HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/148

Wi­der­spruch bei Be­triebs­über­gang löst kei­ne Sperr­zeit aus

Wi­der­spruch ei­nes Ar­beit­neh­mers bei Be­triebs­über­gang stellt kei­nen sperr­zeit­re­le­van­ten Sach­ver­halt dar: Bun­des­so­zi­al­ge­richt, Ur­teil vom 08.07.2009, B 11 AL 17/08 R
Logo der Bundesagentur für Arbeit, weißes Dreieck auf rotem Hintergrund Be­triebs­über­gang: Wi­der­spruch ist sperr­zeit­neu­tral

19.08.2009. Wi­der­spricht der Ar­beit­neh­mer im Fal­le ei­nes Be­triebs­über­gangs der au­to­ma­ti­schen Über­lei­tung sei­nes Ar­beits­ver­hält­nis­ses auf den Be­triebs­er­wer­ber und ver­bleibt das Ar­beits­ver­hält­nis dem­nach beim al­ten Ar­beit­ge­ber, hat die­ser in der Re­gel kei­ne Be­schäf­ti­gungs­mög­lich­keit mehr, so dass es meis­tens zur Be­en­di­gung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses durch be­triebs­be­ding­te Kün­di­gung oder Auf­he­bungs­ver­trag kommt.

Ob ein sol­cher Wi­ders­rpruch ge­gen ei­nen Be­triebs­über­gang ei­ne Sperr­zeit aus­lö­sen kann, dar­über hat­te kürz­lich das Bun­des­so­zi­al­ge­richt (BSG) zu be­fin­den, BSG, Ur­teil vom 08.07.2009, B 11 AL 17/08 R.

Verhängung ei­ner Sperr­zeit: "se­hen­den Au­ges" in die Ar­beits­lo­sig­keit

Verhängt die Agen­tur für Ar­beit ei­ne Sperr­zeit, so wird dem Ar­beits­lo­sen das ihm ei­gent­lich zu­ste­hen­de Ar­beits­lo­sen­geld I nicht gewährt, weil er sich in ei­ner recht­lich miss­bil­lig­ten bzw. „ver­si­che­rungs­wid­ri­gen“ Wei­se ver­hal­ten hat.

Der wich­tigs­te Fall ei­ner Sperr­zeit ist die Sperr­zeit we­gen Ar­beits­auf­ga­be. Sie tritt gemäß § 144 Abs.1 Satz 2 Nr.1 Drit­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB III) ein, wenn der Ar­beits­lo­se das Beschäfti­gungs­verhält­nis gelöst oder durch ein ar­beits­ver­trags­wid­ri­ges Ver­hal­ten An­lass für die Lösung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses ge­ge­ben und da­durch vorsätz­lich oder grob fahrlässig die Ar­beits­lo­sig­keit her­bei­geführt hat.

Ty­pi­sche Fälle der „Lösung“ des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses mit der Fol­ge ei­ner Sperr­zeit we­gen Ar­beits­auf­ga­be sind die Ei­genkündi­gung des Ar­beit­neh­mers oder der Ab­schluss ei­nes Auf­he­bungs­ver­trags. Hier führt das Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers un­mit­tel­bar zur Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses und da­mit zum Ein­tritt des Ver­si­che­rungs­falls bzw. der Ar­beits­lo­sig­keit.

Frag­lich ist, ob auch ei­ne mit­tel­ba­re Her­beiführung der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­ne Sperr­zeit recht­fer­tigt, et­wa dann, wenn der Ar­beit­neh­mer dem Über­gang sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses auf­grund ei­nes Be­triebsüber­gangs wi­der­spricht und da­mit ei­ne Si­tua­ti­on her­beiführt, in der sein bis­he­ri­ger Ar­beit­ge­ber ihn nicht wei­ter beschäfti­gen kann.

Zu die­ser Fra­ge hat das BSG mit Ur­teil vom 08.07.2009 (B 11 AL 17/08 R) Stel­lung ge­nom­men.

Der Fall: Wi­der­spruch ge­gen ei­nen Be­triebsüber­gang oh­ne An­ga­be von Gründen

Der 1946 ge­bo­re­ne Ar­beit­neh­mer war von Ok­to­ber 1975 bis En­de Ja­nu­ar 2002 bei der E. GmbH als Außen­dienst­mit­ar­bei­ter beschäftigt. Das re­gelmäßige so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­ge Brut­to­ar­beits­ent­gelt be­lief im Ja­nu­ar 2002 auf 4.500,00 EUR. Die or­dent­li­che Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses durch den Ar­beit­ge­ber war we­der ge­setz­lich noch ta­rif­ver­trag­lich aus­ge­schlos­sen. Ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung konn­te gemäß § 622 Abs. 1.2 Nr.7 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) mit ei­ner Frist von sie­ben Mo­na­ten zum Mo­nats­en­de aus­ge­spro­chen wer­den.

Der Ar­beit­neh­mer war mit 15 wei­te­ren Mit­ar­bei­tern in dem Be­triebs­teil I. als Me­di­cal-Re­fe­rent für be­stimm­te Pro­duk­te im Ope­ra­ti­ons­be­reich ein­ge­setzt. Die­ser Be­triebs­teil wur­de zum 05.06.2001 an ei­nen Er­wer­ber, die M. H. GmbH ver­kauft. Dem­zu­fol­ge wäre das Ar­beits­verhält­nis gemäß § 613a Abs.1 Satz 1 BGB zu die­sem Zeit­punkt au­to­ma­tisch auf die M. H. GmbH über­ge­gan­gen, wenn der Ar­beit­neh­mer dem nicht wi­der­spro­chen hätte. Sein Wi­der­spruch vom 31.05.2001 führ­te gemäß § 613a Abs.6 BGB da­zu, dass sein Ar­beits­verhält­nis beim ursprüng­li­chen Ar­beit­ge­ber, der E. GmbH, ver­blieb. Gründe für sei­nen Wi­der­spruch gab der Kläger nicht an, was er nach § 613a Abs.6 BGB auch nicht muss.

Da die E. GmbH auf­grund der Veräußerung des Be­triebs­teil I. kei­ne wei­te­re Möglich­keit des Beschäfti­gung des Ar­beit­neh­mers hat­te, ver­ein­bar­ten die­ser und die E. GmbH am 18.06.2001 ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag, dem zu­fol­ge das Ar­beits­verhält­nis zum 31.01.2002 be­en­det wur­de und der Ar­beit­neh­mer ei­ne Ab­fin­dung von 362.839,00 DM er­hal­ten soll­te. Ei­ne Frei­stel­lung des Klägers wur­de in die­sem Auf­he­bungs­ver­trag nicht ver­ein­bart.

Als sich der Ar­beit­neh­mer so­dann ar­beits­los mel­de­te und ab dem 01.02.2002 Zah­lung von Ar­beits­lo­sen­geld ver­lang­te, verhäng­te die zuständi­ge Ar­beits­agen­tur ei­ne Sperr­zeit von zwölf Wo­chen, die der Ar­beit­neh­mer nach er­folg­lo­sem Wi­der­spruchs­ver­fah­ren im We­ge der Kla­ge vor dem So­zi­al­ge­richt Stutt­gart an­griff. Das So­zi­al­ge­richt wies sei­ne Kla­ge ab (Ur­teil vom 07.12.2004, S 2 AL 2862/02). Auch sei­ne hier­ge­gen ge­rich­te­te Be­ru­fung zum Lan­des­so­zi­al­ge­richt (LSG) Ba­den-Würt­tem­berg hat­te kei­nen Er­folg (Ur­teil vom 11.05.2007, L 8 AL 271/05).

Nach An­sicht des LSG Ba­den-Würt­tem­berg hat­te der Ar­beit­neh­mer, in­dem er dem Be­triebsüber­gang oh­ne An­ga­be von Gründen wi­der­spro­chen hat­te, ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung durch den bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­ber wenn nicht ermöglicht, so doch er­heb­lich er­leich­tert. Das LSG hielt dem Ar­beit­neh­mer vor, dass er sei­ne bis­he­ri­ge Ar­beitsmöglich­keit „aus frei­en Stücken auf­ge­ge­ben“ hat­te und da­durch ein drin­gen­des be­trieb­li­ches Er­for­der­nis für ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung ge­schaf­fen hat­te. Dies, so das LSG, recht­fer­tigt je­den­falls dann die Verhängung ei­ner Sperr­zeit, wenn dem Be­triebsüber­gang oh­ne An­ga­be von Gründen wi­der­spro­chen wur­de.

BSG: Wi­der­spruch ge­gen Be­triebsüber­gang ist nicht sperr­zeits­re­le­vant

Der 11. Se­nat des BSG ent­schied an­ders als die Vor­in­stan­zen zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers, d.h. es hob das Ur­teil des LSG Ba­den-Würt­tem­berg auf und ver­wies die Sa­che zur wei­te­ren Aufklärung des Sach­ver­halts zurück.

In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mit­tei­lung (Me­di­en­in­for­ma­ti­on Nr. 32/09 vom 08.07.2009) heißt es da­zu, dass der Wi­der­spruch ei­nes Ar­beit­neh­mers bei Be­triebsüber­gang als sol­cher kei­nen sperr­zeit­re­le­van­ten Sach­ver­halt dar­stellt.

Al­ler­dings hält das BSG für Fälle der vor­lie­gen­den Art dar­an fest, dass ein wich­ti­ger Grund zur Lösung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses durch Auf­he­bungs­ver­trag nur dann be­steht, wenn dem Ar­beit­neh­mer an­de­ren­falls ob­jek­tiv rechtmäßig zum sel­ben Zeit­punkt gekündigt wor­den und ihm die Hin­nah­me der Kündi­gung nicht zu­mut­bar ge­we­sen wäre.

Da­zu hat­te das LSG da­zu kei­ne Fest­stel­lun­gen ge­trof­fen, da es da­von aus­ging, dass be­reits der Wi­der­spruch ge­gen den Be­triebsüber­gang ein aus­rei­chen­der Grund für die Verhängung ei­ner Sperr­zeit sei. Dem­zu­fol­ge ist nun durch das LSG zu klären, ob sich der Ar­beit­neh­mer für den Ab­schluss des Auf­he­bungs­ver­trags auf ei­nen wich­ti­gen Grund be­ru­fen kann.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen zu dem Vor­gang fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­gründe schrift­lich ab­ge­fasst und veröffent­licht. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 4.5 von 5 Sternen (4 Bewertungen)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de