HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/130

Ar­beits­zeit­kon­to - Ver­rech­nung von Zeit­gut­ha­ben mit Mi­nus­stun­den

Kei­ne Ver­rech­nung von Zeit­gut­ha­ben auf ei­nem Ar­beits­kon­to oh­ne Rechts­grund­la­ge in ei­nem Ar­beits­ver­trag, ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung oder ei­nem Ta­rif­ver­trag: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 21.03.2012, 5 AZR 676/11
Wanduhr Kei­ne Ver­rech­nung von Mi­nus­stun­den oh­ne Rechts­grund­la­ge

22.03.2012. Ar­beits­zeit­kon­ten er­mög­li­chen es dem Ar­beit­ge­ber, ei­nen schwan­ken­den Be­darf an der Ar­beits­leis­tung ih­rer Ar­beit­neh­mer aus­zu­glei­chen. Wird ein Ar­beits­zeit­kon­to ge­führt, ist dar­in fest­ge­hal­ten, in wel­chem Um­fang der Ar­beit­neh­mer sei­ne Ar­beits­pflicht er­füllt hat (Plus­stun­den) oder noch er­fül­len muss (Mi­nus­stun­den).

Der­ar­ti­ge Ar­beits­zeit­re­ge­lun­gen sind kom­pli­ziert, weil klar sein muss, wann Plus- und wann Mi­nus­stun­den an­fal­len, wie vie­le Plus- und wie­vie­le Mi­nus­stun­den Ar­beit­neh­mer an­häu­fen kön­nen und was bei ei­ner Be­en­di­gung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses mit den St­un­den­gut­ha­ben bzw. den Mi­nus­stun­den ge­sche­hen soll.

Da Ar­beits­zeit­kon­ten für den Ar­beit­neh­mer die Ge­fahr von Mi­nus­stun­den mit sich brin­gen und sehr kom­pli­ziert sind, sind sie nur zu­läs­sig, wenn es da­für ei­ne recht­li­che Grund­la­ge gibt. Sie kann in ei­nem Ar­beits­ver­trag be­ste­hen, aber auch in ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung oder in ei­nem Ta­rif­ver­trag.

Gibt es kei­ne sol­che Grund­la­ge, kann der Ar­beit­ge­ber "Mi­nus­stun­den" nicht ver­rech­nen. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) hat in ei­ner ges­tern er­gan­ge­nen Ent­schei­dung deut­lich ge­macht, dass dies auch dann gilt, wenn sich ta­rif­ver­trag­li­che Ar­beits­zeit­re­ge­lun­gen än­dern und dies zu ei­ner län­ge­ren Ar­beits­ver­pflich­tung füh­ren, die der Ar­beit­ge­ber al­ler­dings nicht be­trieb­lich um­setzt.

Die da­durch an­fal­len­den "Mi­nus­stun­den" fal­len dem Ar­beit­ge­ber zur Last, d.h. er ist nur dann be­rech­tigt, sie mit ei­nem Ar­beits­zeit­kon­to-Gut­ha­ben zu ver­rech­nen, wenn der Ta­rif­ver­trag die­se Art von Mi­nus­stun­den und die Mög­lich­keit der Ver­rech­nung mit Gut­ha­ben­stun­den auch er­laubt: BAG, Ur­teil vom 21.03.2012, 5 AZR 676/11.

Ge­klagt hat­te ei­ne ta­rif­ver­trag­lich be­schäf­tig­te Brief­zu­stel­le­rin. Auf ihr Ar­beits­ver­hält­nis fan­den die für den Ar­beit­ge­ber gel­ten­den Ta­rif­ver­trä­ge An­wen­dung. Die­se Ta­rif­ver­trä­ge sa­hen vor, dass die Ar­beit­neh­mer in­ner­halb der Ar­beits­zeit Er­ho­lungs­zei­ten er­hal­ten, die in den Dienst­plä­nen zu be­zahl­ten Kurz­pau­sen zu­sam­men­ge­fasst sind. Au­ßer­dem war vor­ge­se­hen, dass die au­ßer­halb der dienst­plan­mä­ßi­gen Ar­beits­zeit ge­leis­te­te Über­stun­den auf ei­nem Ar­beits­zeit­kon­to fest­ge­hal­ten wer­den, und dass auch der Aus­gleich sol­cher Über­stun­den in dem Ar­beits­zeit­kon­to er­fasst wird.

Nach­dem am 01.04.2008 ein neu­er Ta­rif­ver­trag in Kraft trat, der die Er­ho­lungs­zei­ten zu­las­ten der Ar­beit­neh­mer kürz­te, setz­te der Ar­beit­ge­ber die­se Kür­zung zu­nächst für drei Mo­na­te in sei­nen Dienst­plä­nen nicht um, d.h. die Ar­beit­neh­mer ar­bei­te­te zu­nächst wie ge­wohnt wei­ter, näm­lich von April bis Ju­ni 2008. Rech­ne­risch ar­bei­te­te die Brief­zu­stel­le­rin da­her in die­sen drei Mo­na­ten 7,20 St­un­den zu we­nig.

Der Ar­beit­ge­ber kürz­te ihr da­her ein be­ste­hen­des Über­stun­den-Zeit­gut­ha­ben im Um­fang von 7,20 St­un­den, d.h. das Ar­beits­zeit­kon­to der Klä­ge­rin wies auf ein­mal 7,20 St­un­den we­ni­ger Gut­ha­ben­stun­den aus. Das be­grün­de­te der Ar­beit­ge­ber da­mit, dass die Brief­zu­stel­le­rin in der Zeit vom 01.04.2008 bis zum 30.06.2008 die ge­schul­de­te Ar­beits­zeit nicht voll­stän­dig er­bracht ha­be.

Das ließ sich die Brief­zu­stel­le­rin nicht ge­fal­len und zog vor Ge­richt mit dem Ziel, den Ar­beit­ge­ber zur Gut­schrift der ge­stri­che­nen St­un­den zu ver­ur­tei­len. Das Ar­beits­ge­richt Neu­rup­pin gab der Kla­ge statt (Ur­teil vom 14.09.2010, 2 Ca 1259/09) und auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg gab der Ar­beit­neh­me­rin recht (LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 03.03.2011, 5 Sa 2328/10). Die­se Ent­schei­dun­gen hat das BAG ges­tern be­stä­tigt und die Re­vi­si­on des Ar­beit­ge­bers zu­rück­ge­wie­sen.

Zur Be­grün­dung heißt es in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG, dass we­der der Ta­rif­ver­trag noch ei­ne ein­schlä­gi­ge Be­triebs­ver­ein­ba­rung dem Ar­beit­ge­ber das Recht ga­ben, das Ar­beits­zeit­kon­to der Brief­zu­stel­le­rin mit Mi­nus­stun­den zu be­las­ten, die sich dar­aus er­ga­ben, dass der Ar­beit­ge­ber die zu sei­nen Guns­ten ge­än­der­te ta­rif­ver­trag­li­che Wo­chen­ar­beits­zeit in sei­nen Dienst­plä­nen nicht aus­schöpf­te.

Fa­zit: Mit die­ser Ent­schei­dung hat das BAG nicht nur das LAG Ber­lin-Bran­den­burg, son­dern auch das LAG Rhein­land-Pfalz be­stä­tigt, das eben­falls vor kur­zem klar­ge­stellt hat, dass Ar­beit­ge­ber oh­ne ta­rif­li­che oder be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Grund­la­ge kein Ar­beits­zeit­kon­to mit Mi­nus­stun­den füh­ren kön­nen (LAG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 15.11.2011, 3 Sa 493/11 - wir be­rich­te­ten dar­über in Ar­beits­recht ak­tu­ell 12/118: Mi­nus­stun­den nur bei Ar­beits­kon­to-Ver­ein­ba­rung).

Nä­he­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­grün­de ver­öf­fent­licht. Das voll­stän­dig be­grün­de­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 5.0 von 5 Sternen (5 Bewertungen)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de