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BAG, Be­schluss vom 05.05.2010, 7 ABR 97/08

   
Schlagworte: Leitender Angestellter, Chefarzt
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 7 ABR 97/08
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 05.05.2010
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hagen, Beschluss vom 26.06.2005, 5 BV 41/04
Landesarbeitsgericht Hamm, Beschluss vom 07.07.2006, 10 (13) TaBV 165/05
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 10.10.2007, 7 ABR 61/06
LAG Hamm, Beschluss vom 10.10.2008,10 TaBV 24/08
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

7 ABR 97/08
10 TaBV 24/08
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Hamm

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

5. Mai 2010

BESCHLUSS

Schie­ge, Ur­kunds­be­am­ter

der Geschäfts­stel­le

In dem Be­schluss­ver­fah­ren

mit den Be­tei­lig­ten

1.

An­trag­stel­ler und Be­schwer­deführer,

2.

Rechts­be­schwer­deführe­rin,

3.

hat der Sieb­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der Be­ra­tung vom 5. Mai 2010 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Lin­sen-
 


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mai­er, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Kiel, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Schmidt so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Hoff­mann und Prof. Dr. Dei­nert für Recht er­kannt:


Die Rechts­be­schwer­de der Ar­beit­ge­be­rin ge­gen den Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 10. Ok­to­ber 2008 - 10 TaBV 24/08 - wird zurück­ge­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Gründe

A. Die Be­tei­lig­ten strei­ten über die Fra­ge, ob der Be­tei­lig­te zu 3) lei­ten­der An­ge­stell­ter iSd. § 5 Abs. 3 Be­trVG ist.


Die zu 2) be­tei­lig­te Ar­beit­ge­be­rin be­treibt in S ein Kran­ken­haus, in dem et­wa 530 Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter beschäftigt sind, da­von 95 Ärz­tin­nen und Ärz­te. Un­ter­halb der Geschäftsführung ist ei­ne Be­triebs­lei­tung ge­bil­det, die aus ei­nem der Geschäftsführer, der Pfle­ge­dienst­lei­tung und dem ärzt­li­chen Di­rek­tor be­steht. Mit Aus­nah­me der Rönt­gen­ab­tei­lung ste­hen den acht me­di­zi­ni­schen Ab­tei­lun­gen des Kran­ken­hau­ses je­weils lei­ten­de Ab­tei­lungsärz­te als Chefärz­te vor. Ei­ne me­di­zi­ni­sche Ab­tei­lung ist die Kli­nik und Ta­ges­kli­nik für Ger­ia­trie, die seit ih­rer In­be­trieb­nah­me zum 1. Ju­ni 2004 von dem Be­tei­lig­ten zu 3) ge­lei­tet wird. Des­sen Jah­res­grund­ge­halt beträgt 180.000,00 Eu­ro. In der Ab­tei­lung Ger­ia­trie sind ne­ben dem Be­tei­lig­ten zu 3) als Chef­arzt zwei Oberärz­te und fünf wei­te­re Ärz­te so­wie im Pfle­ge­be­reich 26,5 Voll­kräfte tätig. Die Ger­ia­trie verfügt über 41 von ins­ge­samt 405 sta­ti­onären Kran­ken­haus­bet­ten so­wie seit dem Jahr 2006 über wei­te­re 15 Bet­ten in der Ta­ges­kli­nik. Da­mit er­ziel­te die Ab­tei­lung im Jahr 2007 12 % des im Kran­ken­haus er­wirt­schaf­te­ten Ge­samt­um­sat­zes.
 


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Der Ar­beits­ver­trag des Be­tei­lig­ten zu 3) vom 22. April 2004 lau­tet aus­zugs­wei­se wie folgt:

„§ 1
Tätig­keit und Auf­ga­ben­ge­biet


1) Der Dienst­neh­mer wird mit Wir­kung zum 15.06.2004 als Chef­arzt für die Akut­geria­trie so­wie für die noch zu er­rich­ten­de ger­ia­tri­sche Ta­ges­kli­nik ein­ge­stellt. Sein Auf­ga­ben­ge­biet um­fasst die Rech­te und Pflich­ten ei­nes Chef­arz­tes der Ger­ia­tri­schen Ab­tei­lung.

2) Der Dienst­neh­mer ist lei­ten­der An­ge­stell­ter. Er ist nach Ab­spra­che mit den Fach­kol­le­gen und im Rah­men des Per­so­nal­bud­gets zur selbstständi­gen Ein­stel­lung und Ent­las­sung von ärzt­li­chen Mit­ar­bei­tern be­rech­tigt. Ar­beits­zeug­nis­se wer­den von ihm und der Ver­wal­tungs­lei­tung ge­mein­sam un­ter­zeich­net. Die Ver­wal­tungs­lei­tung hat hier­bei ins­be­son­de­re auf die Übe­rein­stim­mung mit den ar­beits­recht­li­chen Be­stim­mun­gen zu ach­ten.

3) Wei­te­re sei­ner Stel­lung als lei­ten­der Mit­ar­bei­ter ent­spre­chen­de Auf­ga­ben können ihm über­tra­gen wer­den. Der Dienst­ge­ber hat das Recht, struk­tu­rel­le und or­ga­ni­sa­to­ri­sche Verände­run­gen im Be­triebs­ab­lauf vor­zu­neh­men.


4) Der Dienst­neh­mer ist ge­genüber dem me­di­zi­ni­schen Per­so­nal grundsätz­lich wei­sungs­be­rech­tigt; ge­genüber Ärz­ten je­doch nur in­so­weit, als die­se ihm in ih­rem Auf­ga­ben­ge­biet nach­ge­ord­net sind.

§ 5
All­ge­mei­ne Rech­te und Pflich­ten

1) Der Dienst­neh­mer be­tei­ligt sich im er­for­der­li­chen Um­fang an sol­chen Gre­mi­en, die der Dienst­ge­ber im Hin­blick auf ein op­ti­ma­les Be­triebs­ma­nage­ment für not­wen­dig er­ach­tet. Er un­terstützt die Fort­bil­dung der nach­ge­ord­ne­ten Mit­ar­bei­ter gemäß dem Stand ih­rer Kennt­nis­se und Fähig­kei­ten und bil­det sich selbstständig wei­ter. Auf Ver­lan­gen des Dienst­ge­bers hat der Dienst­neh­mer sei­ne ei­ge­ne Wei­ter­bil­dung nach­zu­wei­sen.


2) Die Dienst­auf­sicht über den Dienst­neh­mer hat im All­ge­mei­nen der Dienst­ge­ber. Im Spe­zi­el­len ist der Dienst­neh­mer in ärzt­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten dem


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Ärzt­li­chen Di­rek­tor, in Ver­wal­tungs­an­ge­le­gen­hei­ten der Ver­wal­tungs­lei­tung un­ter­stellt. Der Dienst­neh­mer wirkt an der Um­set­zung dienst­li­cher An­ord­nun­gen und Wei­sun­gen so­wie ge­setz­li­cher Vor­schrif­ten mit. Bei Kom­pe­tenz­kon­flik­ten ist die Ent­schei­dung der Ge­sell­schaf­ter­ver­samm­lung der H GmbH ein­zu­ho­len.


§ 6
Be­son­de­re Rech­te und Pflich­ten

1) Der Dienst­neh­mer führt Heil­be­hand­lun­gen selbst-ständig, ei­gen­ver­ant­wort­lich, ko­ope­ra­tiv und nach den Re­geln der ärzt­li­chen Kunst auf dem je­weils neu­es­ten Stand der ge­si­cher­ten wis­sen­schaft­li­chen Er­kennt­nis­se durch. Der Um­fang sei­ner Leis­tun­gen wird durch Leis­tungs­spek­trum und Jah­res­bud­get des Dienst­ge­bers be­grenzt. Bei­de wer­den zu Jah­res­an­fang im Me­di­zi­ni­schen Ziel­plan ge­mein­sam ab­ge­stimmt.

...

5) Der Dienst­neh­mer wirkt auf ei­ne spar­sa­me Be­triebsführung hin. Ihm kann ein Teil­bud­get an­ver­traut wer­den. Er ist dann für die Ver­wen­dung der Mit­tel al­lein ver­ant­wort­lich... .“

Mit dem am 20. Sep­tem­ber 2004 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen An­trag hat der Be­triebs­rat die Fest­stel­lung be­gehrt, der Be­tei­lig­te zu 3) sei kein lei­ten­der An­ge­stell­ter im Sin­ne von § 5 Abs. 3 Be­trVG. Sei­ne Ein­stel­lungs- und Ent­las­sungs­be­fug­nis­se sei­en nicht aus­rei­chend für § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Be­trVG. Auch die Vor­aus­set­zun­gen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Be­trVG sei­en nicht erfüllt. Der Be­tei­lig­te zu 3) neh­me kei­ne Auf­ga­ben im Sin­ne die­ser Vor­schrift wahr, die für den Be­stand und für die Ent­wick­lung des Un­ter­neh­mens oder des Be­triebs von Be­deu­tung sei­en. So­weit der Ar­beits­ver­trag ei­ne ge­mein­sa­me Ab­stim­mung des Leis­tungs­spek­trums und des Jah­res­bud­gets vor­se­he, würden die Ent­schei­dun­gen nicht von dem Be­tei­lig­ten zu 3) ge­trof­fen, son­dern von dem dreiköpfi­gen Führungs­kreis des Un­ter­neh­mens bzw. in Ver­wal­tungs­an­ge­le­gen­hei­ten von der Ver­wal­tungs- bzw. Per­so­nal­lei­tung.
 


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Der Be­triebs­rat hat be­an­tragt 


fest­zu­stel­len, dass der Be­tei­lig­te zu 3) nicht lei­ten­der An­ge­stell­ter iSv. § 5 Abs. 3 Be­trVG ist.

Die Ar­beit­ge­be­rin hat be­an­tragt, den An­trag ab­zu­wei­sen. 


Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, der Be­tei­lig­te zu 3) sei lei­ten­der An­ge­stell­ter, weil er nach dem An­stel­lungs­ver­trag für die von ihm geführ­te ger­ia­tri­sche Ab­tei­lung je­weils zu Jah­res­be­ginn das Leis­tungs­spek­trum und das Jah­res­bud­get ge­mein­sam mit der Ar­beit­ge­be­rin fest­zu­le­gen ha­be. Durch die Be­tei­li­gung am Auf­bau der Ger­ia­trie so­wie der ger­ia­tri­schen Ta­ges­kli­nik mit 15 Bet­ten kom­me zum Aus­druck, dass sei­ne Vor­schläge nicht un­be­ach­tet blei­ben könn­ten. Aus­druck sei­ner un­ter­neh­me­ri­schen Ver­ant­wor­tung sei schließlich der Be­zug des zu­letzt ver­ein­bar­ten Ziel­ein­kom­mens iHv. 265.000,00 Eu­ro, das er nur er­rei­chen könne, wenn er die zwi­schen ihm und der Ar­beit­ge­be­rin ver­ein­bar­ten un­ter­neh­me­ri­schen Zie­le erfülle.


Das Ar­beits­ge­richt hat den An­trag ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­schwer­de des Be­triebs­rats zunächst zurück­ge­wie­sen. Der Se­nat hat die­se Ent­schei­dung mit Be­schluss vom 10. Ok­to­ber 2007 (- 7 ABR 61/06 - AP Be­trVG 1972 § 5 Nr. 72 = EzA Be­trVG 2001 § 5 Nr. 3) auf die Rechts­be­schwer­de des Be­triebs­rats auf­ge­ho­ben und das Ver­fah­ren zur neu­en Anhörung und Ent­schei­dung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat dar­auf­hin den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts ab­geändert und dem An­trag des Be­triebs­rats statt­ge­ge­ben. Mit der von der Ar­beit­ge­be­rin ein­ge­leg­ten Rechts­be­schwer­de be­an­tragt die­se die Wie­der­her­stel­lung der Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts. Der Be­triebs­rat be­an­tragt die Zurück­wei­sung der Rechts­be­schwer­de.


B. Die Rechts­be­schwer­de ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat dem An­trag des Be­triebs­rats zu Recht ent­spro­chen. Der Be­tei­lig­te zu 3) ist kein lei­ten­der An­ge­stell­ter im Sin­ne von § 5 Abs. 3 Be­trVG.


I. Der Be­tei­lig­te zu 3) ist kein lei­ten­der An­ge­stell­ter im Sin­ne von § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Be­trVG. Dies hat der Se­nat im Be­schluss vom 10. Ok­to­ber


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2007 (- 7 ABR 61/06 - AP Be­trVG 1972 § 5 Nr. 72 = EzA Be­trVG 2001 § 5 Nr. 3) mit Bin­dungs­wir­kung (§ 563 Abs. 2 ZPO) ent­schie­den.

II. Der Be­tei­lig­te zu 3) ist auch kein lei­ten­der An­ge­stell­ter iSd. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Be­trVG. Er kann un­ter­neh­me­ri­sche (Teil-)Ent­schei­dun­gen, die für den Be­stand und die Ent­wick­lung des Kran­ken­hau­ses von Be­deu­tung sind, nicht maßgeb­lich be­ein­flus­sen.

1. Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Be­trVG ist lei­ten­der An­ge­stell­ter, wer nach sei­nem Ar­beits­ver­trag und sei­ner Stel­lung im Un­ter­neh­men oder Be­trieb re­gel-mäßig sons­ti­ge Auf­ga­ben wahr­nimmt, die für den Be­stand und für die Ent­wick­lung des Un­ter­neh­mens oder ei­nes Be­triebs von Be­deu­tung sind und de­ren Erfüllung be­son­de­re Er­fah­run­gen und Kennt­nis­se vor­aus­setzt, wenn er da­bei ent­we­der die Ent­schei­dun­gen im We­sent­li­chen frei von Wei­sun­gen trifft oder sie maßgeb­lich be­ein­flusst.


a) Vor­aus­set­zung für die Wahr­neh­mung ei­ner un­ter­neh­me­ri­schen (Teil-)Auf­ga­be ist, dass dem lei­ten­den An­ge­stell­ten recht­lich und tatsächlich ein ei­ge­ner und er­heb­li­cher Ent­schei­dungs­spiel­raum zur Verfügung steht, dh. er muss mit weit­ge­hen­der Wei­sungs­frei­heit und Selbst­be­stim­mung sei­nen Tätig­keits­be­reich wahr­neh­men und kraft sei­ner lei­ten­den Funk­ti­on maßgeb­li­chen Ein­fluss auf die Un­ter­neh­mensführung ausüben (BAG 25. März 2009 - 7 ABR 2/08 - Rn. 30 mwN, AP Be­trVG 1972 § 5 Nr. 73 = EzA Be­trVG 2001 § 5 Nr.

4). Der nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Be­trVG er­for­der­li­che Ein­fluss auf die Un­ter­neh­mensführung kann dar­in be­ste­hen, dass der lei­ten­de An­ge­stell­te selbst die Ent­schei­dun­gen trifft, aber auch dar­in, dass er kraft sei­ner Schlüssel­po­si­ti­on Vor­aus­set­zun­gen schafft, an de­nen die Un­ter­neh­mens­lei­tung schlech­ter­dings nicht vor­bei­ge­hen kann. Je tie­fer die Ent­schei­dungs­stu­fe in der Un­ter­neh­mens­hier­ar­chie liegt, auf der der An­ge­stell­te un­ter­neh­mens- oder be­triebs­lei­ten­de Auf­ga­ben­stel­lun­gen erfüllt, um so größer ist die Wahr­schein­lich­keit, dass we­sent­li­che un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dungs­spielräume auf den höhe­ren Ent­schei­dungs­stu­fen be­reits ver­braucht wur­den. Von wel­cher De­le­ga­ti­ons­stu­fe ab lei­ten­de An­ge­stell­te im Un­ter­neh­men nicht mehr beschäftigt wer­den, lässt sich nur im je­wei­li­gen Ein­zel­fall be­stim­men. Der maßgeb­li­che Ein­fluss fehlt
 


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je­den­falls dann, wenn der An­ge­stell­te nur bei der rei­nen ar­beits­tech­ni­schen, vor­be­stimm­ten Durchführung un­ter­neh­me­ri­scher Ent­schei­dun­gen ein­ge­schal­tet wird, et­wa im Rah­men von Auf­sichts- oder Über­wa­chungs­funk­tio­nen (BAG 25. März 2009 - 7 ABR 2/08 - Rn. 31 mwN, aaO). Er­for­der­lich ist schließlich auch, dass die un­ter­neh­me­ri­sche Auf­ga­ben­stel­lung mit Ent­schei­dungs­spiel­raum die Tätig­keit des lei­ten­den An­ge­stell­ten prägt, dh. sie schwer­punktmäßig be­stimmt (BAG 23. Ja­nu­ar 1986 - 6 ABR 51/81 - zu C I 3 f der Gründe mwN, BA­GE 51, 1; 25. Ok­to­ber 1989 - 7 ABR 60/88 - zu II 4 der Gründe, BA­GE 63, 200; H/S/W/G/N/R-Ro­se Be­trVG 7. Aufl. § 5 Rn. 203). Da­zu ist es er­for­der­lich, dass je­den­falls ein be­acht­li­cher Teil der Ar­beits­zeit von die­sen Tätig­kei­ten be­an­sprucht wird (BAG 23. Ja­nu­ar 1986 - 6 ABR 51/81 -, aaO).


b) Ob ein Chef­arzt lei­ten­der An­ge­stell­ter iSv. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Be­trVG ist, hängt maßgeb­lich von den Umständen des Ein­zel­falls ab.

aa) Al­lein die for­ma­le Stel­lung ei­nes Chef­arz­tes genügt nicht zur Erfüllung der Vor­aus­set­zun­gen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Be­trVG. Dies folgt be­reits aus § 18 Abs. 1 Nr. 1 Arb­ZG. Da­nach ist das Arb­ZG nicht an­zu­wen­den auf lei­ten­de An­ge­stell­te im Sin­ne des § 5 Abs. 3 Be­trVG so­wie auf Chefärz­te. Die Erwähnung der Chefärz­te in die­ser Vor­schrift wäre überflüssig, wenn sie oh­ne Wei­te­res dem Be­griff des lei­ten­den An­ge­stell­ten un­ter­fal­len würden. An­de­ren­falls hätte es im Streit­fall auch nicht der Zurück­ver­wei­sung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt im Be­schluss vom 10. Ok­to­ber 2007 (- 7 ABR 61/06 - AP Be­trVG 1972 § 5 Nr. 72 = EzA Be­trVG 2001 § 5 Nr. 3) be­durft.

bb) Ein Chef­arzt ist auch nicht be­reits des­halb lei­ten­der An­ge­stell­ter, weil er re­gelmäßig frei und ei­gen­ver­ant­wort­lich Ent­schei­dun­gen et­wa über die Einführung spe­zi­el­ler Un­ter­su­chungs-, Be­hand­lungs- und The­ra­pie­me­tho­den fällen kann (so aber Raab GK-Be­trVG 9. Aufl. § 5 Rn. 126 mwN; Ri­char­di/Ri­char­di Be­trVG 12. Aufl. § 5 Rn. 256). Zwar ob­liegt dem Chef­arzt ei­nes Kran­ken­hau­ses die Ver­ant­wor­tung im ärzt­li­chen Be­reich, wenn er ei­gen­ver­ant­wort­lich han­delt und an Wei­sun­gen im Zwei­fel nicht ge­bun­den ist. Die ärzt­li­che Be­hand­lung ein­sch­ließlich der Ent­schei­dung über be­stimm­te Be­hand­lungs­me­tho­den hat je­doch nicht in ers­ter Li­nie ei­ne un­ter­neh­me­ri­sche Di­men­si­on. Sie zielt auf den
 


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Heil­er­folg. Ärzt­li­che Ent­schei­dun­gen erklären sich aus den Be­son­der­hei­ten des Arzt-Pa­ti­en­ten­verhält­nis­ses und rich­ten sich in ers­ter Li­nie am Be­rufs­recht aus (§ 1 Abs. 2 BÄO). Ärzt­li­che Ent­schei­dun­gen des Chef­arz­tes sind der Dis­po­si­ti­on des Ar­beit­ge­bers ent­zo­gen und be­tref­fen nicht oh­ne Wei­te­res ei­ne un­ter­neh­me­ri­sche Auf­ga­ben­stel­lung im Sin­ne des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Be­trVG.

cc) Maßgeb­lich für die Qua­li­fi­zie­rung ei­nes Chef­arz­tes als lei­ten­der An­ge­stell­ter im Sin­ne von § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Be­trVG ist viel­mehr, ob er nach der kon­kre­ten Aus­ge­stal­tung und Durchführung des Ver­trags­verhält­nis­ses maßgeb­li­chen Ein­fluss auf die Un­ter­neh­mensführung ausüben kann. Da­zu muss er ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht not­wen­dig Mit­glied der Kran­ken­haus­ver­wal­tung sein. Er­for­der­lich ist aber, dass er nach dem Ar­beits­ver­trag und der tatsächli­chen Stel­lung in der Kli­nik der Lei­tungs-und Führungs­ebe­ne zu­zu­rech­nen ist und un­ter­neh­mens- oder be­triebs­lei­ten­de Ent­schei­dun­gen ent­we­der selbst trifft oder maßgeb­lich vor­be­rei­tet. Aus­druck ei­ner sol­chen Stel­lung können zB die selbständi­ge Ver­wal­tung ei­nes nicht ganz un­er­heb­li­chen Bud­gets oder die zwin­gen­de Mit­spra­che bei In­ves­ti­ti­ons­ent­schei­dun­gen sein.

2. Hier­nach ist das Lan­des­ar­beits­ge­richt mit im We­sent­li­chen rechts­be­schwer­de­recht­lich nicht zu be­an­stan­den­den Erwägun­gen zu dem Er­geb­nis ge­langt, dass der Be­tei­lig­te zu 3) durch die Wahr­neh­mung sei­ner Auf­ga­ben die Ent­schei­dun­gen der Ar­beit­ge­be­rin nicht maßgeb­lich be­ein­flusst.


a) Bei der Ge­samt­be­wer­tung der für die Cha­rak­te­ri­sie­rung ei­nes lei­ten­den An­ge­stell­ten maßge­ben­den Merk­ma­le steht dem Ge­richt der Tat­sa­chen­in­stanz ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum zu. Die Würdi­gung des Be­schwer­de­ge­richts ist in der Rechts­be­schwer­de­instanz nur dar­auf­hin über­prüfbar, ob der Sach­ver­halt feh­ler­frei fest­ge­stellt wur­de, die Be­wer­tungs­maßstäbe nicht ver­kannt sind und die Ge­samtwürdi­gung al­ler maßgeb­li­chen Punk­te ver­tret­bar er­scheint (vgl. BAG 25. März 2009 - 7 ABR 2/08 - Rn. 18, AP Be­trVG 1972 § 5 Nr. 73 = EzA Be­trVG 2001 § 5 Nr. 4).
 


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b) Die­ser ein­ge­schränk­ten Über­prüfung hält die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts stand.

aa) Die Be­zeich­nung des Be­tei­lig­ten zu 3) als lei­ten­der An­ge­stell­ter in § 1 Abs. 2 Satz 1 des Ar­beits­ver­trags be­gründet die­sen be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Ar­beit­neh­mer­sta­tus nicht, weil die Par­tei­en darüber nicht dis­po­nie­ren können. § 5 Abs. 3 Satz 2 Be­trVG stellt zwin­gen­des Recht dar (BAG 6. De­zem­ber 2001 - 2 AZR 733/00 - zu B II 3 b aa der Gründe, AP ZPO § 263 Nr. 3 = EzA Be­trVG 1972 § 5 Nr. 65). So­weit die Rechts­be­schwer­de die Ge­stal­tung und Höhe das Ge­hal­tes des Be­tei­lig­ten zu 3) als Ar­gu­ment anführt, kommt es dar­auf nur in Zwei­felsfällen nach der Aus­le­gungs­re­gel in § 5 Abs. 4 Nr. 3 Be­trVG an (BAG 6. De­zem­ber 2001 - 2 AZR 733/00 - zu B II 3 b ee der Gründe, aaO). Ein sol­cher Zwei­fels­fall liegt hier nicht vor.


bb) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Rechts­be­schwer­de er­gibt sich nicht schon aus den im Ar­beits­ver­trag fest­ge­leg­ten Auf­ga­ben, dass dem Be­tei­lig­ten zu 3) ty­pi­sche un­ter­neh­me­ri­sche (Teil-)Ent­schei­dun­gen ob­lie­gen, an de­nen die Un­ter­neh­mens­lei­tung der Ar­beit­ge­be­rin schlech­ter­dings nicht vor­bei­ge­hen kann.


(1) Zu­tref­fend hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men, al­lein durch die ver­trag­lich vor­ge­se­he­ne Ab­stim­mung sei nicht gewähr­leis­tet, dass die Ar­beit­ge­be­rin die Vor­stel­lun­gen des Be­tei­lig­ten zu 3) tatsächlich berück­sich­ti­gen müsse.

(a) Nach § 6 Abs. 1 des Ar­beits­ver­trags sind das Leis­tungs­spek­trum und das Jah­res­bud­get für die ger­ia­tri­sche Ab­tei­lung zwi­schen dem Be­tei­lig­ten zu 3) und der Ar­beit­ge­be­rin im me­di­zi­ni­schen Ziel­plan ge­mein­sam ab­zu­stim­men. Un­ter ei­ner Ab­stim­mung ist ei­ne Mit­wir­kungs­form zu ver­ste­hen, die schwächer ist als das Ein­ver­neh­men oder die Zu­stim­mung. Sie setzt kei­ne Wil­lensübe­rein­stim­mung vor­aus. Je­doch erschöpft sich ei­ne Ab­stim­mung nicht in der bloßen In­for­ma­ti­on oder Anhörung. Stärker als die Anhörung wird die Ab­stim­mung wie die Her­stel­lung des Be­neh­mens von dem Wil­len ge­tra­gen, auch die Be­lan­ge der an­de­ren Sei­te zu berück­sich­ti­gen und sich mit ihr zu verständi­gen. Er­heb-
 


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li­che Einwände oder Be­den­ken dürfen des­halb nicht ein­fach über­g­an­gen wer­den. Viel­mehr ist auf den Aus­gleich auf­ge­tre­te­ner Dif­fe­ren­zen hin­zu­wir­ken, auch wenn bei den­noch ver­blei­ben­den Mei­nungs­un­ter­schie­den der Wil­le des Re­ge­lungs­be­fug­ten aus­schlag­ge­bend ist (vgl. zur Be­neh­mens­her­stel­lung BAG 13. März 2003 - 6 AZR 557/01 - zu I 3 b der Gründe, AP BGB § 611 Arzt-Kran­ken­haus-Ver­trag Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 611 Kran­ken­haus­arzt Nr. 1).


(b) Sieht der Ar­beits­ver­trag kei­ne Ver­ein­ba­rung, son­dern le­dig­lich ei­ne Be­tei­li­gung in Form der Ab­stim­mung vor, bei der die tatsächli­che Ent­schei­dungs­be­fug­nis letzt­lich der Ar­beit­ge­be­rin ob­liegt, kommt es für die An­nah­me des Sta­tus nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Be­trVG maßgeb­lich auf die tatsächli­che Ver­tragsübung an. Nach der Zurück­ver­wei­sung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­ben die Be­tei­lig­ten trotz ei­nes ent­spre­chen­den Hin­wei­ses des Se­nats kei­nen Vor­trag da­zu ge­hal­ten, in­wie­weit der Be­tei­lig­te zu 3) über sei­ne me­di­zi­ni­schen Auf­ga­ben hin­aus tatsächli­chen Ein­fluss auf die un­ter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dun­gen bei­spiels­wei­se zum Leis­tungs­spek­trum sei­ner Ab­tei­lung und da­mit auf die Ge­stal­tung des Bud­gets ausüben kann. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Rechts­be­schwer­de genügt dafür nicht der Vor­trag, dass der Be­tei­lig­te zu 3) am Auf­bau der von ihm geführ­ten Kli­nik we­sent­lich be­tei­ligt war. Die Eröff­nung der ger­ia­tri­schen Ta­ges­kli­nik mit 15 Bet­ten ging nicht auf sei­ne Initia­ti­ve während der Jah­res­gespräche zurück, son­dern stand nach § 1 Abs. 1 Satz 2 be­reits bei Ab­schluss des Ar­beits­ver­trags am 22. April 2004 fest.


(2) § 1 Abs. 3 des Ar­beits­ver­trags bestätigt die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, dass dem Be­tei­lig­ten zu 3) kei­ne un­ter­neh­me­ri­schen (Teil-) Auf­ga­ben über­tra­gen wur­den. Der Ar­beit­ge­be­rin ist aus­drück­lich das Recht vor­be­hal­ten, struk­tu­rel­le und or­ga­ni­sa­to­ri­sche Verände­run­gen im Be­triebs­ab­lauf vor­zu­neh­men.

(3) Es gibt auch kei­ne An­halts­punk­te dafür, dass dem Be­tei­lig­ten zu 3) gemäß § 6 Abs. 6 Sätze 2 und 3 des Ar­beits­ver­trags ein Teil­bud­get zur Ver­wal­tung zu­ge­wie­sen wor­den wäre, über das er ei­gen­ver­ant­wort­lich verfügen kann.
 


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(4) Eben­so kann man­gels ent­spre­chen­dem Vor­trag nicht an­ge­nom­men wer­den, es sei­en dem Be­tei­lig­ten zu 3), wie in § 1 Abs. 3 Satz 1 des Ar­beits­ver­trags vor­ge­se­hen, wei­te­re sei­ner Stel­lung als lei­ten­der An­ge­stell­ter ent­spre­chen­de Auf­ga­ben über­tra­gen wor­den.


cc) Auch die De­le­ga­ti­ons­stu­fe des Be­tei­lig­ten spricht nicht für sei­ne Zu­gehörig­keit zur Lei­tungs­ebe­ne. Viel­mehr ist er nach § 5 Abs. 2 Satz 2 des Ar­beits­ver­trags in ärzt­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten dem ärzt­li­chen Di­rek­tor, in Ver­wal­tungs­an­ge­le­gen­hei­ten der Ver­wal­tungs­lei­tung un­ter­stellt.

dd) Zu­tref­fend hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt aus­geführt, dass sich aus der Per­so­nal­ver­ant­wor­tung des Be­tei­lig­ten zu 3) für das in der ger­ia­tri­schen Ab­tei­lung beschäftig­te me­di­zi­ni­sche Per­so­nal nicht die Ei­gen­schaft als lei­ten­der An­ge­stell­ter ab­lei­ten lässt. Die Per­so­nal­ver­ant­wor­tung ist kein Tat­be­stands­merk­mal des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Be­trVG. Ei­ne „schlich­te Vor­ge­setz­ten­stel­lung“ ist für ei­ne Qua­li­fi­ka­ti­on als lei­ten­der An­ge­stell­ter nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Be­trVG nicht aus­schlag­ge­bend (vgl. BAG 6. De­zem­ber 2001 - 2 AZR 733/00 - zu B II 3 b aa der Gründe, AP ZPO § 263 Nr. 3 = EzA Be­trVG 1972 § 5 Nr. 65).


ee) Sch­ließlich ist auch nicht er­kenn­bar, dass die Erfüllung un­ter­neh­me­ri­scher (Teil-)Auf­ga­ben der Tätig­keit des Be­tei­lig­ten zu 3) das Ge­präge ge­ben und je­den­falls ein be­acht­li­cher Teil sei­ner Tätig­keit hier­von be­an­sprucht würde.


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Schmidt 

Kiel

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