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Haustarifvertrag nach Betriebsübergang
01.12.2009. Nach einem Betriebsübergang gelten die Verbandstarifverträge, an die der bisherige Betriebsinhaber als Mitglied des Arbeitgeberverbands gebunden war, im Allgemeinen nicht mehr normativ weiter, d.h. "unmittelbar und zwingend".
Eine Ausnahme gilt dann, wenn der neue Betriebsinhaber ebenfalls Mitglied desselben Arbeitgeberverbandes ist, in dem auch der Betriebsveräußerer organisiert ist.
Ob die normative Wirkung auch bei einem speziell auf einen Betrieb zugeschnittenen Haustarifvertrag im Falle eines Betriebsübergangs endet, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer aktuellen Entscheidung geklärt: BAG, Beschluss vom 10.06.2009, 4 ABR 21/08.
- Was passiert mit einem Tarifvertrag nach Betriebsübergang?
- Der Fall des Bundesarbeitsgerichts: Streit um Geltung eines Haustarifvertrags nach Übertragung eines Callcenters auf Tochterunternehmen von Neckermann
- Bundesarbeitsgericht: Keine weitere kollektivrechtliche Geltung des Haustarifvertrags
Was passiert mit einem Tarifvertrag nach Betriebsübergang?
Tarifverträge finden auf ganz verschiedene Weise Anwendung. Häufig ist die Geltung über die Verweisung im Arbeitsvertrag, d.h. im Arbeitsvertrag wird vereinbart, dass ein bestimmter Tarifvertrag oder die Tarifverträge einer bestimmten Branche anwendbar sein sollen.
Während in diesem Fall die Bindung an einen Tarifvertrag freiwillig vorgenommen worden ist, ist dies bei der sog. Tarifbindung anders. Die Normen des Tarifvertrags gelten dann nämlich „unmittelbar und zwingend“, also wie ein Gesetz. Im Arbeitsvertrag darf von den tarifvertraglichen Regelungen nur dann abgewichen werden, wenn die arbeitsvertraglichen Regelungen günstiger als die tariflichen sind (§ 4 Abs.1, 3 Tarifvertragsgesetz - TVG).
Voraussetzung für die unmittelbare und zwingende Geltung des Tarifvertrags ist, dass der Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglied ist. Gleichzeitig muss der Arbeitgeber Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes sein oder, bei so genannten Firmen- oder Haustarifverträgen, selber den Tarifvertrag abschließen (§ 3 Abs.1 TVG).
Wenn der Arbeitgeber Mitglied in einem Arbeitgeberverband ist und deswegen an dessen Tarifverträge gebunden ist, endet diese Bindung für die Beschäftigten, wenn der Arbeitgeber den Betrieb an einen Betriebserwerber veräußert, der nicht Mitglied des selben Arbeitgeberverbandes ist. Der Betriebserwerber wird nämlich gemäß § 613a Abs.1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) automatisch neuer Arbeitgeber der Beschäftigten.
Die bisher im Betrieb geltenden Tarifverträge gelten dann nicht mehr zwingend und unmittelbar. Ihre Inhaltsnormen werden stattdessen gemäß § 613a Abs.1 Satz 2 BGB Bestandteil der Arbeitsverträge der Beschäftigten. In den ersten zwölf Monaten nach dem Betriebsübergang können sie nicht zulasten der Arbeitnehmer geändert werden, danach ist eine Änderung jedoch möglich.
Problematisch ist, ob die unmittelbare und zwingende Wirkung eines Tarifvertrages auch dann durch einen Betriebsübergang beendet wird, wenn es sich um einen Firmentarifvertrag handelt, der gerade auf den übergegangen Betrieb zugeschnitten war. Mit dieser Frage befasst sich die vorliegende Entscheidung des BAG (Beschluss vom 10.06.2009, 4 ABR 21/08).
Der Fall des Bundesarbeitsgerichts: Streit um Geltung eines Haustarifvertrags nach Übertragung eines Callcenters auf Tochterunternehmen von Neckermann
Die Neckermann Versand AG schloss mit den Gewerkschaften HBV und DAG am 15.08.2000 einen „Firmentarifvertrag über den Einsatz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Callcenter des Logistikzentrums Heideloh der Neckermann Versand AG in Sachsen-Anhalt“. In dem Tarifvertrag war unter anderem die Vergütung der Arbeitnehmer im Rahmen eines Eingruppierungssystems geregelt.
Die Neckermann Versand AG gründete im Folgenden ein Tochterunternehmen, auf dass sie zum 01.01.2006 das Callcenter in Heideloh übertrug. Arbeitgeber und Betriebsrat stritten dabei über die Frage, ob der bisher in dem Betrieb angewandte Firmentarif vom 15.08.2000 weiterhin kraft Tarifwirkung, also unmittelbar und zwingend, anwendbar wäre.
Schließlich wollte der Betriebsrat diese Frage gerichtlich klären und beantragte im Beschlussverfahren unter anderem, das Tochterunternehmen der Neckermann Versand AG zu verpflichten, neu einzustellende Arbeitnehmer in den bisher geltenden Firmentarifvertrag einzugruppieren und den Betriebsrat gem. § 99 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) entsprechend zu beteiligen. Der Betriebsrat bekam in der ersten Instanz vor dem Arbeitsgericht recht. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Sachsen-Anhalt entschied dagegen gegen den Betriebsrat (Beschluss vom 31.01.2008, 7 TaBV 21/07). Dagegen legte der Betriebsrat Rechtsbeschwerde zum BAG ein.
Bundesarbeitsgericht: Keine weitere kollektivrechtliche Geltung des Haustarifvertrags
Das Bundesarbeitsgericht entschied ebenfalls gegen den Betriebsrat. Es war der Ansicht, der Firmentarifvertrag habe durch den Betriebsübergangs und der damit einhergehenden Auswechslung des Arbeitgebers keine unmittelbare und zwingende Wirkung auf die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten des Callcenters mehr.
Zur Begründung führt das BAG an, zum einen sei nicht das Tochterunternehmen der Neckermann Versand AG selber Partei des Firmentarifvertrages gewesen. Zum anderen liege auch keine Unternehmensumwandlung nach dem Umwandlungsgesetz (UmwG) vor, die die normative Wirkung des Tarifvertrags zur Folge hätte haben können. Eine unmittelbare und zwingende Wirkung könne also allenfalls durch den Betriebsübergang und den Austausch des Arbeitgebers erfolgt sein. Diese Wirkung kommt dem Betriebsübergang nach Auffassung des BAG aber nicht zu.
Das BAG stellt dazu ausdrücklich fest, dass auch die Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Weder, dass die Neckermann Versand AG alleinige Gesellschafterin des Tochterunternehmens war und dieses nur zur Überleitung des Callcenters gegründet hatte, noch die Tatsache, dass der Tarifvertrag ein Firmentarifvertrag war, der extra auf den Betrieb zugeschnitten war, führen dazu, dass der Firmentarifvertrag normativ weiter gilt, so das BAG.
Fazit: Arbeitgeber können die normative Wirkung eines Tarifvertrages „umgehen“, indem sie einen Betriebs(teil) auf ein hundertprozentiges Tochterunternehmen übertragen. An die Regelung des Tarifvertrages sind sie dann nur noch gegenüber den bei Betriebsübergang schon eingestellten Arbeitnehmern und nur für die Dauer eines Jahres gebunden.
Danach können sie mit den Arbeitnehmern eine Vertragsänderung vereinbaren. Bei Neueinstellungen können außerdem ohne weiteres Arbeitsverträge vereinbart werden, die die Regungen des Tarifvertrages unterschreiten. Dagegen kann nur vorgegangen werden, indem ein Tarifabschluss mit dem Tochterunternehmen erstritten wird.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 10.06.2009, 4 ABR 21/08
- Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsübergang
- Handbuch Arbeitsrecht: Tarifvertrag
- Arbeitsrecht aktuell: 12/198 Tarifvertrag und Betriebsübergang
- Arbeitsrecht aktuell: 11/192 Tariflohn-Anhebung auf Tarifniveau „West“: Schuldrechtliche Abrede oder Inhaltsnorm?
Letzte Überarbeitung: 23. Januar 2014
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