HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/132

An­rech­nung von Hartz-IV-Leis­tun­gen auf rück­stän­di­gen Lohn

Hartz-IV-Leis­tun­gen an ei­ne Be­darfs­ge­mein­schaft sind auf rück­stän­di­gen Ar­beits­lohn an­zu­rech­nen, der ei­nem Mit­glied der Be­darfs­ge­mein­schaft zu­steht: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 21.03.2012, 5 AZR 61/11
Ausgestülpte leere Hosentasche mit Hand

23.03.2012. Zahlt der Ar­beit­ge­ber län­ge­re Zeit über den Lohn bzw. das Ge­halt nicht, z.B. weil er in­sol­vent wird, dann er­hält der Ar­beit­neh­mer in der Re­gel So­zi­al­leis­tun­gen, um den fi­nan­zi­el­len Aus­fall zu über­brü­cken.

Ent­we­der be­zieht er von der Ar­beits­agen­tur Ar­beits­lo­sen­geld I im We­ge der "Gleich­wohl­ge­wäh­rung" oder er be­kommt vom Job­cen­ter Grund­si­che­rung für Ar­beits­su­chen­de ("Hartz IV").

In ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ge­klärt, in wel­cher Wei­se die an ei­ne Be­darfs­ge­mein­schaft ge­zahl­ten Hartz IV-Leis­tun­gen auf den rück­stän­di­gen an­zu­rech­nen sind: BAG, Ur­teil vom 21.03.2012, 5 AZR 61/11.

Wie sind vom Job­cen­ter er­brach­te Hartz IV-Leis­tun­gen auf rückständi­gen Ar­beits­lohn an­zu­rech­nen?

Der we­sent­li­che Un­ter­schied zwi­schen Ar­beits­lo­sen­geld und Hartz IV be­steht dar­in, dass das Ar­beits­lo­sen­geld vom ver­si­cher­ten Ar­beits­ein­kom­men abhängt und auch dann ge­zahlt wird, wenn der Ar­beits­lo­sen­geld­empfänger gar nicht akut und drin­gend auf das Ar­beits­lo­sen­geld an­ge­wie­sen ist, während Hartz IV nach­ran­gig ist und da­her nur be­wil­ligt wird, wenn we­der ein an­de­res Ein­kom­men noch ein­setz­ba­re fi­nan­zi­el­le Re­ser­ven vor­han­den sind.

Aus die­sem Grund kommt es bei der Gewährung von Hartz IV auf den fi­nan­zi­el­len Be­darf ei­ner "Be­darfs­ge­mein­schaft" an. Es ist nur das Ein­kom­men und der Be­darf des Hilfs­bedürf­ti­gen selbst, son­dern auch das Ein­kom­men und der Be­darf sei­nes mit ihm zu­sam­men­le­ben­den Ehe­part­ners, sei­nes Le­bens­gefähr­ten und sei­ner Kin­der von Be­deu­tung.

Die­ser Un­ter­schied hat auch Fol­gen für die ge­setz­li­che Über­lei­tung der rückständi­gen Lohn­for­de­run­gen auf den Träger der So­zi­al­leis­tung.

Beim Ar­beits­lo­sen­geld ist klar, dass der lau­fen­de (nicht ge­zahl­te) Lohn­an­spruch für die Zeit, während der der Ar­beit­neh­mer Ar­beits­lo­sen­geld be­zieht, gemäß § 115 Abs. 1 Zehn­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB X) auf die Ar­beits­agen­tur über­geht, und zwar in Höhe des gewähr­ten Ar­beits­lo­sen­gel­des. Über­brückt die Ar­beits­agen­tur mit dem Ar­beits­lo­sen­geld z.B. ei­nen Lohnrück­stand für zwei Mo­na­te, geht der Lohn­an­spruch für die­se zwei Mo­na­te an­tei­lig, d.h. in Höhe des gewähr­ten Ar­beits­lo­sen­gel­des, auf die Ar­beits­agen­tur über, so dass der säum­i­ge Ar­beit­ge­ber nur noch ei­nen Teil des rückständi­gen dem Ar­beit­neh­mer schul­dig ist und ei­nen an­de­ren Teil der Ar­beits­agen­tur.

Der ge­setz­li­che For­de­rungsüber­gang gemäß § 115 Abs. 1 SGB X passt aber nicht auf die Hartz-IV-Leis­tun­gen der Job­cen­ter an Ar­beit­neh­mer, die bei Lohnrück­stand kei­nen Ar­beits­lo­sen­geld­an­spruch ha­ben, son­dern nur Hartz IV be­an­spru­chen können und die mit An­gehöri­gen ei­ne Be­darfs­ge­mein­schaft bil­den. Denn dann wer­den die Hartz-IV-Leis­tun­gen für die ge­sam­te Be­darfs­ge­mein­schaft be­rech­net und ein­heit­lich aus­ge­zahlt.

Hier stellt sich die Fra­ge, ob sol­che Hartz-IV-Leis­tun­gen auch in dem Um­fang auf das Job­cen­ter (früher: AR­GE) über­ge­hen, in dem die­ses sei­ne Leis­tun­gen an an­de­re Mit­glie­der der Be­darfs­ge­mein­schaft er­bracht hat.

Der Streit­fall: Ar­beit­neh­mer be­zieht zu­sam­men mit sei­ner Frau Hartz IV-Leis­tun­gen, nach­dem sein Ar­beit­ge­ber in­sol­vent wur­de

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ham­burg hat die­se Fra­ge in ei­nem im De­zem­ber 2010 ent­schie­de­nen Fall mit nein be­ant­wor­tet (LAG Ham­burg, Ur­teil vom 08.12.2010, 5 Sa 54/10).

Hier ging es um Ar­beit­neh­mer, des­sen Ar­beit­ge­ber En­de 2007 in­sol­vent wur­de. Nach­dem Mit­te No­vem­ber 2007 das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net und ein In­sol­venz­ver­wal­ter ein­ge­setzt wor­den war, blieb auch der In­sol­venz­ver­wal­ter die lau­fen­den Löhne schul­dig, so dass für die Zeit vom 12.11.2007 bis zum 29.02.2008 Lohn­ansprüche von 7.339,12 EUR brut­to bzw. von 5.841,94 EUR net­to of­fen wa­ren. In die­ser Zeit er­hiel­ten der Ar­beit­neh­mer und sei­ne Frau Hartz-IV-Leis­tun­gen.

Der Grund­si­che­rungs­träger for­der­te den In­sol­venz­ver­wal­ter auf, die für bei­de Ehe­leu­te in die­ser Zeit er­brach­ten Leis­tun­gen zu er­stat­ten, was der Ver­wal­ter auch tat, in­dem er 4.183,98 EUR an den Grund­si­che­rungs­träger zurück­zahl­te.

Da­her blie­ben vom Net­to­lohn­an­spruch nur noch 1.657,96 EUR übrig, die der Ver­wal­ter an den Ar­beit­neh­mer aus­kehr­te. Der wie­der­um zog vor Ge­richt und ver­lang­te ei­nen wei­te­ren Teil "sei­nes" Net­to­lohns, da er der Mei­nung war, der Ver­wal­ter hätte dem Grund­si­che­rungs­träger we­ni­ger Geld er­stat­ten müssen.

Er der An­sicht, dass nur der Teil der er­hal­te­nen Grund­si­che­rung, der für ihn persönlich be­stimmt war, vom Net­to­lohn hätten ab­ge­zo­gen wer­den dürfen, d.h. dass nur ein ge­rin­ge­rer Teil des Net­to­lohns auf den Grund­si­che­rungs­träger über­g­an­gen war. Der Teil der Grund­si­che­rungs­träger, der für sei­ne Frau be­stimmt war, stünde ihm noch zu, so dass der Ver­wal­ter wei­te­re 2.154,35 net­to an ihn zah­len müss­te.

Mit die­ser Zah­lungs­kla­ge hat­te er zwar vor dem Ar­beits­ge­richt Ham­burg zunächst kei­nen Er­folg (Ar­beits­ge­richt Ham­burg, Ur­teil vom 30.03.2010, 14 Ca 124/08), doch das LAG Ham­burg war dann in der Be­ru­fungs­in­stanz wie erwähnt der An­sicht, der Kläger sei im Recht (LAG Ham­burg, Ur­teil vom 08.12.2010, 5 Sa 54/10).

BAG: Auch die für an­de­re Per­so­nen ei­ner Be­darfs­ge­mein­schaft gewähr­ten Hartz IV-Leis­tun­gen sind vom For­de­rungsüber­gang auf das Job­cen­ter er­fasst

Vor dem BAG al­ler­dings zog der Ar­beit­neh­mer endgültig den Kürze­ren, denn das BAG ur­teil­te vor­ges­tern, dass auch der für die Ehe­frau des Klägers be­rech­ne­te Teil der Grund­si­che­rung auf den Grund­si­che­rungs­träger über­ge­gan­gen wa­ren und da­her den Lohn­an­spruch ver­rin­ger­ten.

In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den kur­zen Pres­se­mit­tei­lung des BAG heißt es zur Be­gründung, dass bei Hartz-IV-Leis­tun­gen zwar der In­ha­ber des Lohn­an­spruchs (Ar­beit­neh­mer) und der Empfänger der Grund­si­che­rungs­leis­tung (Be­darfs­ge­mein­schaft) nicht die­sel­ben sei­en, so dass hier der "Grund­satz der Per­so­nen­iden­tität durch­bro­chen" sei.

Trotz­dem aber geht der nicht erfüll­te Lohn­an­spruch auch in Höhe der an an­de­re Mit­glie­der der Be­darfs­ge­mein­schaft er­brach­ten Leis­tun­gen auf den Träger der Grund­si­che­rung über, so das BAG.

Zur Be­gründung ver­weist das BAG auf ei­ne Son­der­vor­schrift im Zwei­ten Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB II), nämlich auf § 34b SGB II. Die­ser Re­ge­lung zu­fol­ge gel­ten in Fällen wie hier im Streit­fall auch die Leis­tun­gen an an­de­re Mit­glie­der der Be­dars­ge­mein­schaft als Auf­wen­dun­gen, die das Job­cen­ter an den hilfs­bedürf­ti­gen Ar­beit­neh­mer er­bracht hat.

Fa­zit: Er­bringt ein Job­cen­ter Hartz-IV-Leis­tun­gen an ei­nen Ar­beit­neh­mer, des­sen Ar­beit­ge­ber im Zah­lungs­ver­zug ist, und bil­det die­ser Ar­beit­neh­mer mit sei­nem Ehe­gat­ten oder mit ei­nem Le­bens­part­ner oder mit un­ver­hei­ra­te­ten Kin­der un­ter 25 Jah­ren ei­ne Be­darfs­ge­mein­schaft, geht der of­fe­ne Lohn­an­spruch un­ter Berück­sich­ti­gung von § 34b SGB II auch in Höhe der­je­ni­gen Leis­tun­gen auf das Job­cen­ter über, die das Job­cen­ter für die an­de­ren Mit­glie­der der Be­darfs­ge­mein­schaft er­bracht hat.

Dies gilt je­den­falls dann, wenn die Be­darfs­ge­mein­schaft - wie hier im Streit­fall - oh­ne den Lohnrück­stand kei­ne Hartz-IV-Leis­tun­gen er­hal­ten hätte.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

 

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­gründe schrift­lich ab­ge­fasst und veröffent­licht. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 3. August 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de