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BAG, Ur­teil vom 14.05.2013, 9 AZR 844/11

   
Schlagworte: Urlaubsabgeltung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 844/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 14.05.2013
   
Leitsätze: Hatte der Arbeitnehmer nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich die Möglichkeit, die Abgeltung des ihm zustehenden gesetzlichen Mindesturlaubs in Anspruch zu nehmen, und schließt er einen Vergleich mit einer Ausgleichsklausel, der zufolge sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis „erledigt“ sind, erfasst diese grundsätzlich auch den Urlaubsabgeltungsanspruch. Der Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung stehen weder § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG noch Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie entgegen.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Chemnitz, Urteil vom 20.12.2010 - 11 Ca 2485/10
Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 26.5.2011 - 9 Sa 86/11
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


9 AZR 844/11
9 Sa 86/11

Säch­si­sches
Lan­des­ar­beits­ge­richt

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

14. Mai 2013

UR­TEIL

Brüne, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 14. Mai 2013 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Brühler, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Krasshöfer und
 


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Dr. Suckow so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Ro­pertz und An­t­ho­ni­sen für Recht er­kannt:


1. Auf die Re­vi­si­on der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Säch­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 26. Mai 2011 - 9 Sa 86/11 - teil­wei­se auf­ge­ho­ben.

2. Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Chem­nitz vom 20. De­zem­ber 2010 - 11 Ca 2485/10 - wird ins­ge­samt zurück­ge­wie­sen.

3. Der Kläger wird ver­ur­teilt, an die Be­klag­te 6.856,29 Eu­ro nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 1. Ju­li 2011 zu zah­len.

4. Der Kläger hat die Kos­ten der Be­ru­fung und der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!


Tat­be­stand

Der Kläger ver­langt von der Be­klag­ten, ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub aus den Jah­ren 2006 bis 2009 ab­zu­gel­ten.

Der bei der Be­klag­ten beschäftig­te Kläger war in­fol­ge ei­nes Ar­beits­un­falls ab Ja­nu­ar 2006 ar­beits­unfähig krank. Mit Schrei­ben vom 26. No­vem­ber 2008 erklärte die Be­klag­te die or­dent­li­che Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zum 30. Ju­ni 2009. Im Kündi­gungs­rechts­streit schlos­sen die Par­tei­en am 29. Ju­ni 2010 vor dem Säch­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richt ei­nen Ver­gleich. In die­sem ver­ein­bar­ten sie ua. Fol­gen­des:


„1. Die Par­tei­en sind sich darüber ei­nig, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen ih­nen durch die or­dent­li­che per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung der Be­klag­ten vom 26.11.2008 mit Ab­lauf des 30.06.2009 auf­gelöst wur­de.

2. Die Be­klag­te zahlt an den Kläger für den Ver­lust des Ar­beits­plat­zes ei­ne ein­ma­li­ge So­zi­al­ab­fin­dung in Höhe von 11.500,00 € brut­to bis zum 15.07.2010.
 


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3. Mit Erfüllung des vor­lie­gen­den ge­richt­li­chen Ver­gleichs sind wech­sel­sei­tig al­le fi­nan­zi­el­len Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis, gleich ob be­kannt oder un­be­kannt, gleich aus wel­chem Rechts­grund, er­le­digt.“


Der Kläger hat die Rechts­auf­fas­sung ver­tre­ten, zum Zeit­punkt der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ha­be ihm ge­setz­li­cher Min­des­t­ur­laub von 70 Ar­beits­ta­gen zu­ge­stan­den, den die Be­klag­te ab­zu­gel­ten ha­be. We­gen sei­ner krank­heits­be­ding­ten Ar­beits­unfähig­keit sei der Ur­laubs­an­spruch nicht ver­fal­len. Der Ver­gleich vom 29. Ju­ni 2010 ste­he sei­nem Ab­gel­tungs­an­spruch nicht ent­ge­gen. Auf die Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs ha­be er nicht wirk­sam ver­zich­ten können.


Der Kläger hat zu­letzt be­an­tragt, 


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 6.543,60 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 5. Au­gust 2010 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat die Ab­wei­sung der Kla­ge mit der Be­gründung be­an­tragt, we­der das Bun­des­ur­laubs­ge­setz noch uni­ons­recht­li­che Vor­ga­ben sähen vor, dass ein Ar­beit­neh­mer zeit­lich un­be­grenzt Ur­laubs­ansprüche an­sam­meln könne. Im Übri­gen sei der Ab­gel­tungs­an­spruch des Klägers durch den Ver­gleich vom 29. Ju­ni 2010 „er­le­digt“.


Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Auf die Be­ru­fung des Klägers hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts - so­weit für das Re­vi­si­ons­ver­fah­ren von In­ter­es­se - ab­geändert und der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Zur Ab­wen­dung der Zwangs­voll­stre­ckung zahl­te die Be­klag­te am 1. Ju­li 2011 an den Kläger ei­nen Brut­to­be­trag iHv. 6.856,29 Eu­ro. Mit der vom Se­nat zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on be­gehrt die Be­klag­te die Wie­der­her­stel­lung der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung und die Rück­zah­lung des zur Ab­wen­dung der Zwangs­voll­stre­ckung ge­zahl­ten Be­trags.
 


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Ent­schei­dungs­gründe


I. Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge zu Un­recht statt­ge­ge­ben. Die Be­klag­te ist nicht ver­pflich­tet, an den Kläger Ur­laubs­ab­gel­tung iHv. 6.543,60 Eu­ro brut­to zu zah­len. Des­halb hat die Be­klag­te ge­gen den Kläger ei­nen An­spruch auf Rück­zah­lung. So­weit die Ur­laubs­ansprüche, de­ren Ab­gel­tung der Kläger ver­langt, zum Zeit­punkt der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht be­reits ver­fal­len wa­ren, steht dem Ab­gel­tungs­an­spruch die Aus­gleichs­klau­sel im ge­richt­li­chen Ver­gleich der Par­tei­en vom 29. Ju­ni 2010 ent­ge­gen.

1. Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG hat der Ar­beit­ge­ber Ur­laub ab­zu­gel­ten, wenn die­ser we­gen der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ganz oder teil­wei­se nicht mehr gewährt wer­den kann. Zum Zeit­punkt der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses am 30. Ju­ni 2009 hat­te der Kläger An­spruch auf 30 Ar­beits­ta­ge Min­des­t­ur­laub; die übri­gen Ur­laubs­ansprüche wa­ren gemäß § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG be­reits ver­fal­len.

a) Die langjähri­ge Ar­beits­unfähig­keit des Klägers hat das Ent­ste­hen von 9 Ur­laubs­ansprüchen in den Jah­ren 2006 bis 2009 im Um­fang von je­weils 20 Ar­beits­ta­gen zwar nicht ge­hin­dert, weil für das Ent­ste­hen des Ur­laubs­an­spruchs nach dem Bun­des­ur­laubs­ge­setz al­lein das Be­ste­hen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses Vor­aus­set­zung ist (vgl. BAG 18. Sep­tem­ber 2012 - 9 AZR 623/10 - Rn. 10). Die je­weils zu Be­ginn der Ka­len­der­jah­re 2006 und 2007 ent­stan­de­nen Ur­laubs­ansprüche sind je­doch gemäß § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG 15 Mo­na­te nach Ab­lauf des je­wei­li­gen Ur­laubs­jah­res ver­fal­len (BAG 7. Au­gust 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 32).


b) Der An­spruch des Klägers auf Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Ur­laubs aus 10 dem Jahr 2008 und des gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG auf die Hälf­te gekürz­ten ge­setz­li­chen Ur­laubs aus dem Jahr 2009 im Um­fang von zu­sam­men 30 Ar­beits­ta­gen ging in­fol­ge der Aus­gleichs­klau­sel im Ver­gleich vom 29. Ju­ni


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2010 un­ter. Bei der Ver­ein­ba­rung in Ziff. 3 des Ver­gleichs, wo­nach mit Erfüllung des Ver­gleichs wech­sel­sei­tig al­le fi­nan­zi­el­len Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis, gleich ob be­kannt oder un­be­kannt, gleich aus wel­chem Rechts­grund, er­le­digt sein soll­ten, han­delt es sich um ein kon­sti­tu­ti­ves ne­ga­ti­ves Schuld­an­er­kennt­nis (§ 397 Abs. 2 BGB). Die­ses hat auch den Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch des Klägers er­fasst. Dem steht we­der die Re­ge­lung des § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG ent­ge­gen, noch hin­dern uni­ons­recht­li­che Vor­ga­ben den Un­ter­gang des Ab­gel­tungs­an­spruchs.

aa) Wel­che Rechts­qua­lität und wel­chen Um­fang die Erklärun­gen in ei­ner Aus­gleichs­klau­sel ha­ben, ist durch Aus­le­gung zu er­mit­teln (BAG 21. Ju­ni 2011 - 9 AZR 203/10 - Rn. 20, BA­GE 138, 136). Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat dies un­ter­las­sen. Die Aus­le­gung von aty­pi­schen Wil­lens­erklärun­gen ist zwar grundsätz­lich Sa­che der Tat­sa­chen­ge­rich­te. Der Se­nat kann je­doch die ge­bo­te­ne Aus­le­gung selbst vor­neh­men, weil das Be­ru­fungs­ge­richt die er­for­der­li­chen Fest­stel­lun­gen ge­trof­fen hat und wei­te­rer Sach­vor­trag nicht zu er­war­ten ist (vgl. BAG 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 475/10 - Rn. 45). Aus­gleichs­klau­seln, die - wie die im Streit­fall - aus­drück­lich auch un­be­kann­te Ansprüche er­fas­sen sol­len und auf die­se Wei­se zu er­ken­nen ge­ben, dass die Par­tei­en an die Möglich­keit des Be­ste­hens ih­nen nicht be­wuss­ter Ansprüche ge­dacht und auch sie in den ge­woll­ten Aus­gleich ein­be­zo­gen ha­ben, sind re­gelmäßig als um­fas­sen­der An­spruchs­aus­schluss (BAG 23. Sep­tem­ber 2003 - 1 AZR 576/02 - zu II 1 a der Gründe, BA­GE 107, 347) in Form ei­nes kon­sti­tu­ti­ven ne­ga­ti­ven Schuld­an­er­kennt­nis­ses zu ver­ste­hen (vgl. BAG 20. April 2010 - 3 AZR 225/08 - Rn. 49, BA­GE 134, 111; 24. Ju­ni 2009 - 10 AZR 707/08 (F) - Rn. 24; 23. Fe­bru­ar 2005 - 4 AZR 139/04 - zu II 4 a bb der Gründe, BA­GE 114, 33). Ein sol­ches bringt al­le Ansprüche, die den Erklären­den be­kannt wa­ren oder mit de­ren Be­ste­hen zu rech­nen war, zum Erlöschen (BAG 9. Ju­ni 1998 - 9 AZR 43/97 - zu I 3 a der Gründe, BA­GE 89, 91). Dies schließt den An­spruch des Ar­beit­neh­mers auf Ur­laubs­ab­gel­tung ein (vgl. BAG 31. Mai 1990 - 8 AZR 132/89 - zu III 2 a der Gründe, BA­GE 65, 171).



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bb) § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG, dem zu­fol­ge von den Be­stim­mun­gen des Bun­des­ur­laubs­ge­set­zes, ab­ge­se­hen von § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG, zu Un­guns­ten des Ar­beit­neh­mers nicht ab­ge­wi­chen wer­den kann, steht dem Un­ter­gang des Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruchs nicht ent­ge­gen. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ging bis­lang da­von aus, der An­spruch ei­nes Ar­beit­neh­mers auf Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs sei ei­ner rechts­geschäft­li­chen Ver­ein­ba­rung der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en, in de­ren Fol­ge der Ar­beit­neh­mer im Ver­gleich zu der ge­setz­li­chen Re­ge­lung in § 7 Abs. 4 BUrlG schlech­ter ste­he, ent­zo­gen. Dies gel­te un­abhängig da­von, ob die Par­tei­en die Ver­ein­ba­rung vor (vgl. BAG 31. Mai 1990 - 8 AZR 132/89 - zu III 2 b der Gründe, BA­GE 65, 171) oder nach der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses (vgl. BAG 21. Ju­li 1978 - 6 AZR 1/77 - zu 3 b der Gründe) schlössen. Denn der Ab­gel­tungs­an­spruch ge­nieße den­sel­ben Schutz wie der Ur­laubs­an­spruch. An die­ser Recht­spre­chung, die an die vom Se­nat auf­ge­ge­be­ne Sur­ro­gats­theo­rie an­knüpfte, wird nicht fest­ge­hal­ten, so­weit die Ver­ein­ba­rung nach der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zu­stan­de kommt.


(1) § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG dient dem Schutz des Ar­beit­neh­mers. Die Vor­schrift stellt si­cher, dass der Ar­beit­neh­mer im lau­fen­den Ar­beits­verhält­nis An­spruch auf den ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub hat. Fer­ner si­chert die Be­stim­mung den An­spruch des Ar­beit­neh­mers auf Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs, den der Ar­beit­ge­ber we­gen der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht mehr gewähren kann. Der ge­setz­li­che Schutz­zweck würde ver­fehlt, wenn der An­spruch auf Ur­laub oder Ur­laubs­ab­gel­tung während des Ar­beits­verhält­nis­ses durch ei­ne rechts­geschäft­li­che Ver­ein­ba­rung der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en aus­ge­schlos­sen oder be­schränkt wer­den könn­te.


(2) Nach der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses be­darf es die­ses Schut­zes des Ar­beit­neh­mers nicht. Nach der neue­ren Recht­spre­chung des Se­nats ist der An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung ein rei­ner Geld­an­spruch und nicht mehr Sur­ro­gat des Ur­laubs­an­spruchs (vgl. zu­letzt BAG 19. Ju­ni 2012 - 9 AZR 652/10 - Rn. 23). Er ver­dankt sei­ne Ent­ste­hung zwar ur­laubs­recht­li­chen Vor­schrif­ten. Ist er ent­stan­den, bil­det er je­doch ei­nen Teil des Vermögens des



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Ar­beit­neh­mers und un­ter­schei­det sich in recht­li­cher Hin­sicht nicht von an­de­ren Zah­lungs­ansprüchen des Ar­beit­neh­mers ge­gen den Ar­beit­ge­ber. Des­halb un­terfällt der An­spruch auf Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs, wie an­de­re Zah­lungs­ansprüche des Ar­beit­neh­mers auch, grundsätz­lich ta­rif­li­chen Aus­schluss­fris­ten (vgl. BAG 21. Fe­bru­ar 2012 - 9 AZR 486/10 - Rn. 19). Macht der Ar­beit­neh­mer sei­nen An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber nicht vor Ab­lauf der Aus­schluss­frist gel­tend, wird die­ser von sei­ner Leis­tungs­pflicht frei. Recht­lich verhält es sich nicht an­ders, als wenn der Ar­beit­neh­mer, an­statt auf ei­ne frist­ge­rech­te Gel­tend­ma­chung zu ver­zich­ten, nach der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit kon­sti­tu­ti­ver Wir­kung an­er­kennt, dass er nicht länger In­ha­ber ei­nes Ab­gel­tungs­an­spruchs ist.

cc) Der Ein­wand des Klägers, der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch sei für den Ar­beit­neh­mer ähn­lich un­ver­zicht­bar wie der An­spruch auf ta­rif­li­che Rech­te, ver­hilft sei­ner Kla­ge nicht zum Er­folg. Gemäß § 4 Abs. 3 TVG sind zwar Ab­ma­chun­gen, die von ta­rif­li­chen Re­ge­lun­gen ab­wei­chen, nur zulässig, so­weit sie durch den Ta­rif­ver­trag ge­stat­tet sind oder ei­ne Ände­rung der Re­ge­lun­gen zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers ent­hal­ten. Auch ist nach § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG ein Ver­zicht auf ent­stan­de­ne ta­rif­li­che Rech­te nur in ei­nem von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ge­bil­lig­ten Ver­gleich zulässig. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat je­doch kei­ne Ta­rif­bin­dung der Par­tei­en fest­ge­stellt und aus­geführt, der Kläger ha­be ei­ne sol­che we­der be­haup­tet noch dar­ge­tan, wel­che Ta­rif­verträge auf das Ar­beits­verhält­nis An­wen­dung fin­den.


dd) Die Aus­gleichs­klau­sel in Ziff. 3 des Ver­gleichs steht im Ein­klang mit Art. 7 Abs. 2 der Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (ABl. EU L 299 vom 18. No­vem­ber 2003 S. 9; im Fol­gen­den: Ar­beits­zeit­richt­li­nie). Der Se­nat kann den Streit­fall ab­sch­ließend ent­schei­den, oh­ne den Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on nach Art. 267 AEUV um ei­ne Vor­ab­ent­schei­dung zu er­su­chen. Gemäß Art. 7 Abs. 1 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie tref­fen die Mit­glied­staa­ten die er­for­der­li­chen Maßnah­men, da­mit je­der Ar­beit­neh­mer ei­nen be­zahl­ten Min­dest­jah­res­ur­laub von vier Wo­chen nach Maßga­be der Be­din­gun-
 


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gen für die In­an­spruch­nah­me und die Gewährung erhält, die in den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder nach den ein­zel­staat­li­chen Ge­pflo­gen­hei­ten vor­ge­se­hen sind. Der be­zahl­te Min­dest­jah­res­ur­laub darf nach Art. 7 Abs. 2 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie außer bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht durch ei­ne fi­nan­zi­el­le Vergütung er­setzt wer­den. Der Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on, dem nach Art. 267 AEUV die Auf­ga­be der ver­bind­li­chen Aus­le­gung von Richt­li­ni­en zu­ge­wie­sen ist, hat wie­der­holt ent­schie­den, die­se uni­ons­recht­li­chen Gewähr­leis­tun­gen stünden ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung grundsätz­lich nicht ent­ge­gen, die für die Ausübung der Ansprüche aus Art. 7 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie Mo­da­litäten vor­se­he, die den Ver­lust die­ser Ansprüche um­fass­ten. Al­ler­dings hat er die­se grundsätz­li­che Fest­stel­lung an die Vor­aus­set­zung ge­knüpft, dass der Ar­beit­neh­mer, der ei­nen Rechts­ver­lust er­lei­de, zu­vor die tatsächli­che Möglich­keit ge­habt ha­ben müsse, die ihm von der Richt­li­nie ver­lie­he­nen Ansprüche aus­zuüben (vgl. EuGH 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 26). Uni­ons­recht steht da­mit der An­nah­me, der Ar­beit­neh­mer dürfe über die ihm durch Art. 7 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie ver­lie­he­nen Rech­te im We­ge des Rechts­geschäfts verfügen, nicht ent­ge­gen, so­fern der Ar­beit­neh­mer die tatsächli­che Möglich­keit hat­te, die Ansprüche vor de­ren Un­ter­gang zu rea­li­sie­ren. Dies ist der Fall, wenn Ar­beits­ver­trags­par­tei­en erst nach der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­ne Aus­gleichs­klau­sel ver­ein­ba­ren, die auch ei­nen (et­wai­gen) Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch des Ar­beit­neh­mers er­fasst.


ee) Die Fra­ge, ob die Aus­gleichs­klau­sel in Ziff. 3 des Ver­gleichs Drit­te bin­det, ins­be­son­de­re die Bun­des­agen­tur für Ar­beit, ist für die Ent­schei­dung des Streit­falls oh­ne Be­deu­tung. Je­den­falls im Verhält­nis zur Be­klag­ten konn­te der Kläger auf die Ab­gel­tung sei­nes Ur­laubs im We­ge ei­nes kon­sti­tu­ti­ven ne­ga­ti­ven Schuld­an­er­kennt­nis­ses ver­zich­ten.


2. Der Kläger ist gemäß § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO ver­pflich­tet, an die Be­klag­te 6.856,29 Eu­ro nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 1. Ju­li 2011 zu zah­len.


a) So­weit ein Be­ru­fungs­ur­teil auf­ge­ho­ben wird, ist der Kläger gemäß § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO auf An­trag des Be­klag­ten zur Er­stat­tung des von
 


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die­sem auf­grund des Ur­teils Ge­zahl­ten oder Ge­leis­te­ten zu ver­ur­tei­len. Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind erfüllt. Die Be­klag­te zahl­te am 1. Ju­li 2011 an den Kläger zur Ab­wen­dung der Zwangs­voll­stre­ckung aus dem Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts 6.856,29 Eu­ro.


b) Der Kläger hat den zurück­zu­zah­len­den Be­trag gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB mit fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz zu ver­zin­sen. Der Zins­lauf be­gann am 1. Ju­li 2011. Stellt ei­ne Par­tei ei­nen Er­stat­tungs­an­trag nach § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO, so ist der An­spruch gemäß § 717 Abs. 3 Satz 4 Halbs. 1 ZPO als zur Zeit der Zah­lung rechtshängig ge­wor­den an­zu­se­hen. Dies gilt un­abhängig da­von, dass die Be­klag­te den An­trag auf Er­stat­tung nicht zum Zeit­punkt der Zah­lung am 1. Ju­li 2011, son­dern erst mit Schrift­satz vom 3. Ja­nu­ar 2012 ge­stellt hat (§ 717 Abs. 3 Satz 4 Halbs. 2 ZPO).


II. Der Kläger hat die Kos­ten der Be­ru­fung und der Re­vi­si­on zu tra­gen (§ 91 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO).


Brühler 

Krasshöfer 

Suckow

Ro­pertz 

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