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ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/216

Ka­ren­zent­schä­di­gung nach Er­mes­sen des Ar­beit­ge­bers

Ein Wett­be­werbs­ver­bot, das die Hö­he der Ka­ren­zent­schä­di­gung in das Er­mes­sen des Ar­beit­ge­bers stellt, ist nicht von vorn­her­ein nich­tig: Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 09.01.2013, 16 Sa 563/12
Hunderteuroscheine Wann ist ei­ne Ka­ren­zent­schä­di­gung an­ge­mes­sen?

29.07.2013. Mit ei­nem nach­ver­trag­li­chen Wett­be­werbs­ver­bot ver­pflich­tet sich der Ar­beit­neh­mer ge­gen Zah­lung ei­ner Ka­ren­zent­schä­di­gung da­zu, auch nach Be­en­di­gung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses nicht in Kon­kur­renz zu sei­nem (Ex-)Ar­beit­ge­ber zu tre­ten.

Be­trägt die ver­ein­bar­te Ka­ren­zent­schä­di­gung nicht ent­spre­chend § 74 Abs.2 Han­dels­gestz­buch (HGB) min­des­tens die Hälf­te der zu­letzt be­zo­ge­nen ver­trags­mä­ßi­gen Leis­tun­gen, ist das Wett­be­werbs­ver­bot un­ver­bind­lich, so dass der Ar­beit­neh­mer wäh­len kann, ob er sich dar­an hal­ten möch­te (trotz ge­rin­ger Ent­schä­di­gung) oder nicht (dann ist er frei, kriegt aber na­tür­lich kein Geld).

Ver­ein­ba­ren die Par­tei­en über­haupt kei­ne Ka­ren­zent­schä­di­gung, ist das Wett­be­werbs­ver­bot nich­tig, d.h. es hat von vorn­her­ein kei­ner­lei Rechts­wir­kun­gen.

Frag­lich ist, ob ein Wett­be­werbs­ver­bot die Hö­he der Ka­ren­zent­schä­di­gung kom­plett in das Er­mes­sen des Ar­beit­ge­bers stel­len kann, d.h. ob in die­sem Fall ei­ne Ver­ein­ba­rung über die Ka­ren­zent­schä­di­gung vor­liegt oder nicht. Zu die­ser Fra­ge hat sich das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nie­der­sach­sen in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung ge­äu­ßert: LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 09.01.2013, 16 Sa 563/12.

Liegt ei­ne Ver­ein­ba­rung ei­ner Ka­ren­zentschädi­gung vor, wenn de­ren Höhe in das Er­mes­sen des Ar­beit­ge­bers ge­stellt wird?

Nach der Recht­spre­chung ist ein Wett­be­werbs­ver­bot nich­tig, wenn die Par­tei­en über­haupt kei­ne Ver­ein­ba­rung über die Ka­ren­zentschädi­gung ge­trof­fen ha­ben.

So fin­det man z.B. oft in Ar­beits­verträgen Klau­seln, de­nen zu­fol­ge sich der Ar­beit­neh­mer oh­ne Ge­gen­leis­tung da­zu ver­pflich­tet, auch nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses die Kun­den des (Ex-)Ar­beit­ge­bers nicht zu kon­tak­tie­ren oder mit ih­nen Geschäfte zu ma­chen. Sol­che Klau­seln sind nich­tig und brin­gen dem Ar­beit­ge­ber recht­lich nichts.

Frag­lich ist, was man von ei­ner Ver­ein­ba­rung hal­ten soll, die den Ar­beit­ge­ber zwar zur Zah­lung ei­ner Ka­ren­zentschädi­gung ver­pflich­tet, de­ren Höhe aber sei­nem Er­mes­sen überlässt. Ist ei­ne sol­che Klau­sel als ei­ne Ver­ein­ba­rung über ei­ne Ka­ren­zentschädi­gung an­zu­se­hen oder nicht? Falls nicht, wäre die ge­sam­te Wett­be­werbs­ver­ein­ba­rung nich­tig.

Der Streit­fall: Fir­ma ver­pflich­tet sich zur Zah­lung ei­ner Entschädi­gung, die "in ihr Er­mes­sen ge­stellt" wird

In dem vom LAG Nie­der­sach­sen ent­schie­de­nen Fall hat­ten ein Fut­ter­mit­tel­pro­du­zent und ein Ex­port­ver­triebs­mit­ar­bei­ter Streit mit­ein­an­der. Der Ver­trieb­ler hat­te im Ja­nu­ar 2008 an­ge­fan­gen, konn­te aber die bei sei­ner Ein­stel­lung be­spro­che­nen Ver­triebs­zah­len nicht er­rei­chen. Da­her wur­de er Mit­te 2010 gekündigt.

Der Ar­beits­ver­trag ent­hielt ei­ne Wett­be­werbs­ver­ein­ba­rung. De­ren ers­ten zwei Absätze lau­te­ten:

"Der Mit­ar­bei­ter ver­pflich­tet sich, nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses für die Dau­er von 2 Jah­ren für kein Kon­kur­renz­un­ter­neh­men selbstständig und un­selbstständig tätig zu wer­den.

Die Fir­ma ver­pflich­tet sich, dem Mit­ar­bei­ter für die Dau­er des Wett­be­werbs­ver­bots ei­ne Entschädi­gung zu zah­len, die in ihr Er­mes­sen ge­stellt wird. Die Ka­ren­zentschädi­gung ist fällig am En­de ei­nes je­den Mo­nats."

Bei Ab­lauf der Kündi­gungs­frist teil­te der Ver­trieb­ler dem Ar­beit­ge­ber vor­sichts­hal­ber schrift­lich mit, dass er sich an das ver­ein­bar­te Wett­be­werbs­ver­bot hal­ten wer­de und da­her um Zah­lung der Ka­ren­zentschädi­gung bit­te.

Der (Ex-)Ar­beit­ge­ber hielt dem Ver­trieb­ler dar­auf­hin vor, er hätte bei der Ein­stel­lung über künf­ti­ge Um­satz­zah­len getäuscht, wes­halb der Ar­beit­ge­ber die An­fech­tung des Ar­beits­ver­trags erklärte (we­gen an­geb­li­cher arg­lis­ti­ger Täuschung). Das Wett­be­werbs­ver­bot sei nich­tig, da ei­ne Ka­ren­zentschädi­gung gar nicht ver­ein­bart sei, so der Ar­beit­ge­ber. Vor­sorg­lich setz­te er die Ka­ren­zentschädi­gung auf 20 Pro­zent der zu­letzt be­zo­ge­nen Vergütung fest.

Das woll­te sich der Ex-Ver­triebs­mit­ar­bei­ter nicht ge­fal­len las­sen und zog ge­gen die An­fech­tung des Ar­beits­ver­trags und die Ver­wei­ge­rung der Ka­ren­zentschädi­gung vor Ge­richt. Das Ar­beits­ge­richt Ol­den­burg stell­te die Un­wirk­sam­keit der An­fech­tung fest und ver­ur­teil­te den Ar­beit­ge­ber zur Zah­lung von Ka­ren­zentschädi­gung ent­spre­chend den ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen, da es die Er­mes­sens­ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers (nur 20 Pro­zent) für un­bil­lig hielt (Ar­beits­ge­richt Ol­den­burg, Teil­ur­teil vom 20.03.2012, 1 Ca 531/10).

LAG Nie­der­sach­sen: Ein Wett­be­werbs­ver­bot, das die Entschädi­gung in das Er­mes­sen des Ar­beit­ge­bers stellt, ist nicht von vorn­her­ein nich­tig

Auch das LAG ent­schied ge­gen den Ar­beit­ge­ber, da die von ihm erklärte Arg­listan­fech­tung of­fen­sicht­lich wir­kungs­los war und den Ar­beits­ver­trag samt Wett­be­werbs­ab­re­de da­her nicht aus der Welt schaf­fen konn­te.

Außer­dem mein­te das LAG wie zu­vor auch das Ar­beits­ge­richt, dass im Streit­fall ei­ne Ka­ren­zentschädi­gung wirk­sam ver­ein­bart wor­den war. Dass de­ren Höhe al­lein im Er­mes­sen des Ar­beit­ge­bers stand, änder­te nichts dar­an, dass ein - not­falls ein­klag­ba­rer - An­spruch auf Ka­ren­zentschädi­gung be­stand.

Denn gemäß § 313 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) muss der zu ei­ner Er­mes­sens­leis­tung ver­pflich­te­te Ver­trags­part­ner sein Er­mes­sen kor­rekt (der "Bil­lig­keit" ent­spre­chend) ausüben und der an­de­re Ver­trags­part­ner - hier im Streit­fall der Ar­beit­neh­mer - kann die Er­mes­sens­ausübung ge­richt­lich über­prüfen las­sen. Not­falls setzt das Ge­richt den Um­fang der Leis­tung fest.

Und da sich der Ar­beit­ge­ber hier bei sei­ner Er­mes­sens­ausübung nicht an der ge­setz­li­chen Min­desthöhe der Ka­ren­zentschädi­gung ori­en­tiert hat­te, d.h. an § 74 Abs.2 HGB, hielt das LAG sie oh­ne viel Fe­der­le­sen für un­bil­lig bzw. un­wirk­sam und seg­ne­te die vom Ar­beits­ge­richt vor­ge­nom­me­ne ge­richt­li­che Fest­set­zung ent­spre­chend dem ge­setz­li­chen Mi­ni­mum ab.

Nicht klar ge­sagt hat das LAG aber, ob ei­ne Ka­ren­zentschädi­gung nach Er­mes­sen da­zu führt, dass die Wett­be­werbs­ver­ein­ba­rung un­ver­bind­lich ist, d.h. zu ei­nem Wahl­recht des Ar­beit­neh­mers zwi­schen Be­fol­gung und Nicht­be­fol­gung führt.

Für die Un­ver­bind­lich­keit spricht, dass ei­ne sol­che Klau­sel ja nicht ein­deu­tig klar­stellt, ob der Ar­beit­neh­mer we­nigs­tens das ge­setz­li­che Mi­ni­mum gemäß § 74 Abs.2 HGB er­hal­ten soll, d.h. die Hälf­te sei­ner zu­letzt be­zo­ge­nen Ge­samt­vergütung.

Da das Wett­be­werbs­ver­bot im vor­lie­gen­den Fall oh­ne­hin auf­grund der vom Ar­beit­ge­ber of­fi­zi­ell aus be­trieb­li­chen Gründen aus­ge­spro­che­nen Kündi­gung un­ver­bind­lich ge­wor­den war, und weil der Ar­beit­neh­mer erklärt hat­te, sich an das Ver­bot zu hal­ten, muss­te das LAG die­se Fra­ge nicht ent­schei­den.

Fa­zit: Ein nach­ver­trag­li­ches Wett­be­werbs­ver­bot ist nicht des­halb nich­tig, weil die Ka­ren­zentschädi­gung vom Ar­beit­ge­ber nach sei­nem Er­mes­sen fest­zu­set­zen ist. Ei­ne sol­che Ver­ein­ba­rung führt aber wohl zur Un­ver­bind­lich­keit des Ver­bots, weil nicht klar ge­re­gelt ist, dass der Ar­beit­neh­mer die ge­setz­li­che Min­dest-Ka­ren­zentschädi­gung er­hal­ten soll.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) über den Fall ent­schie­den und das Ur­teil des LAG Nie­der­sach­sen ab­ge­seg­net. In­for­ma­tio­nen zu dem BAG-Ur­teil fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 23. März 2017

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