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BAG, Ur­teil vom 11.12.2008, 2 AZR 395/07

   
Schlagworte: Kündigung: Schwerbehinderung, Betriebsübergang, Schwerbehinderung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 395/07
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 11.12.2008
   
Leitsätze: Im Falle des Betriebsübergangs nach § 613a BGB muss sich der Betriebsübernehmer die Kenntnis des Betriebsveräußerers von der Schwerbehinderteneigenschaft eines Arbeitnehmers zurechnen lassen.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Mainz, Urteil vom 2.12.2005, 6 Ca 613/05
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Teilurteil vom 2.11.2006, 6 Sa 290/06
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


2 AZR 395/07
6 Sa 290/06
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Rhein­land-Pfalz

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
11. De­zem­ber 2008

UR­TEIL

Schmidt, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläger, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 11. De­zem­ber 2008 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Dr. Rost, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Ey­lert und Schmitz-Scho­le­mann so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Be­cker­le und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Pitsch für Recht er­kannt:
 


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Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Teil­ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Rhein­land-Pfalz vom 2. No­vem­ber 2006 - 6 Sa 290/06 - wird auf Kos­ten der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen.


Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren über ei­ne von der Be­klag­ten auf be­triebs­be­ding­te Gründe gestütz­te or­dent­li­che Kündi­gung und ei­nen Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten.


Der Kläger ist an­er­kann­ter Schwer­be­hin­der­ter mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von 60. Er war seit 1989 bei ei­ner Rechts­vorgänge­rin der Be­klag­ten, der Fir­ma S. an­ge­stellt. Das Ar­beits­verhält­nis ging gemäß § 613a BGB zum 1. De­zem­ber 2000 auf die Fir­ma D. über. Nach dem mit die­ser am 21. De­zem­ber 2000 ge­schlos­se­nen schrift­li­chen Ar­beits­ver­trag hat der Kläger zusätz­lich zum Jah­res­ur­laub „ent­spre­chend dem Schwer­be­hin­der­ten­ge­setz“ An­spruch auf wei­te­ren Ur­laub von fünf Ta­gen. Am 1. April 2002 fand ein wei­te­rer Be­triebsüber­gang statt, dies­mal auf die Be­klag­te.


Der Kläger war in der Be­triebsstätte B ein­ge­setzt, zu­letzt als ein­zi­ger Ar­beit­neh­mer. Nach­dem die Be­klag­te be­schlos­sen hat­te, den Stand­ort B zum 30. Ju­ni 2005 zu schließen, kündig­te sie das Ar­beits­verhält­nis des Klägers mit Schrei­ben vom 25. Fe­bru­ar 2005 zum 31. Au­gust 2005. Ei­ne Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes hat­te sie nicht ein­ge­holt. Er­neut hat die Be­klag­te - dies­mal nach Ein­ho­lung der Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes - am 29. Ju­ni 2005 das Ar­beits­verhält­nis or­dent­lich gekündigt.

Der Kläger hat mit der am 18. März 2005 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gun­gen gel­tend ge­macht. Er hat be­triebs­be­ding­te Kündi­gungs­gründe be­strit­ten und im Lau­fe des ers­ten Rechts­zugs zusätz­lich gel­tend ge­macht, die Kündi­gung vom 25. Fe­bru­ar 2005

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sei we­gen Ver­s­toßes ge­gen das SGB IX un­wirk­sam. Er ha­be die Rechts­vorgänge­rin der Be­klag­ten, die Fir­ma D., über sei­ne An­er­ken­nung als schwer­be­hin­der­ter Mensch un­ter­rich­tet. Die Be­klag­te müsse sich die Kennt­nis ih­rer Rechts­vorgänge­rin als ei­ge­nes Wis­sen zu­rech­nen las­sen, zu­mal im Ar­beits­ver­trag aus­drück­lich der Zu­satz­ur­laub für Schwer­be­hin­der­te auf­geführt sei. Er ha­be die­sen Zu­satz­ur­laub auch bei der Be­klag­ten er­hal­ten. Es kom­me des­halb nicht dar­auf an, dass er sich erst im Ju­li 2005 auf den Son­derkündi­gungs­schutz be­ru­fen ha­be.

Der Kläger hat be­an­tragt 


fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en we­der durch die schrift­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 25. Fe­bru­ar 2005 noch durch die wei­te­re schrift­li­che Kündi­gung vom 29. Ju­ni 2005 auf­gelöst wor­den ist.

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt und aus­geführt: Sie ha­be kei­ne Kennt­nis von der An­er­ken­nung des Klägers als Schwer­be­hin­der­ter ge­habt. Der Kläger könne sich auf den Son­derkündi­gungs­schutz nicht be­ru­fen, da er ihn nicht in­ner­halb der Mo­nats­frist mit­ge­teilt ha­be. Die et­wai­ge Kennt­nis ih­rer Rechts­vorgänge­rin müsse sie sich nicht zu­rech­nen las­sen. Außer­dem müsse nach § 90 Abs. 2a SGB IX der Nach­weis der An­er­ken­nung „dem Ar­beit­ge­ber ge­genüber“ geführt wer­den. Das sei nicht ge­sche­hen. Die Kündi­gung sei we­gen Sch­ließung der Außen­stel­le B aus be­triebs­be­ding­ten Gründen ge­recht­fer­tigt.

Das Ar­beits­ge­richt hat nach dem Kla­ge­an­trag er­kannt. Im Be­ru­fungs­ver­fah­ren hat der Kläger zusätz­lich und hilfs­wei­se Wie­der­ein­stel­lung be­an­tragt.


Die Be­klag­te hat auch in­so­weit Kla­ge­ab­wei­sung und zusätz­lich und 


hilfs­wei­se be­an­tragt,

das Ar­beits­verhält­nis ge­gen Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung, die 10.000,00 Eu­ro nicht über­stei­gen soll­te, auf­zulösen.

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Ei­ne den Be­triebs­zwe­cken dien­li­che Zu­sam­men­ar­beit sei nicht zu er­war­ten. Der Kläger ha­be die Be­klag­te als Lügne­rin be­zich­tigt, in­dem er schriftsätz­lich aus­geführt ha­be, die Dar­stel­lung der Be­klag­ten sei „mehr als zwei­fel­haft, um es mil­de aus­zu­drücken“. Außer­dem ha­be er die Be­klag­te schriftsätz­lich als „oberflächlich“ be­lei­digt.


Der Kläger hat Zurück­wei­sung des Auflösungs­an­trags be­an­tragt. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat durch Teil­ur­teil die Be­ru­fung, so­weit es die Kündi­gung vom 25. Fe­bru­ar 2005 und den Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten be­traf, zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Bun­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ih­ren Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag und ih­ren hilfs­wei­se ge­stell­ten Auflösungs­an­trag wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. 


A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die or­dent­li­che Kündi­gung vom 25. Fe­bru­ar 2005 für un­wirk­sam ge­hal­ten. Die Kündi­gung hätte der Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes be­durft. Die Be­klag­te müsse sich die Kennt­nis ih­rer Rechts­vorgänge­rin zu­rech­nen las­sen. Es sei Sa­che des Be­triebsüber­neh­mers, sich über die kon­kre­ten ar­beits­ver­trag­li­chen Be­zie­hun­gen der über­nom­me­nen Ar­beit­neh­mer ei­nen Über­blick zu ver­schaf­fen. Das gel­te hier um­so mehr, als der schrift­li­che An­stel­lungs­ver­trag ei­nen deut­li­chen Hin­weis auf die Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft des Klägers ent­hal­ten ha­be. Da die Schwer­be­hin­de­rung als be­kannt zu be­trach­ten sei, spie­le die ein­mo­na­ti­ge Mit­tei­lungs­frist kei­ne Rol­le. Die von der Be­klag­ten (zweit­in­stanz­lich) be­an­trag­te Auflösung schei­de an­ge­sichts der Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung aus an­de­ren Gründen als der So­zi­al­wid­rig­keit aus.

B. Dem folgt der Se­nat. 



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I. Die Kündi­gung ist nach § 85 Abs. 1 SGB IX iVm. § 134 BGB un­wirk­sam.

1. Der Kläger hat frist­ge­recht gem. § 4 KSchG Kla­ge er­ho­ben. Zwar hat er die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung nach § 85 Abs. 1 SGB IX erst nach Ab­lauf der Frist des § 4 Satz 1 KSchG gel­tend ge­macht. Das ist je­doch unschädlich, weil er es in­ner­halb des ers­ten Rechts­zu­ges nach­ge­holt hat (§ 6 KSchG, vgl. zu­letzt BAG 23. April 2008 - 2 AZR 699/06 - AP KSchG 1969 § 4 Nr. 65 = EzA
KSchG § 4 nF Nr. 84).

2. Der Kläger hat das Recht, die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung nach § 85 Abs. 1 SGB IX gel­tend zu ma­chen, nicht ver­wirkt.

a) Hat der schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer - wie hier - im Zeit­punkt des Zu­gangs der Kündi­gung be­reits ei­nen Be­scheid über sei­ne Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft er­hal­ten, so steht ihm der Son­derkündi­gungs­schutz nach §§ 85 ff. SGB IX - ab­ge­se­hen von den sich aus § 90 SGB IX er­ge­ben­den Aus­nah­men - an sich auch dann zu, wenn der Ar­beit­ge­ber von der Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft oder der An­trag­stel­lung nichts wuss­te (vgl. BAG 12. Ja­nu­ar 2006 - 2 AZR 539/05 - AP SGB IX § 85 Nr. 3 = EzA SGB IX § 85 Nr. 5). Al­ler­dings be­ur­teilt der Se­nat die Ver­wir­kung des Rechts des Ar­beit­neh­mers, sich nachträglich auf ei­ne Schwer­be­hin­de­rung zu be­ru­fen und die Zu­stim­mungs­bedürf­tig­keit der Kündi­gung gel­tend zu ma­chen, nach stren­gen Grundsätzen (19. April 1979 - 2 AZR 469/78 -AP SchwbG § 12 Nr. 5 = EzA SchwbG § 12 Nr. 6; 23. Fe­bru­ar 1978 - 2 AZR 462/76 - BA­GE 30, 141; 17. Sep­tem­ber 1981 - 2 AZR 369/79 -). Da­nach muss der Ar­beit­neh­mer, wenn er sich den Son­derkündi­gungs­schutz nach § 85 SGB IX aF er­hal­ten will, nach Zu­gang der Kündi­gung in­ner­halb ei­ner an­ge­mes­se­nen Frist, die drei Wo­chen beträgt (früher ei­nen Mo­nat, vgl. BAG 12. Ja­nu­ar 2006 - 2 AZR 539/05 - AP SGB IX § 85 Nr. 3 = EzA SGB IX § 85 Nr. 5; 13. Fe­bru­ar 2008 - 2 AZR 864/06 - AP SGB IX § 85 Nr. 5 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 83), ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber sei­ne be­reits fest­ge­stell­te oder zur Fest­stel­lung be­an­trag­te Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft gel­tend ma­chen. Un­terlässt der Ar­beit­neh­mer die­se Mit­tei­lung, so hat er den be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz ver­wirkt. Die Ver-

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wir­kung setzt je­doch vor­aus, dass der Ar­beit­ge­ber die Schwer­be­hin­de­rung oder den An­trag nicht kennt und des­halb mit der Zu­stim­mungs­pflich­tig­keit der Kündi­gung nicht rech­nen kann (BAG 6. Sep­tem­ber 2007 - 2 AZR 324/06 - AP SGB IX § 90 Nr. 4 = EzA SGB IX § 90 Nr. 4).


b) Im Streit­fall hat der Kläger sein Recht, den Son­derkündi­gungs­schutz gel­tend zu ma­chen, des­halb nicht ver­wirkt, weil der Rechts­vorgänge­rin der Be­klag­ten, die in das Ar­beits­verhält­nis nach § 613a Abs. 1 BGB ein­ge­tre­ten ist, die Schwer­be­hin­de­rung be­kannt war. Das muss die Be­klag­te als Be­triebs­er­wer­be­rin ge­gen sich gel­ten las­sen.

aa) Dass der Rechts­vorgänge­rin der Be­klag­ten die Schwer­be­hin­de­rung be­kannt war, ist vom Lan­des­ar­beits­ge­richt sei­ner Ent­schei­dung zu­grun­de ge­legt wor­den. Zulässi­ge und be­gründe­te Ver­fah­rensrügen sind von der Re­vi­si­on in­so­weit nicht er­ho­ben wor­den, so dass der Se­nat an die Fest­stel­lung des Be­ru­fungs­ge­richts ge­bun­den ist (§ 559 Abs. 2 ZPO). Die von der Be­klag­ten er­wo­ge­ne Mut­maßung, ih­re Rechts­vorgänge­rin ha­be von der Schwer­be­hin­de­rung des Klägers nichts ge­wusst und den Zu­satz­ur­laub „ent­spre­chend dem Schwer­be­hin­der­ten­ge­setz“ aus Ge­ne­ro­sität ver­ein­bart, er­scheint le­bens­fremd. Das mag aber eben­so auf sich be­ru­hen wie der Um­stand, dass zwi­schen der Be­klag­ten und ih­rer Rechts­vorgänge­rin oh­ne­hin ei­ne per­so­nel­le Kon­ti­nuität im Be­reich der Per­so­nal­lei­tung be­stan­den zu ha­ben scheint, die den In­for­ma­ti­ons­trans­fer mögli­cher­wei­se hätte er­leich­tern können.

bb) Nach § 613a Abs. 1 BGB geht das Ar­beits­verhält­nis mit al­len Rech­ten und Pflich­ten auf den Be­triebs­er­wer­ber über. Dem Ar­beit­neh­mer sol­len die Rech­te er­hal­ten blei­ben, die ihm ge­genüber dem Be­triebs­veräußerer zu-stan­den. Das gilt ge­ra­de auch für be­ste­hen­den Son­derkündi­gungs­schutz. Denn § 613a BGB will ver­hin­dern, dass der Über­neh­mer bei der Über­nah­me der Be­leg­schaft ei­ne Aus­le­se trifft; er soll sich ins­be­son­de­re nicht von den be­son­ders schutz­bedürf­ti­gen älte­ren, schwer­be­hin­der­ten, unkünd­ba­ren oder sonst so­zi­al schwäche­ren Ar­beit­neh­mern tren­nen können (BAG 26. Mai 1983 - 2 AZR 477/81 - BA­GE 43, 13).
 


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cc) Auch dem Ar­beit­ge­ber sol­len die Rech­te aus dem Ar­beits­ver­trag er­hal­ten blei­ben. Da­zu gehört das Kündi­gungs­recht. Al­ler­dings sol­len kei­ner der Ver­trags­par­tei­en zusätz­li­che Rech­te durch den Be­triebsüber­gang er­wach­sen. Das gilt, wie aus § 613a Abs. 4 BGB er­sicht­lich, ge­ra­de auch für das Kündi­gungs­recht. Ist das Kündi­gungs­recht, wie im Fall des § 85 SGB IX, durch ein Ver­bot (mit Er­laub­nis­vor­be­halt) ein­ge­schränkt, so kann es auch nur mit die­ser Ein­schränkung über­ge­hen. Müss­te der Ar­beit­neh­mer ei­ne von ihm be­reits erfüll­te Ob­lie­gen­heit er­neut erfüllen, um den Son­derkündi­gungs­schutz nicht aus An­lass des Be­triebsüber­gangs zu ver­lie­ren, so bräch­te der Be­triebsüber­gang für ihn ei­nen kündi­gungs­recht­li­chen Nach­teil.

dd) In glei­cher Wei­se hat der Se­nat für den Fall der Ein­hal­tung von Aus­schluss­fris­ten ent­schie­den. Die recht­zei­ti­ge Gel­tend­ma­chung von For­de­run­gen aus dem Ar­beits­verhält­nis ge­genüber dem Be­triebs­veräußerer reicht da­nach zur Wah­rung der Aus­schluss­frist auch ge­genüber dem Be­triebs­er­wer­ber (BAG 21. März 1991 - 2 AZR 577/90 - AP BGB § 615 Nr. 49 = EzA BGB § 615 Nr. 68). An­de­rer­seits be­ginnt die Aus­schluss­frist - in­so­weit zu Las­ten des Ar­beit­neh­mers - nicht neu ab dem Be­triebsüber­gang (BAG 13. Fe­bru­ar 2003 - 8 AZR 236/02 - AP BGB § 613a Nr. 244 = EzA TVG § Aus­schluss­fris­ten Nr. 162). Dies ist ein Aus­fluss des Grund­sat­zes, dass Rech­te und Pflich­ten ge­ra­de so wei­ter­be­ste­hen sol­len, als hätte es den Be­triebsüber­gang nicht ge­ge­ben. Der vollständi­ge Ein­tritt des Be­triebsüber­neh­mers in die Rech­te und Pflich­ten des bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­bers be­deu­tet nicht nur ei­ne Nach­fol­ge in recht­li­chen Be­zie­hun­gen, der Über­neh­mer muss sich auch Ge­ge­ben­hei­ten zu­rech­nen las­sen, die als Tat­be­stands­merk­ma­le für späte­re Rechts­fol­gen von Be­deu­tung sind. Das gilt zB für ein An­ge­bot, das der Ar­beit­neh­mer ge­genüber sei­nem frühe­ren Ar­beit­ge­ber zur Be­gründung von An­nah­me­ver­zug ge­macht hat (vgl. Se­nat 9. Ju­li 1987 - 2 AZR 467/86 - zu II 2 der Gründe und 8. April 1988 - 2 AZR 681/87 - zu II 3 der Gründe). Dies ent­spricht dem Zweck des § 613a BGB (vgl. auch: Art. 3 Abs. 2 Richt­li­nie 1998/50 EG). Der Ar­beit­neh­mer soll nicht ei­nes Zah­lungs­an­spruchs nur des­halb ver­lus­tig ge­hen, weil der Be­trieb über­geht, ob­wohl er vor­her al­le Vor­aus­set­zun­gen für ei­nen An­spruch ge­gen den frühe­ren In­ha­ber des Be­trie­bes ge­schaf­fen hat­te. Aus die­sem Grund ist



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§ 425 Abs. 2 BGB nicht an­wend­bar, so­fern dort auf den Ver­zug ver­wie­sen wird, denn aus dem be­son­de­ren Über­nah­me­schuld­verhält­nis iSd. § 613a BGB er­gibt sich „et­was an­de­res“ iSv. § 425 Abs. 1 BGB (BAG 21. März 1991 - 2 AZR 577/90 - AP BGB § 615 Nr. 49 = EzA BGB § 615 Nr. 68).

ee) Dem­ent­spre­chend wird in der Li­te­ra­tur - so­weit sie sich mit der Fra­ge be­fasst - durch­weg die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass der Be­triebs­er­wer­ber sich die Kennt­nis des bis­he­ri­gen Be­triebs­in­ha­bers von Umständen, die ei­nen Son­derkündi­gungs­schutz be­gründen, zu­rech­nen las­sen muss (vgl. Ha­Ko/Mest­werdt 3. Aufl. § 613a BGB Rn. 63; KDZ/Zwan­zi­ger 7. Aufl. § 613a BGB Rn. 92; eben­so für § 626 Abs. 2 BGB: ErfK/Preis 8. Aufl. § 613a BGB Rn. 79; APS/Stef­fan 3. Aufl. § 613a BGB Rn. 99).

ff) Dem steht die Ent­schei­dung des Ach­ten Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 15. Fe­bru­ar 2007 (- 8 AZR 397/06 - BA­GE 121, 273) nicht ent­ge­gen. In dem Ur­teil ist fest­ge­hal­ten, dass der Kündi­gungs­schutz nach dem KSchG nicht über­tra­gen wird, wenn zwar der al­te, nicht aber der neue Be­triebs­in­ha­ber die Vor­aus­set­zun­gen des § 23 Abs. 1 KSchG erfüllt. Die­ser Fall ist aber mit dem hier ge­ge­be­nen nicht ver­gleich­bar. Es geht hier nicht um die be­trieb­li­chen Vor­aus­set­zun­gen des Kündi­gungs­schut­zes, son­dern um persönli­che Ge­ge­ben­hei­ten, die im vor­lie­gen­den Fall auch nicht - wie die des Kündi­gungs­schut­zes in dem vom Ach­ten Se­nat ent­schie­de­nen Fall - weg­ge­fal­len sind. Sie be­ste­hen viel­mehr wei­ter.


c) Die Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes zur Kündi­gung war auch nicht nach § 90 Abs. 2a SGB IX ent­behr­lich. Die Auf­fas­sung der Be­klag­ten, die Schwer­be­hin­de­rung müsse nach § 90 Abs. 2a SGB IX ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber nach­ge­wie­sen wer­den, teilt der Se­nat nicht.


aa) Nach ei­ner ge­le­gent­lich ver­tre­te­nen Auf­fas­sung soll aus § 90 Abs. 2a SGB IX fol­gen, dem Ar­beit­ge­ber müsse der Be­scheid über die Schwer­be­hin­de­rung vor­ge­legt wer­den, da­mit der Son­derkündi­gungs­schutz er­hal­ten blei­be (Bau­er/Po­wietz­ka NZA-RR 2004, 505, 507; Cra­mer NZA 2004, 698, 704; Böhm Ar­bRB 2004, 377).

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bb) Nach der Ge­gen­auf­fas­sung genügt die ob­jek­ti­ve Exis­tenz ei­nes ge­eig­ne­ten Be­schei­des, der die Schwer­be­hin­de­rung - bzw. die Gleich­stel­lung - nach­weist (Et­zel FS zum 25-jähri­gen Be­ste­hen der Ar­beits­ge­mein­schaft Ar­beits­recht im DAV 241, 248 f.; Grie­be­ling NZA 2005, 494, 496 f.; Düwell BB 2004, 2811, 2812; Wes­ters br 2004, 93, 95; Grimm/Brock/Win­deln DB 2005, 282, 285; Wes­ters br 2004, 93, 96; Rolfs/Barg BB 2005, 1678, 1679; Schlewing NZA 2005, 1218, 1219; Staff­horst AuA 1/2005, 35; Bern­hardt/Bart­hel AuA 8/2004, 20, 23; Strie­gel FA 2005, 12, 13; Schul­ze AuR 2005, 252, 254).

cc) Für die zu­letzt ge­nann­te Auf­fas­sung spre­chen die bes­se­ren Gründe (so schon BAG 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - BA­GE 121, 335). Der Wort­laut des Ge­set­zes zwingt nicht zu der ge­gen­tei­li­gen Auf­fas­sung. Das Ge­setz sagt nicht, wem ge­genüber der Nach­weis er­fol­gen muss, und es spricht auch nicht von der Pflicht zur Vor­la­ge ei­nes Be­schei­des. Sinn der Einführung des § 90 Abs. 2a SGB IX war die Ab­stel­lung von Miss­bräuchen, die sich nach Auf­fas­sung des Ge­setz­ge­bers ein­gebürgert hat­ten, in­dem kurz vor dem Aus­spruch von Kündi­gun­gen von vorn­her­ein aus­sichts­lo­se Anträge auf An­er­ken­nung als schwer­be­hin­der­ter Mensch ge­stellt wur­den, um das Ri­si­ko des Ar­beit­ge­bers im Kündi­gungs­schutz­pro­zess oder in des­sen Vor­feld - schein­bar - zu erhöhen. Die Ab­stel­lung die­ses Miss­brauchs setzt aber nicht vor­aus, Schwer­be­hin­der­ten, de­ren An­er­ken­nung seit Lan­gem fest­steht und nicht in Zwei­fel ge­zo­gen wird, ei­ne zusätz­li­che ver­fah­rensmäßige Hürde in den Weg zu stel­len. Dies vor al­lem dann nicht, wenn der Ar­beit­ge­ber die Schwer­be­hin­de­rung kennt - oder sich die Kennt­nis zu­rech­nen las­sen muss - und auch nicht be­strei­tet. Der Ar­beit­ge­ber, der die Schwer­be­hin­de­rung nicht kennt, ist aus­rei­chend durch die vom Se­nat ent­wi­ckel­ten Grundsätze zur Ver­wir­kung geschützt. Der Ar­beit­ge­ber, der die ihm vom Ar­beit­neh­mer mit­ge­teil­te Schwer­be­hin­de­rung be­zwei­felt, kann die An­er­ken­nung be­strei­ten und sich auf die­se Wei­se Klar­heit ver­schaf­fen. Sei­ne Be­lan­ge sind in je­dem Fall geschützt.


II. Der Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten muss er­folg­los blei­ben. Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Se­nats kann der Ar­beit­ge­ber, wenn ei­ne Kündi­gung aus an­de­ren Gründen als der So­zi­al­wid­rig­keit un­wirk­sam ist, die
 


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Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses durch das Ge­richt nach §§ 9, 10 KSchG nicht er­rei­chen (vgl. zu­letzt 28. Au­gust 2008 - 2 AZR 63/07 -).


III. Die Kos­ten der Re­vi­si­on fal­len der Be­klag­ten nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

Rost 

Ey­lert 

Schmitz-Scho­le­mann

Be­cker­le 

Pitsch

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Dr. Martin Hensche
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