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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/135

Ur­laubs­ab­gel­tung auch für Be­am­te?

OVG ent­schei­det zur Gel­tung des Schultz-Hoff-Ur­teils für Be­am­te: OVG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 30.03.2010, 2 A 11321/09.OVG
Feuerwehrmann Polizist Arzt Be­am­te im Dienst

14.07.2010. An­fang 2009 ent­schied der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) über die Fra­ge, ob Ur­laub ver­fällt, den Ar­beit­neh­mer we­gen ei­ner lang­jäh­ri­gen Krank­heit nicht neh­men kön­nen.

Der EuGH war der Auf­fas­sung, dass das Recht der eu­ro­päi­schen Ge­mein­schaft aus Ge­sund­heits­schutz­grün­den je­dem Ar­beit­neh­mer ei­nen zwin­gen­den, un­ver­fall­ba­ren An­spruch auf (Min­dest-)Ur­laub ge­währt, der sich re­gel­mä­ßig nur mit dem En­de des Ar­beits­ver­hält­nis­ses in ei­nen An­spruch auf fi­nan­zi­el­len Aus­gleich für nicht ge­nom­me­nen Ur­laub um­wan­deln kann. Seit­her ver­än­dert sich die Recht­spre­chung zu Ur­laubs­an­sprü­chen und Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­sprü­chen deut­lich.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt än­der­te sei­ne bis­he­ri­ge stän­di­ge Recht­spre­chung ge­mäß den Vor­ga­ben des EuGH, die In­stanz­ge­rich­te be­gan­nen, die Kon­se­quen­zen aus der EuGH-Ent­schei­dung zu zie­hen.

Der EuGH stützt sei­ne Ent­schei­dung auf ei­ne Richt­li­nie, die auch Be­am­te als "Ar­beit­neh­mer" an­sieht. Da­her liegt die Über­le­gung na­he, dass es nun auch im Be­am­ten­recht ei­nen (eu­ro­pa­recht­li­chen) An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung bei Diens­ten­de nach lang­jäh­ri­ger Krank­heit gibt. Doch die Ver­wal­tungs­ge­rich­te sind hier - vor­sich­tig for­mu­liert - äu­ßerst zu­rück­hal­tend. Ein ak­tu­el­ler Fall des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts (OVG) Rhein­land-Pfalz zeigt die der­zeit (noch) herr­schen­de Auf­fas­sung in der Recht­spre­chung zum Be­am­ten­recht: Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 30.03.2010, 2 A 11321/09.OVG.

Ur­laubs­ab­gel­tung für Ar­beit­neh­mer und Be­am­te vor und nach Schultz-Hoff

Das Ur­teil des Eu­ropäischen Ge­richts­hof in der Rechts­sa­che Schultz-Hoff (Ur­teil vom 20.01.2009, C-350/06) hat die Recht­spre­chung der Ar­beits­ge­rich­te zur Ab­gel­tung des Ar­beit­neh­mern zu­ste­hen­den Ur­laubs­an­spruchs grund­le­gend geändert. Bis zu die­sem EuGH-Ur­teil war das Bun­des­ar­beits­ge­richt jahr­zehn­te­lang da­von aus­ge­gan­gen, dass nicht ge­nom­me­ner Ur­laub spätes­tens zum 31. März des Fol­ge­jah­res verfällt.

Dies hat­te in Fällen, in de­nen Ar­beit­neh­mer ei­ni­ge Jah­re lang fortwährend ar­beits­unfähig er­krankt wa­ren, zur Fol­ge, dass der krank­heits­be­dingt nicht ge­nom­me­ne Ur­laub ver­fiel. Wur­de das Ar­beits­verhält­nis dann in­fol­ge der Krank­heit be­en­det, gab es kon­se­quen­ter­wei­se auch kei­ne Ur­laubs­ab­gel­tung.

Seit dem Schultz-Hoff-Ur­teil steht für Ar­beit­neh­mer fest: Ist ei­ne Er­kran­kung Ur­sa­che dafür, dass der ge­setz­li­che Ur­laub nicht ge­nom­men wer­den kann, verfällt der Ur­laubs­an­spruch nicht, so dass der Ar­beit­neh­mer bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung auch für lan­ge Jah­re zurück­lie­gen­de Zeiträume hat.

Ob das al­ler­dings auch für Be­am­te gilt, ist um­strit­ten, da die Schultz-Hoff-Ent­schei­dung ei­nen Ar­beit­neh­mer be­traf.

Für ei­ne An­wen­dung des Schultz-Hoff-Ur­teils auf Be­am­te spricht, dass die dafür maßgeb­li­che Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 04.11.2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (Richt­li­nie 2003/88/EG) nicht nur für Ar­beit­neh­mer gilt, son­dern auch für Be­am­te. Das er­gibt sich aus der Richt­li­nie 89/391/EWG des Ra­tes vom 12.06.1989 über die Durchführung von Maßnah­men zur Ver­bes­se­rung der Si­cher­heit und des Ge­sund­heits­schut­zes der Ar­beit­neh­mer bei der Ar­beit (Richt­li­nie 89/391/EWG).

Al­ler­dings schreibt die Richt­li­nie 2003/88/EG aus­drück­lich nur fest, dass die Mit­glieds­staa­ten ei­nen An­spruch auf be­zahl­ten Min­des­t­ur­laub gewähr­leis­ten müssen, und zwar so, dass der Ur­laub im All­ge­mei­nen nicht durch ei­ne fi­nan­zi­el­le Vergütung er­setzt wer­den darf (Art. 7), es sei denn, dass das Ar­beits­verhält­nis be­en­det wird. Dem­zu­fol­ge be­sagt le­dig­lich ei­ne In­ter­pre­ta­ti­on die­ser Richt­li­nie durch den EuGH, dass der we­gen Krank­heit nicht ge­nom­me­ne Ur­laub bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ab­ge­gol­ten wer­den muss. Aus­drück­lich ist ei­ne sol­che recht­li­che Re­gel in der Richt­li­nie nicht ent­hal­ten.

Die für sei­ne Richt­li­ni­en­in­ter­pre­ta­ti­on vor­ge­brach­ten Ar­gu­men­te des EuGH be­wer­ten ei­ni­ge Ver­wal­tungs­ge­rich­te in Deutsch­land so, dass sie für Be­am­te an­geb­lich nicht über­trag­bar sein sol­len.

Mit die­sen Fra­gen setzt sich auch ei­ne ak­tu­el­le Ent­schei­dung des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts (OVG) Rhein­land-Pfalz aus­ein­an­der (Ur­teil vom 30.03.2010, 2 A 11321/09.OVG).

Der Fall: Zwei Jah­re er­krank­ter Po­li­zei­be­am­ter möch­te Ur­laubs­ab­gel­tung

Der Kläger war als Be­am­ter im Po­li­zei­dienst für das Land Rhein­land-Pfalz tätig. Seit An­fang Ju­li 2007 war er un­un­ter­bro­chen dienst­unfähig er­krankt und trat des­we­gen zum 01.08.2008 in den vor­zei­ti­gen Ru­he­stand.

Das Lan­des­be­am­ten­recht Rhein­land-Pfalz sieht, eben­so wie die be­am­ten­recht­li­chen Vor­schrif­ten der an­de­ren Bun­desländer, kei­ne Ab­gel­tung von krank­heits­be­dingt nicht ge­nom­me­nem Ur­laub nicht vor.

Für den we­gen sei­ner Dienst­unfähig­keit nicht ge­nom­me­nen Ur­laub im Jahr 2007 und 2008, ins­ge­samt 62 Ta­ge, ver­lang­te der Po­li­zei­be­am­te vom Land ei­ne fi­nan­zi­el­le Ab­gel­tung un­ter Be­ru­fung auf die Rechts­spre­chung des EuGH. Ins­ge­samt ver­lang­te er 9.980,17 EUR. Als das Po­li­zei­präsi­di­um Ko­blenz nicht zahl­te, zog der Be­am­te vor das Ver­wal­tungs­ge­richt (VG) Ko­blenz - und un­ter­lag. Das VG mein­te nämlich, die Ar­gu­men­ta­ti­on des EuGH im Schultz-Hoff Ur­teil könne man auf die Si­tua­ti­on von Be­am­ten nicht über­tra­gen. Im­mer­hin ließ das VG die Be­ru­fung zum OVG zu (Ur­teil vom 21.07.2009, 6 K 1253/08.KO).

OVG Rhein­land-Pfalz: Be­am­te er­hal­ten kei­ne Ur­laubs­ab­gel­tung - Al­les bleibt beim Al­ten, aber ...

Die Be­ru­fung nutz­te dem Po­li­zei­be­am­ten nichts, d.h. vor dem OVG un­ter­lag er eben­falls. Auch das OVG war der An­sicht, die Si­tua­ti­on ei­nes Be­am­ten un­ter­schei­de sich so er­heb­lich von der Si­tua­ti­on von Ar­beit­neh­mern, dass das Schultz-Hoff-Ur­teil des EuGH auf Be­am­te nicht an­zu­wen­den sei. Letzt­lich wi­der­spricht die Ab­gel­tung nicht ge­nom­me­nen Ur­laubs - so das OVG – dem deut­schen Be­am­ten­recht.

An­ders als bei Ar­beit­neh­mern, er­hal­ten Be­am­te ih­re Bezüge nämlich nicht als Ge­gen­leis­tung für die ge­leis­te­te Ar­beit, son­dern sie wer­den vom Staat „ali­men­tiert“. Auf­grund des Ali­men­ta­ti­ons­prin­zips kann man nach An­sicht des OVG der Ur­laubs­gewährung kei­ne fi­nan­zi­el­le As­pek­te bei­mes­sen, aus de­nen dann in ei­nem wei­te­ren Schritt die Ver­pflich­tung des Dienst­herrn zur Ab­gel­tung nicht gewähr­ten Ur­laubs ab­ge­lei­tet wer­den könn­te.

Denn können Be­am­te krank­heits­be­dingt ih­ren Ur­laub nicht neh­men, wird die Nicht­gewährung des Ur­laubs im Nach­hin­ein da­durch aus­ge­gli­chen, dass sie im Vor­ru­he­stand wei­ter­hin ei­ne un­ver­min­der­te Be­sol­dung er­hal­ten. Das ist bei Ar­beit­neh­mern an­ders, da sie nach Be­en­di­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses kei­ne Leis­tun­gen ih­res ehe­ma­li­gen Ar­beit­ge­bers mehr er­hal­ten. Be­am­te können da­her, wenn sie sich krank­heits­be­dingt im Vor­ru­he­stand be­fin­den, über ei­ne tatsächli­che Ru­he­zeit verfügen, die ei­nen wirk­sa­men Schutz der Ge­sund­heit si­cher­stellt, so je­den­falls das OVG.

Auch im übri­gen er­lei­den Be­am­te im Un­ter­schied zu Ar­beit­neh­mern in­fol­ge länge­rer krank­heits­be­ding­ter Dienst­unfähig­keit kei­ne fi­nan­zi­el­len Ein­bußen. Sie er­hal­ten nicht nur für sechs Wo­chen ih­re bis­he­ri­ge Vergütung, son­dern auch über den Sechs­wo­chen­zeit­raum hin­aus ih­re Be­sol­dung in vol­ler Höhe. Der Dienst­herr kann auch nicht krank­heits­be­dingt kündi­gen, son­dern den Be­am­ten al­len­falls in den (Vor-)Ru­he­stand ver­set­zen. In die­sem Fall ist er aber zur Fort­zah­lung der Bezüge ver­pflich­tet, so das OVG wei­ter.

Fa­zit: Die The­se, das deut­sche Be­am­ten­recht wei­che zu­guns­ten der Be­am­ten von eu­ropäischen Re­ge­lun­gen zum Ge­sund­heits­schutz ab, lässt sich hören, ist aber nicht zwin­gend. Zwar ist die Si­tua­ti­on von Be­am­ten im Fal­le krank­heits­be­ding­ter Dienst­unfähig­keit bes­ser als die von Ar­beit­neh­mern auf Ba­sis der Min­dest­vor­ga­ben des Eu­ro­pa­rechts. Dies hat aber nichts mit Re­ge­lun­gen zum Ge­sund­heits­schutz zu tun, der ins­be­son­de­re durch die Gewähr­leis­tung ei­nes Min­des­t­ur­laubs er­reicht wer­den soll. Die Ur­laubs­re­ge­lun­gen im deut­schen Be­am­ten­recht wei­chen je­doch als sol­che nicht zu­guns­ten der Be­am­ten von den für Ar­beit­neh­mer gel­ten­den eu­ro­pa­recht­li­chen Vor­ga­ben ab.

Un­mit­tel­bar aus be­am­ten­recht­li­chen Grundsätzen lässt sich eben­falls nicht her­lei­ten, dass das Schultz-Hoff-Ur­teil für Be­am­te nicht gel­ten soll, da die Richt­li­nie ge­ra­de nicht zwi­schen Ar­beit­neh­mern und Be­am­ten un­ter­schei­det.

Sch­ließlich be­gründet der EuGH die Pflicht des Ar­beit­ge­bers zur Ur­laubs­ab­gel­tung nach vor­aus­ge­gan­ge­ner länge­rer Krank­heit we­der mit dem nur für Ar­beit­neh­mer gel­ten­den Prin­zip, dass die Vergütung als Ge­gen­leis­tung für die Ar­beit ge­leis­tet wird und dem Ur­laub des­we­gen ein ir­gend­wie ge­ar­te­ter fi­nan­zi­el­ler As­pekt zu­kommt. Im Ge­gen­teil: Der EuGH be­tont die Er­ho­lungs­funk­ti­on des Ur­laubs und stützt sei­ne Ent­schei­dung nicht auf fi­nan­zi­el­len Ein­bußen lan­ge er­krank­ter Ar­beit­neh­mer.

Zwar gibt das Ur­teil des OVG die der­zeit herr­schen­de Recht­spre­chung wie­der, doch stel­len sich ei­ni­ge Ge­rich­te dem ent­ge­gen. So hat kürz­lich das Ver­wal­tungs­ge­richt (VG) Ber­lin der Ab­gel­tungs­kla­ge ei­ner Po­li­zei­be­am­tin statt­ge­ge­ben (Ur­teil vom 10.06.2010, 5 K 175.09). Letzt­lich wird die Streit­fra­ge ei­ner Ur­laubs­ab­gel­tung für lan­ge er­krank­te Be­am­te wohl erst auf der Grund­la­ge ei­ner Vor­la­ge an den EuGH von die­sem ent­schie­den wer­den.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d. h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) eben­falls in die­sem Fall ent­schie­den. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 28. März 2018

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