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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/010

Wann ist ein Chef­arzt lei­ten­der An­ge­stell­ter?

Ein Chef­arzt ist nur lei­ten­der An­ge­stell­ter im Sin­ne des Be­trVG, wenn er Ein­fluss auf die Un­ter­neh­mens­füh­rung oder be­deut­sa­me Per­so­nal­be­fug­nis­se hat: Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm, Be­schluss vom 10.10.2008, 10 TaBV 24/08
Chefarzt Chef­ärz­te sind wich­ti­ge, aber nicht im­mer "lei­ten­de" An­ge­stell­te

30.01.2009. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Hamm hat­te vor kur­zem dar­über zu ent­schei­den, ob die ho­he me­di­zi­ni­sche und or­ga­ni­sa­to­ri­sche Ver­ant­wor­tung ei­nes Chef­arz­tes oder sei­ne Un­ab­hän­gig­keit ge­gen­über fach­li­chen Wei­sun­gen da­zu führt, dass er als lei­ten­der An­ge­stell­ter im Sin­ne des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes (Be­trVG) an­zu­se­hen ist.

In dem vom LAG Hamm ent­schie­de­nen Fall ging es um den Chef­arzt der ger­ia­tri­schen Ab­tei­lung ei­nes Kran­ken­hau­ses. Er hat­te we­der ei­ne be­deu­ten­de selb­stän­di­ge Per­so­nal­ver­ant­wor­tung noch war er in un­ter­neh­me­ri­sche Wei­chen­stel­lun­gen ein­ge­bun­den.

Da­her kam das Geicht zu dem Er­geb­nis, dass er kein lei­ten­der An­ge­stell­ter ist: LAG Hamm, Be­schluss vom 10.10.2008, 10 TaBV 24/08.

Wann ist ein Chef­arzt lei­ten­der An­ge­stell­ter im Sin­ne des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes (Be­trVG)?

Als lei­ten­de An­ge­stell­te wer­den übli­cher­wei­se Ar­beit­neh­mer be­zeich­net, de­nen "un­ter­neh­me­ri­sche" Auf­ga­ben über­tra­gen wur­den und die da­durch eher als Re­präsen­tan­ten des Ar­beit­ge­bers denn als Teil der Ar­beit­neh­mer­schaft tätig sind.

Auf­grund die­ser Son­der­stel­lung und der sich dar­aus er­ge­ben­den In­ter­es­sen­la­ge sind be­stimm­te Ge­set­ze auf lei­ten­de An­ge­stell­te nicht oder nur ein­ge­schränkt an­wend­bar, z.B. das Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) und das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG).

Ist ein Ar­beit­neh­mer et­wa lei­ten­der An­ge­stell­ter im Sin­ne des Be­trVG, hat der Be­triebs­rat in be­zug auf das Ar­beits­verhält­nis nicht die ihm sonst zu­ste­hen­den Mit­wir­kungs­rech­te bei Kündi­gun­gen, Be­ginn und En­de der Ar­beits­zeit oder Ein­stel­lun­gen und Ver­set­zun­gen.

Das KSchG und das Be­trVG de­fi­nie­ren den Be­griff des lei­ten­den An­ge­stell­ten aber nicht ein­heit­lich. Nach § 5 Abs. 3 Be­trVG ist lei­ten­der An­ge­stell­ter un­ter an­de­rem, wer ei­ne selbstständi­ge Ein­stel­lungs- und Ent­las­sungs­be­fug­nis be­sitzt oder be­deut­sa­me un­ter­neh­me­ri­sche Auf­ga­ben wahr­nimmt, wenn er da­bei die maßgeb­li­che Be­fug­nis hat, Ent­schei­dun­gen zu tref­fen und zu be­ein­flus­sen.

Nach der Recht­spre­chung kommt es bei der Ein­stel­lungs- und Ent­las­sungs­be­fug­nis dar­auf an, dass der An­ge­stell­te die­se Be­fug­nis­se oh­ne Mit­wir­kung wei­te­rer Per­so­nen ausüben darf und dass die­se Per­so­nal­be­fug­nis­se nicht nur auf ei­nen nur un­be­deu­ten­den Teil­be­reich des Be­triebs be­grenzt sind.

Und von be­deut­sa­men un­ter­neh­me­ri­schen Auf­ga­ben kann nach der Recht­spre­chung nur die Re­de sein, wenn der An­ge­stell­te kraft sei­ner Schlüssel­po­si­ti­on Vor­aus­set­zun­gen schafft, an de­nen die Un­ter­neh­mens­lei­tung nicht vor­bei­kommt.

Ob und un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen ein Chef­arzt lei­ten­der An­ge­stell­ter im Sin­ne des Be­trVG ist, ist um­strit­ten. Mit die­ser Fra­ge be­fasst sich ein Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Hamm vom 10.10.2008, 10 TaBV 24/08.

Ein Fall geht durch die In­stan­zen: Ist der Chef­arzt ei­ner ger­ia­tri­schen Ab­tei­lung mit be­grenz­ter Pe­ros­nal­be­fug­nis lei­ten­der An­ge­stell­ter oder nicht?

Ge­klagt hat­te im Aus­gangs­fall der Be­triebs­rat ei­nes Kran­ken­hau­ses. Er ver­lang­te die ge­richt­li­che Fest­stel­lung, dass der Chef­arzt der ger­ia­tri­schen Ab­tei­lung kein lei­ten­der An­ge­stell­ter im Sin­ne des Be­trVG sei (denn dann würde er zu den "Schäfchen" gehören, um die sich der Be­triebs­rat zu kümmern hätte).

Das Kran­ken­haus un­ter­glie­der­te sich in ei­ne Be­triebs­lei­tung, die aus Geschäftsführung, Pfle­ge­dienst­lei­tung und Ärzt­li­chem Di­rek­tor be­stand, so­wie acht un­ter­stell­ten me­di­zi­ni­schen Ab­tei­lun­gen, de­nen je­weils ein Chef­arzt vor­stand. Un­ter die­sen Ab­tei­lun­gen be­fand sich auch die strei­ti­ge Ger­ia­trie.

De­ren Chef­arzt wur­de 2004 als Chef der neu ge­gründe­ten ger­ia­tri­schen Ab­tei­lung ein­ge­stellt, die er sel­ber mit auf­ge­baut hat­te. Der Ger­ia­trie stan­den 10 Pro­zent der Bet­ten des Ge­samt­bet­ten­be­stan­des des Kran­ken­hau­ses so­wie 12 Pro­zent des Ge­samt­bud­gets zur Verfügung. Dem ent­sprach in et­wa der An­teil des Erlöses am Ge­samt­erlös des Kran­ken­hau­ses.

Der Chef­arzt wur­de in dem Ar­beits­ver­trag als „lei­ten­der An­ge­stell­ter“ be­zeich­net, der nach Ab­spra­che mit den Fach­kol­le­gen und im Rah­men des Per­so­nal­bud­gets zur selbstständi­gen Ein­stel­lung und Ent­las­sung von ärzt­li­chen Mit­ar­bei­tern (in sei­ner Ab­tei­lung) be­rech­tigt sei.

Wei­ter hieß es dort, dass der Chef­arzt ge­genüber dem me­di­zi­ni­schen Per­so­nal und den ihm nach­ge­ord­ne­ten Ärz­ten grundsätz­lich wei­sungs­be­rech­tigt sei und Heil­be­hand­lun­gen selbstständig und ei­gen­ver­ant­wort­lich durchführe. Das Jah­res­bud­get, dass den Um­fang sei­ner Leis­tun­gen be­gren­ze, wer­de mit dem Chef­arzt ge­mein­sam ab­ge­stimmt.

Ar­beits­ge­richt und LAG ka­men zunächst zu dem Er­geb­nis, der Chef­arzt sei auf­grund ei­ner ei­genständi­gen Ein­stel­lungs- und Ent­las­sungs­be­fug­nis lei­ten­der An­ge­stell­ter. Dies ver­nein­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) auf die Rechts­be­schwer­de des Be­triebs­ra­tes und ver­wies die Sa­che an das LAG Hamm zurück.

Nach Be­leh­rung durch das BAG ist auch das LAG Hamm der Mei­nung: Ein Chef­arzt ist nur lei­ten­der An­ge­stell­ter im Sin­ne des Be­trVG, wenn er Ein­fluss auf die Un­ter­neh­mensführung oder be­deut­sa­me Per­so­nal­be­fug­nis­se hat

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm gab nach er­neu­ter Prüfung der Sach- und Rechts­la­ge in dem vom BAG zurück­ver­wie­se­nen Rechts­streit dem Be­triebs­rat recht. Der Chef­arzt sei nicht lei­ten­der An­ge­stell­ter im Sin­ne des Be­trVG.

Ei­ne selbstständi­ge Ein­stel­lungs- und Ent­las­sungs­be­fug­nis, in­so­weit war die Ent­schei­dung des BAG ver­bind­lich, be­ste­he nicht. Denn die­se sei nur von un­ter­ge­ord­ne­ter Be­deu­tung für den Be­trieb, weil sie sich nur auf ei­nen klei­nen Teil der Ar­beit­neh­mer er­stre­cke. Dies wer­de nicht da­durch auf­ge­wo­gen, dass der Chef­arzt qua­li­ta­tiv be­deut­sa­mes Per­so­nal ent­las­sen könne. Denn da­zu sei er ge­ra­de nicht be­rech­tigt.

Der Chef­arzt neh­me auch kei­ne be­deut­sa­men un­ter­neh­me­ri­schen Auf­ga­ben für die ge­sam­te Kli­nik wahr.

Er­for­der­lich dafür ist nämlich, so das LA Hamm, dass ihm Tätig­kei­ten

  • aus dem Be­reich der Wirt­schaftsführung des Un­ter­neh­mens,
  • der Bud­get­ver­ant­wor­tung,
  • der Un­ter­neh­mens­or­ga­ni­sa­ti­on und/oder des Per­so­nal­we­sens über­tra­gen sind,

über die der Chef­arzt ent­we­der

  • maßgeb­lich sel­ber ent­schei­den kann oder
  • bei de­nen er zu­min­dest ei­ne Schlüssel­po­si­ti­on ein­nimmt.

Die er­for­der­li­che Schlüssel­po­si­ti­on be­saß der Chef­arzt ge­ra­de nicht, so das LAG. Sei­ne Per­so­nal­ver­ant­wor­tung reich­te da­zu nicht aus, denn sie er­streck­te sich nur auf die oben ge­nann­te Ein­stel­lungs- und Ent­las­sungs­be­fug­nis von eher un­ter­ge­ord­ne­ter Be­deu­tung.

Als Ab­gren­zungs­kri­te­ri­um für den Be­griff des lei­ten­den An­ge­stell­ten ist nach An­sicht des LAG auch die ärzt­li­che Letzt­ver­ant­wor­tung un­ge­eig­net. Denn die ärzt­li­che Kom­pe­tenz ei­nes Chef­arz­tes kann nicht mit ei­ner un­ter­neh­me­ri­schen Kom­pe­tenz im Sin­ne des Be­trVG gleich­ge­setzt wer­den.

Un­ter­neh­me­ri­sche Funk­tio­nen übt ein Chef­arzt nur aus, wenn ihm ne­ben der rein ärzt­lich-me­di­zi­ni­schen Lei­tung sei­ner Ab­tei­lung wei­te­re Be­fug­nis­se über­tra­gen sind.

Die Be­zeich­nung des Chef­arz­tes als lei­ten­der An­ge­stell­ter im Ver­trag ist un­be­acht­lich, da die De­fi­ni­ti­on im Be­trVG zwin­gen­des Recht dar­stellt. Aus dem glei­chen Grund kom­me es we­der auf das Selbst­verständ­nis des Chef­arz­tes noch dar­auf an, dass der Chef­arzt in der Öffent­lich­keit als „ab­so­lu­ter Herr­scher sei­ner Ab­tei­lung“ wahr­ge­nom­men wer­de.

Fa­zit: Ein Chef­arzt kann nur dann als lei­ten­der An­ge­stell­ter im Sin­ne des Be­trVG an­ge­se­hen wer­den, wenn er für das ge­sam­te Kran­ken­haus weit­rei­chen­de Per­so­nal­ver­ant­wor­tung hat oder wenn er Mit­glied der Kran­ken­haus­ver­wal­tung ist wie et­wa der Ärzt­li­che Di­rek­tor. We­der die so­zi­al an­er­kann­te ho­he me­di­zi­ni­sche und or­ga­ni­sa­to­ri­sche Ver­ant­wor­tung ei­nes Chef­arz­tes noch sei­ne Un­abhängig­keit führt oh­ne wei­te­res da­zu, dass er als lei­ten­der An­ge­stell­ter im Sin­ne des Be­trVG an­zu­se­hen ist.

Ob der Chef­arzt lei­ten­der An­ge­stell­ter ist, hängt so­mit da­von ab, in­wie­weit ihm im Ein­zell­fall „ty­pisch un­ter­neh­me­ri­sche“ Ent­schei­dungs­be­fug­nis­se ein­geräumt sind. Nur wenn dies der Fall ist, und zwar in be­deu­ten­dem Maße, ist der Chef­arzt lei­ten­der An­ge­stell­ter.

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Letzte Überarbeitung: 7. Juni 2015

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