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BAG, Ur­teil vom 07.11.1979, 5 AZR 962/77

   
Schlagworte: Abmahnung, Ermahnung, Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, Betriebsbuße
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 5 AZR 962/77
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 07.11.1979
   
Leitsätze:

1. Eine nicht an das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gebundene Abmahnung des Arbeitgebers darf keinen über den Warnzweck hinausgehenden Sanktionscharakter haben. Sie darf kein Unwerturteil über die Person des Arbeitnehmers enthalten. Das schließt nicht aus, daß der Arbeitgeber die Schwere der Vertragspflichtverletzung zum Ausdruck bringt oder eine wiederholte Verletzung vertraglicher Pflichten besonders kennzeichnet.

2. Die Formalisierung einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen Mißbilligung deutet - insbesondere dann, wenn sie in einer Stufenfolge wie "Verwarnung, Verweis, Versetzung, Entlassung" erscheint - darauf hin, daß die Maßnahme Sanktionscharakter trägt und deshalb der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt. Ein Arbeitgeber, der nur abmahnen will, sollte seine Beanstandung auch so bezeichnen, schon um Mißdeutungen zu vermeiden.

Vorinstanzen: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 20.07.1977, 8 Sa 201/76
   


5 AZR 962/77
8 Sa 2o1/76 Ba­den-Würt­tem­berg
(Frei­burg)


Verkündet am
7. No­vem­ber 1979

gez. Schar­tel,
An­ge­ste­al­ter
als Ur­kunds­be­am­ter

der Geschäfts­stel­le 

Im Na­men des Vol­kes!

Ur­teil

 

In Sa­chen

PP.

hat der Fünf­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts gemäß § 128 Abs. 2 ZPO in der Sit­zung vom 7. No­vem­ber 1979 durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin Pro­fes­so­rin Dr. Hil­ger, die Rich­ter Dr. Heit­her und Dr. Lei­ne­mann so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Liebsch und Hal­ber­stadt für Recht er­kannt:


1. Die Re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ba­den-Würt­tem­berg vom 2o. Ju­li 1977 - 8 Sa 2o1/76 - wird zurück­ge­wie­sen.

2. Die Kos­ten der Re­vi­si­on hat der Kläger zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!


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Tat­be­stand:

Der Kläger ist seit meh­re­ren Jah­ren bei der Be­klag­ten als Fahr­be­diens­te­ter mit ei­nem mo­nat­li­chen Ver­dienst von 1.600,-- DM brut­to beschäftigt. Die Fahr­be­diens­te­ten der Be­klag­ten führen ständig ei­nen Dau­er­be­stand von 1.o8o,-- DM an Fahr­schei­nen und Bar­geld mit sich. Von der Be­klag­ten er­hal­ten sie ein mo­nat­li­ches Man­ko­geld von 10,-- DM, das sie zum Aus­gleich von Fehl­beträgen zu ver­wen­den ha­ben, die sie bei Ei­gen­kon­trol­len fest­stel­len.


Nach ei­ner von der Be­klag­ten er­las­se­nen Dienst­an­wei­sung für den Schaff­ner­dienst vom 1. Ja­nu­ar 1971 ha­ben die Fahr­be­diens­te­ten je­der­zeit den ge­sam­ten Fahr­schein­be­stand, den Ver­kaufs­erlös und das Wech­sel­geld zur Verfügung zu ha­ben. Fahr­schein­bestände, Ver­kaufs­erlös und Wech­sel­geld müssen je­weils den Be­trag der Grund­aus­stat­tung er­ge­ben.


Als bei ei­ner Fahr­schein- und Geld­be­stands­kon­trol­le beim Kläger ein Fehl­be­stand fest­ge­stellt wur­de, er­hielt er mit Da­tum vom 30. Ok­to­ber 1975 fol­gen­des Schrei­ben:


"Sehr ge­ehr­ter Herr S,


bei der am 14. l0. 1975 un­ver­mu­tet vor­ge­nom­me­nen Kon­trol­le Ih­rer Fahr­schein- und Geld­bestände wur­de ein Fehl­be­trag in Höhe von 30,85 DM fest­ge­stellt. Die­sen Be­trag ha­ben Sie in­zwi­schen er­setzt.


Nach­dem wir Sie be­reits am 21. 2. 1974 we­gen ei­nes am 18. 2. 1974 fest­ge­stell­ten Fehl­be­tra­ges von 35,50 DM ver­war­nen mußten, er­hal­ten Sie hier­mit ei­nen Ver­weis.


In Ih­rem ei­ge­nen In­ter­es­se emp­feh­len wir Ih­nen drin­gend, die Fahr­schein- und Geld­bestände künf­tig in Ord­nung zu hal­ten. Sie müssen nun­mehr mit ver­mehr­ten Kon­trol­len rech­nen."


Der Kläger be­gehrt die Rück­nah­me des Ver­wei­ses. Er hat vor­ge­tra­gen:


Der ihm er­teil­te Ver­weis be­ein­träch­ti­ge sei­ne Recht­stel­lung als Ar­beit­neh­mer; er ha­be da­her ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se dar­an, daß die­ser Ver­weis von der Be­klag­ten zurück­ge­nom­men wer­de. Der Ver­weis sei auch un­ge­recht­fer­tigt, weil ihm ein sub­jek­tiv vor­werf­ba­res Fehl­ver­hal­ten von der Be­klag­ten nicht nach­ge­wie­sen wer­den könne.

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Bei der Art des Geschäfts­be­trie­bes könne nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, daß ge­le­gent­li­che Fehl­beträge auf­träten. Die Be­klag­te ha­be dem durch die Zu­bil­li­gung ei­nes Man­ko­gel­des von 10,-- DM mo­nat­lich Rech­nung ge­tra­gen.

Der Kläger hat be­an­tragt,


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, den mit Schrei­ben vom 30. Ok­to­ber 1975 ge­genüber dem Kläger aus­ge­spro­che­nen Ver­weis zurück­zu­neh­men.

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt und ent­geg­net:

Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts sei dem Ar­beit­neh­mer nur in den Fällen Rechts­schutz zu­zu­bil­li­gen, in de­nen ei­ne Rüge auf ei­ner un­wah­ren oder un­rich­ti­gen Be­haup­tung be­ru­he. So­weit es le­dig­lich um die sub­jek­ti­ve Würdi­gung ei­nes un­strit­ti­gen Sach­ver­halts ge­he, sei kein Rechts­weg ge­ge­ben. Die ge­gen­tei­li­ge Auf­fas­sung würde die freie Mei­nungsäußerung des Ar­beit­ge­bers un­an­ge­mes­sen be­schränken und in der Pra­xis zu un­erträgli­chen Kon­se­quen­zen führen. Die Rüge sei auch ob­jek­tiv ge­recht­fer­tigt, da der Kläger die ihm ar­beits­ver­trag­lich ob­lie­gen­de Sorg­falts­pflicht in Geld­an­ge­le­gen­hei­ten ver­letzt ha­be.


Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt die­ses Ur­teil ab­geändert und die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Mit der zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger sein Kla­ge­be­geh­ren wei­ter.


Ent­schei­dungs­gründe:

I. Die Kla­ge ist zulässig; am Rechts­schutz­in­ter­es­se fehlt es nicht.


Der Ar­beit­neh­mer kann zwar nicht ge­gen je­de Be­an­stan­dung sei­nes Ar­beit­ge­bers mit ei­ner Kla­ge vor­ge­hen. Er kann aber die Be­rech­ti­gung ei­ner mißbil­li­gen­den Äußerung durch den Ar­beit­ge­ber we­gen ar­beits­ver­trags­wid­ri­gen Ver­hal­tens ge­richt­lich nach­prüfen las­sen, so­fern die­se mißbil­li­gen­de Äußerung nach Form und In­halt ge­eig­net ist, ihn in sei­ner Rechts­stel­lung zu be­ein­träch­ti­gen. Zu den Hand­lun­gen, die die Rechts­stel­lung des Ar­beit­neh­mers nach­tei­lig be­ein­flus­sen können, gehören for­mel­le zu den Per­so­nal­ak­ten
 

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ge­nom­me­ne schrift­li­che Ver­war­nun­gen. Bei der­ar­ti­gen for­mel­len Rügen ist nicht aus­zu­sch­ließen, daß sie, so­fern sie un­be­rech­tigt sind, später die Grund­la­ge für ei­ne fal­sche Be­ur­tei­lung des Ar­beit­neh­mers ab­ge­ben und da­durch sein be­ruf­li­ches Fort­kom­men be­hin­dern oder an­de­re sei­ne Rechts­stel­lung be­ein­träch­ti­gen­de ar­beits­recht­li­che Maßnah­men zur Fol­ge ha­ben (BAG, Ur­tei­le vom 22. Fe­bru­ar 1978 - 5 AZR 801/76 - AP Iqr. 84 zu § 611 BGB Fürsor­ge­pflicht (zu II 1 der Gründe) und vom 30. Ja­nu­ar 1979 - 1 AZR 342/76 - DB 1979, 1511 = demnächst) AP Nr. 2 zu § 87 Be­trVG 1972 Be­triebs­buße (zu II der Gründe)).


Das Schrei­ben der Be­klag­ten vom 30. Ok­to­ber 1975 enthält ei­ne sol­che for­mel­le Ver­war­nung. Des­halb kann der Kläger die­se Ver­war­nung zur ge­richt­li­chen Nach­prüfung stel­len, und zwar un­abhängig da­von, ob sie auf un­wah­ren oder rich­ti­gen Be­haup­tun­gen be­ruht. Ob die Ver­war­nung be­rech­tigt ist oder nicht, kann nicht Vor­aus­set­zung für die Zulässig­keit der Kla­ge sein; das soll viel­mehr ge­ra­de durch die ge­richt­li­che Über­prüfung geklärt wer­den.


II. Die Kla­ge ist je­doch nicht be­gründet.

1. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die in dem Schrei­ben vom 30. Ok­to­ber 1975 ent­hal­te­ne Ver­war­nung nicht als ei­ne der Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 Be­trVG un­ter­lie­gen­de Be­triebs­buße an­ge­se­hen.

a) Ei­ne Be­triebs­buße dient der Ahn­dung von Verstößen ge­gen die be­trieb­li­che Ord­nung. Das be­deu­tet zwei­er­lei: Zum ei­nen kommt die Be­triebs­buße nur für Verstöße in Be­tracht, die sich ge­gen die be­trieb­li­che Ord­nung rich­ten, die mit­hin ein ge­mein­schafts­wid­ri­ges Ver­hal­ten dar­stel­len. Es muß - wie dies viel­fach be­zeich­net wird - im­mer ein kol­lek­ti­ver Be­zug vor­han­den sein (ständi­ge Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, vgl. BAG, Ur­tei­le vom 5. De­zem­ber 1975 - 1 AZR 94/74 - = AP Nr. 1 zu § 87 Be­trVG 1972 Be­triebs­buße (zu 1 der Gründe), auch zum Ab­druck in der Amt­li­chen Samm­lung vor­ge­se­hen, vom 22. Fe­bru­ar 1978 - 5 AZR 8o1/76 - = AP Nr. 84 zu § 611 BGB Fürsor­ge­pflicht (zu I 1 der Gründe) und vom 3o. Ja­nu­ar 1979 - 1 AZR 342/76 - DB 1979, 1511 = (demnächst) AP

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Nr. 2 zu § 87 Be­trVG 1972 Be­triebs­buße (zu I 1 a der Gründe)). Zum an­de­ren hat die Be­triebs­buße Straf­cha­rak­ter (BAG aa0). Sie soll nicht nur pflicht­gemäßes Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers be­wir­ken, son­dern sie soll auch be­gan­ge­nes Un­recht sank­tio­nie­ren (vgl. für vie­le Wie­se in GK-Be­trVG, § 87 Rd­Nr. 63 b).


b) Der Se­nat braucht nicht zu prüfen, wel­che Gren­zen sol­chen Be­triebs­stra­fen ge­zo­gen sind, die in je­dem Fall nur auf der Grund­la­ge ei­ner mit dem Be­triebs­rat ver­ein­bar­ten Bußord­nung zulässig sind und die auch im Ein­zel­fall nur un­ter Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats verhängt wer­den dürfen. Nach der Aus­le­gung des Schrei­bens vom 3o. Ok­to­ber 1975 durch das Lan­des­ar­beits­ge­richt war der dar­in aus­ge­spro­che­ne "Ver­weis" nicht als Be­triebs­buße in dem ge­kenn­zeich­ne­ten Sinn auf­zu­fas­sen, son­dern als ei­ne von der Be­klag­ten in Ausübung ih­res ver­trag­li­chen Rüge­rechts aus­ge­spro­che­ne "Ab­mah­nung". Durch ei­ne sol­che Ab­mah­nung weist der Ar­beit­ge­ber sei­nen Ar­beit­neh­mer auf­grund sei­ner Gläubi­ger­be­fug­nis auf des­sen ver­trag­li­che Pflich­ten hin und macht auf Ver­let­zun­gen der Ver­trags­pflicht auf­merk­sam. Zu­gleich for­dert er für die Zu­kunft ver­trags­treu­es Ver­hal­ten und kündigt, wenn ihm dies an­ge­bracht er­scheint, in­di­vi­du­al­recht­li­che Kon­se­quen­zen für er­neu­ten Ver­trags­ver­let­zung an.


Die nicht an das Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­rats ge­bun­de­ne Ab­mah­nung des Ar­beit­ge­bers darf kei­nen zweck hin­aus­ge­hen­den Sank­ti­ons­cha­rak­ter ha­ben. Un­wert­ur­teil über die Per­son des Ar­beit­neh­mers ent­hal­ten. Das schließt nicht aus, daß der Ar­beit­ge­ber die Schwe­re der Ver­trags­pflicht­ver­let­zung zum Aus­druck bringt oder ei­ne wie­der­hol­te Ver­let­zung ver­trag­li­cher Pflich­ten be­son­ders kenn­zeich­net.

c) Wenn ein ver­trags­wid­ri­ges Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers zu­gleich ge­gen die be­trieb­li­che Ord­nung verstößt, kann der Ar­beit­ge­ber es ent­we­der bei ei­ner ver­trag­li­chen Ab­mah­nung be­wen­den las­sen oder er kann sich, so­fern ei­ne Bußord­nung in dem Be­trieb be­steht, mit dem Be­triebs­rat über die Verhängung ei­ner Be­triebs­buße ei­ni­gen. Ob ei­ne mißbil­li­gen­de Äußerung des Ar­beit­ge­bers ei­ne - oh­ne Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats un­zulässi­ge - Be­triebs­buße oder ei­ne Ab­mah­nung be­deu­tet, muß im Zwei­fels­fall durch Aus­le­gung er­mit­telt wer­den.
 


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Der Se­nat hat­te Be­den­ken, ob die Ver­wen­dung des ty­pisch dis­zi­pli­nar­re­che­chen Aus­drucks "Ver­weis" nicht an­zeigt, daß die Be­klag­te in Wahr­heit ei­ne Buße verhängen woll­te. Die For­ma­li­sie­rung ei­ner Mißbil­li­gung deu­tet- ins­be­son­de­re dann, wenn sie in ei­ner Stu­fen­fol­ge wie "Ver­war­nung, Ver­weis, Ver­set­zung, Ent­las­sung" er­scheint - dar­auf hin, daß ei­ne Maßnah­me des Ar­beit­ge­bers Sank­ti­ons­cha­rak­ter trägt und des­halb der Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats un­ter­liegt (vgl. Gal­pe­rin-Löwisch, Be­trVG, 5. Aufl., Band II, § 87 Rd­Nr. 74; Wie­se, GK-Be­trVG, § 87 Rd­Nr. 63 g, je­weils m.w.N.). Ein Ar­beit­ge­ber, der nur ab­mah­nen will, soll­te sei­ne Be­an­stan­dung, schon um Mißdeu­tun­gen zu ver­mei­den, auch so be­zeich­nen.


Es ist aber un­ter den hier ge­ge­be­nen Umständen nicht rechts­feh­ler­haft, wenn das Lan­des­ar­beits­ge­richt "un­ge­ach­tet der ver­wen­de­ten Be­zeich­nung" das Schrei­ben vom 3o. Ok­to­ber 1975 als le­dig­lich in­di­vi­du­al­recht­li­che Rüge ver­stan­den hat; zu­mal der Be­zeich­nung ei­ner Ab­mah­nung als "Ver­war­nung, Ver­weis oder Er­mah­nung" in der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts bis­her kei­ne Be­deu­tung bei­ge­mes­sen wor­den ist. Das beim Kläger fest­stell­te Man­ko berührt die be­trieb­li­che Ord­nung kaum. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt sagt mit Recht, daß die Be­klag­te dem Kläger ei­ne Ver­let­zung der sich aus dem Ar­beits­ver­trag er­ge­ben­den, durch die Dienst­an­wei­sung für Schaff­ner kon­kre­ti­sier­ten Ver­trags­pflicht vorhält. Die an­gekündig­ten Fol­gen be­schränken sich auf verstärk­te Kon­trol­len; das ist kei­ne Straf­maßnah­me. Die Re­vi­si­on hat die Aus­le­gung des Schrei­bens vom 3o. Ok­to­ber 1975 als mit­be­stim­mungs­freie Ab­mah­nung auch nicht an­ge­grif­fen.


2. a) Der Se­nat folgt dem Lan­des­ar­beits­ge­richt auch dar­in, daß das Rück­nah­me­be­geh­ren des Klägers nicht ge­recht­fer­tigt ist. Der dem Kläger mit Schrei­ben vom 3o. Ok­to­ber 1975 er­teil­te Ver­weis be­ruht un­strei­tig auf ei­nem wah­ren und zu­tref­fen­den Sach­ver­halt. Der Kläger be­strei­tet nicht, daß er be­reits am 21. Fe­bru­ar 1974 we­gen ei­nes am 18. Fe­bru­ar 1974 fest­ge­stell­ten Fehl­be­tra­ges ver­warnt und daß bei der am 14. Ok­to­ber 1975 un­ver­mu­tet vor­ge­nom­me­nen Kon­trol­le er­neut ein Fehl­be­trag in Höhe von 3o,85 DM fest­ge­stellt wur­de. Durch die­ses Fehl­ver­hal­ten hat der Kläger ge­gen

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sei­ne ar­beits­ver­trag­li­che Sorg­falts­pflicht beim Ver­kauf von Fahr­schei­nen und der Ver­wah­rung des ein­ge­nom­me­nen Gel­des ver­s­toßen, wie sie sich ins­be­son­de­re aus der Dienst­an­wei­sung für den Schaff­ner­dienst er­gibt. Die Be­klag­te war be­rech­tigt, im Rah­men des ihr zu­ste­hen­den ver­trag­li­chen Rüge­rechts die­se Nachlässig­keit des Klägers ab­zu­mah­nen, ihm drin­gend zu emp­feh­len, die Fahr­schein-und Geld­bestände künf­tig in Ord­nung zu hal­ten und ihm ver­mehr­te Kon­trol­len an­zukündi­gen. Die von der Be­klag­ten aus­ge­spro­che­ne Ab­mah­nung dient im Ge­gen­teil auch dem wohl­ver­stan­de­nen In­ter­es­se des Klägers. Es ist dar­an zu er­in­nern, daß der Ar­beit­ge­ber bei Störun­gen im sog. Leis­tungs­be­reich nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts so­gar ver­pflich­tet ist, den Ar­beit­neh­mer zunächst ab­zu­mah­nen, be­vor er ihm we­gen ei­nes Fehl­ver­hal­tens kündigt (vgl. AP Nr. 9 zu § 1 KSchG Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung (zu 4 c der Gründe) und das zu I be­reits ge­nann­te Ur­teil vom 30. Ja­nu­ar 1979 (zu I 1 b der Gründen)).

b) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on kommt es nicht dar­auf an, ob das fest­ge­stell­te Man­ko dem Kläger sub­jek­tiv vor­werf­bar ist. Das folgt dar­aus, daß die Be­an­stan­dung der Be­klag­ten kei­nen Straf­cha­rak­ter trägt. Für die ver­trag­li­che Ab­mah­nung kommt es nur dar­auf an, ob der Ar­beit­neh­mer sei­ne Ver­trags­pflich­ten ob­jek­tiv ver­letzt hat. Auch der Um­stand, daß Fehl­bestände bei Fahr­be­diens­te­ten des öffent­li­chen Nah­ver­kehrs nichts außer­gewöhn­li­ches sind und die Be­klag­te mit Rück­sicht dar­auf ih­ren Fahr­be­diens­te­ten ein mo­nat­li­ches Man­ko­geld von l0,-- DM zum Aus­gleich et­wai­ger Fehl­beträge gewährt, führt zu kei­ner an­de­ren Be­ur­tei­lung. Wenn die Be­klag­te we­gen des erhöhten Ri­si­kos beim Fahr­schein­ver­kauf, vor al­lem in den Stoßzei­ten des Ver­kehrs, die­sen Aus­gleich gibt, erklärt sie da­mit nicht im Wi­der­spruch zu ih­rer Dienst­an­wei­sung Fehl­beträge für ge­recht­fer­tigt, erst recht nicht Fehl­beträge, die wie im Falls Klägers die 10,-- DM-Gren­ze über­schrei­ten.
Wei­ter meint die Re­vi­si­on, die Fest­stel­lung ei­nes Fehl­be­stan­des bei ei­ner Selbst­kon­trol­le mit an­sch­ließen­dem Aus­gleich mit­tels Man­ko­gel­des und die Fest­stel­lung ei­nes Fehl­be­stan­des bei ei­ner zufälli­gen Kon­trol­le durch Drit­te und eben­falls Aus­glei­chung durch Man­ko­geld sei­en zwei völlig iden­ti­sche Si­tua­tio­nen, die von der
 


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Be­klag­ten nicht un­ter­schied­lich be­han­delt wer­den dürf­ten. Das ist nicht rich­tig. Zum ei­nen erhält die Be­klag­te von fest­ge­stell­ten Fehl­beständen bei Selbst­kon­trol­le in der Re­gel kei­ne Kennt­nis und kann da­her auch kei­ne Maßnah­men er­grei­fen. Zum an­de­ren kor­ri­giert im ers­ten Fall der Fahr­be­diens­te­te sei­nen Feh­ler oh­ne Mit­wir­kung Drit­ter von sich aus. Bei Fehl­beständen, die bei un­ver­mu­te­ten Kon­trol­len durch die Be­klag­te fest­ge­stellt wer­den, wird das Fehl­ver­hal­ten nicht vom Fahr­be­diens­te­ten selbst er­kannt und aus­ge­gli­chen, son­dern erst durch die Kon­trol­le Drit­ter of­fen­kun­dig. Es ist da­her nur natürlich, daß bei­de Sach­ver­hal­te un­ter­schied­lich be­han­delt wer­den. Die Re­vi­si­on irrt fer­ner, wenn sie meint, der aus­ge­spro­che­ne Ver­weis sei schon des­halb un­zulässig, weil die Be­klag­te fest­ge­stell­te Zu­viel­beträge an­stands­los hin­ge­nom­men ha­be. Auch hier ver­kennt die Re­vi­si­on, daß aus dem rüge­lo­sen Hin­neh­men von Zu­viel­beträgen für die Be­klag­te nicht die Ver­pflich­tung folgt, auch Fehl­bestände oh­ne Rüge zu ak­zep­tie­ren.


c) Der schrift­lich er­teil­te Ver­weis ist schließlich, wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­tref­fend aus­geführt hat, nicht un­verhält­nismäßig im Ver­gleich zum Fehl­ver­hal­ten des Klägers, dies schon des­halb nicht, weil die Be­klag­te auf Sank­tio­nen ver­zich­tet und sich mit ei­ner Ab­mah­nung be­gnügt hat. Daß die Be­klag­te die Ab­mah­nung in die Per­so­nal­ak­ten des Klägers auf­ge­nom­men hat, ist sach­ge­recht. Ihr Schrei­ben enthält we­der un­wah­re Be­haup­tun­gen, noch ver­letzt es durch sei­ne Form die Eh­re des Klägers.


gez.: Dr. Hil­ger 

Dr. Heit­her 

Dr. Lein­mann

Liebsch 

Hal­ber­stadt

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