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LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 21.12.2011, 10 Sa 19/11

   
Schlagworte: Urlaub: Krankheit, Krankheit: Urlaub, Urlaubsabgeltung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Aktenzeichen: 10 Sa 19/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 21.12.2011
   
Leitsätze:

Auch in einem konkludent vereinbarten ruhenden Arbeitsverhältnis zum Bezug von Arbeitslosengeld entsteht bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch: Dieser verfällt nicht am Ende des Übertragungszeitraums nach § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG.

Urlaubsansprüche gehen bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit jedoch spätestens 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres unter und sind bei einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht abzugelten. Eine unbegrenzte Ansammlung überschreitet die Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung.

Vorinstanzen:
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ba­den-Würt­tem­berg

- Kam­mern Frei­burg -

 

Verkündet

am 21.12.2011

Ak­ten­zei­chen:

10 Sa 19/11

4 Ca 434/10 ArbG Lörrach - Kn. Ra­dolf­zell (Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben!)

S.
Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

Im Na­men des Vol­kes

 

Ur­teil

In der Rechts­sa­che

- Be­klag­te/Be­ru­fungskläge­rin -

Proz.-Bev.:

ge­gen

- Kläger/Be­ru­fungs­be­klag­ter -

Proz.-Bev.:

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg - Kam­mern Frei­burg - 10. Kam­mer - durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Ar­nold, den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Hal­ler und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Jund auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 21.12.2011

für Recht er­kannt:

1. Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Lörrach, Kam­mern Ra­dolf­zell vom 01.03.2011, Az. 4 Ca 434/10 teil­wei­se ab­geändert und zur Klar­stel­lung wie folgt neu ge­fasst:

a) Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an den Kläger € 846,12 brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit 01.12.2010 zu be­zah­len.

b) Im Übri­gen wird die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

2. Von den Kos­ten ers­ter In­stanz trägt der Kläger 19/20, die Be­klag­te 1/20. Von den Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens trägt der Kläger 5/6, die Be­klag­te 1/6.

3. Die Re­vi­si­on wird für bei­de Par­tei­en zu­ge­las­sen.

 

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Ur­teil vom 21.12.2011 - 10 Sa 19/11 -

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten im Be­ru­fungs­ver­fah­ren noch über ei­nen Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch für Ur­laubs­ansprüche aus den Jah­ren 2007-2009.
Der Kläger war bei der Be­klag­ten als Kraft­fah­rer mit ei­ner Brut­to­mo­nats­vergütung von zu­letzt 2000 € beschäftigt.
Der Kläger war als Spätfol­ge ei­nes Ver­kehrs­un­falls aus dem Jah­re 1998 von Ok­to­ber 2006
bis zum Aus­schei­den aus dem Ar­beits­verhält­nis ar­beits­unfähig er­krankt. Mit Be­scheid des Land­rats­am­tes K., Amt für Ge­sund­heit und Ver­sor­gung, vom 29.05.2008 wur­de der Kläger
mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von 70 als schwer­be­hin­der­ter Mensch an­er­kannt. Nach Aus­steue­rung aus dem Kran­ken­geld­be­zug hat der Kläger auf der Grund­la­ge von Ar­beits­be-schei­ni­gun­gen der Be­klag­ten vom 6.11.2007 und 4.7.2008 für die Zeit vom 25.6.2008 bis 31.5.2009 Ar­beits­lo­sen­geld be­zo­gen. Ab 1.6.2009 war der Kläger an­der­wei­tig in Voll­zeit be-schäftigt.
Am 13.05.2008 be­an­trag­te die Be­klag­te beim In­te­gra­ti­ons­amt F. ein Präven­ti­ons­ver­fah­ren für den Kläger. Im Rah­men die­ses zeit­wei­se nicht be­trie­be­nen Präven­ti­ons­ver­fah­rens teil­te
das In­te­gra­ti­ons­amt der Be­klag­ten am 08.02.2010 mit, dass der Kläger be­reits seit meh­re­ren Mo­na­ten ein neu­es Beschäfti­gungs­verhält­nis bei ei­nem an­de­ren Ar­beit­ge­ber an­ge­tre­ten ha­be und da­mit „das Ziel der Präven­ti­on, das be­ste­hen­de Beschäfti­gungs­verhält­nis auf Dau­er si­cher­zu­stel­len, nicht er­reicht wer­den könne".
Auf An­trag vom 26.03.2010 be­an­trag­te die Be­klag­te hier­auf beim In­te­gra­ti­ons­amt die Zu-stim­mung zur per­so­nen­be­ding­ten or­dent­li­chen Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses so­wie zu
ei­ner hilfs­wei­se ver­hal­tens­be­ding­ten or­dent­li­chen Kündi­gung. Mit Be­scheid vom 06.10.2010 er­teil­te das In­te­gra­ti­ons­amt die Zu­stim­mung zur per­so­nen­be­ding­ten or­dent­li­chen Kündi­gung, nicht aber zur hilfs­wei­se ver­hal­tens­be­ding­ten or­dent­li­chen Kündi­gung.
Am 19.10.2010 kündig­te die Be­klag­te hier­auf das Ar­beits­verhält­nis or­dent­lich zum 30.11.2010. Im Ver­lauf des Zu­stim­mungs­ver­fah­rens hat­te am 28.06.2010 in den Räum­lich­kei­ten der Be­klag­ten ei­ne Ar­beits­platz­be­ge­hung statt­ge­fun­den, in de­ren Rah­men der Kläger auch sein Leis­tungs­vermögen de­mons­triert hat.
Der Kläger er­hob am 11.11.2010 Kündi­gungs­schutz­kla­ge zum er­ken­nen­den Ge­richt. Hilfs-wei­se hat der Kläger ei­nen An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung gel­tend ge­macht. Er ha­be für
den Fall der rechts­wirk­sa­men Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses An­spruch auf Ur­laubs-ab­gel­tung für 104 Ta­ge nicht ge­nom­me­nen Ur­laubs im Zeit­raum 01.01.2007 bis 30.11.2010.

 

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Ur­teil vom 21.12.2011 - 10 Sa 19/11 -

Le­dig­lich die Ansprüche aus dem Jahr 2006 sei­en verjährt. Der Kläger könne in An­se­hung der Recht­spre­chung des EuGH und nach­fol­gend des Bun­des­ar­beits­ge­richts Ur­laubs­ab­gel­tung ver­lan­gen. Da ihm ver­trags­gemäß 26 Ur­laubs­ta­ge pro Jahr zu­ge­stan­den hätten, er­rech­ne sich bei sei­nem Brut­to­ar­beits­lohn von 2.000,00 € mo­nat­lich in der Sechs-Ta­ge-Wo­che ein Ab­gel­tungs­an­spruch in Höhe von 76,92 € pro Tag. Für 104 Ur­laubs­ta­ge er­ge­be dies ei­nen Be­trag von 7.999,68 € brut­to.

Der Kläger hat be­an­tragt:
1. Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en nicht durch die or­dent­li­che Kündi­gung vom 19.10.2010 zum 30.11.2010 be­en­det wor­den ist.
2. Für den Fall des Ob­sie­gens mit dem An­trag Ziff. 1 wird die Be­klag­te ver­ur­teilt, den Kläger zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen als Kraft­fah­rer wei­ter zu beschäfti­gen,

hilfs­wei­se,
die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an den Kläger 7.999,68 € brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit 30.11.2010 zu be­zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die or­dent­li­che Kündi­gung sei so­zi­al ge­recht­fer­tigt, da es dem Kläger auf Dau­er unmöglich sei, die ver­trag­lich ge­schul­de­te Ar­beits­leis­tung zu er­brin­gen. Ein An­spruch des Klägers auf Ab­gel­tung nicht ge­nom­me­nen Ur­laubs im Zeit­raum 2007 bis 2010 be­ste­he nicht. Außer­dem ha­be der Kläger ab 1.6.2009 in an­de­ren Ar­beits­verhält­nis­sen ge­stan­den, in de­nen ihm Ur­laub gewährt wor­den sei.
Das Ar­beits­ge­richt hat die Kündi­gungs­schutz­kla­ge ab­ge­wie­sen und auf den Hilfs­an­trag die Be­klag­te zur Zah­lung ei­ner Ur­laubs­ab­gel­tung von € 4.845,96 brut­to ver­ur­teilt. Für die Jah­re 2007 und 2008 ste­he dem Kläger ein Ur­laubs­an­spruch von je­weils 26 Ta­gen zu. Bei dem Ur­laub für die Ka­len­der­jah­re 2009 und 2010 sei zu berück­sich­ti­gen, dass der Kläger ab 01.06.2009 ein neu­es Ar­beits­verhält­nis be­gründet ha­be und je­weils ei­nen An­spruch auf Ur­laub ge­genüber dem je­wei­li­gen Ar­beit­ge­ber er­wor­ben ha­be. Für 2009 ste­he dem Kläger da­her ein Ur­laubs­an­spruch für 5 Mo­na­te, d. h. ge­run­det 11 Ta­ge zu. Zu­sam­men­fas­send sei­en da­her beim Aus­schei­den 63 Ur­laubs­ta­ge of­fen ge­we­sen, die un­ter Berück­sich­ti­gung der neu­en Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ab­zu­gel­ten sei­en. Der Kläger sei auf der Grund­la­ge der bei der Be­klag­ten ge­schul­de­ten Ar­beits­pflich­ten von En­de Ok­to­ber bis ein-

 

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Ur­teil vom 21.12.2011 - 10 Sa 19/11 -

schließlich 30.11.2010 ar­beits­unfähig er­krankt ge­we­sen. Der Kläger sei da­her aus in sei­ner Per­son lie­gen­den Gründen we­gen man­geln­der Ar­beitsfähig­keit ge­hin­dert ge­we­sen, den je-weils im Ka­len­der­jahr ent­stan­de­nen Ur­laubs­an­spruch durch Frei­zeit­nah­me zu rea­li­sie­ren.

Ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts hat die Be­klag­te Be­ru­fung ein­ge­legt, so­weit die­se zur Zah­lung ei­ner Ur­laubs­ab­gel­tung ver­ur­teilt wur­de. Der Kläger hat ge­gen das Ur­teil kei­ne Be-ru­fung ein­ge­legt.
Im Be­ru­fungs­ver­fah­ren ver­tritt die Be­klag­te die Auf­fas­sung, dass auch bei Ar­beits­unfähig­keit der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch des Klägers zeit­lich zu be­gren­zen sei. Auf der Grund­la­ge des Ur­teils des Eu­ropäischen Ge­richts­ho­fes vom 21.11.2011 sei­en zu­min­dest die of­fe­nen Ur­laubs­ansprüche für 2007 und 2008 ver­fal­len. Für die Zeit vom 25.06.2008 bis ein­sch­ließlich 24.06.2009 ste­he dem Kläger der gel­tend ge­mach­te Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch auch des­halb nicht zu, weil die­ser in die­sem Zeit­raum Ar­beits­lo­sen­geld be­zo­gen ha­be. Für die­sen Zeit­raum hätten die Par­tei­en ein Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses ver­ein­bart, so­dass für die­sen Zeit­raum Ur­laubs­ansprüche nicht be­ste­hen würden.

Die Be­klag­te be­an­tragt:
Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten wird Zif­fer 1 des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Lörrach, Kam­mern Ra­dolf­zell vom 03.01.2011, Az. 4 Ca 434/10 ab­geändert und die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

Der Kläger be­an­tragt,
die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch ste­he ihm in der aus­ge­ur­teil­ten Höhe zu. Die während des be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses während der Dau­er der Ar­beits­unfähig­keit an­ge­sam­mel­ten Ur­laubs­ansprüche würden mit Aus­nah­me der Verjährung kei­ner zeit­li­chen Be­gren­zung un-ter­lie­gen. An­de­res er­ge­be sich auch nicht aus der Ent­schei­dung des EuGH vom 22.11.2011. Der EuGH ha­be nur ent­schie­den, dass die Möglich­keit der An­samm­lung von Ansprüchen von nicht ge­nom­me­nen be­zahl­ten Jah­res­ur­laubs, der während ei­nes Zeit­rau­mes der Ar-beits­unfähig­keit er­wor­ben wur­de, durch na­tio­na­le Re­ge­lung zeit­lich be­grenzt wer­den könne. Vor­aus­set­zung ei­ner sol­chen Be­gren­zung sei da­her, dass ein Ta­rif­ver­trag oder ei­ne ver­trag-li­che Re­ge­lung die Be­gren­zung er­lau­be. Ei­ne sol­che Re­ge­lung exis­tie­re in die­sem Ar­beits-verhält­nis nicht. Die Rechts­auf­fas­sung der Be­klag­ten, wo­nach der Be­zug von Ar­beits­lo­sen-geld die Ent­ste­hung von Ur­laubs­ansprüchen aus­sch­ließe, sei falsch. Es würde ei­ne eu­ro­pa-

 

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Ur­teil vom 21.12.2011 - 10 Sa 19/11 -

recht­lich ver­bo­te­ne Schlech­ter­stel­lung im Hin­blick auf den Ur­laubs­an­spruch ein­tre­ten, wenn man langjährig er­krank­ten Ar­beit­neh­mern Ur­laubs­ansprüche strei­tig ma­chen würde, in­dem man die­se auf das Ru­hen ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses ver­wei­sen würde.

Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Be­ru­fung ist teil­wei­se be­gründet.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statt­haf­te Be­ru­fung ist zulässig. Sie ist ins­be­son­de­re gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i. V. m. den §§ 517, 519 Abs. 1, 2 ZPO frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den.

Da der Kläger kei­ne Be­ru­fung ein­ge­legt hat, steht rechts­kräftig fest, dass das Ar­beits­verhält­nis mit dem 30.11.2010 ge­en­det hat, gleich­falls, dass dem Kläger für 2010 kein Ur­laubs­ab-gel­tungs­an­spruch und für 2009 kein 11 Ta­ge über­stei­gen­der Ur­laubs­an­spruch zu­steht. Streit­ge­gen­stand des Be­ru­fungs­ver­fah­rens ist da­her al­lein die aus­ge­ur­teil­te Ur­laubs­ab­gel­tung von 63 Ur­laubs­ta­gen für die Jah­re 2007 bis 2009.

Der Kläger hat ei­nen An­spruch auf Ab­gel­tung der bei Aus­schei­den of­fe­nen Ur­laubs­ansprüche 2009. Ein An­spruch auf Ab­gel­tung der Ur­laubs­ansprüche 2007 und 2008 be­steht nicht, da die­se vor dem Aus­schei­den ver­fal­len sind.

1. Die Ur­laubs­ansprüche für die Jah­re 2007-2009 sind je­weils zu Be­ginn des Ka­len­der­jah­res ent­stan­den. Dies gilt auch, so­weit die Par­tei­en das Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses kon­klu­dent ver­ein­bart ha­ben. Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ist zu ver­mu­ten, dass die Par­tei­en zu­min­dest still­schwei­gend das Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses ver­ein­bart ha­ben, wenn ein Ar­beit­neh­mer bei fort­be­ste­hen­der Ar­beits­unfähig­keit auf sei­nen An­trag hin nach Ab­lauf der Kran­ken­geld­zah­lun­gen Ar­beits­lo­sen­geld nach § 125 Abs. 1 SGB III be­zieht (BAG 14.3. 2006 - 9 AZR 312/05 - NZA 2006, 1322). Der Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld setzt im recht­lich fort­be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis vor­aus, dass der Ar­beit­ge­ber auf

 

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Ur­teil vom 21.12.2011 - 10 Sa 19/11 -

sei­ne Verfügungs­ge­walt über den Ar­beit­neh­mer und des­sen Ar­beits­kraft ver­zich­tet. Der Kläger hat mit der Be­an­tra­gung des Ar­beits­lo­sen­gel­des und Vor­la­ge der Ar­beits­be­schei­ni­gung zu er­ken­nen ge­ge­ben, dass er sei­ne Haupt­pflicht aus dem Ar­beits­verhält­nis, die Er­brin­gung der Ar­beits­leis­tung, we­gen sei­ner krank­heits­be­ding­ten und nicht nur vorüber­ge­hen­den Leis­tungs­unfähig­keit zu­min­dest vorläufig als be­en­det an­se­he. Die Be­klag­te hat mit Er­tei­lung der Ar­beits­be­schei­ni­gun­gen auf ihr Di­rek­ti­ons­recht und da­mit auf ih­re Verfügungs­macht über die Ar­beits­leis­tung des Klägers ver­zich­tet. Da­durch wur­de die Dienst­leis­tungs­pflicht des Klägers und gleich­zei­tig die Vergütungs­pflicht der Be­klag­ten sus­pen­diert und das Ar­beits­verhält­nis zum Ru­hen ge­bracht (vgl. be­reits BAG 27. Ja­nu­ar 1999 - 10 AZR 3/98). Da­mit hat das Ar­beits­verhält­nis ab dem 25.6.2008 ge­ruht.
Ob auch im ru­hen­den Ar­beits­verhält­nis Ur­laubs­ansprüche ent­ste­hen können, ist um­strit­ten
Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat bis­her als selbst­verständ­lich an­ge­nom­men, dass im ru­hen­den Ar­beits­verhält­nis Ur­laubs­ansprüche ent­ste­hen (vgl. BAG 30.7.1986 - 8 AZR 475/84 - NZA 1987, 13; in der Fol­ge auch BAG 15.12. 2009 - 9 AZR 795/08 - NZA 2010, 728, al­ler­dings oh­ne dass es tra­gend dar­auf an­kam). In Fol­ge der Aus­le­gung der Richt­li­nie 2003/88/EG ist dies in­zwi­schen um­strit­ten (wei­ter­hin be­ja­hend z.B. LAG Ba­den-Würt­tem­berg 29.4.2010 - 11 Sa 64/09; LAG Düssel­dorf 8.2.2011 - 6 Sa 1574/10 je­weils für Ru­hen als Fol­ge ei­ner be­fris­te­ten Er­werbs­unfähig­keits­ren­te; a.A. z.B. LAG Ba­den Würt­tem­berg 9.6.2011 - 6 Sa 109/10; LAG Nürn­berg 8.2.2011 — 6 Sa 500/10 — ZTR 2011, 550 je­weils bei Ru­hen zum Zwe­cke des Ar­beits­lo­sen­geld­be­zugs für den Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld, LAG Düssel­dorf 5.5.2010 - 7 Sa 1571/09 - NZA-RR 2010, 568; LAG Köln 10.3.2011 — 3 Sa 1057/10 je­weils bei Be­zug ei­ner Er­werbs­min­de­rungs­ren­te). Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat in der Ent­schei­dung vom 17.5.2011 (BAG 17.5.2011 — 9 AZR 197/10 - ZTR 2011, 605) die Fra­ge of­fen ge­las­sen, je­doch dar­auf hin­ge­wie­sen, dass im deut­schen Recht kei­ne Norm exis­tie­re, die die Er­brin­gung von Ar­beits­leis­tung zur Vor­aus­set­zung für den Ur­laubs­an­spruch ma­che. Fol­ge­rich­tig hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt in der Ver­gan­gen­heit in den Fällen des Ru­hens des Ar­beits­verhält­nis­ses we­gen Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld nicht das Ent­ste­hen des An­spruchs ver­neint, viel­mehr die Erfüll­bar­keit in­ner­halb des Ur­laubs­jah­res und des ers­ten Quar­tals des Fol­ge­jah­res ver­neint. Die­ser Auf­fas­sung wird von der Kam­mer wei­ter­hin ge­folgt. Ent­schei­dend ist nicht, ob ein Ur­laubs­an­spruch ent­steht, viel­mehr, ob die­ser man­gels Erfüll­bar­keit je­weils am 31.3. des Fol­ge­jah­res nach § 7 Abs. 3 S. 3 BurIG un­ter­geht. Es kommt da­her auch nicht dar­auf an, ob im Jah­re 2008 der zu Jah­res­be­ginn ent­stan­de­ne Ur-

 

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Ur­teil vom 21.12.2011 - 10 Sa 19/11 -

laubs­an­spruch bei ei­nem ver­ein­bar­ten Ru­hen ab 25.6.2008 gekürzt wird. Das BUrIG kennt die­se Kürzungsmöglich­keit nicht. Ob al­ler­dings, wie das Bun­des­ar­beits­ge­richt in die­ser Ent­schei­dung ausführt, es zwei­fel­haft sei, ob es mit der Recht­spre­chung des EuGH für den uni­ons­recht­lich verbürg­ten Min­des­t­ur­laubs­an­spruch iSv. Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG zu ver­ein­ba­ren sei, wenn in ei­nem ru­hen­den Ar­beits­verhält­nis kei­ne Ur­laubs­ansprüche ent­ste­hen, er­scheint in die­ser All­ge­mein­heit frag­lich und erklärt sich mit ei­nem un­ter­schied­li­chen Verständ­nis des Be­grif­fes „Ru­hen". In der Schultz-Hoff Ent­schei­dung des EuGH (20.1.2009 - C-350/06 und C-520/06) ist vom „Ru­hen" der Ar­beits­pflicht in­fol­ge Krank­heit die Re­de. Dies ist dem na­tio­na­len Recht bei Ar­beits­unfähig­keit fremd. Ent­schei­dend dürf­te da­her auch uni­ons­recht­lich je nach Art des „Ru­hen" zu dif­fe­ren­zie­ren sein.

2. Die ent­stan­de­nen Ur­laubs­ansprüche sind trotz ver­ein­bar­ten Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­sen nicht ent­spre­chend § 7 Abs. 3 S. 3 BurIG je­weils zum 31.3. des Fol­ge­jah­res un­ter­ge­gan­gen.
Als Fol­ge der Schultz-Hoff Ent­schei­dung des EuGH er­lischt nach der geänder­ten Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (grund­le­gend BAG v. 24.3.2009 — 9 AZR 983/07 — NZA 2009, 538) der An­spruch auf Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Voll- oder Teil­ur­laubs nicht, wenn der Ar­beit­neh­mer bis zum En­de des Ur­laubs­jah­res und/oder des Über­tra­gungs­zeit­raums er­krankt und des­halb ar­beits­unfähig ist. § 7 Abs. 3 und 4 BUrIG ist im Verhält­nis zu pri­va­ten Ar­beit­ge­bern nach den Vor­ga­ben des Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richt­li­nie 2003/88/EG uni­ons­rechts­kon­form fort­zu­bil­den. Zwar steht Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­ni­en 2003/88/EG grundsätz­lich ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung nicht ent­ge­gen, die für die Ausübung des mit die­ser Richt­li­nie aus­drück­lich ver­lie­he­nen An­spruchs auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub Mo­da­litäten vor­sieht, die so­gar den Ver­lust die­ses An­spruchs am En­de ei­nes Be­zugs­zeit­raums oder ei­nes Über­tra­gungs­zeit­raums um­fas­sen (bestätigt durch EuGH 22.11.2011, C-214/10). Ent­schei­dend ist da­nach, ob ein Ar­beit­neh­mer, des­sen An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub erlöschen soll, tatsächlich die Möglich­keit ge­habt hat, den ihm mit der Richt­li­nie ver­lie­he­nen An­spruch aus­zuüben. Wird hier­auf ab­ge­stellt, ist ent­schei­dend, ob ein vom Ar­beit­neh­mer nicht be­ein­fluss­ba­rer Grund Ur­sa­che dafür war, dass we­gen des Ru­hens des Ar­beits­verhält­nis­ses of­fe­ne Ansprüche nicht erfüll­bar sind. In der Ent­schei­dung vom 24.3.2009 hat das BAG be­tont, dass die Auf­recht­er­hal­tung des Ur­laubs­an­spruchs in den Aus­nah­mefällen, in de­nen vom Wil­len des Ar­beit­neh­mers un­abhängi­ge Gründe der Ur­laubs­gewährung ent­ge­gen­ste­hen, an en­ge Vor­aus­set­zun­gen zu bin­den ist (BAG 24.3.2009 - 9 AZR 983/07 - NZA 2009, 538). Dies

 

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Ur­teil vom 21.12.2011 - 10 Sa 19/11 -

spricht für ei­ne An­wen­dung der Be­fris­tungs­re­ge­lun­gen. Al­ler­dings ha­ben nach Auf­fas­sung des EuGH die na­tio­na­len Ge­rich­te ih­rer Ver­pflich­tung nach­zu­kom­men, die vol­le Wir­kung des Uni­ons­rechts si­cher­zu­stel­len und den An­spruch des Ar­beit­neh­mers auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub als be­son­ders be­deut­sa­men Grund­satz des So­zi­al­rechts der Uni­on nur in den in der Richt­li­nie 2003/88/EG ge­zo­ge­nen Gren­zen um­zu­set­zen (EuGH, 16.3.2006, C-131/04 und C-257/04 - NZA 2006, 481). Dies ver­bie­tet nach Auf­fas­sung des EuGH (EuGH 22.10.2009 - C-116/08) ei­ne re­strik­ti­ve Aus­le­gung. Für die vor­lie­gen­de Fall­ge­stal­tung be­deu­tet dies, dass, auch wenn der Kläger be­wusst und ge­wollt mit sei­nen Erklärun­gen die recht­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für den Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld ge­schaf­fen hat, dar­auf ab­zu­stel­len ist, dass der Ur­laubs­an­spruch nicht we­gen dem ver­ein­bar­ten „Ru­hen" des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht erfüll­bar war, viel­mehr weil der Kläger wei­ter­hin ar­beits­unfähig er­krankt war. Hierfür spricht auch, dass die kon­klu­den­te Ver­ein­ba­rung so zu ver­ste­hen ist, dass die Be­klag­te für die Dau­er der Ar­beits­unfähig­keit auf ih­re Verfügungs­macht über die Ar­beits­leis­tung ver­zich­tet hat und nicht darüber hin­aus. Un­strei­tig war der Kläger trotz Ar­beits­lo­sen­geld­be­zug und an­sch­ließen­der Auf­nah­me ei­ner an­der­wei­ti­gen Tätig­keit im Rah­men des be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum En­de die­ses Ar­beits­verhält­nis­ses ar­beits­unfähig er­krankt.

3. Die durch­ge­hen­de Ar­beits­unfähig­keit bis zum En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses führt je­doch nicht da­zu, dass bis zum En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses die ge­setz­li­chen Ur­laubs­ansprüche oh­ne Be­gren­zung an­ge­sam­melt wer­den.
Die Schultz-Hoff Ent­schei­dung des EuGH (EuGH 22.11.2011, C-214/10) hat da­zu geführt, dass nach der neue­ren Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts der ge­setz­li­che Min­des­t­ur­laubs­an­spruch bei dau­ern­der Ar­beits­unfähig­keit nicht mehr nach § 7 Abs. 3 S. 3 BUrIG be­fris­tet ist (grund­le­gend BAG 24.3.2009 — 9 AZR 983/07 — NZA 2009, 538). Der EuGH hat­te im Rah­men sei­ner Be­gründung auch das Übe­r­ein­kom­men Nr. 132 IAO her­an­ge­zo­gen, da für die Aus­le­gung der Richt­li­nie 2003/88/EG auch den Grundsätzen der In­ter­na­tio­na­len Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on Rech­nung zu tra­gen sei. Er hat je­doch kei­ne Ausführun­gen zu ei­ner Be­gren­zung der An­samm­lung mögli­cher Ur­laubs­ansprüche ge­macht, ins­be­son­de­re zur Be­deu­tung von Ar­ti­kel 9 Abs. 1 des Übe­r­ein­kom­mens Nr. 132 IAO. Auf ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen des LAG Hamm (LAG Hamm — 15.4.2010 — 16 Sa 1176/09) hat nun­mehr der EuGH sei­ne Recht­spre­chung kon­kre­ti­siert. Der EuGH an­er­kennt zunächst grundsätz­lich, dass, auch wenn der Min­des­t­ur­laubs­an­spruch aus Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88/EG ei­nen be­deu­ten­den Grund­satz des So­zi­al­rechts der Uni­on dar­stellt, mit­glieds­staat­li­che Re­ge­lun­gen ak­zep­tiert wer­den, auf-

 

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grund de­rer der An­spruch auf den Ur­laub nach dem En­de ei­nes Über­tra­gungs­zeit­raums ver­fal­len kann, so­weit der be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer tatsächlich die Möglich­keit ge­habt hat, den An­spruch auf Min­des­t­ur­laub wahr­zu­neh­men. Zu­gleich ver­weist der EuGH je­doch dar­auf, dass Zweck des Ur­laubs­an­spru­ches sei, dem Ar­beit­neh­mer zu ermögli­chen sich zum ei­nen von der Ausübung der ihm nach sei­nem Ar­beits­ver­trag ob­lie­gen­den Auf­ga­ben zu er­ho­len und zum an­dern über ei­nen Zeit­raum für Ent­span­nung und für Frei­zeit zu verfügen. Der Er­ho­lungs­zweck kann nach Auf­fas­sung des EuGH nicht er­reicht wer­den, wenn Ur­laubs­ansprüche über meh­re­re Jah­re zeit­lich un­be­grenzt an­ge­sam­melt wer­den. Da­her ist es möglich, durch mit­glieds­staat­li­che Re­ge­lun­gen den Ver­fall von Min­des­t­ur­laubs­ansprüchen bei über meh­re­re Jah­re ar­beits­unfähi­gen Ar­beit­neh­mern zu be­gren­zen, so­weit der Über­tra­gungs­zeit­raum die Dau­er des Be­zugs­zeit­raums, für den er gewährt wird, deut­lich über­schrit­ten wird. Die Vor­la­ge­fra­ge hat der EuGH da­her da­hin­ge­hend be­ant­wor­tet, dass Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88/EG da­hin aus­zu­le­gen ist, dass die­se nicht ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten oder Ge­pflo­gen­hei­ten, wie et­wa Ta­rif­verträgen ent­ge­gen­steht, die die Möglich­keit Ansprüche auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub an­zu­sam­meln da­durch ein­schränken, dass sie ei­nen Über­tra­gungs­zeit­raum von 15 Mo­na­ten vor­se­hen, nach des­sen Ab­lauf der An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub er­lischt.
Die­se Ent­schei­dung des EuGH ist im Rah­men der richt­li­ni­en­kon­for­men Rechts­fort­bil­dung der na­tio­na­len Recht­spre­chung zu berück­sich­ti­gen. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt geht auch nach der Schultz-Hoff Ent­schei­dung des EuGH wei­ter­hin da­von aus, dass das BUrIG in § 7 Abs. 3 ei­ne Be­gren­zung des Be­zugs- und Über­tra­gungs­zeit­raums enthält, die wei­ter­hin gilt und dem Wil­len des na­tio­na­len Ge­setz­ge­bers ent­spricht. Ei­ne Aus­nah­me macht das Bun­des­ar­beits­ge­richt nur in den Fällen, in de­nen ein Ar­beit­neh­mer we­gen Ar­beits­unfähig­keit nicht in der La­ge war, den Ur­laub in An­spruch zu neh­men. Zur Be­gründung hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt da­bei den Weg der richt­li­ni­en­kon­for­men Rechts­fort­bil­dung durch te­leo­lo­gi­sche Re­duk­ti­on gewählt (BAG 24.3. 2009 —983/07, NZA 2009, 538). Es ist da­bei von ei­ner plan­wid­ri­gen Un­vollständig­keit des BUrIG aus­ge­gan­gen. Da­her steht der richt­li­ni­en­kon­for­men Rechts­fort­bil­dung in­so­weit ei­ne er­kenn­bar ge­genläufi­ge Ziel­set­zung des na­tio­na­len Ge­setz­ge­bers nicht ent­ge­gen (vgl. hier­zu Düwell - NZA Bei­la­ge 2011, 133 un­ter Hin­weis auf die ge­genläufi­ge Ent­schei­dung des BAG zu § 13 Abs. 2 BUrIG, BAG 17.11.2009 — 9 AZR 844/08, NZA 2010 1020).
Die richt­li­ni­en­kon­for­me Rechts­fort­bil­dung als Son­der­fall der richt­li­ni­en­kon­for­men Aus­le­gung ver­mag an­ge­sichts der neu­en Ent­schei­dung des EuGH (EuGH 22.11.2011, C-

 

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214/10) ei­ne un­be­grenz­te An­samm­lung von Ur­laubs­ansprüchen bei fort­dau­ern­der Ar-beits­unfähig­keit nicht (mehr) be­gründen. Die richt­li­ni­en­kon­for­me Rechts­fort­bil­dung ver­langt die Fest­stel­lung ei­nes Kon­for­mitätswil­len des Ge­setz­ge­bers (vgl. BGH 26.11.2008
— VIII ZR 200/05 — NJW 2009, 427; Pfeif­fer - NJW 2009 412). Um ei­ner gren­zen­lo­sen Rechts­fort­bil­dung nicht Tür und Tor zu öff­nen, sind da­her an den fest­zu­stel­len­den Kon­for­mitätswil­len stren­ge An­for­de­run­gen zu stel­len (MK-BGB/S.Lo­renz — 6. Aufl. 2012
— Vor­bem. Vor § 474 BGB, Rn 3). Art. 20 Abs. 3 GG bin­det den Rich­ter bei sei­ner Rechts­fin­dung an Ge­setz und Recht. Auch ei­ne Rechts­fort­bil­dung ist an den nor­ma­ti­ven Vor­ga­ben der na­tio­na­len Ge­samt­rechts­ord­nung aus­zu­rich­ten. Da­her ist bei ei­ner richt­li-nien­kon­for­men Rechts­fort­bil­dung dem in der Norm zum Aus­druck kom­men­den Wil­len des na­tio­na­len Ge­setz­ge­bers so weit als möglich Rech­nung zu tra­gen und zu re­spek­tie­ren (Her­genröter, Richt­li­ni­en­wid­ri­ges Ge­setz und rich­ter­li­che Rechts­fort­bil­dung FS Wolf­gang Zöll­ner, 1155, 1159). Es geht da­her nicht dar­um, ob ei­ne un­be­grenz­te An­samm­lung von Ur­laubs­ansprüchen uni­ons­recht­lich zulässig wäre. Viel­mehr ist zu prüfen, ob das Uni­ons­recht die bis­he­ri­ge ver­meint­li­che richt­li­ni­en­kon­for­me Rechts­fort­bil­dung ge­bie­tet. Dies ist nicht der Fall. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt geht als Grund­satz wei­ter­hin da­von aus, dass grundsätz­li­cher Wil­len des na­tio­na­len Ge­setz­ge­bers ei­ne Be­gren­zung des Über­tra­gungs­zeit­rau­mes von drei Mo­na­ten ist. Wird hier­von im We­ge der richt­li­ni­en­kon­for­men Rechts­fort­bil­dung ei­ne Aus­nah­me für den Fall der fort­dau­ern­den Ar­beits­unfähig­keit ge­macht, muss die­se richt­li­ni­en­kon­for­me Rechts­fort­bil­dung den na­tio­na­len Wil­len der Be­gren­zung des Über­tra­gungs­zeit­raums re­spek­tie­ren, so­weit nicht Uni­ons­recht die Rechts­fort­bil­dung ge­bie­tet (so auch Bay­reu­ther — DB 2011, 2824). Ei­ne un­be­grenz­te An­samm­lung über­schrei­tet da­her die Gren­zen der richt­li­ni­en­kon­for­men Rechts­fort­bil­dung.
Der Über­tra­gungs­zeit­raums ist da­nach an­ge­sichts der na­tio­na­len Re­ge­lun­gen auf 15 Mo­na­te nach Ab­lauf des Be­zugs­zeit­raums zu be­gren­zen. Der EuGH (EuGH 22.10.2009 - C-116/08) ver­langt, dass der Über­tra­gungs­zeit­raum die Dau­er des Be­zugs­zeit­raums deut­lich über­schrei­ten muss. Ei­ne na­tio­na­le Re­ge­lung mit ei­nem Über­tra­gungs­zeit­raum von 15 Mo­na­ten steht da­nach Art. 7 der Richt­li­nie 2000/88/EG nicht ent­ge­gen. Auch wenn der EuGH in der Ent­schei­dung auf Art 9 Abs. 1 des Übe­r­ein­kom­mens Nr. 132 IAO Be­zug ge­nom­men hat, hat er sich nicht an den dort ge­re­gel­ten Fris­ten von ei­nem Jahr für den un­un­ter­bro­che­nen Teil des be­zahl­ten Jah­res­ur­laubs (zwei Wo­chen) und der 18 Mo­nats­frist für den wei­ter­ge­hen­den Ur­laubs­an­spruch ori­en­tiert. Auch im Rah­men der Be­gren­zung der richt­li­ni­en­kon­for­men Rechts­fort­bil­dung ist auf die­se Fris­ten nicht ab­zu­stel­len. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat zu­letzt in der Ent­schei­dung vom 9.8.2011 (BAG

 

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9.8.2011 — 9 AZR 425/10 - NZA 2012, 29) be­tont, dass das Übe­r­ein­kom­men Nr. 132 der IAO mit den 12 bzw. 18 Mo­na­ten le­dig­lich ei­ne Höchst­frist setzt, die un­ter­schrit­ten wer­den darf, um den Ar­beit­neh­mer zu ei­ner zeit­na­hen Ur­laubs­nah­me an­zu­hal­ten.
Die An­wen­dung der 15—Mo­nats­frist fügt sich un­ter Berück­sich­ti­gung der Uni­ons­vor­ga­ben am stim­migs­ten in die Re­ge­lun­gen des BUrIG zum Be­zugs- und Über­tra­gungs­zeit­raums ein. Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG 9.8.2011 — 9 AZR 425/10 - NZA 2012, 29) teilt der aus dem Vor­jahr über­tra­ge­ne Ur­laubs­an­spruch, der nach Ab­lauf des Über­tra­gungs­zeit­raums nicht un­ter­ge­gan­gen ist, das recht­li­che Schick­sal des Ur­laubs­an­spruchs, den der Ar­beit­neh­mer zu Be­ginn des ak­tu­el­len Ur­laubs­jah­res er­wor­ben hat. Er un­ter­liegt da­mit dem Fris­ten­re­gime des zu Be­ginn des neu­en Ur­laubs­jah­res ent­stan­de­nen Ur­laubs­an­spruchs. Wird der da­nach über­tra­ge­ne Uraubs­an­spruch in­ner­halb die­ses Zeit­raum erfüll­bar, hat der Ar­beit­neh­mer zur Ver­mei­dung des Un­ter­gangs die­sen bis zum En­de des Be­zugs- oder Über­tra­gungs­zeit­raums zu neh­men. Der nicht un­ter­ge­gan­ge­ne Ur­laubs­an­spruch ist da­her in­ner­halb von 15 Mo­na­ten nach En­de des Ka­len­der­jah­res als Be­zugs­zeit­raum zu neh­men. Bleibt der Ar­beit­neh­mer wei­ter­hin ar­beits­unfähig er­krankt, ist der Ur­laubs­an­spruch wei­ter­hin nicht erfüll­bar. Er geht mit Ab­lauf der 15-Mo­nats­frist un­ter. Da­mit ver­bleibt dem Ar­beit­neh­mer ein Ka­len­der­jahr so­wie der ge­setz­lich vor­ge­se­he­ne Über­tra­gungs­zeit­raum von drei Mo­na­ten nach § 7 Abs. 3 S. 3 BUrIG zur Rea­li­sie­rung. Die ge­bo­te­ne richt­li­ni­en­kon­for­me Rechts­fort­bil­dung und der na­tio­na­le Wil­le des Ge­setz­ge­bers wer­den da­mit so­weit wie möglich in Ein­klang ge­bracht. Ins­be­son­de­re wer­den den Re­ge­lun­gen des BUrIG kei­ne wei­te­ren Fris­ten im We­ge der richt­li­ni­en­kon­for­men Rechts­fort­bil­dung hin­zu­gefügt (für An­wen­dung der 15-Mo­nats­frist auch Bay­reu­ther— DB 2011, 2824).
Ei­ne Be­gren­zung der An­samm­lung von Ur­laubs­ansprüchen über meh­re­re Jah­re setzt nach die­ser Lösung ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers kei­ne ta­rif­ver­trag­li­che oder ver­trag­li­che Re­ge­lung vor­aus. Dem Vor­la­ge­be­schluss des LAG Hamm lag zwar ei­ne ta­rif­li­che Ver­fall­frist von 15 Mo­na­ten zu Grun­de. Durch wel­che na­tio­na­le Re­ge­lung die An­samm­lung be­grenzt wird, ist je­doch Sa­che der na­tio­na­len Mit­glied­staa­ten. Dies ge­schieht über ei­ne ein­schränken­de richt­li­ni­en­kon­for­me Rechts­fort­bil­dung.
Für den kon­kre­ten Fall be­deu­tet dies, dass die Ur­laubs­ansprüche für 2007 mit dem 31.3.2009 und die Ur­laubs­ansprüche für 2008 mit dem 31.3.2010 un­ter­ge­gan­gen sind. Dies gilt so­wohl für den ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs­an­spruch von 24 Werk­ta­gen als auch für den wei­ter­ge­hen­den ver­trag­li­chen Mehr­ur­laub von zwei Werk­ta­gen, da für ei­nen Re­ge­lungs­wil­len der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en, der zwi­schen ge­setz­li­chen und über-

 

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Ur­teil vom 21.12.2011 - 10 Sa 19/11 -

ge­setz­li­chen ver­trag­li­chen Ansprüchen un­ter­schei­det, kei­ne An­halts­punk­te be­ste­hen (vgl. hier­zu BAG 4.5.2010 — 9 AZR 183/09 — NZA 2010, 1011).

4. Zum Zeit­punkt der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses war da­her für 2009 der im Be-ru­fungs­ver­fah­ren anhängi­ge of­fe­ne Ur­laubs­an­spruch von 11 Werk­ta­gen ab­zu­gel­ten. Der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch stellt je­den­falls bei an­dau­ern­der Ar­beits­unfähig­keit ei­ne rei­ne Geld­for­de­rung dar (BAG 04.05.2010 - 9 AZR 183/09 — NZA 2010, 1011). Bei ei­nem Ur­laubs­an­spruch von 11 Werk­ta­gen bei 6-Ta­ge-Wo­che be­steht da­her ein Ab­gel­tungs­an­spruch von 846,12 brut­to (76,92 x 11).

5. Der Zins­an­spruch er­gibt sich aus den §§ 286 Abs. 2, 288 Abs. 1 BGB.
Die Kos­ten­ent­schei­dung be­stimmt sich nach § 92 ZPO nach dem un­ter­schied­li­chen Ob­sie­gen in ers­ter und zwei­ter In­stanz. Die Zu­las­sung der Re­vi­si­on für bei­de Par­tei­en er­folgt nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

 

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Ur­teil vom 21.12.2011 - 10 Sa 19/11 -

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil können d. Par­tei­en nach Maßga­be ih­rer Zu­las­sung im Ur­teils­te­nor schrift­lich Re­vi­si­on ein­le­gen. Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb ei­ner Frist von ei­nem Mo­nat, die Re­vi­si­ons­be­gründung in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten bei dem

Bun­des­ar­beits­ge­richt

Hu­go-Preuß-Platz 1

99084 Er­furt

ein­ge­hen.

Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Die Re­vi­si­on und die Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten un­ter­zeich­net sein. Als Pro­zess­be­vollmäch­tig­te sind nur zu­ge­las­sen:

a. Rechts­anwälte,
b. Ge­werk­schaf­ten und Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern so­wie Zu­sam­men­schlüsse sol­cher Verbände für ih­re Mit­glie­der oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der,
c. ju­ris­ti­sche Per­so­nen, die die Vor­aus­set­zun­gen des § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 ArbGG erfüllen.

In den Fällen der lit. b und c müssen die han­deln­den Per­so­nen die Befähi­gung zum Rich-ter­amt ha­ben.

Ar­nold

zu­gleich für den we­gen länge­rem Aus­lands­auf­ent­halt ver­hin­der­ten eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Hal­ler

Jund

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