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LAG Nürnberg, Urteil vom 12.06.2012, 7 Sa 33/12
Schlagworte: | Kündigung: Zweiwochenfrist, Kündigung: Außerordentlich, Kirchenarbeitsrecht | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Nürnberg | |
Aktenzeichen: | 7 Sa 33/12 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 12.06.2012 | |
Leitsätze: | § 626 Absatz 2 BGB erlaubt es dem Arbeitgeber nicht, das rechtskräftige Ende eines parallel laufenden beamtenrechtlichen Disziplinarverfahrens gegen den nebenberuflich tätigen Arbeitnehmer abzuwarten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber vom Disziplinarverfahren keine weitere Aufklärung erwartet, sondern die der späteren Kündigung zugrunde liegenden Tatsachen bereits bekannt waren. Der Umstand, dass der Dienstherr den selben Sachverhalt (sexueller Missbrauch einer Minderjährigen) zum Anlass nimmt, das Beamtenverhältnis auf disziplinarrechtlichem Weg zu beenden, stellt für sich gesehen keinen Kündigungsgrund dar. | |
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Nürnberg - 3 Ca 284/11 | |
LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG
7 Sa 33/12
3 Ca 284/11
(Arbeitsgericht Nürnberg)
Datum: 12.06.2012
Rechtsvorschriften: § 626 Absatz 2 BGB
Leitsatz:
§ 626 Absatz 2 BGB erlaubt es dem Arbeitgeber nicht, das rechtskräftige Ende eines pa-rallel laufenden beamtenrechtlichen Disziplinarverfahrens gegen den nebenberuflich täti-gen Arbeitnehmer abzuwarten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber vom Dis-ziplinarverfahren keine weitere Aufklärung erwartet, sondern die der späteren Kündigung zugrunde liegenden Tatsachen bereits bekannt waren. Der Umstand, dass der Dienstherr den selben Sachverhalt (sexueller Missbrauch einer Minderjährigen) zum Anlass nimmt, das Beamtenverhältnis auf disziplinarrechtlichem Weg zu beenden, stellt für sich gesehen keinen Kündigungsgrund dar.
Urteil:
I. Das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 07.11.2011 wird abgeändert.
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 23.12.2010 nicht aufgelöst worden ist.
2. Der Weiterbeschäftigungsantrag wird abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 1/4, die Beklagte trägt 3/4.
III. Die Revision wird zugelassen.
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Tatbestand:
Die Parteien streiten um den Bestand eines Arbeitsverhältnisses sowie Weiterbeschäftigung.
Der Kläger, geboren am 10.11.1950, war bei der Beklagten seit 12.09.1982 nebenberuflich als Kirchenmusiker beschäftigt. Im Hauptberuf war der Kläger als Beamter im Schuldienst des Freistaates Bayern tätig.
Auf das Arbeitsverhältnis finden die Arbeitsvertragsrichtlinien der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayerns (AVR - Bayern) Anwendung.
Bei der Beklagten besteht eine Mitarbeitervertretung.
Der Kläger nahm vor einer Reihe von Jahren eine sexuelle Beziehung zu einem damals minderjährigen Mädchen, einer Schülerin, auf. Die Beziehung dauerte bis nach dem Abitur des Mädchens. Dabei fanden sexuelle Handlungen auch in der Kirche statt.
2005 zeigte die ehemalige Schülerin den Kläger an. Das strafrechtliche Verfahren wurde wegen Verjährung eingestellt.
Die Beklagte stellte den Kläger mit Wirkung vom 13.06.2006 von der Arbeitsleistung frei. Hintergrund hierfür waren die sexuellen Kontakte des Klägers zu der minderjährigen Schülerin.
Eine Vergütung erhielt der Kläger seit Januar 2008 nicht mehr.
Der Kläger wurde 2006 aus dem staatlichen Schuldienst entfernt. Er erhob hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach. Das Verwaltungsgericht wies die Klage 2008 ab.
Die Süddeutsche Zeitung berichtete in ihrer Ausgabe vom 25.10.2010 über die Angelegenheit.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am 15.12.2010 verworfen bzw. zurückgewiesen. Hierüber berichtete die Fränkische Landeszeitung am 16.12.2010.
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Mit Schreiben vom 23.12.2010 hörte die Beklagte die Mitarbeitervertretung zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers an. Wegen des Wortlauts der Anhörung wird auf das in Kopie vorgelegte Schreiben Bezug genommen (Bl. 46/47 d.A.).
Mit Schreiben vom 23.12.2010, das dem Kläger am 28.12.2010 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung.
Der Kläger erhob hiergegen am 14.01.2011 die vorliegende Klage zum Arbeitsgericht Nürnberg.
Das Arbeitsgericht Nürnberg wies die Klage mit Urteil vom 07.11.2011 ab. Das Urteil wurde dem Kläger am 30.12.2011 zugestellt.
Der Kläger legte gegen das Urteil am 13.01.2012 Berufung ein und begründete sie am 14.02.2012.
Der Kläger rügt, die Mitarbeitervertretung sei nicht ordnungsgemäß angehört worden. Er macht geltend, die Zweiwochenfrist des § 626 Absatz 2 BGB sei nicht eingehalten worden. Der gesamte kündigungsrelevante Sachverhalt sei der Beklagten seit Oktober 2010 infolge des Berichts in der Süddeutschen Zeitung bekannt gewesen.
Der Kläger trägt vor, der Regionalbischof habe Ende Oktober 2010 alle Dekanate angeschrieben und angewiesen, ihn nicht mehr als Musiker in eine Kirche zu lassen. Wegen dieser Maßnahme habe er ein kirchengerichtliches Verfahren in Gang gesetzt, das noch nicht beendet sei.
Der Kläger beantragt:
I. Das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 07.11.2011 – Aktenzeichen 3 Ca 284/11 – wird aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 23.12.2010, zugegangen am 28.12.2010, sein Ende gefunden hat.
III. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger entsprechend des Arbeitsvertrags vom 01.03.1986 als Kirchenmusiker bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits weiterzubeschäftigen.
IV. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
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Die Beklagte beantragt:
Die Berufung wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt vor, das Dienstverhältnis habe seit Jahren wegen des Vorwurfs einer sexuellen Beziehung zu einer minderjährigen Schülerin geruht. Der Dekan, Herr H… S…, habe am 16.12.2010 aus dem Artikel in der FLZ erfahren, dass der Kläger wegen der se-xuellen Beziehung rechtskräftig aus dem Beamtenverhältnis beim Freistaat Bayern ent-fernt worden sei.
Der Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 25.10.2010 habe den bekannten Sachverhalt zusammengefasst. Der Artikel habe ausdrücklich klargestellt, dass erst Anfang 2011 mit einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs zu rechnen sei.
Die Beklagte führt aus, ihr Kündigungsentschluss habe maßgeblich auf der rechtskräftigen Entfernung des Klägers aus dem staatlichen Schuldienst gegründet. Sie habe ihre Ent-scheidung über den Verbleib des Klägers im Kirchendienst von der Entscheidung der staatlichen Gerichte über den Verbleib des Klägers im Staatsdienst abhängig machen können. Es wäre für sie nur schwer vermittelbar gewesen, einen Organisten wegen Missbrauchs einer Minderjährigen aus dem Kirchendienst zu entfernen, obwohl der Betroffene im staatlichen Schuldienst weiterhin Kinder und Jugendliche unterrichten dürfe.
Die Beklagte macht geltend, seien die vom Kläger eingeräumten sexuellen Missbrauchshandlungen an einer Minderjährigen an sich nicht hinnehmbar, gelte dies insbesondere, wenn dieser Missbrauch in einer Kirche erfolge. Dies sei mit dem Verkündungsauftrag der Kirche nicht in Übereinstimmung zu bringen. Die Tätigkeit des Klägers als Kirchenmusiker stehe mit dem Verkündungsauftrag im direkten Zusammenhang. Ihr Verkündungsauftrag sei durch das Verhalten des Klägers in schwerwiegendster Weise beeinträchtigt und geschädigt worden.
Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
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Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Absatz 1 und 2 c) ArbGG, sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Absatz 1 ArbGG.
Die Berufung ist teilweise begründet.
Die mit Schreiben vom 23.12.2010 ausgesprochene Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht beendet, § 626 BGB, § 13 Absatz 7 AVR.
Dabei kann dahinstehen, ob die Mitarbeitervertretung vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß beteiligt worden ist. Die Kündigung ist aus anderen Gründen unwirksam.
Zwar liegt ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB bzw. § 13 Absatz 7 AVR vor, der die Beklagte an sich berechtigte, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung zu beenden.
Wegen der Voraussetzungen für das Vorliegen eines wichtigen Grundes wird auf die aus-ührlichen und zutreffenden Gründe des Ersturteils Bezug genommen, § 69 Absatz 2 ArbGG.
Die Beklagte stützt die Kündigung zum einen darauf, dass der Kläger zu einer minderjährigen Schülerin eine sexuelle Beziehung aufgenommen hat, wobei nach den Ausführungen der Beklagten erschwerend hinzukomme, dass der Kläger sexuelle Handlungen auch in der Kirche ausgeführt habe. Zum anderen begründet die Beklagte ihre Kündigung damit, dass der Kläger wegen seines Verhaltens rechtskräftig aus dem staatlichen Schuldienst entlassen worden sei.
Sowohl die Aufnahme der sexuellen Beziehung und das Verhalten in der Kirche als auch die Entlassung aus dem Schuldienst sind unstreitig.
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Der Umstand, dass der Kläger aus dem Schuldienst entlassen worden ist, kann die Kündigung der Beklagten allerdings nicht begründen.
Der Bestand des Beamtenverhältnisses war für das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien unstreitig nicht Voraussetzung.
Es sind auch sonst keine Umstände ersichtlich, insbesondere von der Beklagten nicht vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass die Beendigung des Dienstverhältnisses beim Freistaat Bayern störende Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis hatte.
Eine disziplinarrechtliche Maßnahme durch einen Dritten lässt sich insbesondere nicht mit dem Fall einer strafrechtlichen Verurteilung vergleichen. Begeht ein Arbeitnehmer Hand-lungen, die nicht nur eine schwere arbeitsvertragliche Pflichtverletzung darstellen, sondern auch strafrechtlich relevant sind, führt eine strafrechtliche Verurteilung wegen des vorgeworfenen Sachverhalts zu einem weitergehenden Makel, der den Unwertgehalt des Verhaltens erhöht und dem Kündigungsgrund eine neue Qualität verschafft. Dies ergibt sich aus dem Ziel des Strafrechts, das darin besteht, den Schutz bestimmter Rechtsgüter wie beispielsweise Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum sowie Sicherheit und Integrität des Staates und elementarer Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen und durchzusetzen.
Diese Überlegungen treffen für ein disziplinarrechtliches Verfahren nicht zu. Hier trifft der Dienstherr nach bestimmten, im Dienstrecht begründeten Kriterien für sich die Entscheidung, dass der Beamte nicht mehr im Staatsdienst beschäftigt werden kann. Grundlage hierfür sind (in Bayern) die Regelungen der §§ 34 und 47 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG). Gemäß § 34 BeamtStG haben Beamtinnen und Beamte sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen und die übertragenen Aufgaben uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Ihr Verhalten muss dabei der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordert. Gemäß § 47 BeamtStG begehen Beamtinnen und Beamte ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist dabei nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.
Welche Disziplinarmaßnahme angesichts eines konkreten dienstrechtlichen Verstoßes
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angemessen ist, richtet sich nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich nach den objektiven und subjektiven Handlungsmerkmalen der Verfehlung sowie der Eigenart und Bedeutung der dienstlichen Verletzung, den besonderen Umständen der Tatbegehung, Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Ergibt eine Gesamtwürdigung dieser Umstände, dass ein aktiver Beamter durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, so ist er aus dem Dienst zu entfernen. Ein solcher Vertrauensverlust ist anzunehmen, wenn auf Grund der Gesamtbetrachtung der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig seiner Dienstpflicht nicht ordnungsgemäß nachkommen, oder wenn der Beamte durch sein Verhalten eine erhebliche, nicht wieder gutzumachende Ansehensbeeinträchtigung des Berufsbeamtentums herbeigeführt hat (vgl. Verwaltungsgericht Ansbach - Urteil vom 05.05.2010 - AN 6b D 09.02384; juris).
Grundlage für die Entscheidung des Dienstherrn, ob der betreffende Beamte im Dienst verbleiben kann oder nicht, sind somit die öffentlichrechtlichen Bestimmungen gerade für das Berufsbeamtentum. Hiermit ist nicht ein allgemein wirkendes Unwerturteil wie in einem Strafverfahren verbunden. Vielmehr sind die disziplinarrechtlichen Vorgaben in ihrer Funktion mit § 626 Absatz 1 BGB bzw. § 13 Absatz 7 AVR vergleichbar. Beide dienen als Entscheidungsgrundlage für die Frage, ob das Arbeits- bzw. Dienstverhältnis fortgesetzt werden kann. Diese Entscheidung ist indes vom jeweiligen Berechtigten in eigener Verantwortung zu treffen. Das bedeutet, dass lediglich das Verhalten des Arbeitnehmers Grundlage für eine Kündigung sein kann, nicht aber die Frage, welche dienst- oder arbeitsrechtlichen Konsequenzen ein anderer hieraus ableitet.
Die Beklagte stützt die Kündigung darüber hinaus auf den vom Kläger begangenen sexuellen Missbrauch. Es unterliegt keinem Zweifel, dass dieses Verhalten die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung rechtfertigt. Auch insoweit wird auf die zutreffenden Gründe des Erstgerichts Bezug genommen, § 69 Absatz 2 ArbGG. Weitere Ausführungen hierzu sind nicht veranlasst. Insbesondere hat der Kläger insoweit keine Einwendungen gegen das Urteil erhoben.
Die Beklagte hat indes die Zweiwochenfrist des § 626 Absatz 2 BGB nicht eingehalten.
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Die Frist des § 626 Absatz 2 BGB beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist dann der Fall, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht. Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt. Solange er die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, läuft die Ausschlussfrist nicht an. Geht es um ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers, darf der Arbeitgeber den Aus- oder Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten und in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt kündigen. Der Arbeitgeber kann sich auch für die Überlegung, ob er eine Verdachtskündigung aussprechen soll, am Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens orientieren. Dort gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können die Annahme verstärken, der Vertragspartner habe die Pflichtverletzung begangen (vgl. Bundesarbeitsgericht - Urteil vom 27.01.2011 - 2 AZR 825/09 = AP Nr. 49 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung und NZA 2011/798).
Es wird nicht verkannt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Arbeitgeber jedenfalls mit dem Ausspruch einer (Verdachts)Kündigung abwarten kann, bis eine rechtskräftige (strafrechtliche) Verurteilung vorliegt. Der Arbeitgeber gebe damit zu erkennen, dass er die Kündigung nur auf einen zur rechtskräftigen Verurteilung im Strafverfahren ausreichenden Tatsachenstand stützen wolle und die rechtskräftige Verurteilung aus seiner Sicht ein eigenes Gewicht habe, das sie zu einem Element des Kündigungsgrundes mache (vgl. Bundesarbeitsgericht - Urteil vom 05.06.2008 - 2 AZR 25/07 = AP Nr. 45 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung und ZTR 2009/39).
Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist diese Rechtsprechung nicht entsprechend anzuwenden, wenn gegen den Arbeitnehmer nicht ein Strafverfahren, sondern ein Disziplinarverfahren anhängig ist. Insoweit wird zunächst auf die obigen Ausführungen zum unterschiedlichen Charakter eines Straf- und eines Disziplinarverfahrens Bezug genommen.
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Etwas anderes könnte allenfalls dann geltend, wenn der Arbeitgeber vom Disziplinarverfahren neue Erkenntnisse erwartete. Dies ist vorliegend indes nicht der Fall. Die Beklagte hat eine Tatkündigung ausgesprochen. Die Beklagte hat nicht dargelegt, wann sie von welchen Verfehlungen des Klägers Kenntnis erhalten hat. Offensichtlich waren diese indes zu einem frühen Zeitpunkt bekannt, da der Kläger wegen der Vorfälle bereits seit 13.06.2006 freigestellt war. Die Beklagte beruft sich insbesondere nicht darauf, sie habe vom Disziplinarverfahren neue Erkenntnisse erwartet. Sie macht vielmehr geltend, es wäre für sie nur schwer zu vermitteln gewesen, einen Organisten wegen Missbrauchs einer Minderjährigen aus dem Kirchendienst zu entfernen, obwohl der Betroffene im staatlichen Schuldienst weiterhin Kinder und Jugendliche unterrichten dürfe.
Diese Ausführungen stehen im Widerspruch zu den Gründen, mit denen die Beklagte die Kündigung im Übrigen rechtfertigt. Die Beklagte hat sich dahin eingelassen, dass nach ihrem kirchlichen Selbstverständnis das Verhalten des Klägers ihren Verkündungsauftrag in schwerwiegender Weise beeinträchtigt habe. Logisch zu Ende gedacht würde das Argument der Beklagten, warum sie mit der Kündigung gewartet habe, bedeuten, dass der Kläger weiterbeschäftigt würde, wenn er nicht aus dem Staatsdienst entfernt worden wäre. Ein solches Ergebnis wäre mit dem von der Beklagten selbst vorgetragenen Verkündungsauftrag, den sie mit der Kündigung schützen wollte, schlechterdings nicht zu vereinbaren. Vor diesem Hintergrund wäre es im Gegenteil nicht zu vermitteln, wenn der Kläger von der Kirche weiterbeschäftigt würde, weil ein anderer Rechtsträger das Verhalten des Klägers aufgrund anderer Maßstäbe anders würdigte. Gerade die unterschiedlichen Wertmaßstäbe sind Inhalt des Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrechts der Kirchen. Es oblag daher der Beklagten, hiervon innerhalb des zeitlichen Rahmens des § 626 Absatz 2 BGB Gebrauch zu machen.
Da die Kündigung somit nicht in der gesetzlichen Frist des § 626 Absatz 2 BGB ausgesprochen wurde, ist sie unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht beendet.
Insoweit war das Ersturteil abzuändern.
Die Berufung hat indes keinen Erfolg, soweit der Kläger die Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens geltend macht.
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Seit der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Februar 1985 entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass der gekündigte Arbeitnehmer einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Kündigungsprozesses hat, wenn die Kündigung nach der gerichtlichen Entscheidung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Vorliegend ist zwar, wie oben festgestellt wurde, die Kündigung der Beklagten unwirksam. In diesem Fall überwiegt regelmäßig das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers das Interesse des Arbeitgebers. Es liegen indes Umstände vor, aus denen sich vorliegend ein überwiegendes Interesse der Beklagten daran ergibt, den Kläger derzeit nicht zu beschäftigen. Der Beklagten ist es, wie der Kläger selbst vorträgt, aufgrund der Anweisung des Regionalbischofs untersagt, den Kläger als Kirchenmusiker in eine Kirche zu lassen. Hierüber ist ein kirchenrechtliches Verfahren anhängig. Angesichts des Umstandes, dass die Revision zuzulassen ist und der Kläger gegen die Anweisung des Regionalbischofs ein kirchengerichtliches Verfahren angestrengt hat, das noch nicht beendet ist, besteht nach Auffassung des erkennende Gerichts ein überwiegendes Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung des Klägers.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Absatz 1 ZPO.
Die Revision war gemäß § 72 Absatz 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. Die grundsätzliche Bedeutung ergibt sich aus der Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber auch das Ende eines parallel laufenden Disziplinarverfahrens abwarten darf bzw. ob die für das Strafverfahren entwickelten Grundsätze auch bei einer Tatkündigung gelten.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil kann die Beklagte Revision einlegen.
Für den Kläger ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
Die Revision muss innerhalb einer Frist von einem Monat eingelegt und innerhalb einer Frist von zwei Monaten begründet werden.
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Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils.
Die Revision muss beim
Bundesarbeitsgericht
Hugo-Preuß-Platz 1
99084 Erfurt
Postanschrift:
Bundesarbeitsgericht
99113 Erfurt
Telefax-Nummer:
0361 2636-2000
eingelegt und begründet werden.
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
Es genügt auch die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten der Gewerkschaften und von Vereinigungen von Arbeitgebern sowie von Zusammenschlüssen solcher Verbände
- für ihre Mitglieder
- oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder
oder
von juristischen Personen, deren Anteile sämtlich in wirtschaftlichem Eigentum einer der im vorgenannten Absatz bezeichneten Organisationen stehen,
- wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt
- und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
In jedem Fall muss der Bevollmächtigte die Befähigung zum Richteramt haben.
Zur Möglichkeit der Revisionseinlegung mittels elektronischen Dokuments wird auf die Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesarbeitsgericht vom 09.03.2006 (BGBl. I, 519 ff.) hingewiesen. Einzelheiten hierzu unter http://www.bundesarbeitsgericht.de/.
Weißenfels
Vorsitzende Richterin
am Landesarbeitsgericht
Zeiler
ehrenamtlicher Richter
Eichler
ehrenamtlicher Richter
Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:
Dr. Martin Hensche Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hensche@hensche.de | |
Christoph Hildebrandt Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hildebrandt@hensche.de | |
Nina Wesemann Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht Kontakt: 040 / 69 20 68 04 wesemann@hensche.de |