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BAG, Ur­teil vom 28.02.2006, 1 AZR 460/04

   
Schlagworte: Gewerkschaft: Mitgliederwerbung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 1 AZR 460/04
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 28.02.2006
   
Leitsätze:

1. Die Mitgliederwerbung ist Teil der durch Art 9 Abs 3 Satz 1 GG geschützten Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften.

2. Gewerkschaften haben grundsätzlich ein Zutrittsrecht zu Betrieben, um dort auch durch betriebsfremde Beauftragte um Mitglieder zu werben.

3. Das Zutrittsrecht ist nicht unbeschränkt. Ihm können die verfassungsrechtlich geschützten Belange des Arbeitgebers, insbesondere dessen Interesse an einem störungsfreien Arbeitsablauf und der Wahrung des Betriebsfriedens entgegenstehen. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Frankfurt, Urteil vom 5.06.2003, 1/10 Ca 12731/02
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 1.04.2004, 11 Sa 1092/03
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


1 AZR 460/04
11 Sa 1092/03
Hes­si­sches
Lan­des­ar­beits­ge­richt

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

28. Fe­bru­ar 2006

UR­TEIL

Klapp, Ur­kunds­be­am­ter

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Ers­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 28. Fe­bru­ar 2006 durch die Präsi­den­tin des Bun­des­ar­beits­ge­richts Schmidt, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Kreft und Lin­sen­mai­er so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Münzer und Pla­tow für Recht er­kannt:
 


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1. Auf die Re­vi­si­on der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 1. April 2004 - 11 Sa 1092/03 - auf­ge­ho­ben.


2. Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Frank­furt am Main vom 5. Ju­ni 2003 - 1/10 Ca 12731/02 - ab­geändert.

Die Kla­ge wird ab­ge­wie­sen.

Die Kläge­rin hat die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob die be­klag­te Ar­beit­ge­be­rin in ei­nem ih­rer Be­trie­be den Zu­tritt be­triebs­frem­der Be­auf­trag­ter ei­ner Ge­werk­schaft zum Zwe­cke der Mit­glie­der­wer­bung dul­den muss.


Die Be­klag­te, ein Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men, beschäftigt bun­des­weit ins­ge­samt ca. 7.500 Ar­beit­neh­mer. Ih­re Be­trie­be fal­len in die Ta­rif­zuständig­keit der kla­gen­den Ge­werk­schaft. Die­se hat in den Be­trie­ben ei­ne nicht näher fest­ge­stell­te An­zahl von Mit­glie­dern. Vor dem Hin­ter­grund ei­nes von der Be­klag­ten be­ab­sich­tig­ten er­heb­li­chen Per­so­nal­ab­baus ver­pflich­te­te sie das Ar­beits­ge­richt Frank­furt am Main am 29. No­vem­ber 2002 im We­ge ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung da­zu, den Be­auf­trag­ten der Kläge­rin am 2. De­zem­ber 2002 in der Zeit von 11.30 Uhr bis 14.00 Uhr den Zu­tritt zum Be­trieb in B zu ge­stat­ten, um dort vor der Kan­ti­ne an die Be­triebs­an­gehöri­gen Flugblätter zu ver­tei­len.


Die Kläge­rin hat mit der vor­lie­gen­den Kla­ge für sich das Recht in An­spruch ge­nom­men, im B Be­trieb der Be­klag­ten auch künf­tig während der Mit­tagsöff­nungs­zei­ten der Kan­ti­ne durch be­triebs­frem­de Be­auf­trag­te Wer­be­maßnah­men durch­zuführen. Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, hier­zu sei sie gemäß Art. 9 Abs. 3 GG be­rech­tigt. Ge­werk­schaft­li­che Mit­glie­der­wer­bung müsse dort er­fol­gen, wo die Ar­beit­neh­mer rol­len­spe­zi­fisch als sol­che auf­träten. Dies ge­sche­he im Be­trieb. Störun­gen der Be­triebs­abläufe oder des Be­triebs­frie­dens sei­en nicht zu be­sor­gen. Sie könne nicht dar­auf ver­wie­sen wer­den, die Mit­glie­der­wer­bung aus­sch­ließlich durch ih­re im Be­trieb or­ga­ni­sier­ten Mit­glie­der vor­zu­neh­men. Die­se befürch­te­ten Re­pres­sa­li­en und hätten sie des-
 


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halb ge­be­ten, die Wer­be­maßnah­men durch außer­be­trieb­li­che Be­auf­trag­te durch­zuführen.

Die Kläge­rin hat erst­in­stanz­lich be­an­tragt, 


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, den Zu­tritt von be­triebs­frem­den Be­auf­trag­ten der Kläge­rin in den Be­trieb B zu ge­stat­ten, da­mit die­se Ge­werk­schafts­be­auf­trag­ten während der Mit­tagsöff­nungs­zei­ten der Kan­ti­ne dort un­ter Ver­mei­dung jeg­li­cher Störung des Be­triebs­frie­dens und der Be­triebs­abläufe Mit­glie­der­wer­bung be­trei­ben können durch Über­rei­chung von Broschüren, For­mu­la­ren und Flugblättern.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Kläge­rin könne zu Zwe­cken der Mit­glie­der­wer­bung kein Zu­tritts­recht für be­triebs­frem­de Be­auf­trag­te be­an­spru­chen. Hierfür feh­le es an ei­ner Rechts­grund­la­ge.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Es hat da­bei im verkünde­ten Ur­teils­te­nor die Wor­te „un­ter Ver­mei­dung jeg­li­cher Störung des Be­triebs­frie­dens und der Be­triebs­abläufe“ er­satz­los weg­ge­las­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on be­gehrt die Be­klag­te wei­ter­hin die Ab­wei­sung der Kla­ge.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist be­gründet. Die Vor­in­stan­zen ha­ben der Kla­ge zu Un­recht ent­spro­chen. Die Kläge­rin hat zwar grundsätz­lich das Recht, im B Be­trieb der Be­klag­ten auch durch be­triebs­frem­de Be­auf­trag­te um Mit­glie­der zu wer­ben. Der von ihr ge­stell­te Kla­ge­an­trag er­fasst aber auch Fall­ge­stal­tun­gen, in de­nen dem ge­werk­schaft­li­chen Zu­tritts­recht be­rech­tig­te In­ter­es­sen der Be­klag­ten ent­ge­gen­ste­hen können und sich der gel­tend ge­mach­te An­spruch als un­be­gründet er­weist. Dies hat die Ab­wei­sung des ge­sam­ten An­trags zur Fol­ge.


A. Die Re­vi­si­on hat nicht be­reits des­halb Er­folg, weil das Lan­des­ar­beits­ge­richt das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts we­gen Ver­let­zung des § 308 Abs. 1 ZPO hätte abändern müssen. Der Ver­s­toß ge­gen § 308 Abs. 1 ZPO ist ge­heilt.

I. Al­ler­dings hat das Ar­beits­ge­richt bei sei­ner Ent­schei­dung § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ver­letzt.
 


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1. Nach die­ser Be­stim­mung ist das Ge­richt nicht be­fugt, ei­ner Par­tei et­was zu­zu­spre­chen, was nicht be­an­tragt ist. Das ist Aus­druck der den Zi­vil­pro­zess be­herr­schen­den Dis­po­si­ti­ons­ma­xi­me. Das Ge­richt darf der kla­gen­den Par­tei we­der quan­ti­ta­tiv mehr noch qua­li­ta­tiv et­was an­de­res zu­er­ken­nen. Ein in den Vor­in­stan­zen er­folg­ter Ver­s­toß ge­gen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist noch vom Re­vi­si­ons­ge­richt von Amts we­gen zu be­ach­ten (BAG 13. Ju­ni 1989 - 1 ABR 4/88 - BA­GE 62, 100, zu B I 2 der Gründe; Zöller/Voll­kom­mer ZPO 25. Aufl. § 308 Rn. 6 mwN).


2. Vor­lie­gend hat das Ar­beits­ge­richt der Kläge­rin mehr zu­ge­spro­chen als die­se be­an­tragt hat­te.

a) Der von der Kläge­rin vor dem Ar­beits­ge­richt ge­stell­te Kla­ge­an­trag ent­hielt aus­drück­lich die Pas­sa­ge „un­ter Ver­mei­dung jeg­li­cher Störung des Be­triebs­frie­dens und der Be­triebs­abläufe“. Da­bei han­del­te es sich um ei­ne Ein­schränkung des Klag­be­geh­rens. Die Be­klag­te soll­te zur Ge­stat­tung des Zu­tritts nur mit der Maßga­be ver­ur­teilt wer­den, dass jeg­li­che Störung des Be­triebs­frie­dens und des Be­triebs­ab­laufs ver­mie­den würde. Dem steht nicht ent­ge­gen, dass die­se Ein­schränkung nicht hin­rei­chend be­stimmt im Sin­ne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO war.


b) Das Ar­beits­ge­richt hat im Te­nor sei­nes Ur­teils die ein­schränken­de Maßga­be ent­fal­len las­sen. Es han­delt sich da­bei nicht um ei­ne of­fen­ba­re Un­rich­tig­keit des Ur­teils iSv. § 319 Abs. 1 ZPO, die „je­der­zeit“ und da­mit auch noch während des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens durch den Se­nat von Amts we­gen zu be­rich­ti­gen wäre. Of­fen­bar ist ei­ne Un­rich­tig­keit nur dann, wenn sie sich für den Außen­ste­hen­den aus dem Zu­sam­men­hang des Ur­teils oder aus Vorgängen bei Er­lass und Verkündung oh­ne wei­te­res er­gibt (vgl. Zöller/Voll­kom­mer § 319 Rn. 5 mwN). Das ist vor­lie­gend nicht der Fall. Es kann nicht zu­verlässig da­von aus­ge­gan­gen wer­den, das Ar­beits­ge­richt ha­be im Ur­teils­te­nor die ein­schränken­de Maßga­be ver­se­hent­lich weg­ge­las­sen. Für ei­ne Be­rich­ti­gung des Ur­teils ers­ter In­stanz war da­her kein Raum.


II. Der Ver­s­toß ge­gen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO wur­de in zwei­ter In­stanz ge­heilt. 

1. Die Ver­let­zung des § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann nach all­ge­mei­ner Auf­fas­sung in Recht­spre­chung und Schrift­tum ge­heilt wer­den, wenn die kla­gen­de Par­tei sich die an­ge­foch­te­ne Ent­schei­dung im zwei­ten Rechts­zug durch den An­trag auf Zurück­wei­sung der Be­ru­fung zu Ei­gen macht (vgl. BGH 20. April 1990 - V ZR 282/88 - BGHZ 111, 158; 12. Ja­nu­ar 1994 - VIII ZR 165/92 - BGHZ 124, 351; Zöller/Voll­kom­mer


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§ 308 Rn. 7; vgl. auch BAG 13. Ju­ni 1989 - 1 ABR 4/88 - BA­GE 62, 100, zu B I 3 der Gründe).

2. Von ei­ner sol­chen Hei­lung ist hier aus­zu­ge­hen. Die Kläge­rin hat vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt vor­be­halt­los die Zurück­wei­sung der Be­ru­fung der Be­klag­ten be­an­tragt. Da­mit hat sie sich das erst­in­stanz­li­che Ur­teil zu Ei­gen ge­macht. Die Be­klag­te hat hier­ge­gen kei­ne Ein­wen­dun­gen er­ho­ben. Sie hat ins­be­son­de­re we­der die Ver­let­zung des § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO gerügt noch sich ge­gen die in dem An­trag auf Zurück­wei­sung der Be­ru­fung et­wa lie­gen­de Kla­ge­er­wei­te­rung ge­wandt.

B. Die Re­vi­si­on ist be­gründet. Die Vor­in­stan­zen ha­ben der Kla­ge zu Un­recht ent­spro­chen. Die Kla­ge ist in der Fas­sung, die sie im zwei­ten Rechts­zug er­fah­ren hat, zwar zulässig, aber un­be­gründet. Mit ihr wird ein sog. Glo­balan­trag ver­folgt, der auch Fall­ge­stal­tun­gen um­fasst, in de­nen das von der Kläge­rin gel­tend ge­mach­te Zu­gangs­recht nicht be­steht.

I. Der An­trag ist zulässig, be­darf aber der Aus­le­gung. 


1. Die Kla­ge ist we­der auf die Ver­ur­tei­lung zur Vor­nah­me ei­ner ver­tret­ba­ren oder un­ver­tret­ba­ren Hand­lung iSv. §§ 887, 888 ZPO noch auf die Ab­ga­be ei­ner Wil­lens­erklärung iSv. § 894 Abs. 1 ZPO, son­dern auf die Ver­ur­tei­lung der Be­klag­ten zur Dul­dung von Hand­lun­gen der Kläge­rin iSv. § 890 Abs. 1 ZPO ge­rich­tet. Zwar soll die Be­klag­te nach dem Wort­laut des Kla­ge­an­trags ver­ur­teilt wer­den, den Zu­tritt von Be­auf­trag­ten der Kläge­rin „zu ge­stat­ten“. Dies legt den Schluss na­he, die Be­klag­te sol­le be­stimm­te Hand­lun­gen vor­neh­men oder Erklärun­gen ab­ge­ben. Ein sol­ches Verständ­nis würde aber dem Be­gehr der Kläge­rin nicht ge­recht. Die­ser geht es, wie ihr ge­sam­tes Vor­brin­gen er­gibt, in ers­ter Li­nie dar­um, selbst im Be­trieb der Be­klag­ten in B Hand­lun­gen vor­neh­men zu können und hier­an durch die Be­klag­te nicht ge­hin­dert zu wer­den. Ihr An­trag ist da­hin zu ver­ste­hen, dass die Be­klag­te ver­ur­teilt wer­den soll, den Zu­tritt be­triebs­frem­der, von ihr be­auf­trag­ter Per­so­nen in den Be­trieb B zu dul­den, da­mit die­se dort während der Mit­tagsöff­nungs­zei­ten der Kan­ti­ne Mit­glie­der­wer­bung be­trei­ben können. Ei­ne Zwangs­voll­stre­ckung hätte gemäß § 890 ZPO durch Verhängung von Ord­nungs­geld für je­den Fall der Zu­wi­der­hand­lung ge­gen die Dul­dungs­pflicht zu er­fol­gen. Da­bei würde sich die Ver­pflich­tung zur Dul­dung nicht not­wen­dig im Un­ter­las­sen der Be­hin­de­rung des Zu­tritts erschöpfen. Viel­mehr können da­mit je nach den kon­kre­ten Umständen Hand­lungs­pflich­ten ver­bun­den sein, wie et­wa das Öff­nen von Türen, die
 


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ei­nem un­ge­hin­der­ten Zu­gang im We­ge ste­hen, oder die An­wei­sung an das Pfor­ten­per­so­nal, die Ge­werk­schafts­be­auf­trag­ten her­ein­zu­las­sen.


2. In die­ser Aus­le­gung ist der An­trag hin­rei­chend be­stimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.


a) Anträge, mit de­nen die Dul­dung von Hand­lun­gen ver­langt wird, müssen die zu dul­den­den Hand­lun­gen so ge­nau be­zeich­nen, dass der in An­spruch Ge­nom­me­ne im Fal­le ei­ner dem An­trag ent­spre­chen­den ge­richt­li­chen Ent­schei­dung ein­deu­tig er­ken­nen kann, was von ihm ver­langt wird. Die­se Prüfung darf grundsätz­lich nicht in das Voll­stre­ckungs­ver­fah­ren ver­la­gert wer­den. Des­sen Auf­ga­be ist es zu klären, ob der Schuld­ner ei­ner Ver­pflich­tung nach­ge­kom­men ist, nicht, wie die­se aus­sieht (vgl. BAG 17. Ju­ni 1997 - 1 ABR 10/97 -, zu B 1 der Gründe; 3. Ju­ni 2003 - 1 ABR 19/02 - BA-GE 106, 188, zu B I 1 der Gründe; 29. April 2004 - 1 ABR 30/02 - BA­GE 110, 252, zu B III 1 b aa der Gründe). Gleich­wohl sind bei Un­ter­las­sungs- und Dul­dungs­anträgen bis­wei­len ge­ne­ra­li­sie­ren­de For­mu­lie­run­gen un­ver­meid­lich. An­dern­falls würde die Möglich­keit, ge­richt­li­chen Rechts­schutz zu er­lan­gen, durch pro­zes­sua­le An­for­de­run­gen un­zu­mut­bar er­schwert, wenn nicht gar be­sei­tigt (vgl. BAG 25. Au­gust 2004 - 1 AZB 41/03 - AP Be­trVG 1972 § 23 Nr. 41 = EzA ArbGG 1979 § 78 Nr. 7, zu B II 2 c bb der Gründe). Dem­ent­spre­chend sind die Ge­rich­te auch ver­pflich­tet, Anträge nach Möglich­keit so aus­zu­le­gen, dass ei­ne Sach­ent­schei­dung er­ge­hen kann.


b) Hier­nach genügt der An­trag den Er­for­der­nis­sen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

aa) Pro­zes­su­al unschädlich ist zunächst der Um­stand, dass die Mo­da­litäten des be­gehr­ten Zu­gangs nicht noch näher be­schrie­ben sind. Im­mer­hin ist der An­trag da­hin kon­kre­ti­siert, dass es um den Be­trieb B so­wie um die Mit­tagsöff­nungs­zei­ten der dor­ti­gen Kan­ti­ne geht. Zur An­zahl der Ge­werk­schafts­be­auf­trag­ten und zur Häufig­keit der Be­su­che verhält sich der An­trag al­ler­dings nicht. Er ist aber da­hin zu ver­ste­hen, dass bei­des von der Ent­schei­dung der Kläge­rin abhängen soll. Da­mit er­fasst der An­trag grundsätz­lich ei­ne un­be­schränk­te An­zahl von Ge­werk­schafts­be­auf­trag­ten so­wie sämt­li­che Ta­ge, an de­nen die Kan­ti­ne geöff­net ist.

bb) Auch der im An­trag an­ge­ge­be­ne Zweck des be­gehr­ten Zu­tritts - „da­mit die­se ... Mit­glie­der­wer­bung be­trei­ben können durch Über­rei­chung von Broschüren, For­mu­la­ren und Flugblättern“ - hat nicht des­sen Un­be­stimmt­heit zur Fol­ge. Zwar wird für die Be­klag­te im Ein­zel­fall nicht oh­ne wei­te­res zu­verlässig er­kenn­bar sein, zu wel­chem Zweck die Ge­werk­schafts­be­auf­trag­ten den Zu­gang be­geh­ren. Der An­trag ist aber da-

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hin zu ver­ste­hen, dass die Erklärung der Ge­werk­schafts­be­auf­trag­ten, sie be­gehr­ten den Zu­tritt zum Zwe­cke der Mit­glie­der­wer­bung durch Über­rei­chung von Broschüren, For­mu­la­ren und Flugblättern aus­rei­chen soll. Das er­scheint hin­rei­chend be­stimmt. Ob ei­ne sol­che Erklärung genügt, um ein Zu­gangs­recht zu be­gründen, ist kei­ne Fra­ge der Be­stimmt­heit, son­dern der Be­gründet­heit des An­trags.


II. Ent­ge­gen der Be­ur­tei­lung des Lan­des­ar­beits­ge­richts ist die Kla­ge un­be­gründet. Al­ler­dings be­sitzt die Kläge­rin grundsätz­lich ei­nen An­spruch, auch in den Räum­lich­kei­ten der Be­klag­ten durch be­triebs­frem­de Be­auf­trag­te Mit­glie­der­wer­bung zu be­trei­ben. Der Kla­ge­an­trag er­fasst aber auch Fall­ge­stal­tun­gen, in de­nen der An­spruch nicht be­steht. Da ei­ne Auf­spal­tung des Be­gehrs der Kläge­rin nach Fall­ge­stal­tun­gen nicht möglich ist, war der An­trag ins­ge­samt ab­zu­wei­sen.

1. Ge­werk­schaf­ten ha­ben grundsätz­lich ei­nen An­spruch dar­auf, in Be­trie­ben auch mit be­triebs­frem­den Be­auf­trag­ten Mit­glie­der­wer­bung zu be­trei­ben, so­weit über­wie­gen­de schützens­wer­te In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers und Be­triebs­in­ha­bers nicht ent­ge­gen­ste­hen. Dies gilt auch dann, wenn Ar­beit­neh­mer des Be­triebs be­reits Mit­glie­der der Ge­werk­schaft sind.

a) Das be­trieb­li­che Zu­gangs­recht be­triebs­frem­der Ge­werk­schafts­be­auf­trag­ter zum Zwe­cke der Mit­glie­der­wer­bung ist im Schrift­tum um­strit­ten (vgl. Brock Ge­werk­schaft­li­che Betäti­gung im Be­trieb nach Auf­ga­be der Kern­be­reichs­leh­re durch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt S. 210 ff.; DKK-Berg 9. Aufl. § 2 Rn. 45 ff.; Kraft/Fran­zen GK-Be­trVG 8. Aufl. § 2 Rn. 95 f.; Ri­char­di Be­trVG 10. Aufl. § 2 Rn. 151 ff.). Teil­wei­se wird es grundsätz­lich be­jaht (vgl. insb. Däubler Ge­werk­schafts­rech­te im Be­trieb 10. Aufl. Rn. 407 ff.; ders. DB 1998, 2014, 2016 f.; ErfK/Die­te­rich 6. Aufl. Art. 9 GG Rn. 40; ErfK/Ei­se­mann § 2 Be­trVG Rn. 8; Fit­ting 23. Aufl. § 2 Rn. 86; Scholz in Maunz/Dürig GG Stand Au­gust 2005 Art. 9 Rn. 252; AK-GG Kitt­ner/Schiek 3. Aufl. Stand Au­gust 2002 Art. 9 GG Rn. 122; wohl auch Schaub/Koch § 215 Rn. 8; Ha­nau Das Ar­beits­recht der Ge­gen­wart Bd. 17 S. 37 ff., 55; aA aber ders. in AuR 1983, 257, 260; vgl. auch ders. in ZIP 1996, 447), teil­wei­se grundsätz­lich ver­neint (so Ri­char­di aaO; Kem­per in v. Man­goldt/Klein/St­arck GG 5. Aufl. Art. 9 Rn. 115; Brock S. 229 ff.). Ein wei­te­rer Teil des Schrift­tums hält ein Zu­gangs­recht be­triebs­frem­der Ge­werk­schafts­be­auf­trag­ter nur dann für ge­ge­ben, wenn die be­tref­fen­de Ge­werk­schaft im Be­trieb noch nicht durch Mit­glie­der ver­tre­ten ist (Kraft/Fran­zen § 2 Rn. 95, 96; MünchArbR/Löwisch/Rieb­le
 


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2. Aufl. § 246 Rn. 163; Klos­terk­em­per Das Zu­gangs­recht der Ge­werk­schaf­ten zum Be­trieb S. 151 ff.).

b) Auch in der Recht­spre­chung ist die Fra­ge nicht ab­sch­ließend geklärt. 


aa) Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat zunächst ein Zu­gangs­recht be­triebs­frem­der Ge­werk­schafts­be­auf­trag­ter zum Zwe­cke der Mit­glie­der­wer­bung so­gar für ka­ri­ta­ti­ve kirch­li­che Ein­rich­tun­gen iSv. § 118 Abs. 2 Be­trVG be­jaht. Es hat die­sen An­spruch un­mit­tel­bar auf Art. 9 Abs. 3 GG und den dort ver­an­ker­ten Schutz der Ko­ali­tio­nen gestützt (14. Fe­bru­ar 1978 - 1 AZR 280/77 - BA­GE 30, 122). Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat die­se Ent­schei­dung je­doch mit Be­schluss vom 17. Fe­bru­ar 1981 (- 2 BvR 384/78 - BVerfGE 57, 220) auf­ge­ho­ben und un­ter Hin­weis auf die sog. Kern­be­reichs­for­mel fest-ge­stellt, dass das Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts das ver­fas­sungsmäßige Recht der be­klag­ten Ar­beit­ge­be­rin aus Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 der Wei­ma­rer Reichs­ver­fas­sung ver­let­ze. Nach der Auf­he­bung und Zurück­ver­wei­sung ent­schied das Bun­des­ar­beits­ge­richt am 19. Ja­nu­ar 1982 (- 1 AZR 279/81 - BA­GE 37, 331), dass Ge­werk­schaf­ten in kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen je­den­falls dann kei­nen un­mit­tel­bar aus Art. 9 Abs. 3 GG ab­leit­ba­ren An­spruch auf Dul­dung ge­werk­schaft­li­cher Wer­be-, In­for­ma­ti­ons-und Be­treu­ungstätig­keit durch be­triebs­frem­de Ge­werk­schafts­be­auf­trag­te ha­ben, wenn sie in die­sen Ein­rich­tun­gen be­reits durch be­triebs­an­gehöri­ge Mit­glie­der ver­tre­ten sind.

bb) Die Funk­ti­on und Be­deu­tung der Kern­be­reichs­for­mel, mit der das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt im Be­schluss vom 17. Fe­bru­ar 1981 (- 2 BvR 384/78 - BVerfGE 57, 220, zu C II 4 a der Gründe) maßgeb­lich ar­gu­men­tiert hat­te, hat es mit Be­schluss vom 14. No­vem­ber 1995 klar­ge­stellt. Es hat sich da­zu „we­gen der - nicht fern­lie­gen­den - Mißverständ­nis­se, zu de­nen die frühe­ren Ent­schei­dun­gen geführt hat­ten, ver­an­laßt“ ge­se­hen (BVerfG 14. No­vem­ber 1995 - 1 BvR 601/92 - BVerfGE 93, 352, zu B I 3 c der Gründe; vgl. da­zu Sachs JuS 1996, 931). Da­nach be­schränkt die Kern­be­reichs­for­mel den Schutz­be­reich des Art. 9 Abs. 3 GG nicht von vorn­her­ein auf den Be­reich des Un­erläss­li­chen, son­dern be­schreibt al­lein die Gren­ze, die der Ge­setz­ge­ber bei der ein-fach­recht­li­chen Aus­ge­stal­tung der Ko­ali­ti­ons­frei­heit zu be­ach­ten hat. Dem­ent­spre­chend ist die Mit­glie­der­wer­bung nicht nur in dem Maße grund­recht­lich geschützt, in dem sie für die Er­hal­tung und die Si­che­rung des Be­stands der Ge­werk­schaft un­erläss­lich ist. Der Grund­recht­schutz er­streckt sich viel­mehr auf al­le Ver­hal­tens­wei­sen, die ko­ali­ti­ons­spe­zi­fisch sind (BVerfG 14. No­vem­ber 1995 - 1 BvR 601/92 - aaO, zu B I 3 der Gründe; eben­so 24. Fe­bru­ar 1999 - 1 BvR 123/93 - BVerfGE 100, 214, zu B II 1 der Gründe). Die Klar­stel­lung der Kern­be­reichs­for­mel durch das Bun­des­ver­fas­sungs-
 


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ge­richt hat auch Ein­gang in die jünge­re Recht­spre­chung des Se­nats ge­fun­den (vgl. et­wa BAG 20. April 1999 - 1 ABR 72/98 - BA­GE 91, 210, zu B II 2 b bb der Gründe; 25. Ja­nu­ar 2005 - 1 AZR 657/03 - AP GG Art. 9 Nr. 123 = EzA GG Art. 9 Nr. 81, auch zur Veröffent­li­chung in der Amt­li­chen Samm­lung vor­ge­se­hen, zu II 1 a der Gründe).

c) Im Lich­te der neue­ren Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ist ein Zu­gangs­recht be­triebs­frem­der Ge­werk­schafts­be­auf­trag­ter zum Zwe­cke der Mit­glie­der­wer­bung grundsätz­lich ge­ge­ben. Al­ler­dings fehlt es hierfür an ei­ner aus­drück­li­chen ein­fach­ge­setz­li­chen Re­ge­lung. Auch aus Art. 9 Abs. 3 GG er­gibt sich das Zu­tritts­recht nicht un­mit­tel­bar. Die Wer­bung von Mit­glie­dern ist aber Teil der durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschütz­ten Betäti­gungs­frei­heit der Ge­werk­schaf­ten. Da­zu gehört de­ren Be­fug­nis, selbst zu be­stim­men, wel­che Per­so­nen sie mit der Wer­bung be­trau­en, und die Möglich­keit, dort um Mit­glie­der zu wer­ben, wo Ar­beit­neh­mer zu­sam­men­kom­men und als sol­che an­ge­spro­chen wer­den können. Da ei­ne ge­setz­li­che Re­ge­lung fehlt, müssen die Ge­rich­te auf Grund ih­rer grund­recht­li­chen Schutz­pflicht im We­ge der Rechts­fort­bil­dung ei­ne ent­spre­chen­de Aus­ge­stal­tung vor­neh­men. Das den Ge­werk­schaf­ten ein­zuräum­en­de be­trieb­li­che Zu­tritts­recht ist frei­lich nicht un­be­schränkt. Ge­genüber dem ge­werk­schaft­li­chen In­ter­es­se an ei­ner ef­fek­ti­ven Mit­glie­der­wer­bung sind die eben­falls ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­ten Be­lan­ge des Ar­beit­ge­bers und Be­triebs­in­ha­bers ab­zuwägen. Da­zu zählen des­sen Haus- und Ei­gen­tums­recht so­wie sein Recht am ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­trieb in Ge­stalt ei­nes störungs-frei­en Be­triebs­ab­laufs. Die­se Rech­te des Ar­beit­ge­bers können je nach den Umständen des Ein­zel­falls dem Zu­tritts­recht der Ge­werk­schaft ent­ge­gen­ste­hen.

aa) Das Zu­tritts­recht be­triebs­frem­der Ge­werk­schafts­be­auf­trag­ter zum Zwe­cke der Mit­glie­der­wer­bung ist ge­setz­lich nicht ge­re­gelt. Während den Ge­werk­schaf­ten zur Wahr­neh­mung der im Be­trVG ge­nann­ten Auf­ga­ben und Be­fug­nis­se in § 2 Abs. 2 Be­trVG un­ter be­stimm­ten Maßga­ben ein Zu­gangs­recht zum Be­trieb aus­drück­lich ein-geräumt ist, fehlt es für ih­re all­ge­mei­ne ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­sche Betäti­gung an ei­ner ge­setz­li­chen Aus­ge­stal­tung. § 2 Abs. 3 Be­trVG stellt in­so­weit le­dig­lich klar, dass die Auf-ga­ben der Ge­werk­schaf­ten und der Ver­ei­ni­gun­gen der Ar­beit­ge­ber, ins­be­son­de­re die Wahr­neh­mung der In­ter­es­sen ih­rer Mit­glie­der, durch das Be­trVG nicht berührt wer­den. Da­ge­gen hat der Ge­setz­ge­ber bis­lang von der Ver­ab­schie­dung ei­nes („Verbände“)Ge­set­zes, in dem die Rech­te und Pflich­ten ua. der Ge­werk­schaf­ten näher ge­re­gelt wären, ab­ge­se­hen.
 


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§ 2 Abs. 2 Be­trVG steht ei­nem Zu­tritts­recht be­triebs­frem­der Ge­werk­schafts­be­auf­trag­ter zu an­de­ren als den in der Vor­schrift ge­nann­ten Zwe­cken nicht et­wa ent­ge­gen. Das Zu­tritts­recht aus § 2 Abs. 2 Be­trVG dient - eben­so wie sons­ti­ge, im Rah­men der ge­setz­li­chen Be­triebs­ver­fas­sung gewähr­te spe­zi­el­le Zu­gangs­rech­te - be­son­de­ren, den Ge­werk­schaf­ten im Rah­men der Be­triebs­ver­fas­sung zu­ge­wie­se­nen Auf­ga­ben (vgl. BVerfG 17. Fe­bru­ar 1981 - 2 BvR 384/78 - BVerfGE 57, 220, zu C II 4 b der Gründe). Die Re­ge­lung ist nicht ab­sch­ließend (Brock S. 219; Däubler Rn. 426). Dies folgt schon aus § 2 Abs. 3 Be­trVG.

bb) Ein be­trieb­li­ches Zu­tritts­recht der Ge­werk­schaf­ten zum Zwe­cke der Mit­glie­der­wer­bung ist je­den­falls für Be­trie­be nicht kirch­li­cher Ar­beit­ge­ber durch die Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 17. Fe­bru­ar 1981 (- 2 BvR 384/78 - BVerfGE 57, 220) nicht mit Bin­dungs­wir­kung ver­neint (so auch Brock S. 211 f.; aA Ri­char­di § 2 Rn. 151). Nach § 31 Abs. 1 BVerfGG bin­den die Ent­schei­dun­gen des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts die Ver­fas­sungs­or­ga­ne des Bun­des und der Länder so­wie al­le Ge­rich­te und Behörden. Dem­ent­spre­chend sind die sich aus dem Te­nor und den tra­gen­den Gründen der Ent­schei­dung er­ge­ben­den Grundsätze für die Aus­le­gung der Ver­fas­sung von den Ge­rich­ten und Behörden in al­len künf­ti­gen Fällen zu be­ach­ten (BVerfG 20. Ja­nu­ar 1966 - 1 BvR 140/62 - BVerfGE 19, 377; BAG 19. Ja­nu­ar 1982 - 1 AZR 279/81 - BA­GE 37, 331, zu I 1 der Gründe). Tra­gend für ei­ne Ent­schei­dung sind die­je­ni­gen Tei­le der Ent­schei­dungs­be­gründung, die aus der De­duk­ti­on des Ge­richts nicht hin­weg­zu­den­ken sind, oh­ne dass sich das im Te­nor for­mu­lier­te Er­geb­nis ändert (BAG 19. Ja­nu­ar 1982 - 1 AZR 279/81 - aaO, zu I 1 der Gründe). Hier­nach ent­fal­tet der Be­schluss des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 17. Fe­bru­ar 1981 (- 2 BvR 384/78 - aaO) je­den­falls kei­ne Bin­dungs­wir­kung für den nicht kirch­li­chen Be­reich. Die Ent­schei­dung be­traf al­lein den Son­der­fall des ge­werk­schaft­li­chen Zu­gangs­rechts zu kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen. Auch die dar­in ent­hal­te­nen Ausführun­gen zu Art. 9 Abs. 3 GG er­folg­ten im Kon­text des Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 Wei­ma­rer Reichs­ver­fas­sung. Da­her kann da­hin­ste­hen, ob die Bin­dungs­wir­kung der Ent­schei­dung vom 17. Fe­bru­ar 1981 (- 2 BvR 384/78 - aaO) da­durch ei­ne wirk­sa­me Ein­schränkung er­fah­ren hat, dass nach dem Be­schluss des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 14. No­vem­ber 1995 (- 1 BvR 601/92 - BVerfGE 93, 352) die Betäti­gungs­frei­heit der Ko­ali­tio­nen nicht, wie es noch im Be­schluss vom 17. Fe­bru­ar 1981 heißt, nur in ih­rem Kern­be­reich geschützt ist.
 


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cc) Ein be­trieb­li­ches Zu­tritts­recht be­triebs­frem­der Ge­werk­schafts­be­auf­trag­ter zu Zwe­cken der Mit­glie­der­wer­bung er­gibt sich nicht un­mit­tel­bar aus Art. 9 Abs. 3 GG. Al­ler­dings ent­fal­tet Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG un­mit­tel­ba­re Wir­kung auch in Rechts­verhält­nis­sen Pri­va­ter (vgl. BAG 20. April 1999 - 1 ABR 72/98 - BA­GE 91, 210, zu B II 2 a der Gründe; 10. De­zem­ber 2002 - 1 AZR 96/02 - BA­GE 104, 155, zu B I 3 b bb der Gründe; 31. Mai 2005 - 1 AZR 141/04 - AP GG Art. 9 Nr. 124 = EzA GG Art. 9 Nr. 84, auch zur Veröffent­li­chung in der Amt­li­chen Samm­lung vor­ge­se­hen, zu I 2 b aa (1) der Gründe mwN; ErfK/Die­te­rich Art. 9 GG Rn. 42). Das folgt aus Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG. Da­nach sind Ab­re­den, wel­che das durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschütz­te Recht ein-schränken oder zu be­hin­dern su­chen, nich­tig und hier­auf ge­rich­te­te Maßnah­men rechts­wid­rig. Die Ko­ali­ti­ons­frei­heit ist da­mit auch vor pri­vat­recht­li­chen Be­ein­träch­ti­gun­gen geschützt (BAG 31. Mai 2005 - 1 AZR 141/04 - aaO). Ei­ne auf die Ver­hin­de­rung oder Be­schränkung ge­werk­schaft­li­cher Betäti­gungs­frei­heit ge­rich­te­te Maßnah­me liegt aber nicht vor, wenn ein Ar­beit­ge­ber in Ausübung sei­nes Haus- und Ei­gen­tums­rechts le­dig­lich be­stimm­ten Per­so­nen, wie ins­be­son­de­re Ar­beit­neh­mern und Kun­den, den Zu­tritt zu sei­nem Be­trieb ge­stat­tet und ihn sons­ti­gen Per­so­nen­grup­pen ver­wehrt. Ei­ne nicht ge­zielt die Ge­werk­schaf­ten aus­gren­zen­de Wahr­neh­mung des Haus­rechts ist kei­ne Maßnah­me, die das Betäti­gungs­recht der Ge­werk­schaft iSv. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG ein­zu­schränken oder zu be­hin­dern sucht (vgl. Kem­per in v. Man­goldt/Klein/St­arck aaO).

dd) Ein An­spruch der Ge­werk­schaf­ten, Mit­glie­der­wer­bung auch durch be­triebs­frem­de Be­auf­trag­te durch­zuführen und hierfür Zu­tritt zum Be­trieb zu er­hal­ten, folgt aus der von den Ge­rich­ten auf Grund ih­rer Schutz­pflicht im We­ge der Rechts­fort­bil­dung vor­zu­neh­men­den Aus­ge­stal­tung der ge­werk­schaft­li­chen Betäti­gungs­frei­heit.


(1) Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gewähr­leis­tet für je­der­mann und für al­le Be­ru­fe das Recht, zur Wah­rung und Förde­rung der Ar­beits- und Wirt­schaft­be­din­gun­gen Ko­ali­tio­nen zu bil­den. Das Grund­recht schützt den Ein­zel­nen, ei­ne der­ar­ti­ge Ver­ei­ni­gung zu gründen, ihr bei­zu­tre­ten oder fern­zu­blei­ben. Außer­dem schützt es die Ko­ali­tio­nen in ih­rem Be­stand und ih­rer or­ga­ni­sa­to­ri­schen Aus­ge­stal­tung so­wie sol­chen Betäti­gun­gen, die dar­auf ge­rich­tet sind, die Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen zu wah­ren und zu fördern (st. Rspr. des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, vgl. et­wa BVerfG 10. Sep­tem­ber 2004 - 1 BvR 1191/03 - AP GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 136, zu B II 1 der Gründe mwN).
 


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(2) Zu den geschütz­ten Tätig­kei­ten, die dem Er­halt und der Si­che­rung ei­ner Ko­ali­ti­on die­nen, gehört de­ren Mit­glie­der­wer­bung (BVerfG 14. No­vem­ber 1995 - 1 BvR 601/92 - BVerfGE 93, 352, zu B I 2 der Gründe; vgl. auch 26. Mai 1970 - 2 BvR 664/65 - BVerfGE 28, 195; BAG 31. Mai 2005 - 1 AZR 141/04 - AP GG Art. 9 Nr. 124 = EzA GG Art. 9 Nr. 84, auch zur Veröffent­li­chung in der Amt­li­chen Samm­lung vor­ge­se­hen, zu I 2 b aa (2) der Gründe). Durch die­se schaf­fen die Ko­ali­tio­nen das Fun­da­ment für die Erfüllung ih­rer Auf­ga­ben und si­chern ih­ren Fort­be­stand. Fer­ner hängt von der Mit­glie­der­zahl ih­re Ver­hand­lungsstärke ab (BVerfG 14. No­vem­ber 1995 - 1 BvR 601/92 - aaO). Oh­ne Wer­bung um neue Mit­glie­der be­steht die Ge­fahr, dass der Mit­glie­der­be­stand ei­ner Ge­werk­schaft im Lau­fe der Zeit in ei­nem Um­fang zurück­geht, dass sie ih­rer Auf­ga­be, die Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen zu wah­ren und fördern, nicht mehr sach­gemäß nach­kom­men kann (BAG 30. Au­gust 1983 - 1 AZR 121/81 - AP GG Art. 9 Nr. 38, zu III 1 der Gründe). Zu der Betäti­gungs­frei­heit ei­ner Ge­werk­schaft gehört da­her das Recht, ih­re Schlag­kraft mit dem Ziel der Mit­glie­der­er­hal­tung und Mit­glie­der­wer­bung zu stärken (BAG 31. Mai 2005 - 1 AZR 141/04 - aaO). Da­bei ist für die Ge­werk­schaf­ten die Mit­glie­der­wer­bung in den Be­trie­ben von be­son­de­rer Be­deu­tung. Ei­ne ef­fek­ti­ve Wer­bung setzt Auf­merk­sam­keit und Auf­ge­schlos­sen­heit der um­wor­be­nen Ar­beit­neh­mer vor­aus. Hier­von kann vor al­lem im Be­trieb aus­ge­gan­gen wer­den. Dort wer­den die Fra­gen, Auf­ga­ben und Pro­ble­me deut­lich, auf die sich das Tätig­wer­den ei­ner Ge­werk­schaft be­zieht und an wel­che die Wer­bung um neue Mit­glie­der an­knüpfen kann (BAG 30. Au­gust 1983 - 1 AZR 121/81 - aaO). Ei­ne Ge­werk­schaft kann da­her nicht ge­ne­rell dar­auf ver­wie­sen wer­den, sie könne auch außer­halb des Be­triebs wer­ben.


(3) Die Mit­glie­der­wer­bung ist, wie das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt im Be­schluss vom 14. No­vem­ber 1995 (- 1 BvR 601/92 - BVerfGE 93, 352) klar­ge­stellt hat, nicht et­wa nur in dem Maße grund­recht­lich geschützt, in wel­chem sie für die Er­hal­tung und die Si­che­rung des Be­stands der Ge­werk­schaft un­erläss­lich ist. Der Grund­recht­schutz des Art. 9 Abs. 3 GG be­trifft nicht nur ei­nen Kern­be­reich der Betäti­gungs­frei­heit. Er er­streckt sich viel­mehr auf al­le ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­schen Ver­hal­tens­wei­sen. Die Fra­ge, ob ei­ne ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­sche Betäti­gung für die Wahr­neh­mung der Ko­ali­ti­ons­frei­heit un­erläss­lich ist, er­langt erst bei Ein­schränkun­gen die­ser Frei­heit Be­deu­tung (BVerfG 14. No­vem­ber 1995 - 1 BvR 601/92 - aaO, zu B I 3 der Gründe).

(4) Art. 9 Abs. 3 GG überlässt ei­ner Ko­ali­ti­on grundsätz­lich die Wahl der Mit­tel, die sie bei ih­rer ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­schen Betäti­gung für ge­eig­net und er­for­der­lich hält


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(BVerfG 10. Sep­tem­ber 2004 - 1 BvR 1191/03 - AP GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 136, zu B II 1 der Gründe mwN; vgl. auch 26. Ju­ni 1991 - 1 BvR 779/85 - BVerfGE 84, 212, zu C I 1 a der Gründe; Höfling in Sachs GG 3. Aufl. Art. 9 Rn. 81). Dem­ent­spre­chend kann ei­ne Ge­werk­schaft selbst darüber be­fin­den, an wel­chem Ort, durch wel­che Per­so­nen und in wel­cher Art und Wei­se sie um Mit­glie­der wer­ben will. Da­mit un­terfällt auch ih­re Ent­schei­dung, Mit­glie­der­wer­bung im Be­trieb und durch von ihr aus­gewähl­te be­triebs­ex­ter­ne Be­auf­trag­te durch­zuführen, dem Schutz­be­reich des Art. 9 Abs. 3 GG (Scholz in Maunz/Dürig Art. 9 Rn. 251, 252). Die­ser ist grundsätz­lich um­fas­send und nicht et­wa auf not­wen­di­ge Wer­be­maßnah­men be­schränkt.

(5) Zur Durchführung von Wer­be­maßnah­men im Be­trieb ist ei­ne Ge­werk­schaft auf die Mit­wir­kung des Be­triebs­in­ha­bers an­ge­wie­sen. Sie kann im Be­trieb durch be­triebs­frem­de Be­auf­trag­te nur tätig wer­den, wenn der Ar­beit­ge­ber die­sen den Zu­tritt ge­stat­tet und ih­re Tätig­keit dul­det. Da­mit kol­li­diert ei­ne der­ar­ti­ge Mit­glie­der­wer­bung mit eben­falls ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­ten Rech­ten des Ar­beit­ge­bers und Be­triebs­in­ha­bers, ua. des­sen durch Art. 13 und 14 GG geschütz­tem Haus- und Ei­gen­tums­recht so­wie sei­ner je­den­falls durch Art. 2 Abs. 1 GG geschütz­ten wirt­schaft­li­chen Betäti­gungs­frei­heit, die ins­be­son­de­re bei ei­ner Störung des Ar­beits­ab­laufs und des Be­triebs­frie­dens berührt wird (vgl. Scholz in Maunz/Dürig Art. 9 Rn. 251; vgl. auch BVerfG 14. No­vem­ber 1995 - 1 BvR 601/92 - BVerfGE 93, 352, zu B II 2 der Gründe).


(6) Der da­nach vor­lie­gen­de Kon­flikt zwi­schen den wi­der­strei­ten­den In­ter­es­sen gleich ge­ord­ne­ter Grund­recht­sträger be­darf der Aus­ge­stal­tung durch die Rechts­ord­nung (vgl. BVerfG 10. Sep­tem­ber 2004 - 1 BvR 1191/03 - AP GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 136, zu B II 1 der Gründe). Die­se ob­liegt in ers­ter Li­nie dem Ge­setz­ge­ber. Bei feh­len­den oder un­zu­rei­chen­den ge­setz­li­chen Vor­ga­ben müssen die Ge­rich­te das ma­te­ri­el­le Recht mit den an­er­kann­ten Me­tho­den der Rechts­fin­dung aus den all­ge­mei­nen Rechts­grund­la­gen ab­lei­ten, die für das be­tref­fen­de Rechts­verhält­nis maßgeb­lich sind. Das gilt ge­ra­de auch dort, wo ei­ne ge­setz­li­che Re­ge­lung we­gen ei­ner ver­fas­sungs­recht­li­chen Schutz­pflicht ge­bo­ten ist. Nur so können die Ge­rich­te die ih­nen vom Grund­ge­setz auf­er­leg­te Pflicht erfüllen, je­den vor sie ge­brach­ten Rechts­streit sach­ge­recht zu ent­schei­den (BVerfG 26. Ju­ni 1991 - 1 BvR 779/85 - BVerfGE 84, 212, zu C I 2 a der Gründe). Hier­zu müssen sie ko­or­di­nie­ren­de Re­ge­lun­gen ent­wi­ckeln, die gewähr­leis­ten, dass die auf­ein­an­der be­zo­ge­nen Grund­rechts­po­si­tio­nen trotz ih­res Ge­gen­sat­zes ne­ben­ein­an­der be­ste­hen können (vgl.
 


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BVerfG 2. März 1993 - 1 BvR 1213/85 - BVerfGE 88, 103, zu C II 2 der Gründe). Die da­mit ver­bun­de­ne Auf­ga­be und Be­fug­nis der Ge­rich­te zu rich­ter­li­cher Rechts­fort­bil­dung ha­ben Ge­setz­ge­ber (vgl. et­wa § 132 Abs. 4 GVG; § 45 Abs. 4 ArbGG) und Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in­ner­halb der durch Art. 20 Abs. 3 GG ge­zo­ge­nen Gren­zen an-er­kannt (vgl. BVerfG 19. Ok­to­ber 1983 - 2 BvR 485/80 und 2 BvR 486/80 - BVerfGE 65, 182, zu B II 1 der Gründe).

(7) Bei der hier­nach den Ge­rich­ten ob­lie­gen­den ko­or­di­nie­ren­den Re­ge­lung der ge­werk­schaft­li­chen Mit­glie­der­wer­bung in Be­trie­ben ist von Be­deu­tung, dass ein Ar­beit­ge­ber ei­ner für sei­nen Be­trieb ta­rif­zuständi­gen Ge­werk­schaft nicht wie ein völlig un­be­tei­lig­ter Drit­ter ge­genüber­steht. Viel­mehr be­fin­den sich Ar­beit­ge­ber und Ge­werk­schaf­ten in ei­ner Viel­zahl un­mit­tel­ba­rer und mit­tel­ba­rer Rechts­be­zie­hun­gen, die es recht­fer­ti­gen, Ar­beit­ge­bern un­ter be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen den Zu­tritt von Ver­tre­tern der Ge­werk­schaf­ten zu ih­rem Be­sitz­tum eher zu­zu­mu­ten als ei­nem un­be­tei­lig­ten Drit­ten, der in kei­ner­lei Rechts­be­zie­hung zu ei­ner Ge­werk­schaft steht. Ar­beit­ge­ber neh­men in die­ser Ei­gen­schaft am Wirt­schafts- und Ar­beits­le­ben teil. Da­mit tre­ten sie in man­nig­fa­cher Hin­sicht auch in recht­li­che Be­zie­hun­gen zu den für ih­re Be­trie­be zuständi­gen Ge­werk­schaf­ten. Zum ei­nen ma­chen das die im Be­trVG aus­drück­lich nor­mier­ten be­trieb­li­chen Auf­ga­ben und Be­fug­nis­se der Ge­werk­schaf­ten deut­lich. Zum an­de­ren ent­ste­hen Rechts­be­zie­hun­gen zu­min­dest mit­tel­bar da­durch, dass der Ar­beit­ge­ber in sei­nem Be­trieb Ar­beit­neh­mer und da­mit tatsächli­che oder po­ten­ti­el­le Ge­werk­schafts­mit­glie­der beschäftigt. Das führt da­zu, dass die Ge­werk­schaf­ten die sich aus den Ar­beits­verhält­nis­sen er­ge­ben­den Rech­te ih­rer Mit­glie­der ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber wahr­zu­neh­men be­fugt sind. Außer­dem fin­den die recht­li­chen Ver­bin­dun­gen zwi­schen ein­zel­nen Ar­beit­ge­bern und Ge­werk­schaf­ten im TVG Nie­der­schlag. So be­sit­zen nach § 2 Abs. 1 TVG nicht nur Ge­werk­schaf­ten und Ar­beit­ge­ber­verbände, son­dern auch der ein­zel­ne Ar­beit­ge­ber Ta­riffähig­keit (vgl. BAG 10. De­zem­ber 2002 - 1 AZR 96/02 - BA­GE 104, 155, zu B I 1 a aa der Gründe). Da­mit ist der ein­zel­ne Ar­beit­ge­ber zu­min­dest po­ten­ti­el­ler Ta­rif­ver­trags­part­ner der ta­rif­zuständi­gen Ge­werk­schaft. Er kann mit die­ser Ta­rif­verträge ab­sch­ließen so­wie Adres­sat von Ar­beitskämp­fen sein (BAG 10. De­zem­ber 2002 - 1 AZR 96/02 - aaO, zu B I 1 b der Gründe).

(8) Die von den Ge­rich­ten ge­for­der­te Her­stel­lung prak­ti­scher Kon­kor­danz zwi­schen dem Recht der Ge­werk­schaf­ten auf be­trieb­li­che Mit­glie­der­wer­bung ei­ner­seits und ge­genläufi­gen Rech­ten des Be­triebs­in­ha­bers und Ar­beit­ge­bers an­de­rer­seits lässt ei­ne ge­ne­rel­le An­er­ken­nung oder Ver­sa­gung des Zu­tritts­rechts be­triebs­frem­der Ge-

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werk­schafts­be­auf­trag­ter für sämt­li­che mögli­chen Fall­ge­stal­tun­gen nicht zu. Maßgeb­lich sind viel­mehr die je­wei­li­gen Umstände des Ein­zel­falls. Da­bei sind vor al­lem Aus­maß und In­ten­sität des be­an­spruch­ten Zu­gangs­rechts von Be­deu­tung. In die­sem Zu­sam­men­hang können die Häufig­keit, der zeit­li­che Um­fang und der je­wei­li­ge Zeit­punkt der Be­su­che, wie auch die ggf. ins Verhält­nis zur Be­leg­schafts­größe zu set­zen­de An­zahl der be­triebs­ex­ter­nen Ge­werk­schafts­be­auf­trag­ten ei­ne Rol­le spie­len. Vor al­lem aber sind bei der Prüfung im Ein­zel­fall die be­rech­tig­ten be­trieb­li­chen Be­lan­ge des Ar­beit­ge­bers zu berück­sich­ti­gen. Da­zu gehört des­sen In­ter­es­se an ei­nem störungs­frei­en Be­triebs­ab­lauf und der Wah­rung des Be­triebs­frie­dens. Eben­so können sei­ne Ge­heim­hal­tungs- und Si­cher­heits­in­ter­es­sen von Be­deu­tung sein. Die­se können im Ein­zel­fall den per­so­nel­len und or­ga­ni­sa­to­ri­schen Auf­wand, der für ihn mit dem Be­such be­triebs­frem­der Ge­werk­schafts­be­auf­trag­ter - et­wa durch Aus­stel­lung von Aus­wei­sen oder Ge­stel­lung von Be­gleit­per­so­nen - ver­bun­den ist, nicht un­er­heb­lich be­ein­flus­sen. Glei­ches gilt für den kon­kre­ten Ort, zu dem in­ner­halb des Be­triebs der Zu­gang ge­stat­tet wer­den soll. Sch­ließlich können bei der Abwägung auch die in § 2 Abs. 2 Be­trVG ko­di­fi­zier­ten Maßga­ben des ge­setz­li­chen Zu­gangs­rechts her­an­ge­zo­gen wer­den (eben­so Däubler Rn. 438 ff.). Es dürf­te des­halb in der Re­gel ge­bo­ten sein, dass der Ar­beit­ge­ber zu­vor über den Zeit­punkt des Be­suchs und über die Per­son des oder der Be­auf­trag­ten un­ter­rich­tet wird.

(9) Der Um­stand, dass das Zu­tritts­recht ih­rer be­triebs­ex­ter­nen Be­auf­trag­ten zum Zwe­cke der Mit­glie­der­wer­bung von den Umständen des Ein­zel­falls abhängt, bringt für die Ge­werk­schaf­ten im Pro­zess zwar Schwie­rig­kei­ten bei der For­mu­lie­rung ei­nes ge­ne­ra­li­sie­ren­den, auf die Zu­kunft ge­rich­te­ten Leis­tungs­an­trags mit sich. Dies recht­fer­tigt es je­doch nicht, an den An­spruch ge­ne­rell ge­rin­ge­re ma­te­ri­ell­recht­li­che An­for­de­run­gen zu stel­len. An­dern­falls würden die grund­recht­lich geschütz­ten Po­si­tio­nen des ein­zel­nen Ar­beit­ge­bers nicht hin­rei­chend be­ach­tet. Zu­dem wer­den die Ge­werk­schaf­ten da­durch bei der Ver­wirk­li­chung ih­rer Betäti­gungs­frei­heit ver­fah­rens­recht­lich nicht recht­los ge­stellt. Zum ei­nen können sie den ma­te­ri­el­len An­spruchs­vor­aus­set­zun­gen durch eng ge­fass­te Kla­ge­anträge Rech­nung tra­gen. Zum an­de­ren ha­ben sie, so­fern im kon­kre­ten Ein­zel­fall die Durch­set­zung des Zu­gangs­rechts we­gen zu be­sor­gen­der zeit­li­cher Über­ho­lung im Er­kennt­nis­ver­fah­ren nicht möglich sein soll­te, die pro­zes­sua­le Möglich­keit, die Ver­ei­te­lung ih­res Rechts im We­ge des einst­wei­li­gen Rechts­schut­zes zu ver­hin­dern. Dies ist dem all­ge­mei­nen Zi­vil- und dem Ar­beits­recht nicht fremd und der Kläge­rin für den B Be­trieb der Be­klag­ten am 2. De­zem­ber 2002 auch ge­lun­gen.
 


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2. Da­mit kann der Kla­ge ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Vor­in­stan­zen nicht ent­spro­chen wer­den. Der auf die Zu­kunft ge­rich­te­te An­trag der Kläge­rin ist ein Glo­balan­trag, der auch mögli­che Fall­ge­stal­tun­gen um­fasst, in de­nen ein Zu­gangs­recht für be­triebs­frem­de Be­auf­trag­te der Kläge­rin nicht be­steht.


a) Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ist ein Glo­balan­trag, der ei­ne Viel­zahl von Fall­ge­stal­tun­gen er­fasst, ins­ge­samt als un­be­gründet ab­zu­wei­sen, wenn es dar­un­ter Fall­ge­stal­tun­gen gibt, in de­nen er sich als un­be­gründet er­weist (vgl. BAG 3. Mai 1994 - 1 ABR 24/93 - BA­GE 76, 364, zu C I der Gründe; 21. Sep­tem­ber 1999 - 1 ABR 40/98 - AP Be­trVG 1972 § 99 Ver­set­zung Nr. 21 = EzA Be­trVG 1972 § 95 Nr. 30, zu B I der Gründe; 20. Ok­to­ber 1999 - 7 ABR 37/98 -, zu B I 2 a der Gründe; 3. Ju­ni 2003 - 1 ABR 19/02 - BA­GE 106, 188, zu B II 2 a der Gründe). Et­was an­de­res gilt nur, wenn sich der An­trag auf von­ein­an­der zu tren­nen­de und ge­gen­ein­an­der klar ab­grenz­ba­re Sach­ver­hal­te be­zieht und der be­gründe­te Teil schon dem An­trag selbst als Teil­ziel des Ver­fah­rens zu ent­neh­men ist (BAG 6. De­zem­ber 1994 - 1 ABR 30/94 - BA­GE 78, 379, zu B II 2 der Gründe; 19. Ju­li 1995 - 7 ABR 60/94 - BA­GE 80, 296, zu B II 3 der Gründe; 20. Ok­to­ber 1999 - 7 ABR 37/98 -, zu B I 2 a der Gründe).

b) Hier­nach ist der An­trag un­be­gründet. Er er­fasst auch Fall­ge­stal­tun­gen, in de­nen das gel­tend ge­mach­te Zu­tritts­recht nicht be­steht. Zwar hat die Kläge­rin ihr Be­gehr räum­lich auf die Kan­ti­ne im B Be­trieb der Be­klag­ten und zeit­lich auf die mittägli­chen Kan­ti­nenöff­nungs­zei­ten be­schränkt. Gleich­wohl kann nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, dass in ei­nem künf­ti­gen Ein­zel­fall ei­nem Zu­tritts­recht der Kläge­rin Not­wen­dig­kei­ten des Be­triebs­ab­laufs ent­ge­gen­ste­hen oder der Be­triebs­frie­den gefähr­det ist, so dass im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung das be­rech­tig­te In­ter­es­se der Be­klag­ten dar­an, den Zu­gang zu ver­wei­gern, über­wiegt. Dies könn­te zB der Fall sein, wenn Wer­be­maßnah­men in ei­ner Häufig­keit, in ei­nem Um­fang (An­zahl der be­triebs­frem­den Ge­werk­schafts­be­auf­trag­ten) oder in ei­ner Art und Wei­se er­fol­gen sol­len, die im Be­trieb zu Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit oder zwi­schen Ar­beit­neh­mern oder mit ei­ner an­de­ren, dort eben­falls Wer­bung trei­ben­den Ge­werk­schaft führen.
 


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Der Kla­ge­an­trag enthält kei­nen hin­rei­chend ab­grenz­ba­ren Teil, hin­sicht­lich des­sen der Kla­ge teil­wei­se ent­spro­chen wer­den könn­te.

C. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. 

Schmidt 

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