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BAG, Ur­teil vom 26.01.2012, 2 AZR 102/11

   
Schlagworte: Änderungskündigung, Weisungsrecht
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 102/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 26.01.2012
   
Leitsätze:

1. Unter "geänderten Arbeitsbedingungen" iSv. § 2 Satz 1, § 4 Satz 2 KSchG sind andere Vertragsbedingungen zu verstehen. Vom Arbeitgeber erstrebte Änderungen, die er durch Ausübung seines Weisungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO bewirken kann, halten sich im Rahmen der schon bestehenden vertraglichen Vereinbarungen. Zu ihrer Durchsetzung bedarf es keiner "Änderung von Arbeitsbedingungen" nach § 2 Satz 1 KSchG.

2. Eine Klage nach § 4 Satz 2 KSchG ist angesichts ihres Streitgegenstands unbegründet, wenn der Arbeitgeber schon nach den bestehenden Vertragsbedingungen rechtlich in der Lage ist, die im "Änderungsangebot" genannten Änderungen durchzusetzen. Darauf, ob er sein Direktionsrecht tatsächlich bereits (wirksam) ausgeübt hat, kommt es nicht an.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hannover, Urteil vom 14.06.2010, 1 Ca 501/09
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 2.12.2010, 5 Sa 1183/10
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


2 AZR 102/11
5 Sa 1183/10
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Nie­der­sach­sen

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

26. Ja­nu­ar 2012

UR­TEIL

Schmidt,
Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin, An­schluss­be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te, An­schluss­be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 26. Ja­nu­ar 2012 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Kreft, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Ey­lert, die

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Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Ra­chor so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Söller und Eu­len für Recht er­kannt:


1. Auf die Re­vi­si­on der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen vom 2. De­zem­ber 2010 - 5 Sa 1183/10 - auf­ge­ho­ben.

2. Die Sa­che wird zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung, auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on, an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über ei­ne Ände­rungskündi­gung.

Die Be­klag­te be­treibt ei­nen Ver­lag. Ih­re Zen­tra­le be­fin­det sich in S. Für die­se ist ein Be­triebs­rat gewählt. Im Bun­des­ge­biet un­terhält die Be­klag­te meh­re­re Geschäfts­stel­len. Die Geschäfts­stel­le H un­ter­glie­dert sich in die Stand­or­te Ha und H. Sie wird von ei­nem ge­mein­sa­men Geschäfts­stel­len­lei­ter geführt. Ein ört­li­cher Be­triebs­rat für die Geschäfts­stel­le H ist nicht ge­bil­det.

Die Kläge­rin war am Stand­ort H beschäftigt. Sie ist seit dem 1. Au­gust 1993 bei der Be­klag­ten tätig, zunächst als Se­kretärin, seit dem 1. Ja­nu­ar 2008 als Ver­triebs­ko­or­di­na­to­rin. Ih­re mo­nat­li­che Brut­to­vergütung beträgt durch­schnitt­lich et­wa 3.920,00 Eu­ro.

Im Jahr 2008 beschäftig­te die Be­klag­te in der Geschäfts­stel­le H ne­ben der Kläge­rin acht Ver­trieb­saußen­dienst­mit­ar­bei­ter, zwei wei­te­re Ver­triebs­ko­or­di­na­to­rin­nen, ei­ne Se­kretärin und den Geschäfts­stel­len­lei­ter.

Nach Anhörung und ge­gen den Wi­der­spruch des Be­triebs­rats sprach die Be­klag­te ge­genüber der Kläge­rin mit Schrei­ben vom 26. Au­gust 2009 ei­ne Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zum 31. März 2010 aus, ver­bun­den mit dem An­ge­bot, sie ab dem 1. April 2010 als Ver­triebs­ko­or­di­na­to­rin in der Ge-
 


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schäfts­stel­le S wei­ter­zu­beschäfti­gen. Die Kläge­rin nahm das An­ge­bot un­ter dem Vor­be­halt ei­ner Über­prüfung sei­ner so­zia­len Recht­fer­ti­gung an. Sie hat recht­zei­tig die vor­lie­gen­de Kla­ge er­ho­ben. Seit dem 12. April 2010 ist sie in S tätig.

Die Kläge­rin hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Ände­rung ih­rer Ar­beits­be­din­gun­gen sei so­zi­al nicht ge­recht­fer­tigt. Sie hat be­strit­ten, dass ihr bis­he­ri­ger Ar­beits­platz weg­ge­fal­len sei. Im Übri­gen lie­ge die Zu­stim­mung des Be­triebs­rats zu ih­rer Ver­set­zung nicht vor.

Die Kläge­rin hat - so­weit noch von In­ter­es­se - be­an­tragt 


fest­zu­stel­len, dass die Ände­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 26. Au­gust 2009 rechts­un­wirk­sam ist.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die zum Zwe­cke der Ver­set­zung aus­ge­spro­che­ne Ände­rungskündi­gung sei in je­der Hin­sicht rechts­wirk­sam. Sie hat be­haup­tet, sie ha­be ge­gen En­de des Jah­res 2008 be­schlos­sen, die Abläufe und Auf­ga­ben­ver­tei­lun­gen in den Ver­triebs­geschäfts­stel­len über­wie­gend zen­tral und nach ein­heit­li­chen, nicht mehr re­gio­nal un­ter­schied­li­chen Vor­ga­ben zu steu­ern. Aus die­sem Grun­de sei­en Auf­ga­ben in­ner­halb der Geschäfts­stel­le H so­wie zwi­schen die­ser und der Zen­tra­le um­ver­teilt wor­den. Außer­dem sei­en die Auf­ga­ben der Ver­triebs­ko­or­di­na­to­rin­nen we­gen des Rück­gangs der An­zahl der ih­rer Geschäfts­stel­le H zu­ge­ord­ne­ten Ver­trieb­saußen­dienst­mit­ar­bei­ter zurück­ge­gan­gen. Da­mit sei das Beschäfti­gungs­bedürf­nis für ei­ne der - mitt­ler­wei­le nur noch zwei - Ver­triebs­ko­or­di­na­to­rin­nen in H ent­fal­len. Die Be­klag­te hat die An­sicht ver­tre­ten, der Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en ge­be ihr oh­ne­hin das Recht, die Kläge­rin deutsch­land­weit ein­zu­set­zen. Selbst wenn die Ände­rungskündi­gung so­zi­al nicht ge­recht­fer­tigt sei, sei sie in ei­ne Maßnah­me des Di­rek­ti­ons­rechts um­zu­deu­ten.

Die Vor­in­stan­zen ha­ben der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Mit der Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ihr Be­geh­ren wei­ter, die Kla­ge ab­zu­wei­sen.
 


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Ent­schei­dungs­gründe


Die Re­vi­si­on ist be­gründet. Dies führt, so­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Be­ru­fung der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen hat, zur Auf­he­bung des Be­ru­fungs­ur­teils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und Zurück­ver­wei­sung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Kla­ge ist un­be­gründet, wenn Ge­gen-stand des mit der Kündi­gung vom 26. Au­gust 2009 ver­bun­de­nen Ände­rungs­an­ge­bots in Wirk­lich­keit nicht ei­ne Ver­tragsände­rung war (I.1.). Ob die be­ab­sich­tig­te Ver­set­zung der Kläge­rin ei­ne Ver­tragsände­rung er­for­der­te, steht noch nicht fest (I.2.). Un­er­heb­lich ist, ob die Be­klag­te ein mögli­ches Wei­sungs­recht, die Kläge­rin nach S zu ver­set­zen, be­reits wirk­sam aus­geübt hat (II.).


I. Die von der Kläge­rin be­gehr­te Fest­stel­lung, die Ände­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen durch die Ände­rungskündi­gung vom 26. Au­gust 2009 sei rechts­un­wirk­sam, kann nicht ge­trof­fen wer­den, wenn das „Ände­rungs­an­ge­bot“ der Be­klag­ten nicht auf ei­ne Ände­rung der Ar­beits­ver­trags­be­din­gun­gen zielt.


1. Nach § 4 Satz 2 KSchG ist ei­ne Ände­rungs­schutz­kla­ge auf die Fest­stel­lung zu rich­ten, dass die „Ände­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt“ oder sie „aus an­de­ren Gründen rechts­un­wirk­sam“ ist. Ei­ne sol­che Fest­stel­lung können die Ge­rich­te nicht tref­fen, wenn das mit ei­ner Kündi­gung ver­bun­de­ne „Ände­rungs­an­ge­bot“ gar nicht auf ei­ne Ände­rung der be­ste­hen­den Ver­trags­re­ge­lun­gen ge­rich­tet ist, son­dern die in ihm vor­ge­se­he­nen neu­en Be­din­gun­gen schon durch Ausübung des Di­rek­ti­ons­rechts durch­ge­setzt wer­den können (vgl. ErfK/Oet­ker 12. Aufl. § 2 KSchG Rn. 14). Vor­aus­set­zung für die Be­gründet­heit ei­ner Ände­rungs­schutz­kla­ge nach § 4 Satz 2 KSchG ist, dass die Par­tei­en über die Be­rech­ti­gung ei­ner Ände­rung ih­rer ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­run­gen strei­ten. Das Feh­len der so­zia­len Recht­fer­ti­gung ei­ner Ände­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen bzw. de­ren Un­wirk­sam­keit aus an­de­ren Gründen kann nicht fest­ge­stellt wer­den, wenn der Ver­trag der Par­tei­en in Wirk­lich­keit nicht geändert wer­den soll.

a) Hat der Ar­beit­neh­mer das Ände­rungs­an­ge­bot des Ar­beit­ge­bers un­ter Vor­be­halt an­ge­nom­men und Ände­rungs­schutz­kla­ge nach § 4 Satz 2 KSchG
 


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er­ho­ben, strei­ten die Par­tei­en nicht über ei­ne Be­en­di­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses und da­mit nicht über die Rechts­wirk­sam­keit der aus­ge­spro­che­nen Kündi­gung, son­dern über die Be­rech­ti­gung des An­ge­bots auf Ände­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen (BAG 22. April 2010 - 2 AZR 491/09 - Rn. 19, BA­GE 134, 154). Streit­ge­gen­stand der Ände­rungs­schutz­kla­ge ist nicht die Wirk­sam­keit der Kündi­gung, son­dern der In­halt der für das Ar­beits­verhält­nis gel­ten­den Ver­trags­be­din­gun­gen (BAG 26. Au­gust 2008 - 1 AZR 353/07 - Rn. 17, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 139 = EzA KSchG § 2 Nr. 72). Die Re­ge­lung in § 8 KSchG spricht nicht ge­gen die­ses Verständ­nis. Da­nach gilt zwar „die Ände­rungskündi­gung“ als von An­fang an rechts­un­wirk­sam, wenn das Ge­richt fest­ge­stellt hat, dass die Ände­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt ist. Da aber schon die An­nah­me des An­ge­bots un­ter Vor­be­halt die Be­en­di­gungs­wir­kung der Kündi­gung be­sei­tigt, ist § 8 KSchG so zu ver­ste­hen, dass nur die un­ter Vor­be­halt ak­zep­tier­te Ände­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen von Be­ginn an entfällt. Streit­ge­gen­stand der Kla­ge nach § 4 Satz 2 KSchG ist des­halb die Wirk­sam­keit der Ände­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen, nicht die der Kündi­gung.


b) Ei­ne Ände­rung von „Ar­beits­be­din­gun­gen“ iSv. § 2 Satz 1, § 4 Satz 2 KSchG steht nur im Streit, wenn der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer im Zu­sam­men­hang mit der Kündi­gung die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses zu geänder­ten ver­trag­li­chen Be­din­gun­gen an­bie­tet. § 2 Satz 1 KSchG setzt er­sicht­lich vor­aus, dass es zur Ände­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen ei­ner Kündi­gung des be­ste­hen­den Ar­beits­ver­trags be­darf. Das ist nur der Fall, wenn der Ar­beit­ge­ber die von ihm er­streb­te Ände­rung auf Ba­sis der be­ste­hen­den ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen ge­ra­de nicht zu er­rei­chen ver­mag. Das be­deu­tet um­ge­kehrt, dass ei­ne fak­ti­sche Ände­rung, die schon auf der Grund­la­ge des be­ste­hen­den Ar­beits­ver­trags, dh. oh­ne Ein­verständ­nis des Ar­beit­neh­mers durch­setz­bar ist, kei­ner Ver­tragsände­rung und des­halb kei­ner Kündi­gung be­darf. Un­ter „geänder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen“ iSv. § 2 Satz 1 KSchG sind folg­lich an­de­re Ar­beits­ver­trags­be­din­gun­gen zu ver­ste­hen. Vom Ar­beit­ge­ber er­streb­te Ände­run­gen, die er schon durch Ausübung sei­nes Wei­sungs­rechts gem. § 106 Satz 1 Ge­wO durch­set­zen kann, hal­ten sich im Rah­men der ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­run­gen und sind kei­ne „Ände­rung von Ar­beits­be­din­gun­gen“ nach § 2 Satz 1, § 4 Satz 2
 


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KSchG. Während das Wei­sungs­recht der wech­seln­den Kon­kre­ti­sie­rung des un­veränder­ten Ver­trags­in­halts dient, zielt die Ände­rungskündi­gung auf ei­ne Ände­rung des Ver­trags (vgl. Hromad­ka NZA 2008, 1338, 1339). Soll am be­ste­hen­den Ver­trags­in­halt nichts geändert wer­den, liegt in Wirk­lich­keit kein Ände­rungs­an­ge­bot vor. Die ver­meint­lich erst her­bei­zuführen­den Ver­trags­be­din­gun­gen gel­ten be­reits. Ei­ne Ände­rungs­schutz­kla­ge ist in die­sem Fall - not­wen­dig - un­be­gründet (vgl. BAG 10. De­zem­ber 1975 - 4 AZR 41/75 - zu I der Gründe, AP BAT §§ 22, 23 Nr. 90 = EzA BAT §§ 22 - 23 VergGr. VIII, 1 Nr. 1; KR/Rost 9. Aufl. § 2 KSchG Rn. 28; vgl. auch ErfK/Oet­ker 12. Aufl. § 2 KSchG Rn. 14). Es kann dann schlech­ter­dings nicht fest­ge­stellt wer­den, dass die Ände­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt oder aus ei­nem an­de­ren Grund rechts­un­wirk­sam ist. Be­ste­hen­de, ar­beits­ver­trag­lich be­reits ver­ein­bar­te Be­din­gun­gen, die in Wirk­lich­keit un­verändert blei­ben, können nicht iSv. § 1 Abs. 2, § 2 Satz 1 KSchG so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt sein. Ei­ne nicht er­folg­te Ände­rung der Ar­beits­ver­trags­be­din­gun­gen kann auch nicht aus ei­nem an­de­ren Grund un­wirk­sam sein. Es bleibt in Wirk­lich­keit beim bis­he­ri­gen Ver­trags­in­halt. Er ist be­reits die Rechts­grund­la­ge für die be­ab­sich­tig­te fak­ti­sche Ände­rung, die sich durch Ausübung des Di­rek­ti­ons­rechts er­rei­chen lässt (vgl. ErfK/Oet­ker aaO).

2. Es steht noch nicht fest, ob die mit der Kündi­gung der Be­klag­ten vom 26. Au­gust 2009 er­streb­te Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses in S ei­ne Ände­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen im Sin­ne ei­ner Ver­tragsände­rung er­for­der­te. Die Be­klag­te hat sich dar­auf be­ru­fen, der Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en ge­be ihr das Recht, die Kläge­rin deutsch­land­weit ein­zu­set­zen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zum In­halt der ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­run­gen der Par­tei­en bis­lang kei­ne Fest­stel­lun­gen ge­trof­fen. Das wird es nach­ho­len müssen. Da­bei wird es Fol­gen­des zu be­ach­ten ha­ben:


a) Nach § 106 Satz 1 Ge­wO kann der Ar­beit­ge­ber ua. den Ort der Ar­beits­leis­tung nach bil­li­gem Er­mes­sen näher be­stim­men, so­weit die­ser nicht durch den Ar­beits­ver­trag fest­ge­legt ist. Soll­te es sich bei ei­ner sol­chen Fest­le­gung um ei­ne All­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gung gem. §§ 305 ff. BGB han­deln, ist un­ter


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Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­falls zu er­mit­teln, ob ein be­stimm­ter Tätig­keits­ort tatsächlich fi­xiert ist und wel­chen In­halt ggf. ein ver­ein­bar­ter Ver­set­zungs­vor­be­halt hat (BAG 19. Ja­nu­ar 2011 - 10 AZR 738/09 - Rn. 12, AP BGB § 307 Nr. 50 = EzA Ge­wO § 106 Nr. 7; 25. Au­gust 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 17 bis 31, BA­GE 135, 239).


b) Die Aus­le­gung der ver­trag­li­chen Be­stim­mun­gen kann er­ge­ben, dass ei­ne wie ein Ver­set­zungs­vor­be­halt er­schei­nen­de Klau­sel le­dig­lich den Um­fang der ge­schul­de­ten Leis­tung be­stim­men soll, ins­be­son­de­re dann, wenn al­ter­na­ti­ve Tätig­keits­in­hal­te oder Tätig­keits­or­te schon kon­kret be­nannt sind (BAG 19. Ja­nu­ar 2011 - 10 AZR 738/09 - Rn. 15, AP BGB § 307 Nr. 50 = EzA Ge­wO § 106 Nr. 7; 25. Au­gust 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 18, BA­GE 135, 239). Die Be­stim­mung ei­nes Orts der Ar­beits­leis­tung in Kom­bi­na­ti­on mit ei­ner durch Ver­set­zungs­vor­be­halt vor­ge­se­he­nen Ein­satzmöglich­keit im ge­sam­ten Un­ter­neh­men ver­hin­dert re­gelmäßig die Be­schränkung auf den aus­drück­lich ge­nann­ten Ort der Ar­beits­leis­tung (BAG 19. Ja­nu­ar 2011 - 10 AZR 738/09 - aaO; 13. April 2010 - 9 AZR 36/09 - Rn. 27, AP BGB § 307 Nr. 45 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 47). Es macht kei­nen Un­ter­schied, ob im Ar­beits­ver­trag auf ei­ne Fest­le­gung des Orts der Ar­beits­leis­tung ver­zich­tet und die nöti­ge Kon­kre­ti­sie­rung dem Ar­beit­ge­ber im Rah­men von § 106 Ge­wO vor­be­hal­ten wird oder ob der Ort der Ar­beits­leis­tung zwar be­stimmt, aber zu­gleich die Möglich­keit der Zu­wei­sung ei­nes an­de­ren Orts ver­ein­bart wird. In die­sem Fall wird le­dig­lich klar­ge­stellt, dass § 106 Satz 1 Ge­wO gel­ten und ei­ne Be­fug­nis zur Ver­set­zung an an­de­re Ar­beits­or­te be­ste­hen soll (BAG 19. Ja­nu­ar 2011 - 10 AZR 738/09 - aaO; 13. April 2010 - 9 AZR 36/09 - aaO).

c) Er­gibt die Aus­le­gung, dass der Ver­trag ei­ne nähe­re Fest­le­gung des Orts der Tätig­keit enthält, so un­ter­liegt die­se kei­ner An­ge­mes­sen­heits­kon­trol­le iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Viel­mehr han­delt es sich um die Be­stim­mung des In­halts der Haupt­pflicht (BAG 19. Ja­nu­ar 2011 - 10 AZR 738/09 - Rn. 16, AP BGB § 307 Nr. 50 = EzA Ge­wO § 106 Nr. 7; 25. Au­gust 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 21, BA­GE 135, 239; 13. Ju­ni 2007 - 5 AZR 564/06 - Rn. 30, BA­GE 123, 98). Da­bei ist es un­er­heb­lich, wie eng oder weit die Leis­tungs­be­stim­mung

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ge­fasst ist. Vor­zu­neh­men ist le­dig­lich ei­ne Trans­pa­renz­kon­trol­le nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.

d) Fehlt es an ei­ner Fest­le­gung des Orts der Leis­tungs­pflicht im Ar­beits­ver­trag, er­gibt sich der Um­fang der Wei­sungs­rech­te des Ar­beit­ge­bers aus § 106 Ge­wO. Je all­ge­mei­ner der Ort der Ar­beits­leis­tung im Ar­beits­ver­trag fest­ge­legt ist, des­to wei­ter geht die Be­fug­nis des Ar­beit­ge­bers, dem Ar­beit­neh­mer ei­nen be­stimm­ten (an­de­ren) Ar­beits­ort ein­sei­tig zu­zu­wei­sen (BAG 19. Ja­nu­ar 2011 - 10 AZR 738/09 - Rn. 17, AP BGB § 307 Nr. 50 = EzA Ge­wO § 106 Nr. 7; vgl. auch BAG 2. März 2006 - 2 AZR 23/05 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 81 = EzA KSchG § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 67). Auf die Zulässig­keit ei­nes außer­dem ver­ein­bar­ten Ver­set­zungs­vor­be­halts kommt es dann nicht an.

e) Enthält der Ar­beits­ver­trag ne­ben ei­ner Fest­le­gung des Orts der Tätig­keit ei­nen Ver­set­zungs­vor­be­halt, so ist zu dif­fe­ren­zie­ren (BAG 25. Au­gust 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 23, BA­GE 135, 239):

aa) Er­gibt die Ver­trags­aus­le­gung, dass der Ver­set­zungs­vor­be­halt ma­te­ri­ell (nur) dem In­halt der ge­setz­li­chen Re­ge­lung des § 106 Ge­wO ent­spricht oder zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers da­von ab­weicht, un­ter­liegt die­se Klau­sel kei­ner An­ge­mes­sen­heits­kon­trol­le iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, son­dern al­lein ei­ner Trans­pa­renz­kon­trol­le nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB (BAG 25. Au­gust 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 24, BA­GE 135, 239; 13. April 2010 - 9 AZR 36/09 - Rn. 24 ff., AP BGB § 307 Nr. 45 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 47). Der Ar­beit­ge­ber, der sich le­dig­lich die Kon­kre­ti­sie­rung des ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Tätig­keits­in­halts, nicht aber ei­ne Ände­rung des Ver­trags­in­halts vor­behält, weicht nicht zu­las­ten des Ar­beit­neh­mers von Rechts­vor­schrif­ten ab (§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB). Die Ver­trags­klau­sel muss da­bei zwar die Be­schränkung auf den ma­te­ri­el­len Ge­halt des § 106 Ge­wO un­ter Berück­sich­ti­gung der dar­ge­stell­ten Aus­le­gungs­grundsätze aus sich her­aus er­ken­nen las­sen. Auch die Ver­pflich­tung zur trans­pa­ren­ten Ver­trags­ge­stal­tung gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB er­for­dert aber nicht, dass die Klau­sel Hin­wei­se auf den An­lass der Ausübung des Wei­sungs­rechts enthält (BAG 25. Au­gust 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 25,
 


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BA­GE 135, 239; vgl. auch 13. März 2007 - 9 AZR 433/06 - Rn. 44 ff., AP BGB § 307 Nr. 26).


bb) Er­gibt die Ver­trags­aus­le­gung, dass sich der Ar­beit­ge­ber mit dem Ver­set­zungs­vor­be­halt über § 106 Ge­wO hin­aus ein Recht zur Ver­tragsände­rung vor­behält, so un­ter­liegt die Re­ge­lung der An­ge­mes­sen­heits­kon­trol­le nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB (BAG 25. Au­gust 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 26, BA­GE 135, 239). Führt die Kon­trol­le zur Un­wirk­sam­keit des Ver­set­zungs­vor­be­halts, so rich­tet sich der In­halt des Ver­trags gem. § 306 Abs. 2 BGB nach den ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten. Ei­ne gel­tungs­er­hal­ten­de Re­duk­ti­on auf das an­ge­mes­se­ne Maß fin­det nicht statt (BAG 25. Au­gust 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 30, aaO; vgl. auch 13. April 2010 - 9 AZR 113/09 - Rn. 42, AP BGB § 308 Nr. 8 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 11; 11. Fe­bru­ar 2009 - 10 AZR 222/08 - Rn. 33, EzA BGB 2002 § 308 Nr. 9). Maßgeb­lich ist in die­sem Fall § 106 Ge­wO. Die Vor­schrift überlässt dem Ar­beit­ge­ber das Wei­sungs­recht aber nur in­so­weit, wie der Leis­tungs­in­halt durch den Ar­beits­ver­trag nicht fest­ge­legt ist. Er­gibt die Aus­le­gung des Ver­trags, dass ein be­stimm­ter Ar­beits­ort ver­ein­bart wur­de, ist der Ar­beit­ge­ber an die­sen ge­bun­den, wenn ein zusätz­lich ver­ein­bar­ter Ver­set­zungs­vor­be­halt der An­ge­mes­sen­heits­kon­trol­le nicht standhält.


II. Ob die Be­klag­te die Kläge­rin durch Ausübung ih­res Wei­sungs­rechts mögli­cher­wei­se be­reits (wirk­sam) ver­setzt hat, ist nicht Ge­gen­stand des vor­lie­gen­den Rechts­streits und für des­sen Ent­schei­dung un­er­heb­lich. Ei­ne Kla­ge nach § 4 Satz 2 KSchG ist schon dann un­be­gründet, wenn der Ar­beit­ge­ber recht­lich in der La­ge ist, die im „Ände­rungs­an­ge­bot“ ge­nann­ten Beschäfti­gungs­be­din­gun­gen ein­sei­tig durch­zu­set­zen (zu­tref­fend Oet­ker Anm. zu BAG 28. Mai 2009 - 2 AZR 844/07 - AP BGB § 626 Nr. 222). Es kommt nicht dar­auf an, ob er sein Di­rek­ti­ons­recht tatsächlich be­reits (wirk­sam) aus­geübt hat. Es genügt, dass er es wahr­neh­men könn­te. So­weit der Ent­schei­dung des Se­nats
 


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vom 28. Mai 2009 (- 2 AZR 844/07 - Rn. 18, BA­GE 131, 78) ei­ne ab­wei­chen­de An­sicht ent­nom­men wer­den könn­te, wird dar­an nicht fest­ge­hal­ten.


Kreft 

Ey­lert 

Ra­chor

Söller 

Jan Eu­len

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