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LAG Niedersachsen, Urteil vom 15.12.2010, 2 Sa 742/10
Schlagworte: | Aufhebungsvertrag | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Niedersachsen | |
Aktenzeichen: | 2 Sa 742/10 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 15.12.2010 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Braunschweig, Urteil vom 25.03.2010, 6 Ca 654/09 | |
LANDESARBEITSGERICHT
NIEDERSACHSEN
Verkündet am:
15.12.2010
Gerichtsangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 Sa 742/10
6 Ca 654/09 ArbG Braunschweig
In dem Rechtsstreit
Klägerin und Berufungsklägerin,
gegen
Beklagte und Berufungsbeklagte,
hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhand-lung vom 15. Dezember 2010 durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Voigt,
den ehrenamtlichen Richter Buschmann,
den ehrenamtlichen Richter Knake
für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig
vom 25.03.2010 - 6 Ca 654/09 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs, um die Frage, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 20.05.2009
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zum 31.12.2009 wirksam beendet worden ist und um einen hilfsweise geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Wiedereinstellung per 01.01.2010.
Die 1965 geborene Klägerin stand seit dem 01.09.1981 in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Zuletzt bekleidete sie die Stellung einer Abteilungsleiterin zu einem Bruttomonatsgehalt von 4.000,00 €.
Die Beklagte betreibt bundesweit Warenhäuser.
Am 01.09.2009 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet, das durch das Amtsgericht E., nachdem ein Insolvenzplan erstellt wurde, zum 30.09.2010 aufgehoben wurde.
Im Herbst 2008 führte die Klägerin mit dem Filialgeschäftsführer der Beklagten ein Gespräch, in dem die Klägerin ihre Bereitschaft andeutete unter Umständen aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden, um dann ihren Mann bei einer beabsichtigten Selbstständigkeit zu unterstützen. Im Januar 2009 erkrankte die Klägerin wegen eines Burnout-Syndroms. In dieser Phase führte die Klägerin Gespräche mit dem Personalleiter der Beklagten, in denen es um Hilfe für die Klägerin ging. Ab Februar 2009 führte die Klägerin mit dem Personalleiter der Beklagten konkrete Gespräche über ein Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis. Die Klägerin machte deutlich, dass es für sie auf die Höhe der zu zahlenden Abfindung ankäme. Die Beklagte teilte der Klägerin mit, dass sich die Regelabfindung auf etwas über 53.000,00 € belaufe. Die Klägerin signalisierte, dass sie mit einem Betrag von 55.000,00 € als Abfindung einverstanden sei. Der Personalleiter der Beklagten informierte die Klägerin über den Weg bei der Zahlung von Abfindungen im Unternehmen der Beklagten. Er teilte mit, dass ein Betrag von 53.000,00 € von der Hauptverwaltung zur Verfügung gestellt würde und ein weiterer Betrag von 2.000,00 € von der Filiale in B. beizusteuern sei. Der Personalleiter erläuterte den weiteren Verlauf wie die Einigung vollzogen werden sollte. Er wünschte nach Ausspruch einer Kündigung die Protokollierung eines gerichtlichen Vergleichs.
Nach Zustimmung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 20.05.2009 zum 31.12.2009.
Im Rahmen des von der Klägerin eingeleiteten Kündigungsschutzverfahrens beendeten die Parteien in der Güteverhandlung vom 08.06.2009 den Rechtsstreit vergleichsweise.
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Der Vergleich hat folgenden Wortlaut:
1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche arbeitgeberseitige betriebsbedingte Kündigung vom 20.05.2009 fristgerecht mit dem 31.12.2009 endet.
2. Als Abfindung nur für den Verlust des Arbeitsplatzes zahlt die Beklagte an die Klägerin entsprechend den §§ 9, 10 KSchG einen Betrag in Höhe von 55.000,00 € brutto.
3. Damit ist der Rechtsstreit beendet.
Am 09.06.2009 stellte die Beklagte den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Eine Auszahlung der Abfindung erfolgte nicht. Die Klägerin meldete vorsorglich ihre Abfindungsforderung aus dem Vergleich zur Insolvenztabelle an. Auf der Grundlage des Insolvenzplans ist mit einer Insolvenzquote von 3 % zu rechnen.
Mit Schreiben vom 23.10.2009 hat die Klägerin den gerichtlichen Vergleich wegen arglistiger Täuschung angefochten (Bl. 25 d.A.). Mit Schreiben vom 01.12.2009 hat die Klägerin die Unwirksamkeit des gerichtlichen Vergleichs geltend gemacht und die Fortsetzung des Kündigungsschutzverfahrens beantragt.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe den Vergleich im Vertrauen darauf geschlossen, dass der Abfindungsbetrag in Höhe von 55.000,00 € tatsächlich gezahlt werde.
Die Beklagte habe von der Tatsache, dass die Abfindung wegen der bevorstehenden Insolvenz nicht gezahlt werden konnte, gewusst und sie nicht aufgeklärt. Sie habe zwar von finanziellen Schwierigkeiten der Beklagten gewusst, aber von einer unmittelbar bevorstehenden Insolvenzverfahrenseröffnung nicht. Die Bedeutung eines Insolvenzantrages sei ihr nicht bewusst gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, dass der gerichtliche Vergleich vom 08.06.2009 den Rechtsstreit nicht beendet hat;
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2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 20.05.2009 nicht aufgelöst worden ist;
3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund des gerichtlichen Vergleichs nicht mit Ablauf des 31.12.2009 beendet worden ist, sondern darüber hinaus fortbesteht;
4. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu den bisherigen Bedingungen als Abteilungsleiterin weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe am 08.06.2009 keine Kenntnis davon gehabt, dass am Folgetag ein Insolvenzantrag gestellt werden würde. Noch am 08.06. und 09.06.2009 sei über die Gewährung von Staatshilfen verhandelt worden. Erst als die Gespräche am 09.06.2009 negativ verlaufen seien, sei der Insolvenzantrag gestellt worden.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 25.03.2010 (Bl. 85 bis 93 d.A.) verwiesen.
Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 08.06.2009 beendet worden ist. Die Klägerin habe den Vergleich nicht wirksam gemäß § 123 BGB angefochten. Seitens der Beklagten liege keine arglistige Täuschung vor die zu einer Anfechtung berechtige. Die finanziellen Schwierigkeiten der Beklagten im Zeitraum Mai/Juni 2009 seien der Klägerin bekannt gewesen. Über die wirtschaftliche Lage der Beklagten und mögliche Maßnahmen einschließlich eines Antrages auf Rettungshilfe bei der Bundesregierung sei zum damaligen Zeitpunkt ausgiebig berichtet und diskutiert worden. Die Klägerin habe nicht behauptet, dass ihr die finanziellen Schwierigkeiten der Beklagten unbekannt gewesen seien. Unabhängig davon, ob sie von einem unmittelbar bevorstehenden Insolvenzantrag gewusst habe. Ein Insolvenzverfahren habe zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleiches nicht festgestanden. Weder der Personalleiter noch die Geschäftsleitung der Beklagten hätten Kenntnis von dem endgültigen Ergebnis der Verhandlungen über die Staatshilfen gehabt. Die Klägerin habe zudem
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auf Grund der Berichterstattung in den Medien mit der Möglichkeit der Insolvenz bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, dem 31.12.2009, rechnen müssen.
Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Klägerin am 14.05.2010 zugestellt. Sie hat am 17.05.2010 Berufung eingelegt, die sie am 12.07.2010 begründet hat.
Die Klägerin trägt vor, durch den Eintritt der Insolvenz sei die Geschäftsgrundlage für den Vergleichsabschluss entfallen.
Sie sei zur Anfechtung des Vergleichs gemäß § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung berechtigt. Der Personalleiter habe bei Vergleichsabschluss suggeriert, die Abfindungssumme stehe zur Disposition der Filiale in B. Sie sei davon ausgegangen, dies gelte auch im Falle der Insolvenz des A.-Konzerns.
Ihr Schreiben vom 23.10.2009, in dem sie die Anfechtung des Vergleichs vom 08.06.2009 erklärt habe, sei im Übrigen als Rücktritt im Sinne von § 313 Abs. 3 BGB zu werten, denn es sei deutlich, dass sie an dem Vergleich nicht habe festhalten wollen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 11.05.2010 (Az.: 6 Ca 654/09) abzuändern und
1. festzustellen, dass der gerichtliche Vergleich vom 08.06.2009 den Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Braunschweig (Az.: 6 Ca 290/09) nicht beendet hat;
2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 20.05.2009 nicht aufgelöst worden ist;
3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aufgrund des gerichtlichen Vergleichs nicht mit Ablauf des 31.12.2009 beendet worden ist, sondern darüber hinaus fortbesteht;
4. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu den bisherigen Bedingungen als Abteilungsleitering weiter zu beschäftigen.
- 6 -
Im Übrigen beantragt die Klägerin hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, das Angebot der Klägerin, sie mit Wirkung vom 01.01.2010 unter Anerkennung der bisherigen Betriebszugehörigkeit wieder einzustellen, anzunehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Die Beklagte trägt vor, ihr sei ein unmittelbar bevorstehendes Insolvenzverfahren nicht bekannt gewesen. Das allgemeine Insolvenzrisiko des Unternehmens sei in den Medien hinlänglich bekannt gemacht worden.
Im Schreiben vom 23.10.2009 habe die Klägerin eindeutig die Anfechtung erklärt, einen Rücktritt nach § 313 Abs. 3 BGB habe sie nicht erklärt. Ein Rücktrittsrecht besitze die Klägerin im Übrigen nicht, da sich für die Klägerin die sich durch das Insolvenzrecht ergebende Risikoverteilung realisiert habe, so dass ein Rücktrittsrecht nach § 313 Abs. 3 BGB nicht bestehe.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt ihrer gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 519, 520 ZPO, §§ 64, 66 ArbGG).
II.
Die Berufung ist unbegründet.
Der Rechtsstreit ist durch den Vergleich vom 08.06.2009 wirksam beendet worden. Einen Wiedereinstellungsanspruch besitzt die Klägerin nicht.
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1.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass die Klägerin den Vergleich vom 08.06.2009 nicht wirksam gemäß § 123 BGB angefochten hat, sondern der Rechtsstreit durch den Vergleich beendet worden ist.
Der Prozessvergleich hat eine Doppelnatur. Er enthält einerseits eine Prozesshandlung, deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Verfahrensrechts bestimmt. Zugleich beruht er auf einem privatrechtlichen Vertrag, für den § 779 BGB und die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Willenserklärung gelten. Die Einheit von Prozesshandlung und materiellem Rechtsgeschäft sowie prozesswirtschaftliche Gründe sind maßgebend für die prozessualen Folgen materiellrechtlicher Mängel des Prozessvergleichs. Soweit diese auf Umständen beruhen, die bereits im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses bestanden haben - sei es, dass sie zur Nichtigkeit des Vergleichs von Anfang an führen, sei es, dass sie ein Anfechtungsrecht gemäß §§ 119, 123 BGB begründen, nach dessen Ausübung der Vergleich rückwirkend nichtig wird (§ 142 BGB) - ist der Prozessvergleich auch als Prozesshandlung unwirksam. Seine prozessbeendende Wirkung ist dann nicht eingetreten, die Rechtshängigkeit des Prozesses hat fortbestanden (BAG, Urteil vom 12.05.2010, 2 AZR 544/08, Rdnr. 15, zitiert nach Jurisweb, NZA 2010, 1250).
Eine Täuschung, die zur Anfechtung des Vergleichs vom 08.06.2009 im Sinne des § 123 BGB führen könnte, liegt nicht vor. Die Täuschung kann durch positives Tun, also insbesondere durch Behaupten, Unterdrücken oder Entstellen von Tatsachen erfolgen. Sie kann aber auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zur Offenbarung der fraglichen Tatsachen verpflichtet ist (vgl. BAG, Urteil vom 21.02.1991, 2 AZR 449/90, Rdnr. 20, zitiert nach Jurisweb, NZA 1991, 719).
Die Voraussetzungen für eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB liegen nicht vor. Die Klägerin war in ausreichender Weise über den maßgeblichen Sachverhalt unterrichtet. Die finanziell bedrängte Lage der Beklagten war ihr bekannt. Aus den Medien ergab sich, dass eine Insolvenz der Beklagten möglich war und dass nur durch staatliche Finanzhilfen diese Insolvenz abgewendet werden könnte. Bei dieser Sachlage, die der Klägerin nicht unbekannt war, konnte, wie das Arbeitsgericht zu Recht ausführt, die Klägerin nicht davon ausgehen, dass in der Folgezeit die Zahlungsfähigkeit der Beklagten gesichert sein würde, insbesondere für den Zeitraum bis zur Fälligkeit der Abfindung, dem 31.12.2009.
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2.
Der Klägerin steht kein Recht auf Rücktritt von dem Vergleich vom 08.06.2009 zu.
a)
Die Klägerin hat in ihrem Schreiben vom 23.10.2009 (Bl. 25 d.A.) ausdrücklich die Anfechtung des Vergleichs wegen Täuschung über die Zahlungsfähigkeit erklärt.
Eine Rücktrittserklärung hat die Klägerin nicht abgegeben.
Die Anfechtung des Vergleichs würde zu einer Beseitigung des Vergleichs mit einer Wirkung ex nunc führen, das heißt, Rückwirkung besitzen und das anfechtbare Rechtsgeschäft von Anbeginn an beseitigen. Ein Rücktritt hingegen lässt das Rechtsgeschäft unberührt und begründet lediglich Ansprüche des Zurücktretenden auf Rückgewähr/Rückabwicklung des betreffenden Rechtsgeschäfts. Durch den Rücktritt wird der Vertrag in ein Rückgewährschuldverhältnis umgestaltet (BGH, Urteil vom 28.11.2007, VIII ZR 16/07, Rdnr. 10, zitiert nach Jurisweb, NJW 2008, 911).
Gemäß § 140 BGB kann ein nichtiges Rechtsgeschäft, das den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts entspricht, in dieses umgedeutet werden, wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde. Möglich ist, dass das Ersatzgeschäft ein aliud darstellt. Das Ersatzgeschäft darf in seinen Rechtsfolgen nicht weiterreichen, als das unwirksame Rechtsgeschäft, dagegen darf es in seinen Rechtsfolgen hinter dem des nichtigen Rechtsgeschäfts zurückbleiben. Die Anfechtung kann daher in einen Rücktritt umgedeutet werden (BGH, Urteil vom 07.06.2006, VIII ZR 209/05, Rdnr. 16, zitiert nach Jurisweb, NJW 2006, 2839).
b)
Ein Rücktrittsrecht gemäß § 313 Abs. 3 BGB besitzt die Klägerin nicht. Ein Rücktrittsrecht wegen wesentlicher Änderung der Geschäftsgrundlage ist nicht gegeben. Die Zahlungsfähigkeit der Beklagten und die Möglichkeit den Vergleich vollständig zu erfüllen, war objektiv bereits bei Abschluss des Vergleichs am 08.06.2009 gefährdet. Den Parteien war durch die umfangreiche Berichterstattung in den Medien bekannt, dass der A.-Gruppe, zu der die Beklagte gehört, die Insolvenz drohte und staatliche Hilfe, sofern diese erfolgen sollte, einen Ausweg darstellen könnte. Die Zahlungsfähigkeit der Beklagten war damit für alle Beteiligten, aber auch für die Klägerin zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Abfindung am 31.12.2009, das heißt, für einen Zeitraum von fast sieben Monaten nach dem Vergleichs-abschluss, nicht gesichert.
- 9 -
Durch das Scheitern der Sanierungsbemühungen erhält die Beklagte keine staatliche Finanzhilfe mit der Folge, dass wegen der eingetretenen Insolvenz die Klägerin lediglich mit der im Insolvenzplan vorgesehenen Quote von 3 % auf die geschuldete Abfindungsforderung rechnen kann. Es realisiert sich die durch das Insolvenzrecht vorgegebene Risikoverteilung und berechtigt die Klägerin nicht zum Rücktritt nach § 313 Abs. 1 und Abs. 3 BGB.
c)
Der Klägerin steht ein Recht auf Rücktritt vom Vergleich gemäß § 323 BGB nicht zu.
Erbringt bei einem gegenseitigen Vertrag der Schuldner eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß, kann der Gläubiger nach § 323 Abs. 1 BGB, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat, vom Vertrag zurücktreten. Bei dem von der Klägerin mit der Insolvenzschuldnerin abgeschlossenen Aufhebungsvertrag handelt es sich um einen gegenseitigen Vertrag im Sinne von § 323 Abs. 1 BGB. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2009 und die Vereinbarung einer Abfindung in Höhe von 55.000,00 € stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Eine Abfindung, die nach Maßgabe der §§ 9 und 10 KSchG durch Gerichtsurteil zuerkannt wird, ist nach der Entscheidung des BAG vom 25.06.1987 (NZA 1988, Seite 466) ein vermögensrechtliches Äquivalent für den Verlust des Arbeitsplatzes und hat damit Entschädigungsfunktion. Im Falle eines Vergleichs über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses verliert sie diesen Charakter nicht und stellt zugleich auch eine Gegenleistung des Arbeitgebers für die Einwilligung des Arbeitnehmers in die Auflösung des Arbeitsverhältnisses dar, durch die eine gerichtliche Auseinandersetzung zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses vermieden beziehungsweise (beim Prozessvergleich) beendet wird (LAG Düsseldorf, Urteil vom 19.03.2010, 9 Sa 1138/09, Rdnr. 39, zitiert nach Juris-web, LAGE § 346 BGB 2002 Nr. 1, Revision eingelegt 6 AZR 342/10).
Der Rücktritt von einem Aufhebungsvertrag führt nicht zu dessen Unwirksamkeit, sondern begründet gegebenenfalls einen aus dem Rückgewährschuldverhältnis gegebenen Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers (vgl. auch Roth in EWiR 2010,449; Besgen/ Velten in NZA 2010, 561).
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann ein Arbeitnehmer nicht mehr von einem Aufhebungsvertrag zurücktreten. Das LAG Düsseldorf (a.a.O.) geht davon aus, ein Rücktrittsrecht nach § 323 BGB sei in entsprechender Anwendung des § 105 Satz 2 InsO aus-
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geschlossen. Eine direkte Anwendung des § 105 InsO auf den Aufhebungsvertrag scheitere daran, dass der Arbeitnehmer seine Leistung - die Einwilligung zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses - bereits vollständig erbracht habe und § 105 InsO seinem Wortlaut nach lediglich auf teilbare Leistungen abstelle, die noch nicht vollständig erbracht seien. Das in § 105 Satz 2 InsO genannte Rückforderungsverbot für die erbrachten Teilleistungen müsse seinem Sinn und Zweck nach auch auf den vorliegenden Fall zur Anwendung kommen, indem eine Seite den Vertrag bereits vollständig erfüllt habe (LAG Düsseldorf, a.a.O.). Daraus ergebe sich der Ausschluss des Rücktritts vom Aufhebungsvertrag nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Dem folgt die erkennende Kammer im Ergebnis.
Nach Auffassung der erkennenden Kammer ergibt sich der Ausschluss des Rücktrittsrechts indes aus folgenden Erwägungen.
Ein Rücktrittsrecht gemäß § 323 Abs. 4 BGB vor Fälligkeit der Forderung wegen drohendem Vermögensverfall besteht lediglich bis zur Einreichung eines Insolvenzantrages (vgl. auch Mossler in ZIP 2002,1831 ff). Im eröffneten Verfahren wird § 323 BGB durch die §§ 103 ff. InsO als lex specialis verdrängt, wenn der Gläubiger die Insolvenz als Rücktrittsgrund heranzieht (Wegener im FK-InsO, 5. Auflage, § 103, Rdnr. 53 m.w.N. aus der Kommentarliteratur). Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens tritt eine Rücktrittssperre ein. Der Zahlungsanspruch als solcher wird nicht fällig beziehungsweise verliert seine Fälligkeit (Wegener im FK-InsO, 5. Auflage, § 107, Rdnr. 17). Der Zahlungsanspruch kann nur noch als Insolvenzforderung nach § 38 InsO geltend gemacht werden. Ein Rücktrittsrecht steht der Klägerin damit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr zu.
Der Ausschluss des Rücktrittsrechts entfällt nicht durch die Beendigung des Insolvenzverfahrens auf der Grundlage des Insolvenzplanes und dem Aufhebungsbeschlusses des Amtsgerichts E. vom 30.09.2009.
Der von der Klägerin erstmals im Kammertermin gestellte Hilfsantrag auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses per 01.01.2010 ist sachdienlich, er beendet den Streit der Parteien endgültig und wird auf einen Lebenssachverhalt gestützt, den das Gericht seiner Entscheidung ohnehin zugrunde zu legen hat, §§ 533, 267 ZPO.
Da die Klägerin nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr von dem Aufhebungsvertrag zurücktreten konnte, hat sie keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Aufhebungsvertrages gemäß § 346 BGB in Form des Abschlusses eines neuen Arbeitsvertrags. Der Hilfsantrag ist unbegründet.
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Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil findet, wie sich aus der Urteilsformel ergibt, die Revision statt.
Die Revisionsschrift muss innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils, die Revisionsbegründung innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils bei dem Bundesarbeitsgericht eingehen.
Die Anschrift des Bundesarbeitsgerichts lautet:
Postfach, 99113 Erfurt
oder
Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 Erfurt.
Telefax-Nr.: (0361) 26 36 – 20 00
Vor dem Bundesarbeitsgericht müssen sich die Parteien durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Als Bevollmächtigte sind außer Rechtsanwälten nur die in § 11 Absatz 2 Satz 2 Nr. 4 und 5 ArbGG bezeichneten Organisationen zugelassen. Diese müssen in Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.
Die Revisionsschrift, die Revisionsbegründungsschrift und die sonstigen wechselseitigen Schriftsätze im Revisionsverfahren sollen 7-fach – für jeden weiteren Beteiligten ein Exemplar mehr – eingereicht werden.
Voigt
Buschmann
Knake
Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:
Dr. Martin Hensche Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hensche@hensche.de | |
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Nina Wesemann Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht Kontakt: 040 / 69 20 68 04 wesemann@hensche.de |