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VG Düsseldorf, Urteil vom 08.08.2017, 2 K 7427/17
Schlagworte: | Diskriminierungsverbote - Geschlecht | |
Gericht: | Verwaltungsgericht Düsseldorf | |
Aktenzeichen: | 2 K 7427/17 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 08.08.2017 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | ||
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 2 K 7427/17
Tenor:
Das beklagte Land wird unter Aufhebung des Bescheides des M. Nordrhein-Westfalen vom 5. April 2017 verurteilt, die Klägerin zum weiteren Auswahlverfahren für die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2017 zuzulassen.
Die Kosten des Verfahrens trägt das beklagte Land.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Land darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % der auf Grund des Urteils vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % der jeweils vollstreckbaren Kosten leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
1 | Tatbestand: |
2 | Die am 00.00.1990 geborene Klägerin bewarb sich am 14. September 2016 für die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen im Jahr 2017. Für dieses Einstellungsverfahren wird in Ziffer 3 des Erlasses des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (nunmehr Ministerium des Inneren des Landes Nordrhein-Westfalen) vom 24. Mai 2016 (Az. 403-26.00.07-A; im Folgenden: Erlass vom 24. Mai 2016) festgelegt, dass die Mindestgröße bei Bewerberinnen 163 cm und bei Bewerbern 168 cm beträgt. Bei der polizeiärztlichen Hauptuntersuchung am 3. Februar 2017 wurde bei der Klägerin eine Körpergröße von 161,5 cm gemessen. Mit Schreiben vom selben Tag hörte das M. Nordrhein-Westfalen (M.) die Klägerin dazu an, dass sie wegen Unterschreitung der im Erlass vom 24. Mai 2016 festgelegten Mindestgröße für Bewerberinnen von 163 cm bei der Einstellung nicht mehr berücksichtigt werden könne und gab Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen. Unter dem 11. Februar 2017 erhob die Klägerin „Einspruch“ gegen den beabsichtigten Ausschluss vom Bewerbungsverfahren und verwies auf aktuelle Rechtsprechung, wonach Polizistinnen keine Mindestgröße mehr erfüllen müssten. |
3 | Nach Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten teilte das M. der Klägerin mit Bescheid vom 5. April 2017 mit, dass sie den allgemeinen Bedingungen für eine Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen nicht entspreche, da sie mit ihrer Körpergröße von 161,5 cm die erforderliche Mindestgröße von 163 cm unterschreite und somit eine wesentliche Einstellungsvoraussetzung nicht erfülle. |
4 | Die Klägerin hat am 2. Mai 2017 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor: Das beklagte Land sei nicht berechtigt, die von ihr begehrte Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst wegen Unterschreitung der Mindestkörpergröße abzulehnen. Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 14. März 2016 – 1 K 3788/14 – (juris) bedürfe die Festlegung von Mindestkörpergrößen für den Polizeivollzugsdienst im Hinblick auf die einhergehende Beschränkung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 33 Abs. 2 GG eines hinreichend fundierten und nachvollziehbaren Verfahrens zur Ermittlung der geforderten Körpergröße. Daran habe es laut der vorgenannten Entscheidung für das Einstellungsverfahren 2016 gefehlt. Gleiches gelte für das hier streitbefangene Auswahlverfahren 2017, in dem an der nicht ausreichenden Erlassregelung zum vorangehenden Verfahren festgehalten worden sei. Die vom beklagten Land festgesetzten Mindestkörpergrößen seien auch deswegen nicht nachvollziehbar, weil die Bundespolizei und andere Bundesländer geringere Größenanforderungen aufstellten, sich die polizeilichen Aufgaben in NRW aber von denen in anderen Ländern bzw. beim Bund nicht unterschieden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass in Nordrhein-Westfalen der Polizeivollzugsdienst bis in das Jahr 2007 auch ohne geltende Mindestgrößen funktioniert habe. Des Weiteren sei es bis vor kurzem üblich gewesen, dass sich Polizeivollzugsbeamte aus anderen Bundesländern nach Nordrhein-Westfalen haben versetzen lassen können, ohne die vom beklagten Land geforderten Mindestgrößen zu erfüllen. Der inzwischen vom beklagten Land erstellte Bericht der Arbeitsgruppe „Mindestgröße in der Polizei Nordrhein-Westfalen“ sei nicht geeignet, die rechtlichen Bedenken gegen die festgelegten Mindestkörpergrößen auszuräumen. Der nachträgliche Bericht könne nicht Grundlage für die Begründung des zeitlich früher herausgegebenen Erlasses vom 24. Mai 2016 sein. Ferner handele es sich um eine zielgerichtete Arbeit, welche die Aufgabe gehabt habe, die bestehenden Größenanforderungen zu bestätigen. Weiter sei dem Bericht zu entnehmen, dass im Bereich von 160 cm bis 162,9 cm, in den sie, die Klägerin, falle, nicht zwingend von einer fehlenden Polizeidiensttauglichkeit ausgegangen werden könne, sondern hier die Möglichkeit bestehe, einen etwaigen Mangel an Körpergröße durch andere körperliche Eigenschaften zu kompensieren. Der vom Bericht erweckte Eindruck, kleinere Polizeivollzugsbeamte seien besonders gefährdet oder gefährlich, könne in extremen Auswüchsen richtig sein, dies gelte aber nicht für den Alltag. Schließlich würden die im Bericht in Bezug genommenen Interviews nicht vorgelegt oder nachprüfbar ausgewertet. |
5 | Die Klägerin beantragt, |
6 | das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides des M. Nordrhein-Westfalen vom 5. April 2017 zu verurteilen, sie zum weiteren Auswahlverfahren für die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2017 zuzulassen. |
7 | Das beklagte Land beantragt, |
8 | die Klage abzuweisen. |
9 | Zur Begründung trägt es vor: Der Ausschluss der Klägerin vom weiteren Auswahlverfahren aufgrund der Unterschreitung der im Erlass vom 24. Mai 2016 festgelegten Mindestkörpergröße sei rechtmäßig. Das vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in seinem Urteil vom 14. März 2016 geforderte substantiierte Verfahren für die festgelegten Mindestkörpergrößen liege nunmehr vor. Es sei eine Arbeitsgruppe eingerichtet worden, die sich mit aktuellen statistischen Daten über die Körpergröße in der deutschen Bevölkerung auseinandergesetzt und die derzeit geltenden Mindestgrößenregelungen im Verhältnis zu den aktuellen praktischen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes untersucht habe. Der Bericht der Arbeitsgruppe gelange zu dem Ergebnis, dass die festgelegten Körpergrößen von 163 cm für weibliche und 168 cm für männliche Bewerber weiterhin geboten seien. Als Konkretisierung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber den bereits im Polizeidienst befindlichen sowie zukünftigen Polizeibeamten einerseits und der gleichrangigen Notwendigkeit der effektiven Erfüllung polizeilicher Aufgaben zum Schutz der Gesellschaft andererseits müsse die festgelegte Mindestgröße sicherstellen, dass der ganz überwiegende Anteil der möglichen Anforderungen des Polizeiberufs dauerhaft ohne schwerwiegende gesundheitliche Nachteile der Polizeivollzugsbeamten wahrgenommen werden könne. Ab einer Körpergröße von 163 cm sei gesichert von einer dauerhaften Polizeidiensttauglichkeit für die ganz überwiegenden Aufgabenbereiche der Polizei NRW auszugehen. Die abweichenden Regelungen für Bewerber gegenüber Bewerberinnen seien durch Art. 3 Abs. 2 GG geboten, um die tatsächliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen zu realisieren. Schließlich ergebe sich aus dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. August 2016 – 1 B 976/16 – (juris), dass die in Hessen festgelegte Mindestgröße für Frauen von 160 cm keinen rechtlichen Bedenken begegne. Den Ausführungen des Gerichts sei zu entnehmen, dass die durchschnittliche statistische Körpergröße von Männern und Frauen in Deutschland deutlich über der in Hessen festgesetzten Mindestgröße von 160 cm liege. Vor diesem Hintergrund könne nicht beanstandet werden, wenn in Nordrhein-Westfalen eine Mindestkörpergröße bestimmt werde, die der durchschnittlichen Körpergröße näher komme. Dem Hinweis der Klägerin, Versetzungsbewerber aus anderen Bundesländern würden ohne Einhaltung der Körpergrößenanforderungen eingestellt, könne nicht gefolgt werde; im Rahmen einer Versetzung erfolge eine vollständige ärztliche Untersuchung, bei welcher auch die jeweilige Mindestgröße vorliegen müsse. |
10 | Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. |
11 | Entscheidungsgründe: |
12 | Die zulässige Klage ist begründet. |
13 | Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zulassung zum weiteren Auswahlverfahren für die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2017, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO analog. Der entgegenstehende Bescheid des M. vom 5. April 2017 ist rechtswidrig. Das beklagte Land hat der Klägerin zu Unrecht eine Mindestkörpergröße von 163 cm entgegengehalten. Ausgehend davon, dass Ausnahmen von dem in Art. 33 Abs. 2 GG verbürgten Leistungsgrundsatz einer parlamentsgesetzlichen Grundlage bedürfen (I.), verstößt die auf Ziffer 3 des Erlasses vom 24. Mai 2016 beruhende Verwaltungspraxis des beklagten Landes, wonach für weibliche Bewerber eine Mindestgröße von 163 cm und für männliche Bewerber von 168 cm gefordert wird, gegen Art 33 Abs. 2 GG und ist rechtswidrig, da sie allein aus Gleichstellungsgründen eine höhere Mindestgröße für männlicher Bewerber festlegt, damit eignungsferne Zwecke verfolgt und den Gesetzesvorbehalt auslöst (II). Die vom beklagten Land festgesetzten Mindestgrößenanforderungen sind sowohl in Bezug auf männliche als auch in Bezug auf weibliche Bewerber und sonach auch gegenüber der Klägerin unwirksam (III.). |
14 | I. Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen. Wann es aufgrund der Wesentlichkeit einer Entscheidung einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, hängt vom jeweiligen Sachbereich und der Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes ab. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten zu entnehmen. Danach bedeutet wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte". Als wesentlich sind also Regelungen zu verstehen, die für die Verwirklichung von Grundrechten erhebliche Bedeutung haben und sie besonders intensiv betreffen. Die Tatsache, dass eine Frage politisch umstritten ist, führt dagegen für sich genommen nicht dazu, dass diese als wesentlich verstanden werden müsste. Eine Pflicht zum Tätigwerden des Gesetzgebers besteht insbesondere in mehrdimensionalen, komplexen Grundrechtskonstellationen, in denen miteinander konkurrierende Freiheitsrechte aufeinander treffen und deren jeweilige Grenzen fließend und nur schwer auszumachen sind. Eine solche Pflicht ist regelmäßig auch dann anzunehmen, wenn die betroffenen Grundrechte nach dem Wortlaut der Verfassung ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet sind und eine Regelung, welche diesen Lebensbereich ordnen will, damit notwendigerweise ihre verfassungsimmanenten Schranken bestimmen und konkretisieren muss. Hier ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Schranken der widerstreitenden Freiheitsgarantien jedenfalls so weit selbst zu bestimmen, wie eine solche Festlegung für die Ausübung dieser Freiheitsrechte wesentlich ist. Denn nach der Verfassung sind die Einschränkung von grundrechtlichen Freiheiten und der Ausgleich zwischen kollidierenden Grundrechten dem Parlament vorbehalten, um zu gewährleisten, dass Entscheidungen von solcher Tragweite aus einem Verfahren hervorgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Ausmaß von Grundrechtseingriffen in öffentlicher Debatte zu klären. Es geht darum sicherzustellen, dass die wesentlichen Regelungen aus einem Verfahren hervorgehen, das sich durch Transparenz auszeichnet und die Beteiligung der parlamentarischen Opposition gewährleistet. Zugleich sollen staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen. Dieses Ziel darf nicht durch einen Gewaltenmonismus in Form eines umfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden. |
15 | Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 21. April 2015 – 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 –, juris, Rn. 52 f. |
16 | Die dargelegten Grundsätze gelten auch im Beamtenverhältnis. Dass die Grundrechte dort in gleicher Weise Geltung beanspruchen, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt; zugleich sind die grundrechtsgleichen Berechtigungen aus Art. 33 GG zu beachten. Die Regelungsform des Gesetzes ist für das Beamtenverhältnis typisch und sachangemessen; die wesentlichen Inhalte des Beamtenrechts sind daher durch Gesetz zu regeln. Ob bestimmte Regelungen in der Vergangenheit durch Rechtsverordnung erfolgt sind, ist dabei nicht entscheidend. Die Frage der Wesentlichkeit und damit der Ermächtigungsgrundlage kann sich unter einem aktualisierten verfassungsrechtlichen Blickwinkel anders darstellen als noch vor einigen Jahren oder gar Jahrzehnten. |
17 | Soweit es um Arbeitsverhältnisse des öffentlichen Dienstes geht, trifft Art. 33 Abs. 2 GG eine Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG ergänzende Regelung. Hiernach wird jedem Deutschen das Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gewährleistet. Dabei zielt die Befähigung auf allgemein der Tätigkeit zugutekommende Fähigkeiten wie Begabung, Allgemeinwissen, Lebenserfahrung und allgemeine Ausbildung. Fachliche Leistung bedeutet Fachwissen, Fachkönnen und Bewährung im Fach. Eignung im engeren Sinne erfasst insbesondere Persönlichkeit und charakterliche Eigenschaften, die für ein bestimmtes Amt von Bedeutung sind. Die Geltung dieser Grundsätze wird von Art. 33 Abs. 2 GG unbeschränkt und vorbehaltlos gewährleistet. Vorbehaltlos gewährte Grundrechte werden grundsätzlich nur durch kollidierendes Verfassungsrecht – Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang – eingeschränkt. |
18 | Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 2015 – 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 –, juris, Rn. 57 ff. |
19 | Es ist vorrangig Aufgabe des Parlamentsgesetzgebers, die Abwägung und den Ausgleich zwischen dem Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG und anderen in der Verfassung geschützten Belangen vorzunehmen. Ausnahmen vom Leistungsgrundsatz beim Zugang zum Beamtenverhältnis bedürfen demnach grundsätzlich einer (parlaments-)gesetzlichen Grundlage. |
20 | Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 2015 – 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 –, juris, Rn. 60. |
21 | II. Mit diesen Vorgaben ist die auf Ziffer 3 des Erlasses vom 24. Mai 2016 beruhende Verwaltungspraxis des beklagten Landes, für die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst bei Bewerberinnen eine Mindestgröße von 163 cm und bei Bewerbern von 168 cm zu verlangen, nicht zu vereinbaren. Sie ist rechtswidrig und kann der Klägerin nicht mit dem angefochtenen Bescheid vom 5. April 2017 entgegengehalten werden. Die Festlegung unterschiedlicher Größenanforderungen für Männer und Frauen verfolgt eignungsferne Zwecke. Im Gegensatz zur Festsetzung eignungsbezogener Anforderung (dazu 1.) bedarf die Festlegung eignungsferner Kriterien für den Zugang zum Beamtenverhältnis aufgrund der dadurch bewirkten Beschränkung des Art. 33 Abs. 2 GG einer (parlaments-) gesetzlichen Grundlage (2.). |
22 | 1. Zunächst ist im Grundsatz davon auszugehen, dass die Festlegung von Mindestgrößen bei der Einstellung in den Polizeivollzugsdienst keiner gesetzlichen Grundlage bedarf. Solche Anforderungen stellen in Bezug auf den Polizeivollzugsdienst als Einsatzberuf ein Eignungskriterium dar und schränken den in Art. 33 Abs. 2 GG verbürgten Leistungsgrundsatz nicht ein. Dieser gewährleistet den Zugang zu öffentlichen Ämtern gerade nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Eine Beschränkung dieses Schutzes erfolgt nicht, wenn der Dienstherr eignungsbezogene Voraussetzungen für den Zugang zum Beamtenverhältnis aufstellt. |
23 | Vgl. insoweit übereinstimmend Verwaltungsgericht (VG) Berlin, Urteil vom 1. Juni 2017 – 5 K 219/16 –, juris, Rn. 18; a. A., weil nicht zwischen eignungsbezogenen und eignungsfernen Kriterien differenzierend VG Schleswig, Urteil vom 16. März 2016 – 11 A 308/15 –, juris, Rn. 40. |
24 | Es ist dem pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn überlassen, in welcher Weise er den Grundsatz des gleichen Zugangs zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung verwirklicht, sofern nur das Prinzip selbst nicht in Frage gestellt ist. Insoweit bleibt es auch Sache des Dienstherrn, darüber zu befinden, welche Anforderungen er an die Eignung für die Laufbahnen der Polizeivollzugsbeamten stellt. Er kann sein Ermessen durch Verwaltungsvorschriften binden, um sicher zu stellen, dass die Bewerber sachgemäß ausgewählt und dabei einheitlich und gleichmäßig behandelt werden. |
25 | Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 2. Oktober 2007 – 2 K 2070/07 –, juris, Rn. 21. |
26 | 2. Anders verhält es sich demgegenüber mit der Festlegung nicht eignungsbezogener Voraussetzungen für den Zugang zum Beamtenverhältnis. Eignungsferne Anforderungen schränken den in Art. 33 Abs. 2 GG vorbehaltlos garantierten Leistungsgrundsatz ein und lösen daher nach den oben dargestellten Maßgaben den Gesetzesvorbehalt aus. So verhält es sich mit der hier in Streit stehenden, auf Ziffer 3 des Erlasses vom 24. Mai 2016 beruhenden Verwaltungspraxis des beklagten Landes. Denn sie legt allein aus Gründen der Gleichstellung für männliche Bewerber eine höhere Mindestgröße als für weibliche Bewerber fest. Die vom beklagten Land intendierte Verwirklichung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen stellt indes ein von Art. 33 Abs. 2 GG nicht gedecktes eignungsfernes Kriterium dar. Unerheblich ist dabei, dass die vom beklagten Land mit der Festlegung einer erhöhten Größenanforderung für Männer angestrebte Gleichstellung formal betrachtet mit der Mindestkörpergröße an ein (körperliches) Eignungskriterium anknüpft. Denn es kommt wesentlich darauf an, welchen Zwecken ein Einstellungskriterium dient und welche Ziele es verfolgt. |
27 | Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 2015 – 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 –, juris, Rn. 77. |
28 | Zu Hintergrund und Ziel der festgesetzten Größenanforderungen hat das beklagte Land im Schriftsatz vom 10. Mai 2017 mitgeteilt, dass ab einer Körpergröße von 163 cm gesichert von einer Polizeidiensttauglichkeit ausgegangen werden könne und „die abweichenden Regelungen für Bewerber gegenüber Bewerberinnen […] durch Art. 3 Abs. 2 GG geboten [seien], um die tatsächliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen zu realisieren.“ In dem vom beklagten Land zum Verfahren gereichten Bericht der Arbeitsgruppe „Mindestgröße in der Polizei Nordrhein-Westfalen“ heißt es in diesem Zusammenhang (Seite 64), es werde Wert auf die Feststellung gelegt, dass eine geschlechterbezogene Differenzierung im Rahmen der Überlegungen zu einer „technischen“ Mindestgröße keine Rolle gespielt habe; eine solche Differenzierung könne geboten sein, jedoch ausschließlich auf Grundlage rechtlicher Betrachtungen im Rahmen des Gleichheitssatzes aus Art. 3 GG. In diesem Sinne schließt der Arbeitsgruppenbericht mit dem Hinweis (Seite 71): „Die Feststellung der Mindestgröße für Bewerber auf eine Körpergröße von 168 cm ist ausschließlich unter Berücksichtigung des rechtlich intendierten Vorteilsausgleich von 5 cm notwendig.“ |
29 | Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass das beklagte Land von einer Eignung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst für Männer und Frauen gleichermaßen ab einer Mindestgröße von 163 cm ausgeht und ausschließlich aus Gleichstellungsgründen für Männer eine fünf cm höhere Mindestgröße verlangt wird, nämlich um die Anzahl der im Bevölkerungsdurchschnitt größeren männlichen Bewerber im Verhältnis zur Anzahl durchschnittlich kleinerer weiblicher Bewerber zu reduzieren. Damit wird in den in Art. 33 Abs. 2 GG vorbehaltlos verbürgten und nur durch kollidierendes Verfassungsrecht beschränkbaren Leistungsgrundsatz, wonach der Zugang zu einem öffentlichen Amt nur von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung abhängig gemacht werden kann, eingegriffen. Die mit Blick auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau vorgenommene Festsetzung einer höheren Mindestgröße für Männer konkretisiert damit eine verfassungsimmanente Schranke von Art. 33 Abs. 2 GG und verfolgt die Intention, zwei kollidierende Rechtsgüter von Verfassungsrang – den Leistungsgrundsatz aus Art. 33 Abs. 2 GG einerseits und die Gleichberechtigung nach Art. 3 Abs. 2 GG andererseits – gegeneinander abzuwägen und in Ausgleich zubringen. Die beabsichtigte Herstellung praktischer Konkordanz zwischen diesen beiden grundgesetzlich verankerten Interessen im grundrechtssensiblen Bereich kann indes nicht der Verwaltungspraxis überlassen werden; sie ist Aufgabe des Parlamentsgesetzgebers. |
30 | Aus den vorangehenden Erwägungen nimmt die Kammer von ihrer im Urteil vom 2. Oktober 2007 – 2 K 2070/07 – (juris, Rn. 27) geäußerten Rechtsansicht Abstand, wonach die Festlegung von geschlechtsbezogen differenzierender Mindestgrößen durch die auf einem Erlass beruhende Verwaltungspraxis des beklagten Landes keinen Bedenken begegnete. |
31 | III. Der sich aus der Festsetzung einer erhöhten Mindestgröße für Männer von 168 cm ergebende Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG führt zur Rechtswidrigkeit der auf Ziffer 3 des Erlasses vom 24. Mai 2016 beruhenden Verwaltungspraxis zu Mindestgrößenanforderungen insgesamt und bewirkt auch die Unwirksamkeit der Festlegung der Mindestgröße für Frauen auf 163 cm, deren Unterschreitung der Klägerin im angefochtenen Bescheid des M. vom 5. April 2017 entgegengehalten wird. Beide Größenfestsetzungen bedingen sich wechselseitig und sind rechtlich nicht voneinander abtrennbar. Entscheidend für die Beurteilung, wie weit die Unwirksamkeit reicht, ist der Begriff der Abtrennbarkeit; abtrennbare Teile einer Norm bzw. eines Normkomplexes werden von dem Unwirksamkeitsgrund nicht erfasst und behalten Bestand. Abtrennbar ist (unter Heranziehung der Rechtsgedanken des § 139 BGB) der Teil einer Norm bzw. eines Normkomplexes, der mit dem gesamten restlichen Normgefüge nicht so verflochten ist, dass die Restbestimmungen ohne den abgetrennten nicht sinnvoll bestehen können, etwa weil der verbleibende Teil allein nicht der Rechtsordnung entspricht, z. B. eine unter Gleichheitsaspekten unzureichende Regelung darstellt, oder den gesetzlichen Regelungsauftrag verfehlt. |
32 | Vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. April 2013 – L 36 AS 2095/12 NK –, juris, Rn. 72; Panzer, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Kommentar, Loseblatt, Stand: 32. Ergänzungslieferung Oktober 2016, § 47, Rn. 110; vgl. zum Kriterium der Abtrennbarkeit auch Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschlüsse vom 6. April 1993 – 4 NB 43.92 –, juris, Rn. 11 und vom 17. September 2013 – 4 BN 40.13 –, juris, Rn. 4. |
33 | Aus der Nichtigkeit einzelner Vorschriften folgt die Nichtigkeit des ganzen Gesetzes dann, wenn sich aus dem objektiven Sinn des Gesetzes ergibt, dass die übrigen mit der Verfassung zu vereinbarenden Bestimmungen keine selbständige Bedeutung haben; ferner dann, wenn die verfassungswidrige Vorschrift Teil einer Gesamtregelung ist, die ihren Sinn und ihre Rechtfertigung verlöre, nähme man einen ihrer Bestandteile heraus, wenn also die nichtige Vorschrift mit den übrigen Bestimmungen so verflochten ist, dass sie eine untrennbare Einheit bilden, die nicht in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt werden kann. |
34 | Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. November 1958 – 2 BvL 4/56 –, juris, Rn. 111 m. w. N. |
35 | Nach diesen Grundsätzen, die zwar zur Teilnichtigkeit von Gesetzen im materiellen Sinne als Normen mit Außenwirkung entwickelt wurden, die aber auf die Nichtigkeit einzelner Bestandteile einer auf einem Verwaltungserlass beruhenden Verwaltungspraxis übertragbar sind, ist die vorgenommene Festlegung von Mindestgrößen insgesamt, also sowohl für Bewerberinnen als auch für Bewerber, unwirksam. Würde nur die Festlegung einer Mindestkörpergröße für Männer als unwirksam erachtet, verstieße die verbleibende isolierte Festlegung einer Mindestgröße für Frauen offenkundig gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG, unterlägen in diesem Fall nur weibliche und nicht auch männliche Bewerber einer Größenanforderung. Eine solche Verwaltungspraxis könnte für sich nicht fortbestehen, sondern wäre mangels Vereinbarkeit mit der Verfassung ebenfalls rechtswidrig. |
36 | Schließlich besteht kein Raum für die Annahme, dass bei der hier angenommenen Unwirksamkeit der erhöhten Körpergröße für Männer von 168 cm diese Anforderung eo ipso auf die für Frauen festgelegte Mindestgröße von 163 cm, bei der das beklagte Land grundsätzlich ohne Rücksicht auf das Geschlecht von einer Eignung für den Polizeivollzugsdienst ausgeht, zurückfällt. Es obliegt dem beklagten Land, zu Fortbestand, Ausgestaltung und Regelungsform von Mindestgrößen für Polizeivollzugsbeamte eine Entscheidung zu treffen, der vorzugreifen das Gericht nicht berufen ist. |
37 | Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist nach § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 ZPO erfolgt. |
38 | Die Berufung war gemäß §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zulassen. Denn die Frage der Wirksamkeit der auf Ziffer 3 des Erlasses vom 24. Mai 2016 beruhenden Verwaltungspraxis ist über den Streitfall hinausgehend klärungsbedürftig. |
39 | Beschluss: |
40 | Der Streitwert wird auf die Wertstufe bis 5.000,00 Euro festgesetzt. |
41 | Gründe: |
42 | Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 2 GKG erfolgt. |
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