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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/160

Em­me­ly II?

"Em­me­ly" und kein En­de?: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 2 Sa 509/10
Fingerzeigen auf Außenseiter Be­trug ist nicht nur straf­recht­lich re­le­vant - er kann auch den Ar­beits­platz kos­ten.
18.08.2010. Der erst nach drei In­stan­zen er­folg­rei­che Kampf der frist­los ent­las­se­nen Kas­sie­re­rin "Em­me­ly" hat die Öf­fent­lich­keit für den Pro­blem­kreis "au­ßer­or­dent­li­che Kün­di­gung we­gen Ba­ga­tell­de­lik­ten" sen­si­bi­li­siert.

Wei­te­re Ent­schei­dun­gen von ähn­li­chem Ka­li­ber mach­ten die Run­de. Der Sa­che nach un­ter­schie­den sie sich je­doch nur durch die je­wei­li­ge Ba­ga­tel­le.

Nun ist beim Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg ein Kün­di­gungs­recht­streit an­hän­gig, der die Dis­kus­si­on - je­den­falls in ju­ris­ti­schen Krei­sen - tat­säch­lich in­halt­lich be­rei­chern könn­te: LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ak­ten­zei­chen 2 Sa 509/10.

Straf­ta­ten zu Las­ten des Ar­beit­ge­bers sind im­mer noch kein Ka­va­liers­de­likt

Gemäß § 626 Abs.1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) kann ein Ar­beits­verhält­nis von Ar­beit­ge­ber oder Ar­beit­neh­mer aus wich­ti­gem Grund oh­ne Ein­hal­tung ei­ner Kündi­gungs­frist gekündigt wer­den, wenn Tat­sa­chen vor­lie­gen, auf Grund de­rer dem Kündi­gen­den un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­fal­les und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le die Fort­set­zung des Dienst­verhält­nis­ses bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist oder bis zu der ver­ein­bar­ten Be­en­di­gung des Dienst­verhält­nis­ses nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann.

Hin­ter die­ser auf den ers­ten Blick schwer zu durch­schau­en­den For­mu­lie­rung liegt der Ge­dan­ke, dass es kei­nen Grund gibt, der aus­nahms­los zur Kündi­gung be­rech­tigt. Stets ist zu prüfen, ob die Umstände des Ein­zel­falls ei­ne so dras­ti­sche Maßnah­me wie ei­ne frist­lo­se Kündi­gung recht­fer­ti­gen.

Das Vor­lie­gen ei­nes "wich­ti­gen Grun­des" prüft die Recht­spre­chung zwei­stu­fig.

Zunächst wird ge­fragt, ob ein be­stimm­ter Sach­ver­halt oh­ne die be­son­de­ren Ein­zel­fal­l­umstände "an sich", d.h. für sich al­lein be­trach­tet, als wich­ti­ger Grund ge­eig­net ist.

Die zwei­te Stu­fe be­steht in der Prüfung, ob bei Berück­sich­ti­gung die­ser Umstände und ei­ner Abwägung zwi­schen dem Fort­set­zungs­in­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers so­wie dem Be­en­di­gungs­in­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers die kon­kre­te Kündi­gung ob­jek­tiv ge­recht­fer­tigt ist.

Die Er­fah­rung lehrt, dass prak­tisch je­de Pflicht­ver­let­zung "an sich" ge­eig­net ist. Das mitt­ler­wei­le be­kann­tes­te und durch­aus auch aus­ge­spro­chen pra­xis­re­le­van­te Bei­spiel ist ei­ne Straf­tat des Ar­beit­neh­mers zu Las­ten des Ar­beit­ge­bers. Das Ta­ten wie Dieb­stahl, Un­ter­schla­gung und Be­trug den Ar­beits­ver­trag ver­letz­ten und "an sich" gu­te Gründe für ei­ne außer­or­dent­li­che, frist­lo­se Kündi­gung sind, dürf­te selbst­verständ­lich sein. Da­bei ist nach der ständi­gen Recht­spre­chung al­ler­dings die Höhe des Vermögens­scha­den un­be­deu­tend. Auch Klei­nig­kei­ten, d.h. "Ba­ga­tell­de­lik­te" sind da­mit kündi­gungs­re­le­vant.

Auf der zwei­ten Stu­fe, der In­ter­es­sen­abwägung, nei­gen Ge­rich­te da­zu, Straf­ta­ten so schwer zu ge­wich­ten, dass ih­nen we­nig ent­ge­gen­ge­hal­ten wer­den kann. Je­den­falls war das bis zum 10.06.2010 so. An die­sem Tag ge­wann "Em­me­ly" vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt (wir be­rich­te­ten über den Fall fort­lau­fend, un­ter an­de­rem in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/136 Em­me­ly ar­bei­tet wie­der als Kas­sie­re­rin.), ob­wohl sie ih­ren Ar­beit­ge­ber um 1,30 Eu­ro be­tro­gen hat­te.

Das Ur­teil hat­te Si­gnal­wir­kung. Es sind be­reits Fälle be­kannt ge­wor­den, in de­nen Ar­beit­ge­ber un­ter dem Ein­druck der Ent­schei­dung ih­re Kündi­gun­gen zurück­ge­nom­men ha­ben.

Fakt ist, dass die Pflicht­ver­let­zung "Straf­tat" ar­beits­recht­lich nicht an­ders be­han­delt wer­den soll­te als an­de­re Pflicht­ver­let­zun­gen. Nur ei­ne ge­wis­sen­haf­te Ein­zel­fall­abwägung ermöglicht ge­rech­te Ent­schei­dun­gen. Über die Maßstäbe die­ser Abwägung lässt sich natürlich vor­treff­lich von Fall zu Fall strei­ten. Ein mo­men­tan beim Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg anhängi­ger Fall (2 Sa 509/10) hat vor die­sem Hin­ter­grund durch­aus ge­wis­ses Po­ten­ti­al, zu "Em­me­ly II" zu wer­den.

Der Fall: langjähri­ge Bahn­mit­ar­bei­te­rin wird we­gen Vor­la­ge ei­ner Gefällig­keits­quit­tung frist­los ent­las­sen

Prak­tisch ihr ge­sam­tes Be­rufs­le­ben lang ar­bei­te­te die Kläge­rin als Mit­ar­bei­te­rin ei­nes Ser­vice-Teams der Bahn. Sie ist nach dem für sie ein­schlägi­gen Ta­rif­ver­trag or­dent­lich unkünd­bar.

An­fang Sep­tem­ber 2008 hat­te sie ihr 40-jähri­ges Dienst­ju­biläum. Die Ar­beit­neh­mer der Be­klag­ten wer­den von ihr bei Durchführung ei­ner Ju­biläums­fei­er fi­nan­zi­ell un­terstützt. Es wer­den bis zu 250,00 Eu­ro über­nom­men, wenn ei­ne Rech­nung für die Kos­ten der Fei­er vor­ge­legt wird. Un­mit­tel­bar vor dem Jah­res­tag er­hielt die Kläge­rin ei­nen An­ruf aus der kaufmänni­schen Ab­tei­lung, in der sie auf die­se Re­ge­lung hin­ge­wie­sen wur­de.

Mit­te Sep­tem­ber wur­de in ei­nem Neu­bran­den­bur­ger Re­stau­rant zu ei­nem Preis von rund 84 Eu­ro ge­fei­ert. Ei­ne Mit­ar­bei­te­rin ei­nes an­de­ren Un­ter­neh­mens der Bahn ver­schaff­te der Kläge­rin je­doch die Rech­nung ei­nes Ca­te­ring-Un­ter­neh­mens über ex­akt 250 Eu­ro.

Die­se Quit­tung leg­te die Kläge­rin der Be­klag­ten En­de Sep­tem­ber vor und lies sich 250,00 Eu­ro aus­zah­len.

Ge­rau­me Zeit später, im Mai 2009, wur­de ei­ne Mit­ar­bei­te­rin der Be­klag­ten von der Re­vi­si­ons­ab­tei­lung an­ge­ru­fen. Ihr wur­de mit­ge­teilt, dass der Ca­te­ring-Ser­vice ge­ge­be­nen­falls fal­sche Quit­tun­gen aus­ge­stellt hat und ge­be­ten, die ihr vor­lie­gen­den Rech­nun­gen zu über­sen­den.

Der Be­trug der Kläge­rin kam her­aus. Sie wur­de vom Ar­beit­ge­ber an­gehört und räum­te of­fen­bar so­fort ein, ei­ne fal­sche Quit­tung ab­ge­ge­ben zu ha­ben. Nach Anhörung des Be­triebs­rats, der die Zu­stim­mung zur Kündi­gung ver­wei­ger­te, kündig­te die Be­klag­te der Kläge­rin frist­los, hilfs­wei­se mit so­zia­ler Aus­lauf­frist.

Die Kläge­rin er­hob Kündi­gungs­schutz­kla­ge beim Ar­beits­ge­richt Ber­lin. Dort mach­te sie of­fen­bar kei­nen gu­ten Ein­druck. Sie trug sinn­gemäß vor, den Ein­druck ge­habt zu ha­ben, ihr Ver­hal­ten sei im Be­trieb üblich und mein­te trotz ei­nes deut­li­chen ge­richt­li­chen Hin­wei­ses, nichts falsch ge­macht zu ha­ben.

Das Ar­beits­ge­richt Ber­lin wies ih­re Kla­ge mit Ur­teil vom 04.02.2010 ab (Ar­beits­ge­richt Ber­lin, Ur­teil vom 04.02.2010, 24 Ca 12088/09). Der Bahn sei es un­zu­mut­bar, die Kläge­rin wei­ter zu beschäfti­gen. Sie ha­be trotz ei­nes Hin­wei­ses der kaufmänni­schen Ab­tei­lung be­wusst und ziel­ge­rich­tet ei­ne fal­sche Rech­nung vor­ge­legt. Nach Auf­fas­sung des Ge­richts konn­te selbst ih­re lan­ge Be­triebs­zu­gehörig­keit die In­ten­sität die­ser Pflicht­ver­let­zung nicht auf­wie­gen. Hin­zu kam ih­re Un­ein­sich­tig­keit.

Die Kläge­rin leg­te beim Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg un­ter dem Ak­ten­zei­chen 2 Sa 509/10 Be­ru­fung ein. Kur­ze Zeit später ge­wann ei­ne Ber­li­ner Kas­sie­re­rin mit Spitz­na­men "Em­me­ly" ver­gleichs­wei­se über­ra­schend nach zwei In­stan­zen vol­ler Nie­der­la­gen vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt.

LAG Ber­lin-Bran­den­burg: Wol­len sie sich nicht lie­ber im Gu­ten ei­ni­gen?

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg war in der münd­li­chen Ver­hand­lung eben­so wie das Ar­beits­ge­richt der Auf­fas­sung, dass ein Be­trug des Ar­beit­neh­mers zu Las­ten des Ar­beit­ge­bers an sich (al­so oh­ne Berück­sich­ti­gung der kon­kre­ten Fal­l­umstände) ein aus­rei­chen­der Grund für ei­ne Kündi­gung ist.

Bei sei­nen Über­le­gun­gen zur In­ter­es­sen­abwägung, al­so bei der Fra­ge, ob der Be­trug auch un­ter Berück­sich­ti­gung der kon­kre­ten Umstände ein aus­rei­chen­der Grund für ei­ne frist­lo­se Kündi­gung ist, be­zog sich das Ge­richt aus­drück­lich auf den Fall "Em­me­ly" und die da­zu er­gan­ge­ne Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­rich­tes (BAG). Da­bei wog es sehr viel dif­fe­ren­zier­ter und vor­sich­ti­ger als die ers­te In­stanz ab, de­ren Ent­schei­dung noch aus der Zeit vor "Em­me­ly" stammt.

Der langjähri­gen und un­be­an­stan­de­ten Be­triebs­zu­gehörig­keit kom­me ei­ne sehr ho­he Be­deu­tung zu. Der da­mit er­wor­be­ne Ver­trau­en­stat­be­stand könne nach der jüngs­ten Recht­spre­chung des BAG durch ei­nen ein­ma­li­gen Feh­ler nicht in je­dem Fall auf­ge­braucht wer­den. An­ders als bei der Kas­sie­rin Em­me­ly sei die straf­recht­lich re­le­van­te Pflicht­ver­let­zung hier nicht der Kerntätig­keit der Kläge­rin zu­zu­ord­nen. Zu­dem ha­be die Kläge­rin ihr Fehl­ver­hal­ten - eben­falls an­ders als Em­me­ly - so­fort zu­ge­ge­ben.

Deut­lich zu Las­ten der Kläge­rin spre­che aber, dass hier nicht um 1,30 Eu­ro, son­dern im­mer­hin um 166 Eu­ro be­tro­gen wur­de. Außer­dem ha­be sie die Quit­tung ganz be­wusst und ge­plant ein­ge­reicht, was auf ei­nen er­heb­li­chen Un­rechts­wil­len hin­deu­te.

Das LAG schlug den Par­tei­en ei­nen sehr in­ter­es­san­ten, je­den­falls auf den ers­ten Blick ge­recht wir­ken­den Ver­gleich vor: Kläge­rin und Be­klag­te soll­ten sich dar­auf ei­ni­gen, dass das Ar­beits­verhält­nis durch die frist­lo­se Kündi­gung auf­gelöst wor­den war und dass die Kläge­rin nun, nach mehr als ei­nem Jahr, wie­der ein­ge­stellt wer­den soll.

Trotz vier Wo­chen Be­denk­zeit konn­ten sich Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­me­rin je­doch of­fen­bar nicht mit die­ser Idee an­freun­den. Das LAG Ber­lin-Bran­den­burg hat nun an­gekündigt, am 16.09.2010 ei­ne Ent­schei­dung zu verkünden.

Fa­zit: Es wird span­nend. Die Abwägung des LAG lässt sich hören. Wie es schließlich ent­schei­den wird, lässt sich aus sei­nen Ausführun­gen je­doch noch nicht ab­lei­ten.

Die in nächs­ter Zeit ver­mut­lich zu­neh­men­den Be­zug­nah­men auf die "Pfand­bon"-Ent­schei­dung des BAG sind übri­gens bis auf Wei­te­res wohl et­was vor­ei­lig. Bis­her liegt nämlich nur ei­ne Pres­se­mit­tei­lung vor. Be­last­ba­re Aus­sa­gen über et­wai­ge Kon­se­quen­zen für die künf­ti­ge Recht­spre­chung dürf­ten je­doch erst an­hand der Ent­schei­dungs­be­gründung möglich sein.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­gründe schrift­lich ab­ge­fasst und veröffent­licht. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 16. September 2016

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