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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/058

Ta­rif­li­che Funk­ti­ons­zu­la­gen ste­hen auch Teil­zeit­kräf­ten zu.

Funk­ti­ons­zu­la­gen ste­hen auch Teil­zeit­kräf­ten zu, wenn sie wäh­rend ei­nes aus­rei­chend gro­ßen Teils ih­rer Ar­beits­zeit die an­spruchs­be­grün­den­de Funk­ti­on aus­üben: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 18.03.2009, 10 AZR 338/08
Münzen, Münzhaufen Auch Teil­zeit­kräf­te ha­ben An­spruch auf stun­den­ge­bun­de­ne Funk­ti­ons­zu­la­gen

08.04.2009. Sieht ein Ta­rif­ver­trag ei­ne "Funk­ti­ons­zu­la­ge" für Ar­beit­neh­mer vor, die ei­ne be­stimm­te Min­dest­stun­den­zahl pro Wo­che an der Kas­se tä­tig sind, wer­den Teil­zeit­kräf­te oft da­von aus­ge­sch­lo­sen, ein­fach weil sie zu we­nig St­un­den pro Wo­che ar­bei­ten.

Gibt es z.B. ei­ne Kas­sen­zu­la­ge nach dem Ta­rif erst ab 24 St­un­den Kas­sen­tä­tig­keit pro Wo­che, wer­den vie­le Ar­beit­ge­ber die­se Zu­la­ge Teil­zeit­kräf­ten mit we­ni­ger als 24 Ar­beits­stun­den pro Wo­che ver­wei­gern.

Das wä­re aber nicht kor­rekt, wie ein ak­tu­el­les Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) zeigt. Denn auch Teil­zeit­kräf­ten steht ei­ne sol­che Zu­la­ge zu, wenn sie an­tei­lig, d.h. be­zo­gen auf ih­re in­di­vi­du­el­le Ar­beits­zeit, die vom Ta­rif ver­lang­te St­un­den­zahl an der Kas­se ar­bei­ten. Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 18.03.2009, 10 AZR 338/08.

Was recht­fer­tigt ei­ne ta­rif­li­che Funk­ti­ons- oder Er­schwer­nis­zu­la­ge?

Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 des Ge­set­zes über Teil­zeit und be­fris­te­te Ar­beits­verträge (Tz­B­fG) ist ei­nem teil­zeit­beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer Ar­beits­ent­gelt min­des­tens in dem Um­fang zu gewähren, der dem An­teil sei­ner Ar­beits­zeit an der Ar­beits­zeit ei­nes ver­gleich­ba­ren voll­zeit­beschäftig­ten Ar­beit­neh­mers ent­spricht. Die­se ge­setz­li­che Vor­ga­be ist auch von Ta­rif­par­tei­en zu be­ach­ten, d.h. auch ih­nen ist ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung teil­zeit­beschäftig­ter Ar­beit­neh­mer ver­bo­ten.

Das Ziel die­ser Re­ge­lung be­steht dar­in zu ver­hin­dern, dass teil­zeit­beschäftig­ten Ar­beit­neh­mern, die in al­ler Re­gel über­wie­gend Frau­en sind, be­stimm­te Vergütungs­be­stand­tei­le wie ins­be­son­de­re Zu­la­gen, Ein­mal­zah­lun­gen oder an­de­re Son­der­zah­lun­gen we­gen der Teil­zeit oh­ne sach­li­chen Grund ver­sagt wer­den.

In Ta­rif­verträgen ist häufig ge­re­gelt, dass Ar­beit­neh­mer, die ei­ne be­stimm­te Wo­chen­stun­den­zahl be­son­ders an­stren­gen­de oder ver­ant­wor­tungs­vol­le Tätig­kei­ten zu ver­rich­ten ha­ben, ei­ne Zu­la­ge er­hal­ten. Ist die St­un­den­zahl mit ei­ner eher ho­hen kon­kre­ten Zahl an­ge­ge­ben, bei­spiels­wei­se mit 20, 25 oder 30 Wo­chen­stun­den, können Teil­zeit­kräfte die­se St­un­den­zah­len oft gar nicht er­rei­chen.

Frag­lich ist, ob sie da­her von sol­chen Zu­la­gen aus­ge­schlos­sen sind bzw. un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen sie die­se viel­leicht doch ver­lan­gen können. Müss­ten auch sie die im Ta­rif­ver­trag vor­aus­ge­setz­ten St­un­den vor­wei­sen können, kämen sie prak­tisch nie in den Ge­nuss der Zu­la­ge. Man könn­te aber auch ar­gu­men­tie­ren, es sei aus­rei­chend, dass sie in ei­nem aus­rei­chen­den Verhält­nis zu ih­rer (Teil­zeit-)Wo­chen­ar­beits­zeit die mit ei­ner Zu­la­ge be­lohn­te Ar­beit ver­rich­ten.

Ver­langt ei­ne Zu­la­gen­re­ge­lung z.B., dass wöchent­lich 30 St­un­den (von 40 „nor­ma­len“ Voll­zeit­stun­den) ei­ne be­stimm­te Ar­beit ver­rich­tet wird, könn­te auch ei­ne Teil­zeit­kraft mit 20 Wo­chen­stun­den die Zu­la­ge ver­lan­gen, wenn sie 15 St­un­den pro Wo­che die­se Tätig­keit ausübt. Voll­zeit- wie Teil­zeit­kräfte würden dann nämlich 75 Pro­zent ih­rer in­di­vi­du­el­len Ar­beits­zeit die die Zu­la­ge auslösen­de Tätig­keit ausüben.

Mit der Fra­ge, ob aus § 4 Abs. 1 Satz 2 Tz­B­fG folgt, dass auch Teil­zeit­kräfte sol­che ta­rif­li­chen Funk­ti­ons­zu­la­gen ver­lan­gen können, hat sich das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) mit ei­nem Ur­teil vom 18.03.2009 (10 AZR 338/08) aus­ein­an­der­ge­setzt. Das Ur­teil ist der­zeit auf der Grund­la­ge ei­ner Pres­se­mit­tei­lung des BAG be­kannt, d.h. die Ur­teils­gründe sind der­zeit noch nicht veröffent­licht.

Der Streit­fall: Ta­rif­ver­trag gewgährt Funk­ti­ons­zu­la­ge erst ab 24 St­un­den Kas­sentätig­keit pro Wo­che, wo­mit Teil­zeit­kräfte mit ge­rin­ge­rer St­un­den­zahl aus­ge­schlos­sen wer­den

Im Man­tel­ta­rif­ver­trag für die Beschäftig­ten im Ein­zel­han­del im Bun­des­land Sach­sen-An­halt ist ge­re­gelt, dass SB-Kas­sie­rer in den Mo­na­ten, in de­nen sie auf An­wei­sung der Geschäfts­lei­tung im Wo­chen­durch­schnitt mehr als 24 St­un­den an Aus­gangs­kas­sen (check-out) tätig sind, ei­ne Funk­ti­ons­zu­la­ge in Höhe von 4 % ih­res Ta­rif­ge­halts er­hal­ten. Die re­gelmäßige ta­rif­li­che wöchent­li­che Ar­beits­zeit beträgt 38 St­un­den. Voll­zeit­kräfte er­hal­ten die Zu­la­ge dem­zu­fol­ge dann, wenn sie im Um­fang von gut 63 Pro­zent ih­rer re­gelmäßigen Ar­beits­zeit an der Kas­se ar­bei­ten.

Die kla­gen­de Ar­beit­neh­me­rin ar­bei­tet im Ver­kauf und an der Kas­se im Um­fang von mo­nat­lich 110 St­un­den, d.h. pro Wo­che gut 25 St­un­den. Die be­klag­te Ar­beit­ge­be­rin be­treibt im ge­sam­ten Bun­des­ge­biet Ver­brau­chermärk­te. Auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en fin­den der Man­tel­ta­rif­ver­trag für den Ein­zel­han­del im Bun­des­land Sach­sen-An­halt („MTV“) An­wen­dung. Außer­dem gilt der Ta­rif­ver­trag über Gehälter, Löhne und Aus­bil­dungs­vergütun­gen für den Ein­zel­han­del im Bun­des­land Sach­sen-An­halt („ETV“). Im ETV fin­det sich fol­gen­de Be­stim­mung (§ 2 A e) Zif­fer 3):

„SB-Kas­sie­re­rin­nen er­hal­ten in den Mo­na­ten, in de­nen sie auf An­wei­sung der Geschäfts­lei­tung im Wo­chen­durch­schnitt mehr als 24 St­un­den an Aus­gangs­kas­sen (check-out) tätig sind, ei­ne Funk­ti­ons­zu­la­ge von 4 % ih­res Ta­rif­ge­hal­tes.“

Die Kläge­rin, die in den Mo­na­ten No­vem­ber 2005 bis März 2006 je­weils deut­lich mehr als 63 % ih­rer in­di­vi­du­el­len wöchent­li­chen Ar­beits­zeit an der Kas­se ar­bei­te­te, ver­lang­te die Funk­ti­ons­zu­la­ge in Höhe von 52,22 EUR brut­to pro Mo­nat. Sie ar­gu­men­tier­te im we­sent­li­chen, die Zu­la­ge ste­he ihr zu, weil sie nur in Teil­zeit ar­bei­te und be­zo­gen auf ih­re wöchent­li­che Ar­beits­zeit eben­so lan­ge an der Kas­se ar­bei­te wie ei­ne Voll­zeit­kas­sie­re­rin, nämlich deut­lich mehr als die Hälf­te ih­rer Ar­beits­zeit. Die Ar­beit­ge­be­rin ver­wei­ger­te ihr die Zu­la­ge.

Dar­auf­hin zog die Kläge­rin vor das Ar­beits­ge­richt Hal­le und ver­lang­te 313,32 EUR brut­to Vergütung für No­vem­ber 2005 bis März 2006, al­ler­dings oh­ne Er­folg, d.h. das Ar­beits­ge­richt wies die Kla­ge ab (Ar­beits­ge­richt Hal­le, Ur­teil vom 01.03.2007 – 2 Ca 2377/06). Auch die hier­ge­gen er­ho­be­ne Be­ru­fung zum Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Sach­sen-An­halt half der Kläge­rin nicht, da das LAG das erst­in­stanz­li­che Ur­teil bestätig­te (Ur­teil vom 30.01.2008, 5 Sa 185/07).

Be­gründung des LAG: Nicht die Tätig­keit an der Kas­se als sol­che oder ein be­stimm­ter, bei über 63 % der Wo­chen­ar­beits­zeit lie­gen­der pro­zen­tua­ler An­teil an Kas­sentätig­keit sei im Sin­ne des Ta­rif­ver­trags in be­son­de­rer Wei­se be­las­tend, son­dern eben das Über­schrei­ten ei­ner „ab­so­lu­ten“ Zeit­schwel­le. Und die liegt eben gemäß Ta­rif bei 24 St­un­den pro Wo­che. 

BAG: Funk­ti­ons­zu­la­ge steht auch Teil­zeit­kräften zu, wenn sie während ei­nes aus­rei­chend großen Teils ih­rer Ar­beits­zeit die an­spruchs­be­gründen­de Funk­ti­on ausüben

Das BAG hat der Ar­beit­neh­me­rin Recht ge­ge­ben, d.h. ihr den An­spruch auf zeit­an­tei­li­ge Zah­lung der ta­rif­li­chen Funk­ti­ons­zu­la­ge zu­er­kannt. Zur Be­gründung heißt es in der bis­lang al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG:

Die Kläge­rin ha­be ei­nen An­spruch auf die Zu­la­ge für die Mo­na­te, in de­nen sie auf An­wei­sung der Geschäfts­lei­tung zu mehr als 24/38 ih­rer Ar-beits­zeit an ei­ner Aus­gangs­kas­se tätig war. Bei der strei­ti­gen Zu­la­ge han­de­le es sich nicht um ei­ne ta­rif­li­che Er­schwer­nis­zu­la­ge. Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en hätten die Zu­la­ge aus­drück­lich als Funk­ti­ons­zu­la­ge be­zeich­net. Sie stel­le nicht auf ei­ne durch äußere Umstände be­gründe­te Er­schwer­nis ab, son­dern sei ei­ne zusätz­li­che Vergütung für die Tätig­keit an ei­ner Aus­gangs­kas­se. Wer­de der er­for­der­li­che An­teil der Tätig­keit an ei­ner Aus­gangs­kas­se er­reicht, hänge die Höhe der Funk­ti­ons­zu­la­ge vom je­wei­li­gen Ta­rif­ge­halt ab.

Die Ent­schei­dung des BAG ist rich­tig, d.h. die ge­gen­tei­li­gen Ur­tei­le des Ar­beits­ge­richts und des LAG ver­ken­nen die Be­deu­tung des in § 4 Abs. 1 Satz 2 Tz­B­fG ent­hal­te­nen Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bots. Teil­zeit­beschäftig­te von der Zah­lung be­stimm­ter ta­rif­li­cher Zu­la­gen völlig aus­zu­sch­ließen, ist nach der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung nur in Aus­nah­mefällen zulässig, nämlich ins­be­son­de­re bei Über­stun­den­zu­schlägen, wenn die­se nach dem er­kenn­ba­ren Wil­len der Ta­rif­par­tei­en den Zweck ha­ben, be­son­de­re körper­li­che Be­las­tun­gen, die mit der Ar­beit über ei­ne be­stimm­te wöchent­li­che St­un­den­zahl hin­aus­ge­hen, aus­zu­glei­chen.

An­schei­nend hat­te sich das LAG bei sei­ner Aus­le­gung des ETV an der Recht­spre­chung zu Über­stun­den­zu­schlägen ori­en­tiert, da­bei al­ler­dings ver­kannt, dass der Wort­laut des Ta­rif­ver­trags von ei­ner „Funk­ti­ons­zu­la­ge“ und nicht et­wa von ei­ner „Er­schwer­nis­zu­la­ge“ spricht.

Aber auch dann, wenn die Ta­rif­par­tei­en die Kas­sentätig­keit als be­son­ders be­las­tend und aus die­sem Grun­de als zu­la­gen­re­le­vant an­ge­se­hen ha­ben soll­ten: War­um soll­te ei­ne sol­che Ar­beits­be­las­tung, ent­spre­chend der Aus­le­gung des LAG, erst ab ei­ner be­stimm­ten („ab­so­lu­ten“) Wo­chen­stun­den­zahl (hier: 24 St­un­den) ge­ge­ben sein? Ei­ne sol­che Re­ge­lungs­ab­sicht er­gibt sich je­den­falls nicht oh­ne wei­te­res aus dem Ta­rif­ver­trag, ge­schwei­ge denn, dass dies­bezügli­che Ab­sich­ten der Ta­rif­par­tei­en „of­fen­kun­dig“ wären.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­gründe schrift­lich ab­ge­fasst und veröffent­licht. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 15. September 2016

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