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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/079

Ge­werk­schaft der Neu­en Brief- und Zu­stell­diens­te (GN­BZ) gibt sich ge­schla­gen

Feh­len­de Ta­rif­fä­hig­keit steht end­gül­tig fest: Bun­des­ar­beits­ge­richt, 1 ABR 101/09, Pres­se­mit­tei­lung 28/10
Münzen, Münzhaufen Jetzt ist es of­fi­zi­ell: Ta­rif­un­fä­hig­keit der GN­BZ steht end­gül­tig fest
26.04.2010. In Ar­beits­recht ak­tu­ell 09/147: "Die Ge­werk­schaft der Neu­en Brief- und Zu­stell­diens­te (GN­BZ) ist nicht ta­rif­fä­hig" be­rich­te­ten wir über die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Köln, nach der die GN­BZ kei­ne "ech­te" Ge­werk­schaft ist.

Die GN­BZ hat­te mit dem Ar­beit­ge­ber­ver­band der so ge­nann­ten "neu­en" Post­dienst­un­ter­neh­men ei­nen Min­dest­lohn­ta­rif­ver­trag ge­schlos­sen, der weit nied­ri­ge­re Min­dest­löh­ne vor­sah, als der Ver­di-Min­dest­lohn­ta­rif­ver­trag, den das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les als Bran­chen­min­dest­lohn ein­füh­ren woll­te.

Die GN­BZ und der Ar­beit­ge­ber­ver­band der neu­en Post­dienst­un­ter­neh­men ha­ben ih­re Rechts­be­schwer­de ge­gen die Ent­schei­dung des LAG Köln zum Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) jetzt zu­rück­ge­nom­men: BAG, Be­schluss vom 27.04.2010, 1 ABR 101/09.

Der Hin­ter­grund

Im Jahr 2007 wur­de mit der Re­form des Ar­beit­neh­mer­ent­sen­de­ge­set­zes (AEntG) der Weg für die Einführung von Min­destlöhnen ge­eb­net, wo­bei da­durch al­ler­dings nicht ein ein­heit­li­cher Min­dest­lohn son­dern nur bran­chen­spe­zi­fi­sche Min­destlöhne ermöglicht wur­den.

Ver­ein­facht ge­sagt können nach dem AEntG Min­destlöhne da­durch ein­geführt wer­den, dass ers­tens die frag­li­che Bran­che in das Ge­setz auf­ge­nom­men wird und zwei­tens die Ta­rif­par­tei­en ei­nen „ganz nor­ma­len“ Ta­rif­ver­trag ab­sch­ließen, der Lohn­un­ter­gren­zen re­gelt, und die­ser Ta­rif­ver­trag schließlich per Rechts­ver­ord­nung durch das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les (BMAS) auf al­le Un­ter­neh­men der Bran­che er­streckt wird (so ge­nann­te „Er­stre­ckungs­ver­ord­nung“).

Als die Bran­che der Post­dienst­un­ter­neh­men En­de 2007 in das AEntG auf­ge­nom­men wur­de, ent­brann­te um die Einführung ei­nes Min­dest­lohn für die­se Bran­che ein hef­ti­ger Kon­flikt. Die Ge­werk­schaft Ver­di schloss nämlich flugs mit der Post AG ei­nen Ta­rif­ver­trag, der Min­destlöhne von 9,80 EUR vor­sah, den das BMAS gleich per Rechts­ver­ord­nung auf die ge­sam­te Bran­che er­streck­te.

Das löste ei­nen Auf­schrei bei den neu­en Post­dienst­un­ter­neh­men, al­so den Kon­kur­ren­ten der Post AG, aus, die das staat­li­che Vor­ge­hen für po­li­tisch fragwürdig hiel­ten und in den Ver­di-Min­destlöhnen ihr wirt­schaft­li­ches Aus sa­hen. Es gründe­te sich ei­ne neue Ge­werk­schaft, die Ge­werk­schaft der neu­en Brief- und Zu­stell­diens­ten (GN­BZ), die mit den neu­en Post­un­ter­neh­men, d.h. mit de­ren Ar­beit­ge­ber­ver­band, ei­nen (rei­nen) Min­dest­lohn­ta­rif­ver­trag ab­schloss, der Min­destlöhne ab 6,50 EUR vor­sah. Die­se (nied­ri­ge­ren) Min­destlöhne müss­ten sie zah­len, nicht die weit höhe­ren des Ver­di-Ta­rif­ver­trags, so das Ar­gu­ment.

Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­ge­ber­ver­band der neu­en Post­dienst­un­ter­neh­men gin­gen ge­gen die Ver­ord­nung, die den Min­dest­lohn des Ver­di-Ta­rif­ver­trags für die ge­sam­te Bran­che ver­bind­lich mach­te, so­dann vor Ge­richt.

Der Rechts­streit ging bis zum Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt, dass im Ja­nu­ar 2010 zu dem Er­geb­nis ge­lang­te, dass die Ver­ord­nung tatsächlich rechts­wid­rig war, weil das BMAS ei­nen Ver­fah­rens­feh­ler be­gan­gen hat­te und außer­dem ei­ne Er­stre­ckung nur auf gar nicht ta­rif­ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber er­fol­gen durf­te, während die neu­en Post­diens­te schließlich die Ta­rif­verträge der GN­BZ an­wen­de­ten (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/028 "Kein Min­dest­lohn für Kon­kur­ren­ten der Post").

Zwei­fel an der Ta­riffähig­keit der GN­BZ

Ob die neu­en Post­diens­te je­doch tatsächlich als an­der­wei­tig ta­rif­lich ge­bun­den gel­ten konn­ten, war zwei­fel­haft, weil die Ta­rif­verträge der GN­BZ mögli­cher­wei­se gar kei­ne wirk­sa­men Ta­rif­verträge wa­ren. Ta­rif­verträge dürfen nämlich nur von „rich­ti­gen“ Ge­werk­schaf­ten ge­schlos­sen wer­den, d.h. die Ge­werk­schaf­ten müssen ta­riffähig sein. Kri­te­ri­um hierfür ist u.a., dass die Ge­werk­schaf­ten Ge­gen­spie­ler der Ar­beit­ge­ber­sei­te sind, d.h. die Ar­beit­ge­ber­sei­te darf in ih­nen nichts zu sa­gen ha­ben.

Das war bei der GN­BZ je­doch fragwürdig. Sch­ließlich war der Ab­schluss des Min­dest­lohn­ta­rif­ver­trags ein­deu­tig im In­ter­es­se der Ar­beit­ge­ber, da der Ta­rif­ver­trag als ein Ar­gu­ment ge­gen die Gel­tung der höhe­ren Ver­di-Ta­riflöhne ins Feld geführt wer­den konn­te.

Das al­lein hätte je­doch nicht aus­ge­reicht, um die Ta­riffähig­keit der GN­BZ ernst­haft an­zu­zwei­feln. Da­ne­ben tauch­ten je­doch Schrei­ben des Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des der „neu­en“ Post­dienst­un­ter­neh­men auf, in de­nen dafür ge­wor­ben wur­de, der Ge­werk­schaft bei­zu­tre­ten. Es be­stand außer­dem der Ver­dacht, dass die Ge­werk­schaft in Wirk­lich­keit von der Ar­beit­ge­ber­sei­te ver­deckt fi­nan­ziert und ge­steu­ert wur­de, um ge­zielt den Ver­di-Min­dest­lohn zu un­ter­lau­fen. Des­we­gen er­mit­tel­te so­gar die Staats­an­walt­schaft, die das Ver­fah­ren je­doch später ein­stell­te.

Ver­di klag­te je­den­falls vor dem Ar­beits­ge­richt Köln auf Fest­stel­lung, dass die GN­BZ nicht ta­riffähig ist. So­wohl das Ar­beits­ge­richt (Be­schluss vom 30.10.2008, 14 BV 324/08) als auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln als zwei­te In­stanz (Be­schluss vom 20.05.2009, 9 TaBV 105/08) teil­ten die Einschätzung von Ver­di.

Die GN­BZ ist nicht ta­riffähig, so das LAG, weil schon die Sat­zung als Ziel der Ge­werk­schaft das Wohl der Post­dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men statt der ta­rif­li­chen Ver­tre­tung der Ar­beit­neh­mer fest­schreibt. Nach der Sat­zung sei außer­dem die (Eh­ren-)Mit­glied­schaft auch von Ar­beit­ge­bern in der Ge­werk­schaft möglich.

Vor al­lem ist die GN­BZ je­doch auch nach Auf­fas­sung des Ge­richts tatsächlich von Ar­beit­ge­bern fi­nan­ziert und be­ein­flusst und verstößt da­mit ge­gen das Er­for­der­nis der „Geg­ner­frei­heit“ (wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 09/147 "Die Ge­werk­schaft der Neu­en Brief- und Zu­stell­diens­te (GN­BZ) ist nicht ta­riffähig").

Ge­gen die­se Ent­schei­dung leg­te die GN­BZ und der Ar­beit­ge­ber­ver­band der Neu­en Brief- und Zu­stell­diens­te Rechts­be­schwer­de zum Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) un­ter dem Ak­ten­zei­chen 1 ABR 101/09 ein.

GN­BZ gibt sich ge­schla­gen

Wie aus dem BAG-Be­schluss vom 27.04.2010 (1 ABR 101/09) er­sicht­lich ist, ha­ben Ge­werk­schaft und Ar­beit­ge­ber­ver­band ih­re Rechts­be­schwer­de jetzt zurück­ge­nom­men. Da­mit ist der Be­schluss des LAG Köln rechts­kräftig, d.h. jetzt steht endgültig fest, dass die GN­BZ kei­ne Ge­werk­schaft ist.

Ar­beit­ge­ber­ver­band und GN­BZ ha­ben wohl zu­recht befürch­tet, dass das BAG nicht an­ders ent­schei­den würde als die Vor­in­stan­zen. Zu of­fen­sicht­lich wa­ren die An­zei­chen, die für ei­ne Ein­fluss­nah­me und Steue­rung der GN­BZ durch die Ar­beit­ge­ber­sei­te spra­chen.

Das Er­geb­nis ist vor dem Hin­ter­grund wich­tig, dass ei­ner „Schein­ge­werk­schaft“ Ein­halt ge­bo­ten wur­de. Un­mit­tel­ba­re po­si­ti­ve Aus­wir­kun­gen für die Ar­beit­neh­mer der neu­en Post­dienst­un­ter­neh­men er­ge­ben sich je­doch nicht. Denn durch die Ent­schei­dung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts ist klar­ge­stellt, dass der Ver­di-Ta­rif­ver­trag nicht als ver­bind­li­cher Min­dest­lohn in der Bran­che gilt.

Hier müss­te das BMAS ei­nen neu­en An­lauf neh­men und ei­ne recht­lich be­an­stan­dungs­freie Er­stre­ckungs­ver­ord­nung er­las­sen. Al­ler­dings hat der Präsi­dent des Ar­beit­ge­ber­ver­bands Neue Brief- und Zu­stell­diens­te (NBZ), Flo­ri­an Gers­ter, schon an­gekündigt, jetzt mit Ver­di über Ta­riflöhne zu ver­han­deln (DGB, Pres­se­mit­tei­lung vom 20.04.2010).

Die Exis­tenz ei­nes an­de­ren Min­dest­lohn-Ta­rif­ver­trags ne­ben dem Ver­di-Ta­rif­ver­trag wäre mitt­ler­wei­le übri­gens kein Aus­schluss­kri­te­ri­um für die Er­stre­ckungs­ver­ord­nung mehr. Der Ge­setz­ge­ber hat nämlich re­agiert und den jet­zi­gen § 7 Abs. 1 AEntG so for­mu­liert, dass aus­drück­lich die Er­stre­ckung ei­nes Min­dest­lohn-Ta­rif­ver­tra­ges auch auf an­der­wei­tig ta­rif­ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber er­fol­gen darf.

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Letzte Überarbeitung: 11. Juli 2018

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