mit Hilfe seiner letzten frei verfügbaren Mittel auf eine fällige Forderung freiwillig zahle und andere Gläubiger mit ihren ebenfalls fälligen Forderungen leer ausgingen. In einem solchen Fall sei die Zahlung aber nicht nach § 30 Nr. 2 KO anfechtbar und nach § 30 Nr. 1 KO nur dann, wenn der befriedigte Gläubiger beim Erwerb seiner Deckung den Eintritt der Krise des Schuldners nachweislich gekannt habe. Bei einer Sicherung oder Befriedigung, die der Gläubiger nach Eintritt der Krise im Wege der Zwangsvollstreckung - mit oder ohne Pfändungspfandrecht, durch Zwangszugriff oder durch Leistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung - erhalte, komme aber, neben dem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, noch hinzu, dass der Gläubiger seine Rechtsposition mit Hilfe von staatlichen Zwangsmitteln durchgesetzt habe. Nach der Zahlungseinstellung oder dem Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens oder in den letzten zehn Tagen zuvor solle eine Ungleichbehandlung der Gläubiger aber nicht mehr durch staatliche Machtmittel erzwungen werden. Geschehe dies dennoch, solle das Ergebnis wenigstens nicht konkursfest sein. Nach Eintritt des "materiellen Konkurses" stelle der Staat ein besonderes Gesamtvollstreckungsverfahren zur Verfügung, das die Gleichbehandlung aller Gläubiger gewährleisten solle.
Das Bundesarbeitsgericht hat sich der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs angeschlossen (vgl. Bundesarbeitsgericht - Beschluss vom 31.08.2010 - 3 ABR 139/09 = AP Nr. 19 zu § 48 ArbGG 1979 und NZA 2011/995; Urteil vom 19.05.2011 - 6 AZR 736/09 = DB 2011/2259 und EzA § 131 InsO Nr. 3).
Das erkennende Gericht vermag dieser Rechtsprechung nicht zu folgen. Es hält die darin praktizierte Auslegung des § 131 InsO nicht für geboten.
Allerdings folgt die Kammer der Ausgangsüberlegung, dass auch Akte staatlicher Gewalt, insbesondere Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, als Rechtshandlungen anzusehen sind. Diesem Ergebnis entspricht die Regelung in § 141 InsO, wonach die Anfechtung einer Rechtshandlung nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil sie durch Zwangsvollstreckung erwirkt wurde.
Nach Auffassung des erkennenden Gerichts bezieht sich der Begriff der Rechtshandlung indes lediglich auf die Frage, auf welchem Weg der Gläubiger Sicherung oder Befriedigung erlangt hat. Dagegen betrifft das Tatbestandsmerkmal „in der Art“ die materiellrechtliche Berechtigung für das Erlangte. Es ist demgemäß im Rahmen der Prüfung dieser Voraussetzung zu prüfen, ob der Gläubiger anstelle der Leistung, die er zu fordern hat, in der kritischen Zeit eine andere, nicht geschuldete Leistung erhält.
Dies ergibt sich zum einen aus dem Kontext, in dem der Begriff „in der Art“ steht. Neben diesem Begriff wird darauf abgestellt, ob der Gläubiger, der eine Sicherung oder Befriedigung erhalten hat, überhaupt einen Anspruch hat und ob er ihn „zu der Zeit“ hat. Beide Kriterien betreffen den materiellrechtlichen Grund für das, was der Gläubiger erlangt hat. Dies spricht dafür, auch das Tatbestandsmerkmal „in der Art“, das in einer Reihe mit den anderen beiden Begriffen steht, ausschließlich materiellrechtlich auszulegen.
Diese Auslegung wird durch den bereits genannten § 142 InsO gestützt. Wäre die Schlussfolgerung „Zwangsvollstreckungsmaßnahme gleich Rechtshandlung gleich anfechtbar“ zutreffend, bedurfte es der Regelung des § 142 InsO nicht.
Das von Bundesgerichtshof angeführte Argument, die Vorschrift des § 30 Nr. 2 KO (und dann wohl auch des § 131 InsO) bezwecke, den konkursrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zeitlich vorzuziehen, das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip und der dadurch bedingte "Wettlauf der Gläubiger" seien nur so lange hinzu-nehmen, wie für die zurückgesetzten Gläubiger noch eine Aussicht bestehe, sich aus anderen Vermögensgegenständen des Schuldners volle Deckung zu verschaffen, rechtfertigen nach Ansicht des erkennenden Gerichts keine andere Beurteilung.
Zwar wird das dem Insolvenzrecht zugrundeliegende Prinzip, dass die Gläubiger an dem verbliebenen Vermögen gleichmäßig befriedigt werden sollen, nicht in Frage gestellt. Der Gesetzgeber hat indes eine Reihe von Regelungen getroffen, die der Umsetzung dieses Grundsatzes dienen. Hier sind vor allem zu nennen § 240 ZPO, wonach ein Erkenntnis-verfahren unterbrochen wird, § 89 InsO, wonach Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens unzulässig sind, und § 88 InsO, wonach eine Sicherung, die ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Zwangsvollstreckung an dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen des Schuldners erlangt hat, mit der Eröffnung des Verfahrens unwirksam wird. Aus diesen differenzierten Bestimmungen ergibt sich, dass der Gesetzgeber gerade nicht davon ausgegangen ist, bereits der Eintritt eines „materiellen Konkurses“ habe zur Folge, dass der Staat (ausschließlich) ein besonderes Gesamt-vollstreckungsverfahren zur Verfügung stelle, insbesondere Zwangsvollstreckungsmaß-nahmen, die in der kritischen Phase vor der Insolvenz durchgeführt worden sind, per se als unzulässig bzw. anfechtbar anzusehen sind.
Schließlich kann das Argument des insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes auch deshalb nicht überzeugen, weil die Rechtsprechung ausdrücklich freiwillige Zahlungen des Schuldners in der kritischen Zeit von der Anfechtbarkeit nach § 131 InsO aus-nimmt, obwohl die Zahlung des Schuldners unzweifelhaft eine Rechtshandlung im Sinne des § 131 InsO darstellt. Die damit verbundene unterschiedliche Wertung der beiden Rechtshandlungen wird der Bedeutung des Zwangsvollstreckungsrechts nicht gerecht.
Dem Gläubiger ist es untersagt, seinen verbindlich festgestellten Anspruch im Wege der Selbsthilfe durchzusetzen. Träger der Vollstreckungsgewalt ist allein der Staat als Inhaber des Zwangsmonopols. Der Gläubiger hat ein Interesse an der Verwirklichung seines Anspruchs. Dieses Interesse dient der Wahrung des Rechtsfriedens und der Rechtsordnung, welche ihrerseits Grundbestandteil der rechtsstaatlichen Ordnung ist (vgl. Bundesverfassungsgericht - Urteil vom 19.10.1982 - 1 BvL 34/80 und 1 BvL 55/80 = BVerfGE 61/126 und DB 1983/108; Bundesgerichtshof - Urteil vom 09.11.2000 - III ZR 314/99 = BGHZ 146/17 und NJW 2001/434).
Hinzu kommt ein weiterer Gesichtspunkt. Gerade dann, wenn - wie vorliegend - das Zwangsvollstreckungsverfahren abgeschlossen ist, ist die geringere Wertigkeit durchgeführter Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht einsichtig. Vor Abschluss eines Vollstreckungsverfahrens greift § 88 InsO. Soweit der Gläubiger bei Insolvenzeröffnung lediglich eine Sicherung erlangt hat, ist sie unter den Voraussetzungen des § 88 InsO unwirksam.
Eine erlangte Sicherheit ist darüber hinaus gemäß § 131 InsO anfechtbar, wenn der Gläubiger sie innerhalb von zwei weiteren Monaten vor dem Eröffnungsantrag erlangt hat, ohne dass sie ihm zusteht, z.B. wenn er statt eines ihm zustehenden Geldbetrags lediglich ein Pfändungspfandrecht erworben hat, auf das materiellrechtlich ein Anspruch nicht besteht. Nach Abschluss eines Zwangsvollstreckungsverfahrens, das zur Befriedigung des Gläubigers geführt hat, tritt Rechtssicherheit und damit Rechtsfrieden ein. Die Rechtssicherheit ist ein wesentliches Element der Rechtsstaatlichkeit und damit eines Konstitutionsprinzips des Grundgesetzes. Aus ihm folgt die grundsätzliche Rechtsbeständigkeit rechtskräftiger Entscheidungen und sonstiger in Rechtskraft erwachsener Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfG – Beschluss vom 08.10.1992 - 1 BvR 1262/92 = NJW 1993/1125).
Es ist daher nicht nachzuvollziehen, weshalb eine Befriedigung, die im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgt und abgeschlossen ist, allein aus diesem Grund der insolvenzrechtlichen Anfechtung unterliegen soll.
Nach allem kommt das erkennende Gericht zu der Überzeugung, dass das Tatbestandsmerkmal „in der Art“ materiellrechtlich zu betrachten ist.
Die Klägerin hat durch die Vollstreckung Geld erhalten, §§ 829, 835 Absatz 1 ZPO. Dies entspricht dem materiellrechtlichen Anspruch der Klägerin, der auf die Zahlung von Geld gerichtet war.
Da zum einen die tarifliche Ausschlussfrist dem Rückgewährungsanspruch entgegensteht und die Klägerin zum anderen nichts erhalten hat, was sie im Sinne des § 131 InsO nicht zu beanspruchen hätte, war das Urteil des Arbeitsgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Absatz 1 ZPO.
Die Revision war zuzulassen. Das vorstehende Urteil weicht von Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts ab, § 72 Absatz 2 Nr. 2 ArbGG.
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