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BAG stärkt Mei­nungs­frei­heit des Be­triebs­rats

Be­triebs­rä­te dür­fen sich all­ge­mein­po­li­tisch äu­ßern: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 17.03.2010, 7 ABR 95/08
Sitzung des Betriebsrats, Betriebsratsversammlung Par­tei­po­li­ti­sche Be­tä­ti­gung - Un­ter­las­sungs­an­spruch?
31.08.2010. Be­triebs­rä­te sind zwar das Sprach­rohr der Be­leg­schaft des Be­trie­bes, eben­so wie der Ar­beit­ge­ber ha­ben sie aber nach § 74 Abs.2 Satz 3 Be­trVG je­de par­tei­po­li­ti­sche Be­tä­ti­gung im Be­trieb zu un­ter­las­sen.

Er­laubt sind hin­ge­gen all­ge­mein­po­li­ti­sche Äu­ße­run­gen. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat nun über­ra­schend die Ab­gren­zung zwi­schen die­sen bei­den Va­ri­an­ten der po­li­ti­schen Mei­nungs­äu­ße­rung stär­ker zu Guns­ten des Be­triebs­ra­tes be­tont: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 17.03.2010, 7 ABR 95/08.

Wie dürfen sich Be­triebsräte zu po­li­ti­schen The­men äußern?

Be­triebsräte sol­len die In­ter­es­sen der Ar­beit­neh­mer des Be­triebs ver­tre­ten und müssen da­her recht­lich in der La­ge sein, ein of­fe­nes Wort zu führen. Das Ge­setz zieht hier al­ler­dings ei­ne Gren­ze: Gemäß § 74 Abs. 2 Satz 3 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) sind par­tei­po­li­ti­sche Betäti­gun­gen ge­ne­rell un­ter­sagt.

Da­bei ist es un­er­heb­lich, ob auf­grund ei­ner sol­chen Betäti­gung des Be­triebs­rats der Ar­beits­ab­lauf und/oder der „Be­triebs­frie­den“ gestört wird. Dem­ge­genüber sind po­li­ti­sche Betäti­gun­gen des Be­triebs­rats, die nicht spe­zi­ell als „par­tei­po­li­tisch“ zu be­wer­ten sind, nach dem Wort­laut des Ge­set­zes nur ver­bo­ten, wenn sie Ar­beits­ab­lauf oder Be­triebs­frie­den be­ein­träch­ti­gen (§ 74 Abs. 2 Satz 2 Be­trVG). Dies dürf­te al­ler­dings sel­ten der Fall und noch sel­te­ner nach­zu­wei­sen sein.

In Ab­wei­chung von die­sem Ge­set­zes­wort­laut ver­steht das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) den Be­griff der „par­tei­po­li­ti­schen“ Betäti­gung bis­her in ei­nem sehr wei­ten Sin­ne. Nach die­ser Recht­spre­chung sol­len auch Stel­lung­nah­men zu po­li­ti­schen Rich­tun­gen, Grup­pie­run­gen oder Be­we­gun­gen un­ter das Ver­bot der par­tei­po­li­ti­schen Betäti­gung fal­len.

Im Er­geb­nis die­ser BAG-Recht­spre­chung sind da­nach sämt­li­che po­li­ti­schen The­men als „par­tei­po­li­tisch“ an­zu­se­hen, d.h. es kommt auf ei­ne Ab­gren­zung zwi­schen „po­li­ti­schen“ und „par­tei­po­li­ti­schen“ Äußerun­gen des Be­triebs­rats letzt­lich gar nicht an: Sämt­li­che po­li­ti­schen Äußerun­gen und/oder Betäti­gun­gen sind un­ter­sagt, es sei denn, es han­delt sich um die von § 74 Abs. 2 Satz 3, zwei­ter Halb­satz Be­trVG aus­drück­lich vom Ver­bot aus­ge­nom­me­nen An­ge­le­gen­hei­ten ta­rif­po­li­ti­scher, so­zi­al­po­li­ti­scher, um­welt­po­li­ti­scher und wirt­schaft­li­cher Art, die den Be­trieb oder sei­ne Ar­beit­neh­mer un­mit­tel­bar be­tref­fen.

Das BAG ist we­gen die­ser Recht­spre­chung oft kri­ti­siert wor­den, da sie die grund­ge­setz­lich ga­ran­tier­te Mei­nungs­frei­heit der Be­triebs­rats­mit­glie­der zu weit­ge­hend ein­schränkt. Die Mei­nungs­frei­heit ist aber ein be­son­ders wich­ti­ges Grund­recht und durch Art. 5 Abs. 1 Grund­ge­setz (GG) in be­son­de­rer Wei­se geschützt.

Und nicht nur die Mit­glie­der des Be­triebs­rats können sich auf die Mei­nungs­frei­heit be­ru­fen, son­dern auch der Be­triebs­rat als Or­gan, falls er ei­ne Mei­nung im Zu­sam­men­hang mit der Wahr­neh­mung sei­ner ge­setz­li­chen Auf­ga­ben äußert. Auch die Mei­nungs­frei­heit des Be­triebs­rats wird da­her durch die­se BAG-Recht­spre­chung sehr weit­ge­hend verkürzt.

Vor kur­zem hat sich das BAG die­se Kri­tik end­lich zu Her­zen ge­nom­men und sei­ne bis­he­ri­ge Recht­spre­chung in ei­ner Grund­satz­ent­schei­dung geändert (Be­schluss vom 17.03.2010, 7 ABR 95/08).

Der Fall: Be­triebsrät ist ge­gen den Irak-Krieg und für Wahl­emp­feh­lun­gen

Der Ar­beit­ge­ber pro­du­ziert Brems­beläge für Pkw, Lkw und Schie­nen­fahr­zeu­ge und gehört ei­nem ame­ri­ka­ni­schen Kon­zern an, der un­ter an­de­rem Rüstungsgüter her­stellt.

Der Be­triebs­rat veröffent­lich­te 2003 im Be­trieb ei­ne mit „Nein zum Krieg“ über­schrie­be­ne Stel­lung­nah­me, die die Ar­beit­neh­mer da­zu auf­rief, sich dem Irak-Krieg zu wi­der­set­zen und den Präsi­den­ten der Ver­ei­nig­ten Staa­ten auf­zu­for­dern, den Krieg zu be­en­den.

Ei­ni­ge Jah­re später, im Ok­to­ber 2007, rief der Be­triebs­rat die Ar­beit­neh­mer des Be­triebs da­zu auf, sich an ei­ner Ab­stim­mung in Ham­burg über die dort ak­tu­ell um­strit­te­ne Einführung von Volks­ab­stim­mun­gen zu be­tei­li­gen. Durch Ver­weis auf ei­ne Ver­laut­ba­rung des Deut­schen Ge­werk­schafts­bun­des (DBG) gab der Be­triebs­rat außer­dem - in­di­rekt - die Emp­feh­lung, bei der Ab­stim­mung mit „Ja“ zu stim­men.

Dar­auf­hin zog der Ar­beit­ge­ber vor das Ar­beits­ge­richt mit dem Ziel, dem Be­triebs­rat die Un­ter­las­sung po­li­ti­scher Äußerun­gen zum Irak-Krieg so­wie zu an­de­ren Krie­gen und die Un­ter­las­sung von Wahl­emp­feh­lun­gen auf­zu­ge­ben. Hilfs­wei­se be­gehr­te er die ge­richt­li­che Fest­stel­lung, dass der Be­triebs­rat zu sol­chen Äußerun­gen nicht be­rech­tigt sei.

Das Ar­beits­ge­richts Lübeck gab dem Ar­beit­ge­ber in bei­den Streit­fra­gen Recht (Be­schluss vom 15.04.2008, 3 BV 165/07), wo­hin­ge­gen das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Schles­wig-Hol­stein mein­te, dass zu­min­dest die Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats zum Irak-Krieg zulässig war, da die­se auf­grund der Zu­gehörig­keit des Be­triebs zu ei­nem ame­ri­ka­ni­schen Rüstungs­her­stel­ler ei­nen „be­trieb­li­chen Be­zug“ hat­te (Be­schluss vom 30.09.2008, 2 TaBV 25/08 - wir be­rich­te­ten darüber in Ar­beits­recht ak­tu­ell 09/048: Ge­richt er­laubt Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats ge­gen den Irak-Krieg).

Die Ent­schei­dung: BAG will künf­tig stärker zwi­schen par­tei­po­li­ti­scher und all­ge­mein­po­li­ti­scher Betäti­gung un­ter­schei­den

Das BAG ent­schied noch wei­ter­ge­hend als das LAG zu­guns­ten des Be­triebs­rats, in­dem er die­sem in vol­lem Um­fang Recht gab: Es wies sämt­li­che Anträge des Ar­beit­ge­bers zurück. Da­mit hat­te sich der in ers­ter In­stanz noch recht er­folg­lo­se Be­triebs­rat von In­stanz zu In­stanz im­mer wei­ter ver­bes­sert.

Ein Teil der Anträge des Ar­beit­ge­bers wa­ren nach An­sicht des BAG be­reits zu un­be­stimmt und aus die­sem Grun­de un­zulässig, so dass über sie in der Sa­che nicht ent­schie­den wer­den konn­te.

Ein wei­te­rer Teil der vom Ar­beit­ge­ber ge­stell­ten Anträge, mit de­nen er die Ver­pflich­tung des Be­triebs­rats zur Un­ter­las­sung be­stimm­ter Äußerun­gen be­gehr­te, wies das BAG als un­be­gründet zurück, und zwar mit ei­ner et­was über­ra­schen­den Grund­satzüber­le­gung:

Verstöße des Be­triebs­rats ge­gen das Ver­bot der par­tei­po­li­ti­schen Betäti­gung sol­len, so das BAG, von vorn­her­ein kei­nen Un­ter­las­sungs­an­spruch des Ar­beit­ge­bers zur Fol­ge ha­ben. Da­mit hat das BAG sei­ne bis­he­ri­ge Recht­spre­chung geändert. Be­gründet wird die­ser Kurs­wech­sel mit der Vermögens­lo­sig­keit des Be­triebs­rats, die ei­ner Voll­stre­ckung ei­nes Un­ter­las­sungs­ti­tels im We­ge der Zwangs­geld­fest­set­zung ent­ge­gen­ste­he. Außer­dem könne der Ar­beit­ge­ber ja, so das BAG, bei wie­der­hol­ten Verstößen des Be­triebs­rats ei­nen An­trag auf Auflösung gemäß § 23 Abs. 1 Be­trVG stel­len.

Sch­ließlich wies das BAG auch die Anträge, mit de­nen der Ar­beit­ge­ber die feh­len­den Be­rech­ti­gung des Be­triebs­rats zu den um­strit­te­nen Äußerun­gen fest­ge­stellt wis­sen woll­te, als un­be­gründet zurück, da es kei­ne ver­bo­te­ne par­tei­po­li­ti­sche Betäti­gung er­ken­nen konn­te.

Hier­bei denkt das BAG laut darüber nach, sei­ne bis­he­ri­ge - wei­te - Aus­le­gung die­ses Be­griffs mit Rück­sicht auf die Mei­nungs­frei­heit des Be­triebs­rats zu ändern. Lei­der weicht das BAG ei­ner um­fas­sen­den Klärung die­ser Grund­satz­fra­ge aus, in­dem es fest­stellt, dass nicht je­de Äußerung all­ge­mein­po­li­ti­schen In­halts auch als „par­tei­po­li­tisch“ zu be­wer­ten ist. Da­her war auch der Auf­ruf des Be­triebs­rats, sich an der Volks­ab­stim­mung in Ham­burg zu be­tei­li­gen, ent­ge­gen der An­sicht des LAG Schles­wig-Hol­stein zulässig.

Fa­zit: Das BAG be­tont in der hier be­spro­che­nen Ent­schei­dung den Un­ter­schied zwi­schen ei­ner ge­ne­rell ver­bo­te­nen par­tei­po­li­ti­schen Betäti­gung und ei­ner all­ge­mein­po­li­ti­schen Betäti­gung, die nur un­ter den Vor­aus­set­zun­gen des § 74 Abs. 2 Satz 2 Be­trVG un­zulässig ist. Da­mit rückt es sei­ne Recht­spre­chung wie­der en­ger an den Ge­set­zes­wort­laut her­an, was rich­tig ist.

Vor­aus­sicht­lich wird das BAG da­her künf­tig deut­li­cher als bis­her zwi­schen ver­schie­de­nen Po­li­tik­fel­dern un­ter­schei­den und die Mei­nungs­frei­heit des Be­triebs­rats und der Be­triebs­rats­mit­glie­der da­her we­ni­ger stark be­schränken.

Ob­wohl sich das BAG letzt­lich um ei­ne kla­re Stel­lung­nah­me ge­drückt hat, wird es künf­tig wohl nur nur sol­che Äußerun­gen als „par­tei­po­li­tisch“ be­wer­ten, die ei­nen ein­deu­ti­gen Be­zug zu (be­stimm­ten) po­li­ti­schen Par­tei­en ha­ben. Das al­les stärkt nicht nur die Mei­nungs­frei­heit von Be­triebs­rats­mit­glie­dern, son­dern letzt­lich auch ih­ren Schutz vor Ab­mah­nun­gen und ih­ren be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz.

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Letzte Überarbeitung: 6. September 2015

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