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ArbG Hamburg, Urteil vom 15.12.2010, 26 Ca 260/10
Schlagworte: | Bewerbung | |
Gericht: | Arbeitsgericht Hamburg | |
Aktenzeichen: | 26 Ca 260/10 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 15.12.2010 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | ||
Arbeitsgericht Hamburg
Urteil
Im Namen des Volkes
Geschäftszeichen:
26 Ca 260/10
In dem Rechtsstreit
Verkündet am:
15. Dezember 2010
Angestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
erkennt das Arbeitsgericht Hamburg, 26. Kammer,
auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2010
durch den Richter am Arbeitsgericht Kümpel-Jurgenowski als Vorsitzenden
den ehrenamtlichen Richter Herr R.
den ehrenamtlichen Richter Herr S.
für Recht:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
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Der Streitwert wird auf € 18.000,00 festgesetzt.
Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
Kümpel-Jurgenowski
R.
S.
T a t b e s t a n d
Die Klägerin, die am 7. Juni 1961 geboren und seit dem 1. April 2003 durchgängig arbeitslos ist, bewarb sich am 17. Juni 2010 auf die von der Beklagten im Juni 2010 im Internet-Portal StepStone aufgegebene Ausschreibung der Stelle „Software-entwickler (w/m) Warenwirtschaftssystem und Logistik“, wie in der Anzeige aus-schließlich erbeten, online. In dem von der Beklagten vorgegebenen Formular für die Onlinebewerbung war vorgesehen, dass die Anrede „Frau/Herr“ sowie das Geburtsdatum angegeben werden mussten. Die Ausfüllung der Rubrik „Titel“ war freigestellt. Am Montag, dem 21. Juni 2010, um 09:04 Uhr erhielt die Klägerin von der Beklagten eine Absage mit der Begründung, sie habe aufgrund der zahlreichen Bewerbungen nicht in die engere Wahl genommen werden können; aufgrund der Bewerbungsunterlagen, die bei der Beklagten das erste Vorauswahlinstrument darstellen würden, hätten andere Bewerber die Beklagte mehr von der Pass-genauig¬keit ihrer Qualifikation in Bezug auf das Anforderungsprofil überzeugen können.
Die Klägerin macht geltend, das Pflichteingabefeld „Anrede“, welches einzig das Geschlecht des Bewerbers abfrage, und das Pflichteingabefeld „Geburtsdatum“ würden indizieren, dass sie, die Klägerin, hinsichtlich ihres Geschlechts und ihres Alters diskriminiert worden sei. Dafür spreche auch die Tatsache, dass ihr nach nur einem Tag Bearbeitungszeit abgesagt worden sei. Weiteres Indiz für die geschlechtsbezogene Diskriminierung sei der Umstand, dass nach einer vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit geführten Statistik unter den in Deutschland beschäftigten Datenverarbeitungsfachleuten nur 18,5 % Frauen seien. Dementsprechend sei mit größerer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass auch bei der Beklagten Frauen stark unterpräsentiert seien.
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Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe sie im Übrigen auch wegen ihrer russischen Herkunft diskriminiert. Die Wahrscheinlichkeit dafür ergebe sich aus einer Feldstudie des Instituts für Zukunft der Arbeit über ethnische Diskriminierungen im deutschen Arbeitsmarkt, wonach 28,57 % der Unternehmen der Größenordnung des Unternehmens der Beklagten Bewerbungen von Personen, die zwar in Deutschland geboren seien und hier studiert hätten, jedoch einen türkisch klingenden Namen trügen, negativ gegenüberstünden. Die Klägerin meint, die Wahrscheinlichkeit, dass sie in Anbetracht ihrer russischen Herkunft diskriminiert werde, sei noch höher als 28,57 %, weil sie im Ausland geboren sei und dort auch studiert habe.
Möglicherweise habe die Beklagte sie, die Klägerin, auch wegen der bei ihr vermuteten Weltanschauung in Anbetracht der Tatsache, dass sie im Zentrum des Sozialismus geboren, aufgewachsen, erzogen und als Person reif geworden sei und zu ihrem Studium „wissenschaftlicher Kommunismus“ gehört habe, diskriminiert.
Die Klägerin behauptet, nach ihren in Zeugnissen belegten Qualifikationen entspreche sie passgenau dem Anforderungsprofil der von der Beklagten ausgeschriebenen Stelle.
Die Klägerin meint, aus dem Beschluss des BVerfG 1 BvR 258/86 vom 16. November 1993 ergebe sich, dass Bewerbungsverfahren diskriminierend seien, in denen nach Merkmalen des § 1 AGG gefragt werde.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Entschädigung in Höhe von sechs Monatsgehältern à € 3.000,00.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 18.000,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte macht geltend:
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Allein die Tatsache, dass Geschlecht und Alter in dem zu verwendenden Bewerbungsformular anzugeben gewesen seien, könne eine Diskriminierung nicht indizieren. Die Abfrage der Kontaktdaten eines Bewerbers im Rahmen eines absolut marktüblichen Verfahrens als Beleg für einen Willen zur vorzeitigen Selektion zu werten, sei schlicht absurd. Die Tatsache, dass das Feld „Titel“ nicht verpflichtend ausgefüllt werden musste, habe allein daran gelegen, dass jeder Bewerber ein Geschlecht, nicht aber einen Titel vorweisen könne. Aus den von der Klägerin angeführten Branchenstatistiken lasse sich kein Diskriminierungsverdacht gegenüber jedem der Branche zugehörigen Unternehmen begründen. Die Beklagte habe die Klägerin nicht aus den von ihr behaupteten bzw. gemutmaßten Gründen nicht berücksichtigt, sondern ihr allein deshalb eine Absage erteilt, weil die Qualifikationen der Klägerin die Beklagte nicht hätten überzeugen können. Seit Beginn ihrer Arbeitslosigkeit sei die Klägerin nicht mehr als Softwareentwicklerin oder anderweitig tätig gewesen; sie habe auch keinen Nachweis erbracht, wie sie sich seitdem weitergebildet habe. Ihre Arbeitszeugnisse hätten lediglich durchschnittliche bis gute Bewertungen ausgewiesen. Zahlreiche Bewerber und Bewerberinnen hätten dagegen sehr gute Bewertungen vorweisen können. Zum Bewerbungsgespräch seien auch Bewerberinnen und auch Bewerber sowie Bewerberinnen in der Altersgruppe über 45 Jahre eingeladen worden.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf deren Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Nach § 1 AGG sind Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern.
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Nach § 15 Abs. 1 AGG ist bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Nach § 15 Abs. 2 AGG kann der oder die Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen, die bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen darf, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.
Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG gelten als Beschäftigte auch die Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis.
Die Klägerin ist mithin im Verhältnis zur Beklagten als Arbeitgeberin im Sinne des AGG Beschäftigte. Sie hat auch die in § 15 Abs. 4 AGG für einen Anspruch nach § 15 Abs. 1 oder 2 AGG für die schriftliche Geltendmachung bestimmte Frist von zwei Monaten seit Zugang der Ablehnung eingehalten. Die Klage scheitert jedoch daran, dass die Klägerin nicht, wie nach § 22 AGG erforderlich, im Streitfall Indizien bewiesen hat, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Nur für diesen Fall weist § 22 AGG der anderen Partei die Beweislast dafür zu, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.
Die Tatsache, dass die Beklagte durch die Gestaltung des elektronischen Bewerbungsformulars die Angabe „Frau/Herr“ sowie die Angabe des Geburtsdatums vorgegeben hat, ist kein Indiz im Sinne des § 22 AGG für eine Diskriminierung der Klägerin wegen ihres Geschlechts und/oder ihres Alters. Geschlecht und Geburtsdatum dienen in Deutschland bislang üblicherweise neben dem Namen der Person der möglichst unverwechselbaren Bezeichnung der Identität der Person, wie sich z. B. auch daraus ergibt, dass die entsprechenden Angaben in dem in den Staaten der Europäischen Union verwendeten Passformular vorgeschrieben sind. Die Angabe „Frau/Herr“ dient, wie sich auch bereits aus dem von der Beklagten vorgegebenen Bewerbungsformular selbst ergibt, im Übrigen auch der Ermöglichung der in Deutschland üblichen korrekten Anrede als „Frau“ oder „Herr“. Dass die vorstehend geschilderten bislang in Deutschland bestehenden Übungen Ausdruck bzw. Mittel zum Zweck einer Diskriminierung wären, kann die Kammer nicht erkennen.
Ebenso wenig ist der von der Klägerin angeführte Umstand, dass in dem Bewerbungsformular der Beklagten die Angabe „Titel“ erst nach der Angabe der Anrede „Frau/Herr“ abgefragt wird und außerdem nicht verpflichtend ist, geeignet,
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im Sinne des § 22 AGG die erfolgte Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Geschlechts zu indiziieren. Wie die Beklagte zu Recht anführt, hat nicht jeder Bewerber und jede Bewerberin einen Titel. Soweit eine Person einen Titel führt, wird dieser in der Anrede auf die Geschlechtsbezeichnung „Frau/Herr“ folgend verwendet. Insoweit erklärt sich die entsprechende Gestaltung des Bewerbungsformulars zwanglos, ohne dass daraus auf eine Benachteiligung wegen des Geschlechts geschlossen werden könnte.
Keine andere Beurteilung ergibt sich auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin angeführten statistischen Tatsache, dass von den in Deutschland beschäftigten Datenverarbeitungsfachleuten nur 18,5 % Frauen sind. Zwar können sich auch aus Statistiken grundsätzlich Indizien für eine Geschlechterdiskriminierung ergeben. So weist bereits die Gesetzesbegründung zu § 22 AGG ausdrücklich darauf hin, dass „auch die Ergebnisse von Statistiken … im Rahmen der richterlichen Würdigung des Sachverhalts einen tatsächlichen Anhaltspunkt“ für eine Benachteiligung „darstellen können“ (BT-Drucks. 16/1780 S. 47). Ausreichend für die Vermutungswirkung des § 22 AGG sind allerdings nur solche Indizien, die aus einem regelhaft einem Merkmalsträger gegenüber geübten Verhalten auf eine solchermaßen (mit)motivierte Entscheidung schließen lassen (BAG 24.04.2008, 8 AZR 257/07). Wie das BAG aus diesem Grund bereits entschieden hat, kann sich eine Vermutung für ein derartig regelhaftes Verhalten aus statistischen Daten aber nur dann ergeben, wenn sie sich konkret auf den betreffenden Arbeitgeber beziehen und im Hinblick auf dessen Verhalten aussagekräftig sind (BAG 22.07.2010, 8 AZR 1012/08). Aus der von der Klägerin angeführten deutschlandweiten Statistik folgt mithin kein Indiz zum Nachteil der Beklagten.
Die Klägerin hat auch kein Indiz angeführt, welches vermuten lassen könnte, sie sei von der Beklagten wegen ihrer ethnischen Herkunft benachteiligt worden. Auch insoweit beruft die Klägerin sich auf eine ausschließlich deutschlandweit erhobene, nicht aber sich konkret auf die Beklagte beziehende, Statistik, die aus diesem Grund, wie vorstehend dargelegt, keine indizielle Wirkung zum Nachteil der Beklagten entfaltet.
Was die von der Klägerin ebenfalls angeführte Benachteiligung wegen der Weltanschauung angeht, stellt die Klägerin selbst bereits keine entsprechende Behauptung auf, sondern spricht ausdrücklich nur davon, möglicherweise habe sich
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die Beklagte eine Meinung über ihre Weltanschauung gebildet und sie auch deswegen abgelehnt. Irgendein Indiz in dieser Hinsicht trägt die Klägerin nicht vor.
Schließlich vermag die Kammer auch nicht zu erkennen, dass die durch die Beklagte erfolgte prompte, kurzfristige Absage eine Benachteiligung wegen des Geschlechts, Alters, der ethnischen Herkunft und/oder der Weltanschauung indizieren könnte. Der von der Beklagten angeführte Ablehnungsgrund, nämlich die langjährige Arbeitslosigkeit der Klägerin und die aufgrund dessen von der Beklagten vermutete fehlende aktuelle Berufsvertrautheit, ergab sich offenbar ohne Weiteres aus den von der Klägerin eingereichten Bewerbungsunterlagen und ist daher geeignet, die umgehende ablehnende Reaktion der Beklagten zu erklären.
Die von der Klägerin angeführte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt keinen Anlass zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Das Bundesverfassungsgericht hat dort keineswegs entschieden, wie die Klägerin vorgibt, diskriminierend seien Bewerbungsverfahren, in welchen nach dem Vorliegen eines Merkmals gemäß § 1 AGG – welches damals noch gar nicht in Kraft getreten war – gefragt wird. Vielmehr befasste sich die damalige Entscheidung mit einem Urteil eines Landesarbeitsgerichts, welches zum Ergebnis gelangt war, dass die damalige Beschwerdeführerin Tatsachen glaubhaft gemacht habe, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten ließen. Für diesen Fall hat das Bundes-verfassungsgericht befunden, dass der damalige § 611 a Abs. 1 Satz 3 BGB von Verfassungs wegen so ausgelegt werden müsse, dass der Arbeitgeber eine glaubhaft gemachte Diskriminierung tatsächlich entkräften muss. Das Bundesverfassungsgericht hat also vorgezeichnet, was nunmehr § 22 AGG ausdrücklich bestimmt. Es fehlt im vorliegenden Fall aber, wie dargelegt, am Vortrag bzw. Beweis der Klägerin von Indizien, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf § 3 ZPO und die Entscheidung über die Zulassung der Berufung auf § 64 Abs. 3 und 3 a ArbGG.
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Christoph Hildebrandt Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hildebrandt@hensche.de | |
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