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BAG, Ur­teil vom 24.02.2016, 5 AZR 425/15

   
Schlagworte: Annahmeverzug, Gesamtberechnung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 5 AZR 425/15
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 24.02.2016
   
Leitsätze: Nach § 615 Satz 2 BGB ist Zwischenverdienst auf den Vergütungsanspruch wegen Annahmeverzugs in dem Umfang anzurechnen, wie er dem Verhältnis der beim Arbeitgeber ausgefallenen Arbeitszeit zu der im neuen Dienstverhältnis geleisteten entspricht.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 20.01.2015 - 2 Ca 4459/14
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 01.07.2015 - 1 Sa 194/15
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

5 AZR 425/15
1 Sa 194/15
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Düssel­dorf

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
24. Fe­bru­ar 2016

UR­TEIL

Klei­nert, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Fünf­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 24. Fe­bru­ar 2016 durch den Vi­ze­präsi­den­ten des Bun­des­ar­beits­ge­richts Dr. Müller-Glöge, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Biebl, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Volk so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Bürger und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Chris­ten für Recht er­kannt:

 

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1. Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 1. Ju­li 2015 - 1 Sa 194/15 - wird zurück­ge­wie­sen.

2. Die Be­klag­te hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die An­rech­nung von Zwi­schen­ver­dienst auf Vergütungs­ansprüche we­gen An­nah­me­ver­zugs.

Die Be­klag­te ist ei­ne in Ab­wick­lung be­find­li­che sog. geöff­ne­te Be­triebs­kran­ken­kas­se. Die Kläge­rin war bei ihr seit 1998 zwölf St­un­den wöchent­lich beschäftigt. Das Bun­des­ver­si­che­rungs­amt ord­ne­te die Sch­ließung der Be­klag­ten zum 31. De­zem­ber 2011 an. Die Be­klag­te teil­te der Kläge­rin mit, das Ar­beits­verhält­nis wer­de mit dem Tag der Sch­ließung en­den, und kündig­te das Ar­beits­verhält­nis hilfs­wei­se außer­or­dent­lich zum 31. De­zem­ber 2011 so­wie äußerst hilfs­wei­se or­dent­lich. Die Kläge­rin er­hob Kündi­gungs­schutz­kla­ge. Mit Be­schluss vom 9. April 2014 stell­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt Zu­stan­de­kom­men und In­halt ei­nes Ver­gleichs fest, der ua. re­gelt:

„1. Es be­steht Ei­nig­keit, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis zum 31. De­zem­ber 2013 be­en­det wor­den ist.

2. Die Be­klag­te ver­pflich­tet sich, das Ar­beits­verhält­nis bis zu die­sem Zeit­punkt auf der Ba­sis des Mo­nats­ge­halts zum Zeit­punkt der Sch­ließung zuzüglich ver­trag­li­cher Son­der­zah­lun­gen ... ab­zu­rech­nen und sich hier­aus er­ge­ben­de Net­to­ansprüche an die Kläger­sei­te aus­zu­zah­len, so­weit Ansprüche nicht auf Drit­te, ins­be­son­de­re So­zi­al­ver­si­che­rungs­träger, über­ge­gan­gen sind.“

Seit 1. Ja­nu­ar 2012 ist die Kläge­rin in ei­nem an­de­ren Ar­beits­verhält­nis wöchent­lich 17 St­un­den beschäftigt.

 

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Die Be­klag­te be­rech­ne­te den Vergütungs­an­spruch we­gen An­nah­me­ver­zugs für das Jahr 2012 mit 13.846,80 Eu­ro brut­to und für das Jahr 2013 mit 13.839,31 Eu­ro brut­to. Da die Kläge­rin im neu­en Ar­beits­verhält­nis im Jahr 2012 Vergütung iHv. 14.947,57 Eu­ro brut­to und im Jahr 2013 iHv. 15.593,63 Eu­ro brut­to be­zo­gen hat­te, lehn­te die Be­klag­te ei­ne Zah­lung un­ter Hin­weis auf die An­rech­nung die­ser Vergütung ab.

Die Kläge­rin meint, der Vergütungs­an­teil, den sie we­gen der neu­en länge­ren Ar­beits­zeit be­zo­gen ha­be, sei nicht an­rech­nungsfähig.

Die Kläge­rin hat - so­weit in der Re­vi­si­on noch von Re­le­vanz - be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin 6.127,61 Eu­ro brut­to zuzüglich Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit Rechtshängig­keit zu zah­len.

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt. Der an­der­wei­tig er­ziel­te Ver­dienst sei vollständig an­zu­rech­nen.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kläge­rin den noch strei­ti­gen Be­trag nebst Zin­sen zu­ge­spro­chen. Die hier­ge­gen ge­rich­te­te Be­ru­fung der Be­klag­ten hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ihr Kla­ge­ab­wei­sungs­be­geh­ren wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat den Rechts­streit zu­tref­fend ent­schie­den. Die Kläge­rin muss sich auf den Vergütungs­an­spruch we­gen An­nah­me­ver­zugs nicht den ge­sam­ten von ihr er­ziel­ten Zwi­schen­ver­dienst an­rech­nen las­sen.

 

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I. Der Vergütungs­an­spruch für die Zeit vom 1. Ja­nu­ar 2012 bis zum 31. De­zem­ber 2013 folgt aus § 611 Abs. 1 iVm. § 615 Satz 1 BGB.

1. Nach § 615 Satz 1 BGB kann der Ar­beit­neh­mer die ver­ein­bar­te Vergütung ver­lan­gen, wenn der Ar­beit­ge­ber mit der An­nah­me der Ar­beits­leis­tung in Ver­zug kommt. Der Ar­beit­neh­mer muss die in­fol­ge des An­nah­me­ver­zugs aus­ge­fal­le­ne Ar­beit nicht nach­leis­ten. Un­strei­tig ge­riet die Be­klag­te mit Ab­lauf des 31. De­zem­ber 2011 in An­nah­me­ver­zug. Die­ser en­de­te zu dem im Pro­zess­ver­gleich ver­ein­bar­ten Be­en­di­gungs­zeit­punkt, dem 31. De­zem­ber 2013.

2. Da­hin­ste­hen kann, ob die Par­tei­en im Pro­zess­ver­gleich die An­rech­nung von Zwi­schen­ver­dienst auf den Vergütungs­an­spruch gemäß § 615 Satz 2 BGB aus­ge­schlos­sen ha­ben. Der in der Re­vi­si­on noch strei­ti­ge Teil der For­de­rung un­ter­liegt kei­ner An­rech­nung.

a) Nach § 615 Satz 2 BGB ist auf den Vergütungs­an­spruch we­gen An­nah­me­ver­zugs ua. das an­zu­rech­nen, was der Ar­beit­neh­mer durch an­der­wei­ti­ge Ver­wen­dung sei­ner Diens­te ver­dient hat. Im Streit­fall ha­ben die Par­tei­en ei­ne Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zum 31. De­zem­ber 2013 durch Pro­zess­ver­gleich ge­re­gelt. Da­mit fehlt es an ei­ner Ent­schei­dung des Ge­richts zum Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses iSd. § 11 KSchG, wes­halb die­se Norm als An­rech­nungs­vor­schrift aus­schei­det.

b) Doch muss sich die Kläge­rin nach § 615 Satz 2 BGB nicht den ge­sam­ten von ihr er­ziel­ten Zwi­schen­ver­dienst an­rech­nen las­sen. An­zu­rech­nen ist nur der­je­ni­ge Zwi­schen­ver­dienst, den sie während der Ar­beits­zeit er­zielt hat, in der sie im An­nah­me­ver­zugs­zeit­raum bei der Be­klag­ten hätte Ar­beits­leis­tun­gen er­brin­gen müssen. Die Ge­samt­be­rech­nung darf sich nicht aus­sch­ließlich an der Höhe der Vergütung ori­en­tie­ren, son­dern muss auch die ge­genüber der Be­klag­ten ge­schul­de­te Ar­beits­zeit berück­sich­ti­gen. 

 

- 5 - 

aa) Der an­der­wei­ti­ge Ver­dienst des Ar­beit­neh­mers ist auf die Vergütung für die ge­sam­te Dau­er des An­nah­me­ver­zugs an­zu­rech­nen und nicht nur auf die Vergütung für den Zeit­ab­schnitt, in dem der an­der­wei­ti­ge Er­werb ge­macht wur­de. Für die er­for­der­li­che Ver­gleichs­be­rech­nung (Ge­samt­be­rech­nung) ist die Vergütung für die in­fol­ge des Ver­zugs nicht ge­leis­te­ten Diens­te zu er­mit­teln. Die­ser Ge­samt­vergütung ist ge­genüber­zu­stel­len, was der Ar­beit­neh­mer in der be­tref­fen­den Zeit an­der­wei­tig er­wirbt (BAG 12. De­zem­ber 2006 - 1 AZR 96/06 - Rn. 33, BA­GE 120, 308; 16. Mai 2012 - 5 AZR 251/11 - Rn. 29, BA­GE 141, 340).

bb) An­zu­rech­nen ist aus­sch­ließlich das, was der Ar­beit­neh­mer durch an­der­wei­ti­ge Ver­wen­dung des­je­ni­gen Teils sei­ner Ar­beits­kraft er­wirbt, die er dem Ar­beit­ge­ber zur Verfügung zu stel­len ver­pflich­tet war. Ge­genüber­zu­stel­len ist da­mit der Vergütungs­an­spruch für die Zeit, für wel­che Ar­beits­leis­tun­gen zu er-brin­gen wa­ren, und der Ver­dienst, den der Ar­beit­neh­mer in die­ser Zeit an­der­wei­tig er­wor­ben hat (RG 12. Ju­li 1904 - III 146/04 - RGZ 58, 402). Al­so ist Zwi­schen­ver­dienst auf den Vergütungs­an­spruch we­gen An­nah­me­ver­zugs in dem Um­fang an­zu­rech­nen, wie er dem Verhält­nis der beim Ar­beit­ge­ber aus­ge­fal­le­nen Ar­beits­zeit zu der im neu­en Dienst­verhält­nis ge­leis­te­ten ent­spricht. Es ist an­hand der Umstände des Ein­zel­falls fest­zu­stel­len, ob der an­der­wei­ti­ge Ver­dienst kau­sal durch das Frei­wer­den von der bis­he­ri­gen Ar­beits­pflicht ermöglicht wur­de (BAG 6. Sep­tem­ber 1990 - 2 AZR 165/90 - zu III 3 d der Gründe).

c) Dem­nach muss sich die Kläge­rin nur das an­rech­nen las­sen, was sie in der Ar­beits­zeit er­warb, in der sie bei der Be­klag­ten zur Ar­beits­leis­tung ver­pflich­tet ge­we­sen wäre. Die be­zo­ge­ne Vergütung für darüber hin­aus er­brach­te Ar­beits­leis­tun­gen ist nicht in die Ge­samt­be­rech­nung ein­zu­be­zie­hen. An­re­chen­bar ist so­mit nicht der an­der­wei­ti­ge Ver­dienst für 17, son­dern le­dig­lich für zwölf Wo­chen­stun­den. Es ver­bleibt ein An­spruch der Kläge­rin iHv. 6.127,61 Eu­ro brut­to.

II. Der An­spruch auf Pro­zess­zin­sen folgt aus § 291 iVm. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Als Be­ginn der Ver­zin­sung ha­ben die Vor­in­stan­zen zu­tref­fend den

 

- 6 - 

Tag nach Zu­stel­lung der Kla­ge fest­ge­setzt (vgl. BAG 19. Au­gust 2015 - 5 AZR 1000/13 - Rn. 30 mwN).

III. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. 

 

Müller-Glöge 

Biebl 

Volk

Ernst Bürger 

A. Chris­ten

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