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LAG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 10.03.2010, 4 Sa 215/09
Schlagworte: | Tarifvertrag, Betriebsübergang, Bezugnahme, Betriebsübergang: Tarifvertrag | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt | |
Aktenzeichen: | 4 Sa 215/09 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 10.03.2010 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Dessau-Roßlau, Urteil vom 13.05.2009, 1 Ca 73/09 Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.05.2012, 4 AZR 320/10 |
|
Aktenzeichen:
4 Sa 215/09
1 Ca 73/09
ArbG Dessau-Roßlau
Verkündet am: 10 März 2010
LANDESARBEITSGERICHT
SACHSEN-ANHALT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
- Beklagte und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte:
gegen
- Klägerin und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt auf die mündliche Ver-handlung vom 10. März 2010 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter und als Beisitzer für Recht erkannt:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsge-richts Dessau-Roßlau vom 13. Mai 2009 – 1 Ca 73/09 – wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
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3. Die Revision wird zugelassen.
TATBESTAND:
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin gegenüber der beklagten Partei ein An-spruch auf eine tarifliche Zusatzleistung aus einem Sanierungstarifvertrag für das Jahr 2008 zusteht.
Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien nebst den dort gestellten Anträgen wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 13. Mai 2009 - 1 Ca 73/09 - auf den Seiten 2 - 5 (Bl. 223 - 226 d. A.) Bezug genommen. Der Tenor dieser Entscheidung lautet:
„Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 1.230,73 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Juli 2008 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf € 1.230,73 festgesetzt.
Die Berufung wird nicht gesondert gemäß § 64 Abs. 2 Buchst. a) ArbGG zugelassen.“
Wegen der Entscheidungsgründe des vorgenannten Urteils des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 13. Mai 2009 wird auf dessen Seiten 6 - 11 (Bl. 227 - 232 d. A.) verwiesen.
Das vollständig abgefasste und mit Rechtsmittelbelehrung versehene vorgenannte Urteil des Arbeitgerichts Dessau-Roßlau vom 13. Mai 2009 ist der beklagten Partei am 2. Juni 2009 zugestellt worden. Deren Berufungsschrift ist am 8. Juni 2009 und deren Berufungsbegründung - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 3. September 2009 - am 1. September 2009 beim Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt eingegangen.
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Wegen des zweitinstanzlichen Vorbringens der beklagten Partei wird auf deren Berufungsbegründung vom 1. September 2009 nebst Anlagen (Bl. 265 - 304 d. A.) Bezug genommen.
Hinsichtlich der von den Parteien in der Berufungsverhandlung am 10.3.2010 gestellten Anträge wird auf Seite 2 des diesbezüglichen Protokolls (Bl. 381 d. A.) verwiesen.
Bezüglich des zweitinstanzlichen Vorbringens der Klägerin wird auf deren Berufungserwiderung vom 12. Oktober 2009 (Bl. 323 - 337 d. A.) Bezug genommen.
Im vorgenannten Protokoll über die Berufungsverhandlung vom 10. März 2010 heißt es auf den Seiten 2 - 4 (Bl. 381 - 383 d. A.) u. a.:
„Rechtsanwalt M erklärt:
Das Inkrafttreten wurde im Zuge der weiteren Verhandlungen auf den 1.1.2008 verlegt, um bis dahin eine Verpflichtung zu Rückstellungen zu vermeiden.
laut vorgelesen und genehmigt
Rechtsanwalt Dr. K erklärt:
Aus der Sicht der Verhandlungspartner auf Gewerkschaftsseite stellt sich der Sachverhalt so dar, dass arbeitgeberseitig lediglich redaktionelle Änderungen ge-wünscht wurden, ohne dass über diese materiell gesprochen wurde.
laut vorgelesen und genehmigt“
...
Rechtsanwalt M erklärt:Ich habe eben gemeinsam mit Rechtsanwalt Dr. K den Kaufvertrag vom 28.11.2005 nebst Anlagen (in Teilen) durchgesehen. Es geht dort u. a. um die Re-gelung des Übergangs der Arbeitsverhältnisse, die Gewährleistung und im Rahmen einer Anlage um die namentlich aufgelisteten Arbeitnehmerinnen. Außerdem geht es dort darum, für welche Ansprüche Rückstellungen gebildet wurden, nämlich in einem Falle für eine Pensionszusage sowie um Sterbegelder und um Jubi-läumsgelder. Hinsichtlich Entgeltumwandlung ergaben sich keine Beträge über „0“.
Keine Rückstellungen wurden gebildet für eventuelle tarifvertragliche Ansprüche. Alle gebildeten Rückstellungen wurden übertragen.laut vorgelesen und genehmigt
...
Rechtsanwalt Dr. K erklärt:
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Die Vertragspartner waren sich einig, dass es sich um einen Betriebsübergang handelt. Sämtliche Verpflichtungen sollten übergehen mit Ausnahme von Versor-gungsleistungen für bereits ausgeschiedene Arbeitnehmer/innen. Im Übrigen ist eine allgemeine Haftungsübernahme vorgesehen worden. Einschlägig war der § 1 Ziff. 7.1. - 7.7. des Vertrages.
laut vorgelesen und genehmigt
Mit Haftungsübernahme meine ich Übernahme aller arbeitgeberseitigen Verpflichtungen aus den Arbeitsverhältnissen.
laut vorgelesen und genehmigt
Die Prozessbevollmächtigten der Parteien erklären übereinstimmend:
Es ist nunmehr nicht beabsichtigt, im heutigen Termin weitere Erklärungen abzugeben.“
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I.
Die statthafte (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässige (§ 64 Abs. 2 ArbGG), form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung (§§ 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 517, 519 ZPO) der beklagten Partei ist ohne weiteres zulässig.
II.
Die Berufung der beklagten Partei gegen das vorgenannte Urteil des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 13. Mai 2009 - 1 Ca 73/09 - ist jedoch unbegründet und war demgemäß kostenpflichtig zurückzuweisen. Dabei folgt die Berufungskammer den zutreffenden Gründen der vorgenannten Entscheidung des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 13. Mai 2009 auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der beklagten Partei in der Berufungsinstanz in vollem Umfang und macht sich diese Gründe auch zur Vermeidung von Wiederholungen ausdrücklich zu eigen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Kurz zusammengefasst gilt insgesamt:
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1. Das Arbeitsgericht Dessau-Roßlau hat sich in seinem vorgenannten Urteil vom 13. Mai 2009 - 1 Ca 73/09 - zutreffend auf den Standpunkt gestellt, dass seinerzeit sowohl die Klägerin als auch die N AG normativ gebunden gewesen seien betreffend die im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits maßgeblichen Tarifverträge. Diese tariflichen Verpflichtungen der N AG aus den hier maßgeblichen Tarifverträgen seien mit dem Betriebsübergang auf die beklagte Partei gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB Bestandteil innerhalb des nunmehr zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses geworden. Dazu heißt es auf Seite 9 des vorgenannten Urteils des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 13. Mai 2009 - 1 Ca 73/09 - u. a.:
„Zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges auf die Beklagte am 01. Januar 2006 waren die Ansprüche der Klägerin aus dem TV-Z wirksam begründet, von den Tarifvertragsparteien verbindlich vereinbart und in ihrer Entstehung ausschließlich vom Zeitablauf abhängig. Die Ansprüche der Klägerin waren deshalb bereits zum damaligen Zeitpunkt - zumindest in Form einer Anwartschaft – abschließend geregelt und nicht von späteren Veränderungen des Tarifvertrages abhängig. Die Tarifentwicklung stand zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges fest und entfaltete für die Beklagte gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB Rechtsverbindlichkeit.
Dem steht nicht entgegen, dass die Tarifvertragsparteien in § 1 TV-Z ein In-krafttreten des Tarifvertrages erst für den 01. Januar 2008 vorgesehen haben. Der Vereinbarung des Inkrafttretens kommt ein eigenständiger Rege-lungsinhalt nicht zu. Auch ohne eine entsprechende Regelung über den Zeitpunkt des Inkrafttretens im TV-Z hätte dieser Tarifvertrag zeitlich befristete Ansprüche für die betreffenden Arbeitnehmer unter den dort geregelten Voraussetzungen ausschließlich für die Jahre 2008 bis 2010 begründet. Die Vereinbarung eines „Inkrafttretens“ entfaltet keine eigene Gestaltungswirkung. Wie von der Klägerseite unbestritten vorgetragen, erfolgte die Regelung des Inkrafttretens im Rahmen der Tarifverhandlungen auf Bitten der Arbeitgeberseite auch ausschließlich aus steuerlichen Gründen, um Rückstel-lungsverpflichtungen auf Seiten der Arbeitgeber zu vermeiden, nachdem das Eckpunktepapier zum TV-Z zunächst ein sofortiges Inkrafttreten vorgesehen hatte. Da der Abschluss des TV-Z in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Vereinbarung des Sanierungstarifvertrages stand, ist er nicht Ergebnis einer tariflichen Entwicklung, die sich nach dem Betriebsübergang vollzog und auf deren inhaltliche Gestaltung der neue Arbeitgeber keine Einflussmöglichkeit mehr gehabt hat. Der TV-Z ist vielmehr Teil der zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges bestehenden tariflichen Situation, die die Beklagte gegen sich gelten lassen muss. Da alle Ansprüche aus dem TV-Z bereits zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges verbindlich geregelt waren und es zu ihrer Entstehung nur noch des Zeitablaufs bedurfte, sind die Ansprüche nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des zwischen den Parteien bestehenden Individualarbeitsvertrages geworden.“
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Im Anschluss daran hat das Arbeitsgericht Dessau-Roßlau in seiner vorgenannten Entscheidung vom 13. Mai 2005 - 1 Ca 73/09 - ausgeführt, der Anspruch der Klägerin sei auch unabhängig von seiner Geltendmachung nicht durch Ablauf tarifvertraglicher Ausschlussfristen verfallen. § 18 MTV Einzelhandel Sachsen-Anhalt bestimme in Ziffer 1., dass Ansprüche auf Zahlung oder Rückzahlung von Gehalt oder Lohn, tarifliche Eingruppierung und höhere tarifliche Eingruppierung verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten nach Ende des Abrechnungszeitraums, in dem sie hätten berücksichtigt werden müssen, schriftliche geltend gemacht werden. Der hier von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf tarifliche Zusatzzahlung werde von dieser Ausschlussfrist jedoch nicht erfasst, da es sich hierbei nicht um einen Anspruch auf Zahlung von Gehalt oder Lohn, tarifliche Eingruppierung oder höhere tarifliche Eingruppierung handele. Der Anspruch der Klägerin - so das Arbeitsgericht Dessau-Roßlau in seiner vorgenannten Entscheidung vom 13. Mai 2009 weiter - sei auch nicht gemäß § 18 Abs. 2 MTV Einzelhandel Sachsen-Anhalt verfallen, da das Arbeitsverhältnis der Parteien fortbestehe und die an das Ausscheiden des Arbeitnehmers anknüpfende Ausschlussfrist des § 18 Abs. 2 MTV Einzelhandel Sachsen-Anhalt nicht in Gang gesetzt sei. Ob der Anspruch wirksam geltend gemacht worden sei, könne deshalb dahinstehen.
Ob sich der Anspruch der Klägerin darüber hinaus aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz oder aus dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB ergebe, bedürfe nach alledem keiner Entscheidung.
2. Ergänzend gilt nach Auffassung der Berufungskammer zu alledem Folgendes:
a) Hervorzuheben ist zunächst, dass die hier im Streit stehende tarifliche Zusatzleistung allen Arbeitnehmern/innen gezahlt wird bis auf diejenigen, die gewerkschaftlich organisiert und außerdem nicht bereit sind, einen neuen Arbeitsvertrag zu unterzeichnen.
b) Nach den Erklärungen der Prozessbevollmächtigten der Parteien in der Beru-fungsverhandlung vom 10. März 2010 wurde das Inkrafttreten der hier einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen im Zuge der weiteren Verhandlungen auf den 1.1.2008 verlegt, um bis dahin eine Verpflichtung zu Rückstellungen zu vermei-
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den. Aus der Sicht der Verhandlungspartner auf Gewerkschaftsseite hat sich dieser Sachverhalt so dargestellt, dass arbeitgeberseitig lediglich redaktionelle Änderungen gewünscht wurden, ohne dass über diese materiell gesprochen worden sei. Im Übrigen sieht der Kaufvertrag vom 28. November 2005 zwischen Veräußerin und Erwerberin keine Rückstellungen für eventuelle tarifvertragliche Ansprüche vor. Alle gebildeten Rückstellungen sind übertragen worden. Der Rückstellungsbetrag habe insgesamt mit Stand 30. Juni 2005 5.931,00 € betragen. Wegen der diesbezüglichen Prozesserklärungen der Prozessbevollmächtigten der Parteien in der Berufungsverhandlung vom 10. März 2010 wird ergänzend auf das diesbezüg-liche Protokoll verwiesen (Bl. 380 - 383 d. A.). Folglich ging man allseits davon aus, dass die Belegschaft damit auch im Rahmen von § 613 a BGB hinreichend geschützt wird, ohne dass hiermit zugleich eine Verpflichtung der Arbeitgeberin zu Rückstellungen einhergehen sollte.
c) Nach Auffassung der Berufungskammer sind im vorliegenden Streitfall die für Stufentarifverträge geltenden Grundsätze heranzuziehen. Insoweit kann es zu Konstellationen kommen, dass zunächst beim Abschluss des Stufentarifvertrages beide Seiten tarifgebunden waren und dieses zu einem späteren Zeitpunkt - z. B. beim Inkrafttreten einer weiteren Stufe eines Tarifvertrages - nicht mehr der Fall ist. Bei einer solchen Konstellation kann, jedenfalls dann, wenn es insoweit keine ander-weitigen Regelungen gibt, anzunehmen sein, dass die Vertragsparteien des Stufen-Tarifvertrages davon ausgegangen sind, dass dessen sämtliche Stufen - wenn auch in zeitlichen Abständen - in Kraft treten sollen, und zwar unabhängig davon, ob z. B. am Ende beim Inkrafttreten der letzten Stufe noch beide Seiten tarifge-bunden sind oder nicht. Wenn nämlich ein Stufentarifvertrag nur zum Teil zur Geltung kommen würde, so ist es durchaus denkbar, dass es bei ihm an der ursprünglich beabsichtigten Gesamtausgewogenheit im Rahmen des insgesamt beabsichtigten Synallagma fehlt. Dementsprechend heißt es beispielsweise auch in der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 25. Juni 2009 - 25 Sa 582/09 - Revision beim BAG eingelegt unter dem Aktenzeichen 4 AZR 566/09:
„...Einem Anspruch steht allerdings nicht bereits entgegen, dass der Regelungsgehalt der Tarifvertragsnormen nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGG statisch in das Arbeitsverhältnis übergeht, also in dem Tarifstand bzw. Normenstand, den er zur Zeit des Betriebsübergangs hat. Nach § 613 a Abs. 1
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Satz 2 BGB werden nicht die aus den Tarifnormen sich ergebenden Arbeitsbedingungen Inhalt des Arbeitsverhältnisses, sondern es gehen die Tarifnormen zu Rechten und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien in das Arbeitsverhältnis ein (BAG 14. November 2007 - 4 AZR 828/06 - AP Nr. 334 zu § 613 BGB = EzA § 613 a BGB 2002 Nr. 81). Sehen diese Rechtspositionen vor, deren Voraussetzungen erst später eintreten, tritt der Er-werber auch insoweit unverändert in die Rechtsstellung des Veräußerers ein und hat die durch die Tarifnorm begründete Verpflichtung zu erfüllen....“
Dieses gilt im vorliegenden Streitfall erst Recht, weil die Tarifpartner seinerzeit ohne Weiteres von der unbedingten Geltung der tariflichen Zusatzleistung aus dem Sanierungstarifvertrag ausgegangen sind und arbeitgeberseitig ausschließlich vermieden werden sollte, dass aufgrund dieser tariflichen Regelung Verpflichtungen zur Rückstellung vor dem 1.1.2008 entstehen. Es sind also seinerzeit unbedingte Rechtsansprüche vorgesehen worden, deren Voraussetzungen allerdings zum Teil erst später zum 1.1.2008 eintreten sollten. Mithin ist anzunehmen, dass seinerzeit beabsichtigt war, anwartschaftsrechtsähnliche Positionen in Zusammenhang mit dem Sanierungstarifvertrag für das Jahr 2008 betreffend tarifliche Zusatzleistungen ab 1.1.2008 zu begründen. Die Beklagte hat die Erstarkung dieser anwartschaftsrechtsähnlichen Position zum Vollrecht ab dem 1.1.2008 auch akzeptiert. Denn die diesbezüglichen Leistungen wurden klaglos an sämtliche Arbeitnehmer/innen gezahlt bis auf die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmerinnen, die den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages abgelehnt haben. Zwar hat die Beklagte insoweit vorgetragen, dass die neuen Arbeitsverträge gegenüber den alten Arbeitsverträgen Verschlechterungen (durch unbezahlte Erhöhung der Arbeitszeit) vorsehen. Die Beklagte hat sich jedoch nicht ausdrücklich distanziert von der Geltung des Sanierungstarifvertrages für das Jahr 2008 betreffend tarifliche Zusatzleistungen, und zwar bezogen auf ihr gesamtes Unternehmen. Es ist insoweit insbesondere nicht ersichtlich, dass die Beklagte nach dem Betriebsübergang bzw. nach dem 1. Januar 2008 ausdrücklich in ihrem Betrieb bzw. Unternehmen z. B. gegenüber der Belegschaft oder dem Betriebsrat erklärt hat, dass die Verpflichtungen aus dem vorgenannten Sanierungstarifvertrag für das Jahr 2008 betreffend die tariflichen Zusatzleistungen auf sie gemäß § 613 a BGB überhaupt nicht übergegangen sind.
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d) Auf den Seiten 3 und 4 des Tatbestands des Urteils des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 13. Mai 2009 - 1 Ca 73/09 - heißt es u. a.:
„Am 01. Juli 2008 wurden die Mitarbeiter des Callcenters in G darüber informiert, dass ihre Arbeitsplätze nur zu erhalten seien, wenn 95 % der tarifvertraglich gebundenen Beschäftigten neue Arbeitsverträge unterschrieben, nach denen sie bei gleich bleibender Lohnzahlung zu einer höheren Stundenleistung verpflichtet werden sollten. Die Mehrheit der tarifvertraglich gebundenen Beschäftigten unterzeichnete entsprechende Änderungsverträge. Diese Beschäftigten erhielten im Oktober 2008 eine Abschlussprämie in Höhe von € 2.000,00 sowie weitere Leistungen im Wert von € 1.473,00 von der Beklagten. In einer mit den Arbeitnehmern geschlossenen Vereinbarung wurde festgelegt, dass diese weiteren Leistungen mit der tariflichen Zusatzzahlung in Höhe von € 1.473,00 verrechnet werden sollten, sofern die Beklagte aus dem Tarifvertrag über tarifliche Zusatzzahlungen zu weiteren Leistungen verpflichten werden sollte. Da die Klägerin den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages ablehnte, wurden ihr entsprechende Leistungen nicht gewährt.“
Diese Verfahrensweise war in dem unter dem 14. Oktober 2004 geschlossenen Tarifvertrag zur Sanierung und zur Beschäftigungssicherung (Bl. 37 ff. d. A.) zwischen der N AG und der Gewerkschaft v nicht vorgesehen. Dort ging es für die Beschäftigten u. a. um das Aussetzen von Tariflohnerhöhungen sowie den Wegfall des tariflichen Urlaubsgeldes und der tariflichen Sonderzuwendung für die Jahre 2005 - 2007. Stattdessen wurde von den Tarifvertragsparteien unter dem 14./26. Oktober 2004 ein Tarifvertrag über tarifliche Zusatzzahlungen (Bl. 45 f. d. A.) abgeschlossen.
aa) Aufgrund der vorstehenden Umstände ist nach Auffassung der Berufungskammer außerdem davon auszugehen, dass die beklagte Arbeitgeberin die Klägerin im Sinne von § 612 a BGB (Allgemeines Maßregelungsverbot) benachteiligt hat. Zweck dieser Vorschrift ist es, zu verhindern, dass Arbeitnehmer/innen Rechte nicht wahrnehmen, weil sie bei ihrer Inanspruchnahme mit Benachteiligungen rechnen müssen. Diese Regelung gilt für alle Arbeitnehmer/innen. Es richtet sich gegen den Arbeitgeber. Verboten ist eine Benachteiligung des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin, wenn diese/r in zulässiger Weise Rechte gegenüber der Arbeitgeberin wahrnimmt. Dabei muss das Recht objektiv rechtmäßig sein und tatsächlich bestehen. Eine Benachteiligung ist gegeben, wenn die Arbeitgeberin Arbeitnehmer/innen mit einer nicht an der Rechtsordnung orientierten Vereinbarung oder
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Maßnahme begegnet, die zu einem Nachteil für die Arbeitnehmer/innen führt. Ein Nachteil liegt auch dann vor, wenn sich die bisherige Rechtsposition verschlechtert, Rechte mithin verkürzt werden. Hinsichtlich der Kausalität ist zu fordern, dass die Rechtsausübung seitens des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin für die benachteiligende Vereinbarung oder Maßnahme der Arbeitgeberin den tragenden Beweggrund darstellt. Strittig ist in diesem Zusammenhang, ob § 612 a BGB nur Maßnahmen und Vereinbarungen erfasst, die der Rechtsausübung zeitlich nachfolgen oder auch solche, die vor der Rechtsausübung liegen. Aus der Rechtsprechung zu nennen sind Ausschlüsse von tariflichen Abfindungsansprüchen für den Fall der Erhebung einer Kündigungsschutzklage (BAG vom 6. Dezember 2006 - 4 AZR 798/05 - und BAG vom 23. Februar 2000 - 10 AZR 1/99 -) und Entgeltreduzierungen wegen der Beteiligung an gewerkschaftlich geführten Streiks (vgl. BAG vom 13. Februar 2007 - 9 AZR 52/06 -, BAG vom 13. Februar 2007 - 9 AZR 374706 -, BAG vom 31. Oktober 1995 - 1 AZR 217/95 - und BAG vom 5. November 1992 - 6 AZR 311/91 - sowie BAG vom 11. August 1992 - 1 AZR 103/92 -). Dagegen ist eine tarifliche Bestimmung, nach der der Arbeitgeber für Auslandstätigkeiten die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit unter Überschreitung der 40-Stunden-Woche einseitig festsetzen kann, wenn „die Gegebenheiten des Projekts oder Regelungen im Einsatzland eine höhere Stundenzahl erfordern“ wirksam (BAG vom 12. Dezember 1990 - 4 AZR 238/90 -).
Die hier beklagte Arbeitgeberin hat nach alledem die zugesagten tariflichen Zusatzleistungen aus dem Sanierungstarifvertrag für das Jahr 2008 anschließend noch mit weiteren von ihr gesetzten Bedingungen verknüpft, nämlich die Erhöhung der Arbeitszeit ohne weitere Vergütung. Dazu war sie - wie dargelegt - nicht berechtigt. Die Weigerung der gewerkschaftlich organisierten Klägerinnen, einen entsprechenden neuen Arbeitsvertrag mit höheren Arbeitszeiten ohne Entgelterhöhung abzuschließen, ist deshalb nicht zu beanstanden. Es hätte der beklagten Arbeitgeberin nämlich insbesondere freigestanden, dieses Ziel der Erhöhung der Arbeitszeit ohne zusätzliche Vergütung durch Ausspruch einer betriebsbedingten Änderungskündigung zu erreichen. Diesen Weg ist die beklagte Arbeitgeberin je-doch nicht gegangen. Nach alledem verstößt ihr Vorgehen gegen die Bestimmung des § 612 a BGB.
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bb) Außerdem normiert § 7 AGG das Verbot der Benachteiligung in Beschäftigung und Beruf. Die Vorschrift spricht ein generelles Verbot der Benachteiligung von Beschäftigten wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes aus. Hier geht es aber nicht darum, dass die maßgeblichen Tarifverträge gegen das AGG verstoßen. Vielmehr geht es nur um eine ungleichmäßige Handhabung der beklagten Arbeitgeberin in Zusammenhang mit den vorgenannten Tarifverträgen. Die Klägerin und die übrigen Arbeitnehmerinnen, die jeweils gewerkschaftlich organisiert sind und nicht bereit waren, neue Arbeitsverträge mit höheren Arbeitszeiten ohne höhere Vergütung abzuschließen, sind hinsichtlich der vorgenannten tarifvertraglichen Regelungen - insbesondere betreffend den Tarifvertrag über tarifliche Zusatzzah-lungen - anders behandelt worden, nämlich von den dort vorgesehenen Leistungen ausgenommen worden. Dazu war die beklagte Arbeitgeberin - wie dargelegt - nicht berechtigt. Dies ergibt sich bereits aus Artikel 3 Grundgesetz. Für die Un-gleichbehandlung der Klägerin gegenüber der restlichen Belegschaft hinsichtlich der tariflichen Zusatzleistung aus dem Sanierungstarifvertrag für das Jahr 2008 fehlt es am sachlichen Grund. Deshalb sind die Leistungen der Klägerin „nach oben anzupassen“, und zwar gemäß dem Tenor des Urteils des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 13. Mai 2009 - 1 Ca 73/09 -, welcher auf Seite 2 dieses Urteils aufge-führt ist.
Nach alledem war wie erkannt zu entscheiden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
IV.
- 12 -
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind gemäß § 72 (II) Nr. 1 ArbGG gegeben. Im vorliegenden Falle hat eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung.
RECHTSMITTELBELEHRUNG
Gegen dieses Urteil kann die Beklagte Revision einlegen.
Die Revisionsschrift muss innerhalb eines Monats, die Revisionsbegründungsschrift innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils bei dem
Bundesarbeitsgericht
Hugo-Preuß-Platz 1
99084 Erfurt
eingehen.
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
Vor dem Bundesarbeitsgericht sind außer Rechtsanwälten auch Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgeberverbänden sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder als Bevollmächtigte vertretungsbefugt. Als Bevollmächtigte zugelassen sind auch juristische Personen, die die Voraussetzung gem. § 11 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 5 ArbGG erfüllen. Die handelnden Personen müssen die Befähigung zum Richteramt haben.
Die Revisionsschrift, die Revisionsbegründungsschrift und die sonstigen wechselseitigen Schriftsätze im Revisionsverfahren sollen 7-fach – für jeden weiteren Beteiligten ein Exemplar mehr – eingereicht werden.
Auf die Möglichkeit der Einreichung elektronischer Dokumente beim Bundesarbeitsgericht nach § 46 c ArbGG i. V. m. den besonderen Voraussetzungen nach der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesarbeitsgericht vom 09. März 2006, BGBl. 2006 Teil I Nr. 12, S. 519 f., ausgegeben zu Bonn am 15. März 2006, wird hingewiesen.
Für die Klägerin ist kein Rechtsmittel gegeben.
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