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LAG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 11.03.2011, 9 Sa 692/10

   
Schlagworte: Arbeitsunfähigkeit
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen: 9 Sa 692/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 11.03.2011
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Kaiserslautern, Urteil vom 16.11.2010, 8 Ca 1094/10
   

Ak­ten­zei­chen:
9 Sa 692/10
8 Ca 1094/10
ArbG Kai­sers­lau­tern
Ent­schei­dung vom 11.03.2011

Te­nor:
Auf die Be­ru­fung des Klägers wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Kai­sers­lau­tern vom 16.11.2010, Az.: 8 Ca 1094/10, ab­geändert:

Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 28.07.2010 nicht be­en­det wor­den ist.

Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, den Kläger bis zum rechts­kräfti­gen Be­schluss des Kündi­gungs­schutz­rechts­streits zu un­veränder­ten ar­beits­ver­trag­li­chen Be­din­gun­gen als Gerüstbau­er wei­ter­zu­beschäfti­gen.

Die Kos­ten des Rechts­streits trägt die Be­klag­te.
Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.


Tat­be­stand:
Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob ihr Ar­beits­verhält­nis durch die or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten mit Schrei­ben vom 28.07.2010 mit Ab­lauf des 28.02.2011 be­en­det wor­den ist.

Der am 28.02.1961 ge­bo­re­ne Kläger ist bei der Be­klag­ten seit dem 10.03.1979 als Gerüstbau­er bei ei­ner Brut­to­mo­nats­ar­beits­vergütung von 2.636,-- € beschäftigt. Auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en fin­det das Kündi­gungs­schutz­ge­setz An­wen­dung.

Für Sams­tag, den 10.07.2010, war we­gen ei­nes dro­hen­den Un­wet­ters Sams­tags­ar­beit zum Ab­bau ei­nes Gerüsts an­ge­ord­net. Am Tag zu­vor kam es zwi­schen dem Kläger und sei­nem Vor­ge­setz­ten zu ei­nem Gespräch. Nach Dar­stel­lung der Be­klag­ten ver­ab­schie­de­te sich der Vor­ge­setz­te an die­sem Frei­tag von sei­nen Mit­ar­bei­tern und wies dar­auf hin, dass man sich ja mor­gen se­he. Der Kläger soll nach Dar­stel­lung der Be­klag­ten geäußert ha­ben, dass er nicht kom­me und - nach­dem der Vor­ge­setz­te ihm ge­sagt ha­be, dass er kom­men müsse, geäußert ha­be: "Ich kom­me nicht oder willst du dass ich mich krank mel­de?".

Die Be­klag­te sprach dar­auf hin mit Schrei­ben vom 28.07.2010 die streit­ge­genständ­li­che or­dent­li­che Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zum 28.02.2011 aus.

Hin­sicht­lich der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des un­strei­ti­gen Sach­ver­halts des strei­ti­gen Vor­brin­gens der Par­tei­en ers­ter In­stanz wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Be­zug ge­nom­men auf das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Kai­sers­lau­tern vom 16.11.2010, Az.: 8 Ca 1094/10 (Bl. 53 ff. d. A.).

Nach Ver­neh­mung des Vor­ge­setz­ten des Klägers als Zeu­gen hat das Ar­beits­ge­richt die auf Fest­stel­lung der Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung und auf tatsächli­che Wei­ter­beschäfti­gung ge­rich­te­te Kla­ge ab­ge­wie­sen und zur Be­gründung -zu­sam­men­ge­fasst- aus­geführt:

Die Kündi­gung sei aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Die Be­weis­auf­nah­me ha­be er­ge­ben, dass der Kläger die von der Be­klag­ten be­haup­te­te Äußerung getätigt ha­be. Hier­in lie­ge die Dro­hung mit der Vor­la­ge ei­ner Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung. Ei­ne der­ar­ti­ge Dro­hung stel­le ei­nen Kündi­gungs­grund dar. Die Kündi­gung schei­te­re auch nicht an der durch­zuführen­den In­ter­es­sen­abwägung. Da die Be­klag­te nur ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung aus­ge­spro­chen ha­be, ha­be sie auch aus­rei­chend den Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit berück­sich­tigt.

Das ge­nann­te Ur­teil ist dem Kläger am 24.11.2010 zu­ge­stellt wor­den. Er hat hier­ge­gen mit ei­nem am 22.12.2010 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se mit Schrift­satz vom 21.01.2011, beim Lan­des­ar­beits­ge­richt am glei­chen Tag ein­ge­gan­gen, be­gründet.

Zur Be­gründung sei­ner Be­ru­fung macht der Kläger nach Maßga­be des ge­nann­ten Schrift­sat­zes so­wie des wei­te­ren Schrift­sat­zes vom 02.03.2011, auf die je­weils ergänzend Be­zug ge­nom­men wird (Bl. 96 ff., 116 f. d. A.), im We­sent­li­chen gel­tend:

Das Ar­beits­ge­richt ha­be nicht aus­rei­chend berück­sich­tigt, dass es nicht um die Fra­ge ge­gan­gen sei, ob der Kläger sich an ei­nem übli­chen Ar­beits­tag krank mel­de. Die Ge­fahr ei­ner un­be­rech­tig­ten Ent­gelt­fort­zah­lung ha­be da­her nicht be­stan­den. Das Feh­len ei­nes Ar­beit­neh­mers hätte sich nur da­hin­ge­hend aus­ge­wirkt, dass die wei­te­ren Ar­beit­neh­mer bei gleich­blei­ben­der Kos­ten­be­las­tung ei­ne St­un­de länger hätten ar­bei­ten müssen. Das Ar­beits­ge­richt ha­be auch die be­haup­te­te Äußerung des Klägers un­rich­ti­ger Wei­se als Dro­hung mit ei­ner un­be­rech­tig­ten Krank­mel­dung an­ge­se­hen. Wie auch der Be­klag­ten be­kannt ge­we­sen sei, lei­de er un­ter Pro­ble­men mit der Band­schei­be und ha­be 2007 ei­nen Band­schei­ben­vor­fall er­lit­ten, wes­halb er auch vom 07.06. bis 18.06.2010 ar­beits­unfähig er­krankt ge­we­sen sei. Der Kläger ha­be von der Mehr­ar­beit aus­ge­nom­men wer­den wol­len, um an­sons­ten dro­hen­de Rücken­be­schwer­den zu ver­mei­den. Un­ter Berück­sich­ti­gung der Fürsor­ge­pflicht ha­be die Be­klag­te den Kläger nicht zu Mehr­ar­beit her­an­zie­hen dürfen, da auch oh­ne den Kläger genügend Ar­beits­kräfte zur Er­le­di­gung der an­ste­hen­den Ar­bei­ten zur Verfügung ge­stan­den hätten.

Der Kläger be­an­tragt,
das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Kai­sers­lau­tern vom 16.11.2010, Az.: 8 Ca 1094/10, ab­zuändern und

fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 28.07.2010 nicht be­en­det wor­den ist und
im Fal­le des Ob­sie­gens mit dem An­trag zu 1) die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, den Kläger bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Kündi­gungs­schutz­ver­fah­rens zu un­veränder­ten ar­beits­ver­trag­li­chen Be­din­gun­gen als Gerüstbau­er wei­ter­zu­beschäfti­gen.

Die Be­klag­te be­an­tragt,
die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Sie ver­tei­digt das an­ge­foch­te­ne Ur­teil mit ih­rer Be­ru­fungs­er­wi­de­rung gemäß Schrift­satz vom 25.02.2011, auf den ergänzend Be­zug ge­nom­men wird (Bl. 108 ff. d. A.), als zu­tref­fend. Die erst­in­stanz­li­che Be­weis­auf­nah­me ha­be ih­re Be­haup­tung zur Äußerung des Klägers bestätigt. Hier­aus er­ge­be sich auch, dass der Kläger anläss­lich des Gesprächs mit dem Vor­ge­setz­ten nicht auf ge­sund­heit­li­che Be­schwer­den hin­ge­wie­sen ha­be. Der Kläger ha­be viel­mehr be­reits zu­vor geäußert, dass er nicht kom­me, weil er Ge­burts­tag fei­ern wol­le.

Auch im Übri­gen wird ergänzend auf die zwi­schen den Par­tei­en ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe:
I.
Die Be­ru­fung des Klägers ist zulässig. Das Rechts­mit­tel ist an sich statt­haft. Die Be­ru­fung wur­de auch form- und frist­ge­recht ein­ge­legt so­wie - auch in­halt­lich aus­rei­chend - be­gründet.

II. Das Rechts­mit­tel hat auch in der Sa­che Er­folg. Die streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung ist nicht im Sin­ne des § 1 Abs. 2 KSchG so­zi­al ge­recht­fer­tigt und des­halb nach § 1 Abs. 1 KSchG rechts­un­wirk­sam. Im Hin­blick dar­auf steht dem Kläger auch der gel­tend ge­mach­te An­spruch auf tatsächli­che Wei­ter­beschäfti­gung zu.

1. Die Be­ru­fungs­kam­mer ist al­ler­dings in Übe­rein­stim­mung mit dem Ar­beits­ge­richt und der höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung (BAG 05.11.1992 - 2 AZR 147/92 - EzA § 626 n.F. BGB Nr. 143; BAG 12.03.2009 - 2 AZR 251/07 - EzA § 626 BGB 2002, Nr. 26) der Auf­fas­sung, dass die Ankündi­gung ei­ner zukünf­ti­gen, im Zeit­punkt der Ankündi­gung nicht be­ste­hen­den Er­kran­kung durch den Ar­beit­neh­mer für den Fall, dass der Ar­beit­ge­ber be­stimm­ten Ver­lan­gen des Ar­beit­neh­mers nicht nach­kommt, oh­ne Rück­sicht auf ei­ne später tatsächlich auf­tre­ten­de Er­kran­kung an sich ge­eig­net ist, so­gar ei­nen wich­ti­gen Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung und da­mit erst Recht für ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen ab­zu­ge­ben. Ver­sucht der Ar­beit­neh­mer auf die­se Wei­se, ei­nen ihm nicht zu­ste­hen­den Vor­teil zu er­rei­chen, so ver­letzt er hier­durch sei­ne ar­beits­ver­trag­li­che Rück­sicht­nah­me­pflicht. Die­se ver­bie­tet es ihm, den Ar­beit­ge­ber auf ei­ne der­ar­ti­ge Wei­se un­ter Druck zu set­zen. Ein sol­ches Ver­hal­ten be­ein­träch­tigt das Ver­trau­ens­verhält­nis zum Ar­beit­ge­ber, weil es in ihm den be­rech­tig­ten Ver­dacht auf­kom­men las­sen kann, der Ar­beit­neh­mer miss­brau­che not­falls sei­ne Rech­te aus den Ent­gelt­fort­zah­lungs­be­stim­mun­gen, um ei­nen un­be­rech­tig­ten Vor­teil zu er­rei­chen. Hier­in liegt be­reits die kon­kre­te Störung des Ar­beits­verhält­nis­ses.

2. Nach den Fest­stel­lun­gen des Ar­beits­ge­richts, an de­ren Rich­tig­keit und Vollständig­keit kei­ne Zwei­fel im Sin­ne des § 529 Abs. 1 ZPO gel­tend ge­macht wur­den oder sonst er­sicht­lich sind, hat der Kläger am En­de des Gesprächs mit sei­nem Vor­ge­setz­ten geäußert: "…. oder ist es dir lie­ber, wenn ich mich krank mel­de?". Das Ar­beits­ge­richt ist zu­tref­fend auch da­von aus­ge­gan­gen, dass es sich bei die­ser Äußerung bei ob­jek­ti­ver Be­trach­tung aus Sicht des Vor­ge­setz­ten um die Dro­hung mit ei­ner Krank­mel­dung für den Fall han­del­te, dass die­ser an der an­ge­ord­ne­ten Sams­tags­ar­beit fest­hal­te. Zwar mag dem Vor­ge­setz­ten be­kannt ge­we­sen sein, dass der Kläger im Jah­re 2007 ei­nen Band­schei­ben­vor­fall er­lit­ten hat und we­gen Rücken­be­schwer­den vom 07.06. bis 18.06.2010 ar­beits­unfähig er­krankt ge­we­sen ist. An­de­rer­seits lag die­se Ar­beits­unfähig­keit be­reits knapp drei Wo­chen zurück und der Kläger hat­te seit­dem oh­ne er­kenn­ba­re ge­sund­heit­li­chen Be­schwer­den sei­ne Ar­beits­leis­tung er­bracht. Es wäre zu­dem dem Kläger oh­ne wei­te­res möglich ge­we­sen, den Vor­ge­setz­ten dar­auf hin­zu­wei­sen, dass er den Ein­tritt ge­sund­heit­li­cher Be­schwer­den befürch­te, wenn ihm der Sams­tag nicht zur Er­ho­lung zur Verfügung steht.

3. Un­ge­ach­tet des­sen ist die Kündi­gung aber des­halb so­zi­al nicht ge­recht­fer­tigt, weil die stets durch­zuführen­de In­ter­es­sen­abwägung im Ein­zel­fall un­ter Berück­sich­ti­gung des Grund­sat­zes der Verhält­nismäßig­keit im vor­lie­gen­den Fall zu­guns­ten des Klägers ausfällt. Zwar wiegt die Pflicht­ver­let­zung des Klägers schwer und ist ge­eig­net, ei­nen ganz er­heb­li­chen Ver­trau­ens­ver­lust her­bei­zuführen. Eben­so ist zu Las­ten des Klägers zu berück­sich­ti­gen, dass ihn an die­ser Pflicht­ver­let­zung ein er­heb­li­ches Ver­schul­den trifft. Wie aus­geführt, wäre es dem Kläger oh­ne wei­te­res möglich und zu­mut­bar ge­we­sen, le­dig­lich auf die aus sei­ner Sicht un­ter ge­sund­heit­li­chen Ge­sichts­punk­ten be­ste­hen­de Er­ho­lungs­bedürf­tig­keit am Sams­tag zu ver­wei­sen. Zu­guns­ten des Klägers ist dem ge­genüber zu berück­sich­ti­gen, dass die­ser be­reits seit über 31 Jah­ren bei der Be­klag­ten beschäftigt ist und es bis­lang zu kei­nen Störun­gen des Ar­beits­verhält­nis­ses kam. So­weit die Be­klag­te erst­in­stanz­lich (Schrift­satz vom 14.10.2010, Bl. 33 d. A.) dar­auf ver­wie­sen hat, der Kläger ha­be im Jahr 2000 ei­ne Ab­mah­nung und auch noch ei­ne wei­te­re Ab­mah­nung er­hal­ten, ist ihr dies­bezügli­cher Sach­vor­trag gänz­lich un­sub­stan­ti­iert. Es fehlt jeg­li­che zeit­li­che Kon­kre­ti­sie­rung. Aus dem Sach­vor­trag der Be­klag­ten er­gibt sich auch nicht, ob es sich tatsächlich um ei­ne Ab­mah­nung im Rechts­sin­ne ge­han­delt hat. Ei­ne sol­che setzt vor­aus, dass dem Ar­beit­neh­mer für den Fall ei­ner wie­der­hol­ten Pflicht­ver­let­zung ver­deut­licht wird, dass dann In­halt oder Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses gefähr­det sind. Hin­sicht­lich der für das Jahr 2000 be­haup­te­ten Ab­mah­nung ist darüber hin­aus auch nicht er­sicht­lich, dass es sich tatsächlich um ei­ne Pflicht­ver­let­zung han­del­te.

Zu­guns­ten des Klägers war wei­ter auch des­sen Le­bens­al­ter zu berück­sich­ti­gen, wel­ches im Hin­blick auf die Chan­cen, im aus­geübten Be­ruf ei­nen an­der­wei­ti­gen Ar­beits­platz zu fin­den, we­gen der da­mit ver­bun­de­nen körper­li­chen Be­an­spru­chun­gen nicht un­pro­ble­ma­tisch ist.

Un­ter dem recht­li­chen Ge­sichts­punkt der Verhält­nismäßig­keit ist die Be­ru­fungs­kam­mer un­ter Berück­sich­ti­gung der vor­ste­hend ge­nann­ten Ge­sichts­punk­te der Auf­fas­sung, dass es der Be­klag­ten zu­mut­bar war, dem Kläger zunächst we­gen des der Kündi­gung zu­grun­de lie­gen­den Vor­falls ei­ne Ab­mah­nung zu er­tei­len. Als mil­de­re Re­ak­ti­on zu ei­ner auch or­dent­li­chen Kündi­gung ist ins­be­son­de­re auch ei­ne Ab­mah­nung an­zu­se­hen, wenn schon sie ge­eig­net ist, den mit der Kündi­gung ver­folg­ten Zweck - die Ver­mei­dung des Ri­si­kos künf­ti­ger Störun­gen - zu er­rei­chen. Bei ei­nem wie hier steu­er­ba­ren Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers ist grundsätz­lich da­von aus­zu­ge­hen, dass sein künf­ti­ges Ver­hal­ten schon durch die An­dro­hung von Fol­gen für den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses po­si­tiv be­ein­flusst wer­den kann. Ei­ne Ab­mah­nung be­darf es in An­se­hung des Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes des­halb nur dann nicht, wenn ei­ne Ver­hal­tensände­rung in Zu­kunft selbst nach Ab­mah­nung nicht zu er­war­ten steht oder es sich um ei­ne so schwe­re Pflicht­ver­let­zung han­delt, dass ei­ne Hin­nah­me durch den Ar­beit­ge­ber of­fen­sicht­lich aus­ge­schlos­sen ist. Die­se Grundsätze gel­ten un­ein­ge­schränkt auch bei Störun­gen des Ver­trau­ens­be­reichs (vgl. ausführ­lich BAG 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227).

Für die Zu­mut­bar­keit ei­ner Wei­ter­beschäfti­gung un­ter Berück­sich­ti­gung des Grund­sat­zes der Verhält­nismäßig­keit ist es auch von er­heb­li­cher Be­deu­tung, ob das Ar­beits­verhält­nis zu­vor be­reits ge­rau­me Zeit oh­ne er­kenn­ba­re Störun­gen be­stan­den hat. Ei­ne für lan­ge Jah­re un­gestörte Ver­trags­be­zie­hung wird nicht not­wen­dig schon durch ei­ne erst­ma­li­ge Ver­trau­en­s­enttäuschung vollständig und un­wie­der­bring­lich zerstört. Je länger ei­ne Ver­trags­be­zie­hung un­gestört be­stan­den hat, des­to eher kann die Pro­gno­se be­rech­tigt sein, dass der da­durch er­ar­bei­te­te Vor­rat an Ver­trau­en durch ei­nen erst­ma­li­gen Vor­fall nicht vollständig auf­ge­zehrt wird. Hier­bei ist ein ob­jek­ti­ver Maßstab an­zu­le­gen. Die­se Grundsätze gel­ten nicht nur für ei­ne außer­or­dent­li­che, son­dern auch im Rah­men der Über­prüfung ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung (BAG, 10.06.2010, a. a. O.).

Der Kläger hat mehr als 30 Jah­re lang oh­ne er­kenn­ba­re oder näher dar­ge­leg­te Be­an­stan­dun­gen sei­ne Ar­beits­leis­tung für die Be­klag­te er­bracht. Die­se Dau­er der be­an­stan­dungs­frei­en Tätig­keit hat er­heb­li­ches Ge­wicht und war bei ob­jek­ti­ver Be­trach­tung ge­eig­net, ein er­heb­li­ches Maß an Ver­trau­en in den Kläger zu be­gründen. Die­ses er­wor­be­ne Ver­trau­en wird durch den ein­ma­li­gen Vor­fall nicht der­art erschüttert, dass die vollständi­ge Wie­der­her­stel­lung des Ver­trau­ens und ein künf­tig er­neut störungs­frei­es Mit­ein­an­der der Par­tei­en nicht in Fra­ge käme.

4. Da so­mit die streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung rechts­un­wirk­sam ist, steht dem Kläger auch ein An­spruch auf tatsächli­che Wei­ter­beschäfti­gung zu.

III. Auf die Be­ru­fung des Klägers war da­her an­ge­foch­te­ne Ur­teil an­trags­gemäß ab­zuändern. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 91 ZPO. Ein Re­vi­si­ons­zu­las­sungs­grund be­steht nicht.

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