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LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 15.12.2010, 2 Sa 742/10

   
Schlagworte: Aufhebungsvertrag
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Aktenzeichen: 2 Sa 742/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 15.12.2010
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Braunschweig, Urteil vom 25.03.2010, 6 Ca 654/09
   

LAN­DES­AR­BEITS­GERICHT

NIE­DERSACHSEN

 

Verkündet am:

15.12.2010

Ge­richts­an­ge­stell­te als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

IM NA­MEN DES VOL­KES

UR­TEIL

2 Sa 742/10

6 Ca 654/09 ArbG Braun­schweig

In dem Rechts­streit

Kläge­rin und Be­ru­fungskläge­rin,

ge­gen

Be­klag­te und Be­ru­fungs­be­klag­te,

hat die 2. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen auf die münd­li­che Ver­hand-lung vom 15. De­zem­ber 2010 durch

den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Voigt,
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Busch­mann,
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Kna­ke 

für Recht er­kannt:

Die Be­ru­fung der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Braun­schweig
vom 25.03.2010 - 6 Ca 654/09 - wird kos­ten­pflich­tig zurück­ge­wie­sen.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten um die Wirk­sam­keit ei­nes ge­richt­li­chen Ver­gleichs, um die Fra­ge, ob das zwi­schen ih­nen be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung vom 20.05.2009

 

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zum 31.12.2009 wirk­sam be­en­det wor­den ist und um ei­nen hilfs­wei­se gel­tend ge­mach­ten An­spruch der Kläge­rin auf Wie­der­ein­stel­lung per 01.01.2010.

Die 1965 ge­bo­re­ne Kläge­rin stand seit dem 01.09.1981 in ei­nem Ar­beits­verhält­nis zur Be­klag­ten. Zu­letzt be­klei­de­te sie die Stel­lung ei­ner Ab­tei­lungs­lei­te­rin zu ei­nem Brut­to­mo­nats­ge­halt von 4.000,00 €.

Die Be­klag­te be­treibt bun­des­weit Wa­renhäuser.

Am 01.09.2009 wur­de über das Vermögen der Be­klag­ten das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net, das durch das Amts­ge­richt E., nach­dem ein In­sol­venz­plan er­stellt wur­de, zum 30.09.2010 auf­ge­ho­ben wur­de.

Im Herbst 2008 führ­te die Kläge­rin mit dem Fi­li­al­geschäftsführer der Be­klag­ten ein Gespräch, in dem die Kläge­rin ih­re Be­reit­schaft an­deu­te­te un­ter Umständen aus dem Ar­beits­verhält­nis aus­zu­schei­den, um dann ih­ren Mann bei ei­ner be­ab­sich­tig­ten Selbstständig­keit zu un­terstützen. Im Ja­nu­ar 2009 er­krank­te die Kläge­rin we­gen ei­nes Bur­nout-Syn­droms. In die­ser Pha­se führ­te die Kläge­rin Gespräche mit dem Per­so­nal­lei­ter der Be­klag­ten, in de­nen es um Hil­fe für die Kläge­rin ging. Ab Fe­bru­ar 2009 führ­te die Kläge­rin mit dem Per­so­nal­lei­ter der Be­klag­ten kon­kre­te Gespräche über ein Aus­schei­den aus dem Ar­beits­verhält­nis. Die Kläge­rin mach­te deut­lich, dass es für sie auf die Höhe der zu zah­len­den Ab­fin­dung ankäme. Die Be­klag­te teil­te der Kläge­rin mit, dass sich die Re­gel­ab­fin­dung auf et­was über 53.000,00 € be­lau­fe. Die Kläge­rin si­gna­li­sier­te, dass sie mit ei­nem Be­trag von 55.000,00 € als Ab­fin­dung ein­ver­stan­den sei. Der Per­so­nal­lei­ter der Be­klag­ten in­for­mier­te die Kläge­rin über den Weg bei der Zah­lung von Ab­fin­dun­gen im Un­ter­neh­men der Be­klag­ten. Er teil­te mit, dass ein Be­trag von 53.000,00 € von der Haupt­ver­wal­tung zur Verfügung ge­stellt würde und ein wei­te­rer Be­trag von 2.000,00 € von der Fi­lia­le in B. bei­zu­steu­ern sei. Der Per­so­nal­lei­ter erläuter­te den wei­te­ren Ver­lauf wie die Ei­ni­gung voll­zo­gen wer­den soll­te. Er wünsch­te nach Aus­spruch ei­ner Kündi­gung die Pro­to­kol­lie­rung ei­nes ge­richt­li­chen Ver­gleichs.

Nach Zu­stim­mung des Be­triebs­rats kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis mit Schrei­ben vom 20.05.2009 zum 31.12.2009.
Im Rah­men des von der Kläge­rin ein­ge­lei­te­ten Kündi­gungs­schutz­ver­fah­rens be­en­de­ten die Par­tei­en in der Güte­ver­hand­lung vom 08.06.2009 den Rechts­streit ver­gleichs­wei­se.

 

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Der Ver­gleich hat fol­gen­den Wort­laut:

1. Die Par­tei­en sind sich darüber ei­nig, dass das zwi­schen ih­nen be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch or­dent­li­che ar­beit­ge­ber­sei­ti­ge be­triebs­be­ding­te Kündi­gung vom 20.05.2009 frist­ge­recht mit dem 31.12.2009 en­det.

2. Als Ab­fin­dung nur für den Ver­lust des Ar­beits­plat­zes zahlt die Be­klag­te an die Kläge­rin ent­spre­chend den §§ 9, 10 KSchG ei­nen Be­trag in Höhe von 55.000,00 € brut­to.

3. Da­mit ist der Rechts­streit be­en­det.

Am 09.06.2009 stell­te die Be­klag­te den An­trag auf Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens. Ei­ne Aus­zah­lung der Ab­fin­dung er­folg­te nicht. Die Kläge­rin mel­de­te vor­sorg­lich ih­re Ab­fin­dungs­for­de­rung aus dem Ver­gleich zur In­sol­venz­ta­bel­le an. Auf der Grund­la­ge des In­sol­venz­plans ist mit ei­ner In­sol­venz­quo­te von 3 % zu rech­nen.

Mit Schrei­ben vom 23.10.2009 hat die Kläge­rin den ge­richt­li­chen Ver­gleich we­gen arg­lis­ti­ger Täuschung an­ge­foch­ten (Bl. 25 d.A.). Mit Schrei­ben vom 01.12.2009 hat die Kläge­rin die Un­wirk­sam­keit des ge­richt­li­chen Ver­gleichs gel­tend ge­macht und die Fort­set­zung des Kündi­gungs­schutz­ver­fah­rens be­an­tragt.

Die Kläge­rin hat vor­ge­tra­gen, sie ha­be den Ver­gleich im Ver­trau­en dar­auf ge­schlos­sen, dass der Ab­fin­dungs­be­trag in Höhe von 55.000,00 € tatsächlich ge­zahlt wer­de.
Die Be­klag­te ha­be von der Tat­sa­che, dass die Ab­fin­dung we­gen der be­vor­ste­hen­den In­sol­venz nicht ge­zahlt wer­den konn­te, ge­wusst und sie nicht auf­geklärt. Sie ha­be zwar von fi­nan­zi­el­len Schwie­rig­kei­ten der Be­klag­ten ge­wusst, aber von ei­ner un­mit­tel­bar be­vor­ste­hen­den In­sol­venz­ver­fah­ren­seröff­nung nicht. Die Be­deu­tung ei­nes In­sol­venz­an­tra­ges sei ihr nicht be­wusst ge­we­sen.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass der ge­richt­li­che Ver­gleich vom 08.06.2009 den Rechts­streit nicht be­en­det hat;

 

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2. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung vom 20.05.2009 nicht auf­gelöst wor­den ist;

3. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis auf­grund des ge­richt­li­chen Ver­gleichs nicht mit Ab­lauf des 31.12.2009 be­en­det wor­den ist, son­dern darüber hin­aus fort­be­steht;

4. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, die Kläge­rin zu den bis­he­ri­gen Be­din­gun­gen als Ab­tei­lungs­lei­te­rin wei­ter zu beschäfti­gen.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te hat vor­ge­tra­gen, sie ha­be am 08.06.2009 kei­ne Kennt­nis da­von ge­habt, dass am Fol­ge­tag ein In­sol­venz­an­trag ge­stellt wer­den würde. Noch am 08.06. und 09.06.2009 sei über die Gewährung von Staats­hil­fen ver­han­delt wor­den. Erst als die Gespräche am 09.06.2009 ne­ga­tiv ver­lau­fen sei­en, sei der In­sol­venz­an­trag ge­stellt wor­den.

We­gen des wei­te­ren erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens der Par­tei­en wird auf das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Braun­schweig vom 25.03.2010 (Bl. 85 bis 93 d.A.) ver­wie­sen.

Mit die­sem Ur­teil hat das Ar­beits­ge­richt fest­ge­stellt, dass der Rechts­streit durch den Ver­gleich vom 08.06.2009 be­en­det wor­den ist. Die Kläge­rin ha­be den Ver­gleich nicht wirk­sam gemäß § 123 BGB an­ge­foch­ten. Sei­tens der Be­klag­ten lie­ge kei­ne arg­lis­ti­ge Täuschung vor die zu ei­ner An­fech­tung be­rech­ti­ge. Die fi­nan­zi­el­len Schwie­rig­kei­ten der Be­klag­ten im Zeit­raum Mai/Ju­ni 2009 sei­en der Kläge­rin be­kannt ge­we­sen. Über die wirt­schaft­li­che La­ge der Be­klag­ten und mögli­che Maßnah­men ein­sch­ließlich ei­nes An­tra­ges auf Ret­tungs­hil­fe bei der Bun­des­re­gie­rung sei zum da­ma­li­gen Zeit­punkt aus­gie­big be­rich­tet und dis­ku­tiert wor­den. Die Kläge­rin ha­be nicht be­haup­tet, dass ihr die fi­nan­zi­el­len Schwie­rig­kei­ten der Be­klag­ten un­be­kannt ge­we­sen sei­en. Un­abhängig da­von, ob sie von ei­nem un­mit­tel­bar be­vor­ste­hen­den In­sol­venz­an­trag ge­wusst ha­be. Ein In­sol­venz­ver­fah­ren ha­be zum Zeit­punkt des Ab­schlus­ses des Ver­glei­ches nicht fest­ge­stan­den. We­der der Per­so­nal­lei­ter noch die Geschäfts­lei­tung der Be­klag­ten hätten Kennt­nis von dem endgülti­gen Er­geb­nis der Ver­hand­lun­gen über die Staats­hil­fen ge­habt. Die Kläge­rin ha­be zu­dem

 

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auf Grund der Be­richt­er­stat­tung in den Me­di­en mit der Möglich­keit der In­sol­venz bis zur Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses, dem 31.12.2009, rech­nen müssen.

Das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts wur­de der Kläge­rin am 14.05.2010 zu­ge­stellt. Sie hat am 17.05.2010 Be­ru­fung ein­ge­legt, die sie am 12.07.2010 be­gründet hat.

Die Kläge­rin trägt vor, durch den Ein­tritt der In­sol­venz sei die Geschäfts­grund­la­ge für den Ver­gleichs­ab­schluss ent­fal­len.

Sie sei zur An­fech­tung des Ver­gleichs gemäß § 123 BGB we­gen arg­lis­ti­ger Täuschung be­rech­tigt. Der Per­so­nal­lei­ter ha­be bei Ver­gleichs­ab­schluss sug­ge­riert, die Ab­fin­dungs­sum­me ste­he zur Dis­po­si­ti­on der Fi­lia­le in B. Sie sei da­von aus­ge­gan­gen, dies gel­te auch im Fal­le der In­sol­venz des A.-Kon­zerns.
Ihr Schrei­ben vom 23.10.2009, in dem sie die An­fech­tung des Ver­gleichs vom 08.06.2009 erklärt ha­be, sei im Übri­gen als Rück­tritt im Sin­ne von § 313 Abs. 3 BGB zu wer­ten, denn es sei deut­lich, dass sie an dem Ver­gleich nicht ha­be fest­hal­ten wol­len.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Braun­schweig vom 11.05.2010 (Az.: 6 Ca 654/09) ab­zuändern und

1. fest­zu­stel­len, dass der ge­richt­li­che Ver­gleich vom 08.06.2009 den Rechts­streit vor dem Ar­beits­ge­richt Braun­schweig (Az.: 6 Ca 290/09) nicht be­en­det hat;

2. fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung vom 20.05.2009 nicht auf­gelöst wor­den ist;

3. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en auf­grund des ge­richt­li­chen Ver­gleichs nicht mit Ab­lauf des 31.12.2009 be­en­det wor­den ist, son­dern darüber hin­aus fort­be­steht;

4. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, die Kläge­rin zu den bis­he­ri­gen Be­din­gun­gen als Ab­tei­lungs­lei­te­ring wei­ter zu beschäfti­gen.

 

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Im Übri­gen be­an­tragt die Kläge­rin hilfs­wei­se,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, das An­ge­bot der Kläge­rin, sie mit Wir­kung vom 01.01.2010 un­ter An­er­ken­nung der bis­he­ri­gen Be­triebs­zu­gehörig­keit wie­der ein­zu­stel­len, an­zu­neh­men.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te ver­tei­digt das erst­in­stanz­li­che Ur­teil.

Die Be­klag­te trägt vor, ihr sei ein un­mit­tel­bar be­vor­ste­hen­des In­sol­venz­ver­fah­ren nicht be­kannt ge­we­sen. Das all­ge­mei­ne In­sol­venz­ri­si­ko des Un­ter­neh­mens sei in den Me­di­en hinläng­lich be­kannt ge­macht wor­den.
Im Schrei­ben vom 23.10.2009 ha­be die Kläge­rin ein­deu­tig die An­fech­tung erklärt, ei­nen Rück­tritt nach § 313 Abs. 3 BGB ha­be sie nicht erklärt. Ein Rück­tritts­recht be­sit­ze die Kläge­rin im Übri­gen nicht, da sich für die Kläge­rin die sich durch das In­sol­venz­recht er­ge­ben­de Ri­si­ko­ver­tei­lung rea­li­siert ha­be, so dass ein Rück­tritts­recht nach § 313 Abs. 3 BGB nicht be­ste­he.

We­gen des wei­te­ren Vor­brin­gens der Par­tei­en im Ein­zel­nen wird auf den münd­lich vor­ge­tra­ge­nen In­halt ih­rer ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

I.
Die Be­ru­fung ist form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den und da­mit ins­ge­samt zulässig (§§ 519, 520 ZPO, §§ 64, 66 ArbGG).

II.
Die Be­ru­fung ist un­be­gründet.

Der Rechts­streit ist durch den Ver­gleich vom 08.06.2009 wirk­sam be­en­det wor­den. Ei­nen Wie­der­ein­stel­lungs­an­spruch be­sitzt die Kläge­rin nicht.

 

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1.
Zu Recht und mit zu­tref­fen­der Be­gründung hat das Ar­beits­ge­richt aus­geführt, dass die Kläge­rin den Ver­gleich vom 08.06.2009 nicht wirk­sam gemäß § 123 BGB an­ge­foch­ten hat, son­dern der Rechts­streit durch den Ver­gleich be­en­det wor­den ist.

Der Pro­zess­ver­gleich hat ei­ne Dop­pel­na­tur. Er enthält ei­ner­seits ei­ne Pro­zess­hand­lung, de­ren Wirk­sam­keit sich nach den Grundsätzen des Ver­fah­rens­rechts be­stimmt. Zu­gleich be­ruht er auf ei­nem pri­vat­recht­li­chen Ver­trag, für den § 779 BGB und die Vor­schrif­ten des Bürger­li­chen Ge­setz­bu­ches über die Wil­lens­erklärung gel­ten. Die Ein­heit von Pro­zess­hand­lung und ma­te­ri­el­lem Rechts­geschäft so­wie pro­zess­wirt­schaft­li­che Gründe sind maßge­bend für die pro­zes­sua­len Fol­gen ma­te­ri­ell­recht­li­cher Mängel des Pro­zess­ver­gleichs. So­weit die­se auf Umständen be­ru­hen, die be­reits im Zeit­punkt des Ver­gleichs­ab­schlus­ses be­stan­den ha­ben - sei es, dass sie zur Nich­tig­keit des Ver­gleichs von An­fang an führen, sei es, dass sie ein An­fech­tungs­recht gemäß §§ 119, 123 BGB be­gründen, nach des­sen Ausübung der Ver­gleich rück­wir­kend nich­tig wird (§ 142 BGB) - ist der Pro­zess­ver­gleich auch als Pro­zess­hand­lung un­wirk­sam. Sei­ne pro­zess­be­en­den­de Wir­kung ist dann nicht ein­ge­tre­ten, die Rechtshängig­keit des Pro­zes­ses hat fort­be­stan­den (BAG, Ur­teil vom 12.05.2010, 2 AZR 544/08, Rd­nr. 15, zi­tiert nach Ju­ris­web, NZA 2010, 1250).

Ei­ne Täuschung, die zur An­fech­tung des Ver­gleichs vom 08.06.2009 im Sin­ne des § 123 BGB führen könn­te, liegt nicht vor. Die Täuschung kann durch po­si­ti­ves Tun, al­so ins­be­son­de­re durch Be­haup­ten, Un­ter­drücken oder Ent­stel­len von Tat­sa­chen er­fol­gen. Sie kann aber auch in dem Ver­schwei­gen von Tat­sa­chen be­ste­hen, so­fern der Erklären­de zur Of­fen­ba­rung der frag­li­chen Tat­sa­chen ver­pflich­tet ist (vgl. BAG, Ur­teil vom 21.02.1991, 2 AZR 449/90, Rd­nr. 20, zi­tiert nach Ju­ris­web, NZA 1991, 719).

Die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne An­fech­tung we­gen arg­lis­ti­ger Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB lie­gen nicht vor. Die Kläge­rin war in aus­rei­chen­der Wei­se über den maßgeb­li­chen Sach­ver­halt un­ter­rich­tet. Die fi­nan­zi­ell be­dräng­te La­ge der Be­klag­ten war ihr be­kannt. Aus den Me­di­en er­gab sich, dass ei­ne In­sol­venz der Be­klag­ten möglich war und dass nur durch staat­li­che Fi­nanz­hil­fen die­se In­sol­venz ab­ge­wen­det wer­den könn­te. Bei die­ser Sach­la­ge, die der Kläge­rin nicht un­be­kannt war, konn­te, wie das Ar­beits­ge­richt zu Recht ausführt, die Kläge­rin nicht da­von aus­ge­hen, dass in der Fol­ge­zeit die Zah­lungsfähig­keit der Be­klag­ten ge­si­chert sein würde, ins­be­son­de­re für den Zeit­raum bis zur Fällig­keit der Ab­fin­dung, dem 31.12.2009.

 

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2.
Der Kläge­rin steht kein Recht auf Rück­tritt von dem Ver­gleich vom 08.06.2009 zu.

a)
Die Kläge­rin hat in ih­rem Schrei­ben vom 23.10.2009 (Bl. 25 d.A.) aus­drück­lich die An­fech­tung des Ver­gleichs we­gen Täuschung über die Zah­lungsfähig­keit erklärt.
Ei­ne Rück­tritts­erklärung hat die Kläge­rin nicht ab­ge­ge­ben.

Die An­fech­tung des Ver­gleichs würde zu ei­ner Be­sei­ti­gung des Ver­gleichs mit ei­ner Wir­kung ex nunc führen, das heißt, Rück­wir­kung be­sit­zen und das an­fecht­ba­re Rechts­geschäft von An­be­ginn an be­sei­ti­gen. Ein Rück­tritt hin­ge­gen lässt das Rechts­geschäft un­berührt und be­gründet le­dig­lich Ansprüche des Zurück­tre­ten­den auf Rück­gewähr/Rück­ab­wick­lung des be­tref­fen­den Rechts­geschäfts. Durch den Rück­tritt wird der Ver­trag in ein Rück­gewähr­schuld­verhält­nis um­ge­stal­tet (BGH, Ur­teil vom 28.11.2007, VIII ZR 16/07, Rd­nr. 10, zi­tiert nach Ju­ris­web, NJW 2008, 911).
Gemäß § 140 BGB kann ein nich­ti­ges Rechts­geschäft, das den Er­for­der­nis­sen ei­nes an­de­ren Rechts­geschäfts ent­spricht, in die­ses um­ge­deu­tet wer­den, wenn an­zu­neh­men ist, dass des­sen Gel­tung bei Kennt­nis der Nich­tig­keit ge­wollt sein würde. Möglich ist, dass das Er­satz­geschäft ein ali­ud dar­stellt. Das Er­satz­geschäft darf in sei­nen Rechts­fol­gen nicht wei­ter­rei­chen, als das un­wirk­sa­me Rechts­geschäft, da­ge­gen darf es in sei­nen Rechts­fol­gen hin­ter dem des nich­ti­gen Rechts­geschäfts zurück­blei­ben. Die An­fech­tung kann da­her in ei­nen Rück­tritt um­ge­deu­tet wer­den (BGH, Ur­teil vom 07.06.2006, VIII ZR 209/05, Rd­nr. 16, zi­tiert nach Ju­ris­web, NJW 2006, 2839).

b)
Ein Rück­tritts­recht gemäß § 313 Abs. 3 BGB be­sitzt die Kläge­rin nicht. Ein Rück­tritts­recht we­gen we­sent­li­cher Ände­rung der Geschäfts­grund­la­ge ist nicht ge­ge­ben. Die Zah­lungsfähig­keit der Be­klag­ten und die Möglich­keit den Ver­gleich vollständig zu erfüllen, war ob­jek­tiv be­reits bei Ab­schluss des Ver­gleichs am 08.06.2009 gefähr­det. Den Par­tei­en war durch die um­fang­rei­che Be­richt­er­stat­tung in den Me­di­en be­kannt, dass der A.-Grup­pe, zu der die Be­klag­te gehört, die In­sol­venz droh­te und staat­li­che Hil­fe, so­fern die­se er­fol­gen soll­te, ei­nen Aus­weg dar­stel­len könn­te. Die Zah­lungsfähig­keit der Be­klag­ten war da­mit für al­le Be­tei­lig­ten, aber auch für die Kläge­rin zum Zeit­punkt der Fällig­keit der Ab­fin­dung am 31.12.2009, das heißt, für ei­nen Zeit­raum von fast sie­ben Mo­na­ten nach dem Ver­gleichs-ab­schluss, nicht ge­si­chert.

 

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Durch das Schei­tern der Sa­nie­rungs­bemühun­gen erhält die Be­klag­te kei­ne staat­li­che Fi­nanz­hil­fe mit der Fol­ge, dass we­gen der ein­ge­tre­te­nen In­sol­venz die Kläge­rin le­dig­lich mit der im In­sol­venz­plan vor­ge­se­he­nen Quo­te von 3 % auf die ge­schul­de­te Ab­fin­dungs­for­de­rung rech­nen kann. Es rea­li­siert sich die durch das In­sol­venz­recht vor­ge­ge­be­ne Ri­si­ko­ver­tei­lung und be­rech­tigt die Kläge­rin nicht zum Rück­tritt nach § 313 Abs. 1 und Abs. 3 BGB.

c)
Der Kläge­rin steht ein Recht auf Rück­tritt vom Ver­gleich gemäß § 323 BGB nicht zu.

Er­bringt bei ei­nem ge­gen­sei­ti­gen Ver­trag der Schuld­ner ei­ne fälli­ge Leis­tung nicht oder nicht ver­trags­gemäß, kann der Gläubi­ger nach § 323 Abs. 1 BGB, wenn er dem Schuld­ner er­folg­los ei­ne an­ge­mes­se­ne Frist zur Leis­tung oder Nach­erfüllung be­stimmt hat, vom Ver­trag zurück­tre­ten. Bei dem von der Kläge­rin mit der In­sol­venz­schuld­ne­rin ab­ge­schlos­se­nen Auf­he­bungs­ver­trag han­delt es sich um ei­nen ge­gen­sei­ti­gen Ver­trag im Sin­ne von § 323 Abs. 1 BGB. Die Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses zum 31.12.2009 und die Ver­ein­ba­rung ei­ner Ab­fin­dung in Höhe von 55.000,00 € ste­hen in ei­nem Ge­gen­sei­tig­keits­verhält­nis. Ei­ne Ab­fin­dung, die nach Maßga­be der §§ 9 und 10 KSchG durch Ge­richts­ur­teil zu­er­kannt wird, ist nach der Ent­schei­dung des BAG vom 25.06.1987 (NZA 1988, Sei­te 466) ein vermögens­recht­li­ches Äqui­va­lent für den Ver­lust des Ar­beits­plat­zes und hat da­mit Entschädi­gungs­funk­ti­on. Im Fal­le ei­nes Ver­gleichs über die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ver­liert sie die­sen Cha­rak­ter nicht und stellt zu­gleich auch ei­ne Ge­gen­leis­tung des Ar­beit­ge­bers für die Ein­wil­li­gung des Ar­beit­neh­mers in die Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses dar, durch die ei­ne ge­richt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung zum Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses ver­mie­den be­zie­hungs­wei­se (beim Pro­zess­ver­gleich) be­en­det wird (LAG Düssel­dorf, Ur­teil vom 19.03.2010, 9 Sa 1138/09, Rd­nr. 39, zi­tiert nach Ju­ris-web, LA­GE § 346 BGB 2002 Nr. 1, Re­vi­si­on ein­ge­legt 6 AZR 342/10).

Der Rück­tritt von ei­nem Auf­he­bungs­ver­trag führt nicht zu des­sen Un­wirk­sam­keit, son­dern be­gründet ge­ge­be­nen­falls ei­nen aus dem Rück­gewähr­schuld­verhält­nis ge­ge­be­nen Wie­der­ein­stel­lungs­an­spruch des Ar­beit­neh­mers (vgl. auch Roth in EWiR 2010,449; Bes­gen/ Vel­ten in NZA 2010, 561).

Nach Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens kann ein Ar­beit­neh­mer nicht mehr von ei­nem Auf­he­bungs­ver­trag zurück­tre­ten. Das LAG Düssel­dorf (a.a.O.) geht da­von aus, ein Rück­tritts­recht nach § 323 BGB sei in ent­spre­chen­der An­wen­dung des § 105 Satz 2 In­sO aus-

 

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ge­schlos­sen. Ei­ne di­rek­te An­wen­dung des § 105 In­sO auf den Auf­he­bungs­ver­trag schei­te­re dar­an, dass der Ar­beit­neh­mer sei­ne Leis­tung - die Ein­wil­li­gung zur Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses - be­reits vollständig er­bracht ha­be und § 105 In­sO sei­nem Wort­laut nach le­dig­lich auf teil­ba­re Leis­tun­gen ab­stel­le, die noch nicht vollständig er­bracht sei­en. Das in § 105 Satz 2 In­sO ge­nann­te Rück­for­de­rungs­ver­bot für die er­brach­ten Teil­leis­tun­gen müsse sei­nem Sinn und Zweck nach auch auf den vor­lie­gen­den Fall zur An­wen­dung kom­men, in­dem ei­ne Sei­te den Ver­trag be­reits vollständig erfüllt ha­be (LAG Düssel­dorf, a.a.O.). Dar­aus er­ge­be sich der Aus­schluss des Rück­tritts vom Auf­he­bungs­ver­trag nach Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens.

Dem folgt die er­ken­nen­de Kam­mer im Er­geb­nis.
Nach Auf­fas­sung der er­ken­nen­den Kam­mer er­gibt sich der Aus­schluss des Rück­tritts­rechts in­des aus fol­gen­den Erwägun­gen.
Ein Rück­tritts­recht gemäß § 323 Abs. 4 BGB vor Fällig­keit der For­de­rung we­gen dro­hen­dem Vermögens­ver­fall be­steht le­dig­lich bis zur Ein­rei­chung ei­nes In­sol­venz­an­tra­ges (vgl. auch Moss­ler in ZIP 2002,1831 ff). Im eröff­ne­ten Ver­fah­ren wird § 323 BGB durch die §§ 103 ff. In­sO als lex spe­cia­lis ver­drängt, wenn der Gläubi­ger die In­sol­venz als Rück­tritts­grund her­an­zieht (We­ge­ner im FK-In­sO, 5. Auf­la­ge, § 103, Rd­nr. 53 m.w.N. aus der Kom­men­tar­li­te­ra­tur). Mit Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens tritt ei­ne Rück­tritts­sper­re ein. Der Zah­lungs­an­spruch als sol­cher wird nicht fällig be­zie­hungs­wei­se ver­liert sei­ne Fällig­keit (We­ge­ner im FK-In­sO, 5. Auf­la­ge, § 107, Rd­nr. 17). Der Zah­lungs­an­spruch kann nur noch als In­sol­venz­for­de­rung nach § 38 In­sO gel­tend ge­macht wer­den. Ein Rück­tritts­recht steht der Kläge­rin da­mit nach Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens nicht mehr zu.
Der Aus­schluss des Rück­tritts­rechts entfällt nicht durch die Be­en­di­gung des In­sol­venz­ver­fah­rens auf der Grund­la­ge des In­sol­venz­pla­nes und dem Auf­he­bungs­be­schlus­ses des Amts­ge­richts E. vom 30.09.2009.

Der von der Kläge­rin erst­mals im Kam­mer­ter­min ge­stell­te Hilfs­an­trag auf Be­gründung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses per 01.01.2010 ist sach­dien­lich, er be­en­det den Streit der Par­tei­en endgültig und wird auf ei­nen Le­bens­sach­ver­halt gestützt, den das Ge­richt sei­ner Ent­schei­dung oh­ne­hin zu­grun­de zu le­gen hat, §§ 533, 267 ZPO.

Da die Kläge­rin nach der Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens nicht mehr von dem Auf­he­bungs­ver­trag zurück­tre­ten konn­te, hat sie kei­nen An­spruch auf Rück­ab­wick­lung des Auf­he­bungs­ver­tra­ges gemäß § 346 BGB in Form des Ab­schlus­ses ei­nes neu­en Ar­beits­ver­trags. Der Hilfs­an­trag ist un­be­gründet.

 

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Nach al­le­dem war die Be­ru­fung mit der Kos­ten­fol­ge des § 97 ZPO zurück­zu­wei­sen.

Die Zu­las­sung der Re­vi­si­on be­ruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil fin­det, wie sich aus der Ur­teils­for­mel er­gibt, die Re­vi­si­on statt.
Die Re­vi­si­ons­schrift muss in­ner­halb ei­nes Mo­nats nach Zu­stel­lung die­ses Ur­teils, die Re­vi­si­ons­be­gründung in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach Zu­stel­lung die­ses Ur­teils bei dem Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­hen.

Die An­schrift des Bun­des­ar­beits­ge­richts lau­tet:

Post­fach, 99113 Er­furt

oder

Hu­go-Preuß-Platz 1, 99084 Er­furt.

Te­le­fax-Nr.: (0361) 26 36 – 20 00

Vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt müssen sich die Par­tei­en durch Pro­zess­be­vollmäch­tig­te ver­tre­ten las­sen. Als Be­vollmäch­tig­te sind außer Rechts­anwälten nur die in § 11 Ab­satz 2 Satz 2 Nr. 4 und 5 ArbGG be­zeich­ne­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen zu­ge­las­sen. Die­se müssen in Ver­fah­ren vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt durch Per­so­nen mit Befähi­gung zum Rich­ter­amt han­deln.

Die Re­vi­si­ons­schrift, die Re­vi­si­ons­be­gründungs­schrift und die sons­ti­gen wech­sel­sei­ti­gen Schriftsätze im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren sol­len 7-fach – für je­den wei­te­ren Be­tei­lig­ten ein Ex­em­plar mehr – ein­ge­reicht wer­den.

 

Voigt  

Busch­mann  

Kna­ke

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