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LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.06.2013, 10 Sa 17/13
Schlagworte: | Krankheit: Vortäuschen, Kündigung | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz | |
Aktenzeichen: | 10 Sa 17/13 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 06.06.2013 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Mainz, 9 Ca 2261/11 | |
Aktenzeichen:
10 Sa 17/13
9 Ca 2261/11
ArbG Mainz
Entscheidung vom 06.06.2013
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 21. August 2012, Az. 9 Ca 2261/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung der Beklagten vom 08.12.2011 und - zweitinstanzlich noch - über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeit vom 23. bis 30.11.2011.
Der 1981 geborene Kläger war seit dem 14.09.2011 bei der Beklagten, die sechs Arbeitnehmer beschäftigt, als Außendienstmitarbeiter zu einem Monatsgehalt von € 2.200,00 brutto beschäftigt. Die Parteien hatten ua. eine Probezeit von sechs Monaten mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen vereinbart.
Am Morgen des 21.11.2011 bat der Kläger den Geschäftsführer der Beklagten um ein Gespräch. Der Kläger soll den Wunsch geäußert haben, die Beklagte möge ihm kündigen. Der Verlauf des Gesprächs ist zwischen den Parteien ebenso streitig wie der Inhalt weiterer Gespräche am selben Tag. Beim Verlassen des Betriebs musste der Kläger den Geschäftswagen, das Firmenhandy und den Laptop herausgeben. Am 22.11.2011 erschien der Kläger nicht zur Arbeit.
Für die Zeit vom 23.11. bis 02.12.2011 legte er der Beklagten eine am 22.11.2011 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Dr. med. A., Facharzt für Innere Medizin, vor. Der Arzt stellte am 02.12. eine Folgebescheinigung bis einschließlich 09.12.2011 aus. Am 08.12.2011 stellte Dr. med. B., Fachärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie, für den Kläger eine Erstbescheinigung für die Zeit vom 08. bis einschließlich 23.12.2011 aus.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 08.12.2011, das dem Kläger am selben Tag zugegangen ist, fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Termin, das ist der 22.12.2011. Sie zahlte dem Kläger das Gehalt für den vollen Monat November 2011 nicht.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 2.200,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.12.2011 zu zahlen, festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 08.12.2012 nicht aufgelöst worden ist, die Beklagte zu verurteilen, zu erklären, dass sie die Gründe nicht mehr aufrecht erhält, die sie in der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung in ihrem Kündigungsschreiben vom 08.12.2011 genannt und dabei behauptet hat, er habe sich krankschreiben lassen, obwohl er nicht krank sei, er habe grundlos die Erbringung seiner Arbeitsleistung verweigert, er habe vorzeitig die Geschäftsräume verlassen, er sei vorsätzlich der Arbeit fern geblieben, er habe durch die Einrichtung der Abwesenheitsnachricht eindeutig zuerkennen gegeben, dass er bereits am 21.11.2011 die Absicht gehabt habe, das Unternehmen auf Dauer zu verlassen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 21.08.2012 Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag zu 1) überwiegend iHv. € 2.100,00 brutto und dem Klageantrag zu 2) voll stattgegeben, den Klageantrag zu 3) hat es abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt, der Kläger habe für November 2011, mit Ausnahme des 22., Anspruch auf Zahlung der vertragsgemäßen Vergütung. Da er bis zum 21.11.2011 gearbeitet habe, schulde ihm die Beklagte das vereinbarte Arbeitsentgelt iHv. € 1.500,00 brutto. Für die Zeit vom 23. bis 30.11.2011 könne der Kläger nach § 3 EntgFG einen Betrag iHv. € 600,00 brutto beanspruchen. Das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit werde durch die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Dr. A. vom 22.11.2011 belegt. Die Beklagte habe den Beweiswert dieser Bescheinigung nicht erschüttert. Gegen das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit spreche nicht, dass der Kläger am 21.11.2011 die E-Mail-Abwesenheitsmeldung: „Ich bin nicht mehr im Weingut K. beschäftigt....“, geschaltet habe. Im Ergebnis nichts anderes gelte hinsichtlich der seitens der Beklagten behaupteten Äußerungen des Klägers gegenüber dem Zeugen W. am 22.11.2011 anlässlich der Aushändigung einer schriftlichen Arbeitsaufforderung an der Haustür. Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 08.12.2011 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden, weil ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht vorliege. Der Kläger habe keine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 7 bis 15 des erstinstanzlichen Urteils vom 21.08.2012 Bezug genommen.
Gegen das Urteil, das ihr am 07.12.2012 zugestellt worden ist, hat die Beklagte Berufung eingelegt. Die Berufungsschrift ist am 07.01.2013, die Begründungsschrift am 06.02.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Die Beklagte hat die Berufung wegen der Zahlungsansprüche darauf beschränkt, ihre Verurteilung zur Entgeltfortzahlung iHv. € 600,00 brutto für die Zeit vom 23. bis 30.11.2011 anzugreifen.
Die Beklagte trägt vor, sie habe entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit des Klägers in der Zeit ab 23.11.2011 erschüttert. Der Kläger habe durch den Wortlaut der E-Mail-Abwesenheitsmeldung vom 21.11.2011 klar zum Ausdruck gebracht, dass er nicht mehr für sie arbeiten wolle. Ihr Geschäftsführer habe dem Kläger deutlich erklärt, dass er seinen Wunsch abschlage, ihm eine Kündigung auszusprechen. Damit habe es vernünftigerweise kein Missverständnis über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geben können. Es sei eine reine Schutzbehauptung, wenn der Kläger vortrage, er habe sich gekündigt gefühlt. Das Arbeitsgericht habe fehlerhaft angenommen, die - als unstreitig angesehene - Äußerung des Klägers ggü. dem Zeugen W. am 22.11.2011, die Beklagte werde von seinem Anwalt hören, habe keinen Einfluss auf die Beurteilung des Nichtvorliegens der Arbeitsunfähigkeit. Das Arbeitsgericht habe auch nicht nachvollziehbar begründet, weshalb das Verhalten des Klägers am 21. und 22.11.2011 nicht auf seinen fehlenden Arbeitswillen schließen lasse. Es sei auch fehlerhaft, dass das Arbeitsgericht darin eine unklare Situation gesehen habe, dass sie dem Kläger am 21.11.2011 den Dienstwagen, das Handy und den Laptop abgenommen habe.
Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,
das Urteil des Arbeitsgericht Mainz vom 21.08.2012, Az. 9 Ca 2261/11, teilweise abzuändern und die Klage gegen die fristlose Kündigung der Beklagten vom 08.12.2011 sowie auf Zahlung von € 600,00 brutto für die Zeit vom 23. bis 30.11.2011 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seines Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 06.03.2013, auf den Bezug genommen wird, als zutreffend.
Die Berufungskammer hat über die Frage, ob der Kläger in der Zeit 23.11. bis zum 08.12.2011 arbeitsunfähig erkrankt war, Beweis erhoben durch Einholung einer schriftlichen Zeugenaussage des Dr. med. A., Facharzt für Innere Medizin, und Vernehmung der Zeugin Dr. med. B., Fachärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie. Wegen des Inhalts der Zeugenaussagen wird auf die Schreiben des Dr. A. vom 10.05.2013 (Bl. 183-184 d.A.) und 23.05.2013 (Bl. 191-192 d.A.) sowie die Sitzungsniederschrift vom 06.06.2013 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und in ausreichender Weise begründet worden. Sie ist somit zulässig.
II. In der Sache hat die Berufung der Beklagten jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 08.12.2011 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist. Das Arbeitsverhältnis hat vielmehr erst durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung der Beklagten mit Ablauf des 22.12.2011 geendet. Der Kläger hat für den - im vorliegenden Rechtsstreit zweitinstanzlich noch streitigen Zeitraum - vom 23. bis 30.11.2011 Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall iHv. € 600,00 brutto.
1. Die fristlose Kündigung der Beklagten vom 08.12.2011 ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.
1.1. Die Berufungskammer geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BAG (26.08.1993 - 2 AZR 154/93 - AP BGB § 626 Nr. 112) und des LAG Rheinland-Pfalz (12.02.2010 - 9 Sa 275/09 - Juris) davon aus, dass es einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung darstellen kann, wenn der Arbeitnehmer unter Vorlage eines ärztlichen Attestes der Arbeit fern bleibt und sich Entgeltfortzahlung gewähren lässt, obwohl es sich in Wahrheit nur um eine vorgetäuschte Krankheit handelt. Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast ist dabei von folgenden Grundsätzen auszugehen:
Legt der Arbeitnehmer ein ärztliches Attest vor, so begründet dies in der Regel den Beweis für die Tatsache der zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung. Ist es dem Arbeitgeber allerdings gelungen, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern bzw. zu entkräften, ist es nunmehr wiederum Sache des Arbeitnehmers, angesichts der Umstände, die gegen eine Arbeitsunfähigkeit sprechen, weiter zu substantiieren, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben, welche Verhaltensmaßregeln der Arzt gegeben hat, welche Medikamente zB. bewirkt haben, dass der Arbeitnehmer zwar immer noch nicht die geschuldete Arbeit bei seinem Arbeitgeber verrichten konnte, aber zu leichten anderweitigen Tätigkeiten in der Lage war. Wenn der Arbeitnehmer dieser Substantiierungspflicht nachgekommen ist und ggf. die behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden hat, muss der Arbeitgeber aufgrund der ihm obliegenden Beweislast den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers widerlegen. Es ist auch zu prüfen, ob die Umstände, die den Beweiswert des ärztlichen Attestes erschüttern, nicht als so gravierend anzusehen sind, dass sie ein starkes Indiz für die Behauptung des Arbeitgebers darstellen, die Krankheit sei nur vorgetäuscht gewesen, so dass der Arbeitnehmer dieses Indiz entkräften muss.
1.2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Berufungskammer der Auffassung, dass die Beklagte den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen - vom 23.11. bis zum Zugang der fristlosen Kündigung am 08.12.2011 - erschüttert hat.
Das basiert auf der unstreitigen Tatsache, dass der Kläger am 21.11.2011 eine E-Mail-Abwesenheitsmeldung mit folgendem Wortlaut formuliert hat: „Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin nicht mehr im Weinhof K. beschäftigt. Ihre Mail wird weiterleitet an ...“ Unstreitig lag dem Kläger am 21.11.2011 keine schriftliche Kündigungserklärung der Beklagten vor, weil sich deren Geschäftsführer geweigert hatte, eine
Arbeitgeberkündigung auszusprechen. Auch der Kläger hatte das Arbeitsverhältnis nicht schriftlich gekündigt. Der Kläger hätte daher am 22.11.2011 zur Arbeit erscheinen müssen. Ein tatsächliches Arbeitsangebot erfolgte jedoch nicht. Stattdessen bot der Kläger seiner Arbeitgeberin mit Schreiben vom 21.11.2011 seine „vollumfängliche Arbeitswilligkeit“ an, weil er sich ua. durch die Wegnahme des Dienstwagens in einer „rechtlich unklaren“ Situation sah, die „einer mündlichen Kündigung nahekomm(e)“. Wenn ihn die Beklagte nicht mehr beschäftigen wolle, solle sie ein Kündigungsschreiben zu seinen Händen aufsetzen. Die Beklagte reagierte auf dieses Schreiben am 22.11.2011 mit der Antwort: „Wir freuen uns auf Ihre vollumfängliche Arbeitswilligkeit und erwarten sie am Mittwoch, dem 23.11.2011 in unserem Büro“. Dieses Schreiben wurde dem Kläger noch am 22.11.2011 durch einen Boten persönlich überbracht. Damit musste dem Kläger unmissverständlich klar sein, dass er am 23.11.2011 im ungekündigt fortbestehenden Probearbeitsverhältnis zur Arbeit zu erscheinen hatte. Da der Kläger einerseits nicht mehr an seinen Arbeitsplatz zurückkehren, andererseits jedoch keine fristlose Eigenkündigung erklären wollte, um den Eintritt einer Sperrzeit zu vermeiden, bestanden begründete Zweifel am Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit ab 23.11.2011.
1.3. Angesichts dieser gegen eine Arbeitsunfähigkeit sprechenden Umstände war es daher Sache des Klägers, sich hierzu substantiiert einzulassen. Dieser Darlegungslast ist der Kläger gerecht geworden. Er hat bereits im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 18.04.2012 geschildert, dass er seit Wochen unter Schmerzen im rechten Fuß gelitten habe. Er habe zunächst eine Zerrung vermutet. Am 22.11.2011 seien die Schmerzen unerträglich geworden, so dass er zu seinem Hausarzt Dr. A. begeben habe. Dieser habe einen Gichtschub diagnostiziert und ein Schmerzmittel sowie ein harnstoffsenkendes Medikament verordnet. Seit Anfang Dezember 2011 werde er von Dr. B. wegen Depressionen psychotherapeutisch behandelt. Der Kläger hat sich auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte berufen und diese von ihrer Schweigepflicht entbunden.
Aufgrund dieses Sachvortrages des Klägers war der Behauptung der Beklagten, die Arbeitsunfähigkeit sei tatsächlich nur vorgetäuscht gewesen, durch eine Beweisaufnahme durch Vernehmung der behandelnden Ärzte nachzugehen. Nichts anderes gilt, wenn man annimmt, dass die Umstände, die den Beweiswert der ärztlichen Atteste erschüttern, vorliegend als so gravierend angesehen werden, dass sie ein starkes Indiz für die Behauptung des Arbeitgebers darstellen, die Krankheit sei nur vorgetäuscht gewesen. Der Kläger hat Tatsachen vorgetragen, die dieses Indiz entkräften und sich seinerseits auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte berufen.
1.4. Der somit der Beklagten obliegende Beweis, der Kläger sei ab dem 23.11.2011 tatsächlich nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen, ist ihr nicht gelungen. Im Gegenteil steht aufgrund der im Berufungsverfahren durchgeführten schriftlichen Vernehmung des sachverständigen Zeugen Dr. A. und der Vernehmung der sachverständigen Zeugin Dr. B. zur Überzeugung der Berufungskammer fest, dass der Kläger ab 23.11.2011 tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war.
Der Zeuge Dr. med. A., Facharzt für Innere Medizin, hat in seiner schriftlichen Äußerung vom 10.05.2013 bekundet, dass ihn der Kläger am 22.11.2011 aufgesucht und über Schmerzen im Bereich des rechten Großzehengrundgelenks geklagt habe, das sich im Rahmen der körperlichen Untersuchung als massiv gerötet und geschwollen präsentiert habe. Der Kläger sei mit Unterarmgehstützen erschienen, weil für ihn die Schmerzen so stark gewesen seien, dass er mit dem Fuß nicht habe auftreten können. Eine Gichterkrankung des Klägers sei seit einigen Jahren bekannt, in der Vorgeschichte seien bereits mehrere Anfälle im Bereich beider Füße aufgetreten. Die Diagnose habe auf jeden Fall eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gerechtfertigt, weil es ohne Schonung des Gelenks zu Spätkomplikationen (Arthrose) kommen könne. Zur Therapie habe neben der Schonung des Gelenks nebst Lokalmaßnahmen (Kühlung) auch verschiedene Medikamente (Voltaren Resinat als Entzündungshemmer und Schmerzmittel, Allopurinol 300 als Harnsäuresenker) gehört, die er rezipiert habe. Am 02.12.2011 habe sich der Kläger erneut vorgestellt. Der Lokalbefund am Fuß sei zwar rückläufig gewesen, aber noch nicht vollständig ausgeheilt. Der Kläger habe über Brennen beim Wasserlassen, häufigen Harndrang sowie Schüttelfrost geklagt. Die Laboruntersuchung habe eine noch deutlich erhöhte Harnsäure sowie eine beschleunigte Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit als Zeichen des entzündlichen Geschehens gezeigt. Im Urin sei Blut nachgewiesen worden, was ebenfalls eine Entzündung anzeige. Er habe dem Kläger ein erneutes Rezept ausgestellt (Metamizol 500 mg gegen Schmerzen und Fieber sowie Levofloxacin 250 mg als Antibiotikum gegen den Harnwegsinfekt). Der Kläger habe sich noch nicht in der Lage gefühlt, wieder zu arbeiten, so dass er aufgrund der vorliegenden Befunde und der angegebenen Beschwerden eine erneute Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt habe, die medizinisch gerechtfertigt gewesen sei.
Auf die schriftlichen Nachfragen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 22.05.2013 antwortete der Zeuge Dr. A. am 23.05.2013 ergänzend, der Kläger habe seine Arztpraxis am 22.11.2011 nach 16:00 Uhr aufgesucht. Er habe in die Bescheinigung als ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit den 23.11.2011 eingetragen, weil der Kläger nicht angegeben habe, dass er schon am 22. nicht am Arbeitsplatz gewesen sei. Der Kläger habe über akut aufgetretene, für ihn als extrem stark empfundene Schmerzen im Bereich der rechten Großzehe geklagt. Der Beginn sei akut im Laufe des Tages ohne vorausgegangenes Trauma aufgetreten. Im Verlauf der klinischen Untersuchung habe sich ein massiv angeschwollenes (explizit: deutlich über hühnereigroß) und gerötetes sowie druckschmerzhaftes Großzehengrundgelenk gezeigt. Der Kläger habe rechts keinen Schuh anziehen können und sei mit Socken und Unterarmgehstützen in seiner Praxis erschienen.
Auf die Frage der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, ob der Kläger die Symptome auch vorgetäuscht haben könnte, antwortete der Zeuge, dass eine derartige Schwellung nach menschlichem Ermessen nicht vorgetäuscht werden könne. Theoretisch käme zwar einen Selbstverletzung in Betracht (zB. durch einen Schlag mit dem Hammer auf den Vorfuß), dies würde jedoch zu einer Blutung mit Hämatombildung und Knochenverletzungen führen, die im Rahmen der klinischen Untersuchung nicht zu übersehen seien. Hinzu käme die deutlich erhöhte Harnsäure im Blut, die die klinische Diagnose bestätige und nicht vorgetäuscht werden könne.
Aufgrund dieser schriftlichen Äußerungen des Zeugen Dr. A. ist die Berufungskammer davon überzeugt, dass der Kläger in der Zeit ab 23.11.2011 arbeitsunfähig erkrankt war. Die diagnostizierte Erkrankung hat der Arzt nicht (nur) aufgrund von Eigenangaben des Klägers, sondern aufgrund objektivierbarer Befunde (klinische Untersuchung, Laborwerte) festgestellt. Dafür, dass der Kläger den Arzt getäuscht haben könnte, besteht nicht der geringste Anhaltspunkt.
Den weiteren Beweisanträgen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten war nicht nachzugehen. Es ist unerheblich, dass der als Zeuge benannte Mitarbeiter J. W., der dem Kläger am 22.11.2011 an der Haustür einen Brief übergeben hat, nach dem Vortrag der Beklagten keine körperlichen Beeinträchtigungen festgestellt haben will. Zwar können auch die Angaben eines Laien für ein Gericht durchaus geeignet sein, sich ein genaueres Bild über den gesundheitlichen Zustand eines Menschen zu verschaffen. Der Zeuge W. hat den Kläger jedoch unstreitig nicht klinisch untersucht und auch keine Laborbefunde erhoben, um beurteilen zu können, ob eine Arbeitsunfähigkeit im medizinischen Sinne vorlag.
Auch dem Antrag der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, den Zeugen Dr. A. ergänzend darüber zu befragen, ob die Harnsäurewerte des Klägers ständig erhöht seien, was man sich unter einer deutlich über hühnereigroßen Schwellung des Großzehengrundgelenks vorzustellen habe und wie sich der Zeuge erkläre, dass der Briefbote W. den Kläger am 22.11.2011 um 16:00 Uhr noch ohne Unterarmgehstützen und mit normalen Schuhen gesehen habe, war nicht nachzugehen. Es hätten sich keine neuen tatsächlichen Gesichtspunkte ergeben, die möglicherweise dazu geführt hätten, dass die Berufungskammer im Rahmen ihrer aus dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme und der mündlichen Verhandlung gewonnenen Überzeugung zu einem für die Beklagte günstigeren Ergebnis gekommen wäre.
Die Zeugin Dr. med. B., Fachärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie, hat während ihrer Vernehmung vor der Berufungskammer am 06.06.2013 bekundet, dass sich der Kläger am 05.12.2011 aufgrund einer Überweisung seines Hausarztes Dr. A. in ihrer Praxis vorgestellt habe. Er habe ihr einen Konflikt am Arbeitsplatz geschildert. Er sei noch in der Probezeit, der Arbeitgeber habe ihm am 21.11.2011 sämtliche Arbeitsmittel weggenommen. Sie habe dem Kläger zunächst verschiedene Unterlagen mitgegeben, die er ausgefüllt habe. Am 08.12.2011 sei der Kläger erneut bei ihr vorstellig geworden. Es sei ihm nicht gut gegangen, er habe hohen Blutdruck gehabt, er sei wütend und verzweifelt gewesen. Sie habe ihm ein Antidepressivum verordnet, weil ein einfaches Beruhigungsmittel als Medikament nicht mehr ausgereicht habe. Das Depressions-Rating sei mit 58 Punkten sehr hoch gewesen. Sie habe den Kläger vom 08. bis 23.12.2011 wegen Anspannungsstörungen, akuter Belastungsreaktion und somatoformer autonomer Funktionsstörung (F 43.2, F 45.39, F 43.0) krankgeschrieben. Der Kläger sei aus ihrer ärztlichen Sicht in der Zeit vom 08. bis 23.12.2011 absolut nicht in der Lage gewesen, einer Arbeitstätigkeit nachzugehen.
Auch die Aussage der Zeugin Dr. B. hat das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit des Klägers eindrucksvoll belegt. Den in sich schlüssigen und gut nachvollziehbaren Ausführungen beider ärztlichen Zeugen zufolge war der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum krankheitsbedingt nicht in der Lage, seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitstätigkeit im Betrieb der Beklagten nachzugehen. Die Berufungskammer ist deshalb vom Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit ab dem 23.11.2011 überzeugt. Es bestehen keine begründeten Zweifel an der Richtigkeit der ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Beiden Ärzten kann nicht unterstellt werden, sie hätten dem Kläger ein „Gefälligkeitsattest“ ausgestellt.
Die fristlose Kündigung der Beklagten ist daher rechtsunwirksam. Das Arbeitsverhältnis endete erst durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 08.12.2011 mit Ablauf der zweiwöchigen Kündigungsfrist in der Probezeit am 22.12.2011.
2. Die Beklagte ist gemäß § 3 Abs. 1 EntgFG verpflichtet, an den Kläger für den - im vorliegenden Rechtsstreit- streitigen Zeitraum vom 23.11. bis 30.11.2011 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in rechnerisch unstreitiger Höhe von € 600,00 brutto nebst Verzugszinsen zu zahlen. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.
Der Kläger ist für das Vorliegen seiner Arbeitsunfähigkeit darlegungs- und beweisbelastet. Diese Verteilung der Beweislast für die Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz, dass jede Partei die für ihr Begehren notwendigen Tatsachen Beweisen muss (BAG 09.10.2002 - 5 AZR 443/01 - Rn. 62, NZA 2004, 257).
Nach dem Ergebnis der zweitinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme ist die Berufungskammer davon überzeugt, dass der Kläger in der Zeit ab 23.11.2011 tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird auf die obigen Ausführungen unter Ziff. 1.4 Bezug genommen.
III. Nach alledem ist die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge aus §§ 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.
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