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ArbG Hamburg, Urteil vom 26.02.2009, 15 Ca 188/08
Schlagworte: | Differenzierungsklausel | |
Gericht: | Arbeitsgericht Hamburg | |
Aktenzeichen: | 15 Ca 188/08 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 26.02.2009 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | ||
Arbeitsgericht Hamburg
Urteil
Im Namen des Volkes
Geschäftszeichen:
15 Ca 188/08
In dem Rechtsstreit
Verkündet am:
26. Februar 2008
-Klägerin -
Prozessbevollmächtigter:
gegen
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigter:
2
erkennt das Arbeitsgericht Hamburg, 15. Kammer,
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Februar 2009
durch die Richterin am Arbeitsgericht Bellasio als Vorsitzende
den ehrenamtlichen Richter …
den ehrenamtlichen Richter …
für Recht:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin
3. Der Streitwert wird festgesetzt auf Euro 40.000,00.
4. Die Sprungrevision wird zugelassen.
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T a t b e s t a n d
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Regelungen eines zwischen ihnen am 30.05.2008 geschlossenen Haustarifvertrages „über eine Erholungsbeihilfe für Lohn- und Gehaltsempfänger, die Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sind“ (TV ErhBeih). Dieser lautet:
„I
Lohn- und Gehaltsempfänger, die Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sind, erhalten pro Kalenderjahr eine Erholungsbeihilfe als Bruttobetrag in Höhe von € 260,00. Die Höhe der Erholungsbeihilfe für Teilzeitbeschäftigte ermittelt sich anteilig nach ihrer arbeitsvertraglich festgelegten Normalarbeitszeit im Verhältnis zu der Normalarbeitszeit der Vollbeschäftigten.
II.
Die Zahlung der Erholungsbeihilfe erfolgt auf Antrag des Lohn- oder Gehaltsempfängers in unmittelbarem Zusammenhang mit einem mindestens einwöchigen Urlaub. Der Antrag ist spätestens 14 Werktage vor Antritt des Urlaubs zu stellen. Die fällige Pauschalsteuer nebst etwaiger Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag trägt der Hafenarbeiter. Weitere Einzelheiten zur Umsetzung sind betrieblich zu regeln.
III.
Der Anspruch auf Gewährung der Erholungsbeihilfe bleibt bei der Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsentgeltes für Leistungen aufgrund gesetzlicher oder tariflicher Bestimmungen außer Ansatz. während der Altersteilzeit wird die Erholungsbeihilfe bei Vorliegen der Voraussetzung in voller Höhe gewährt.
IV.
Der Anspruch auf Gewährung der Erholungsbeihilfe setzt voraus, dass der Lohn- oder Gehaltsempfänger bei Antragsstellung dem Arbeitgeber glaubhaft seine
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Mitgliedschaft in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di nachgewiesen hat. Weitere Einzelheiten sind betrieblich zu regeln.
V.
Gewährt die H. AG die Leistung nach Ziffer I., entsprechende oder über die in Ziffer I festgelegten Ansprüche hinausgehende Beträge oder sonstige Leistungen Lohn- und Gehaltsempfängern, die nicht Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sind, so erhöht sich für die Lohn- und Gehaltsempfänger, die Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sind, die Arbeitgeberleistung entsprechend.
VI.
Dieser Tarifvertrag tritt am 01.06.2008 in Kraft. Der Vertrag kann mit einer Frist von zwei Monaten, erstmals zum 31.05.2009 gekündigt werden. Für den Fall, dass sich wesentliche, insbesondere steuergesetzliche Regelungen zur Erholungsbeihilfe ändern, verpflichten sich die Tarifvertragsparteien, mit dem Ziel einer einvernehmlichen Lösung vorzeitig in Verhandlungen einzutreten.“
Die tarifschließende Arbeitgeberseite hält – wie der Gewerkschaftsseite mit Schreiben vom 24.06.2008 (Anlage K 2, Bl. 14 d. A.) unter Hinweis auf bereits in den Tarifvertragsverhandlungen geäußerte Bedenken mitgeteilt – die ausschließliche Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern für unwirksam und begehrt mit vorliegender Klage die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit von Ziffern IV und V des Tarifvertrages.
Die Klägerin beschäftigt rund 1.500 Arbeitnehmer im Bereich der Hafen-Logistik. In den von ihr verwendeten Musterarbeitsverträgen werden die örtlich, zeitlich und inhaltlich jeweils für sie geltenden Tarifverträge in Bezug genommen.
Die Klägerin trägt vor:
Die Zulässigkeit ihrer Klage ergebe sich aus § 9 Tarifvertragsgesetz (TVG) i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Variante 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). Das erforderliche Feststellungsinteresse bestehe, weil Streit über die Wirksamkeit der Ziffern IV und V des
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Tarifvertrages gegeben sei, deren Rechtswirksamkeit sie, die Klägerin, verneine, die Beklagte jedoch bejahe.
Die Regelungen in Ziffern IV und V des streitgegenständlichen Tarifvertrages seien wegen Verletzung der positiven und negativen Koalitionsfreiheit entsprechend der im Folgenden jeweils bestätigten Entscheidung des Großen Senats des BAG vom 29.11.1967 (GS 1/67, AP 13 zu Artikel 9 GG) gemäß Artikel 9 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) nichtig. Indem Ziffer V als so genannte Spannensicherungsklausel festschreibe, dass der Arbeitgeber bei ausgleichenden Leistungen auch an anders oder nicht organisierte Arbeitnehmer die Stellung der in der tarifschließenden Gewerkschaft organisierten Arbeitnehmer entsprechend verbessern müsse, und Ziffer IV das Merkmal der Gewerkschaftszugehörigkeit konstitutiv zur Anspruchsvoraussetzung erhebe, würden rechtliche Hindernisse für die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der anders und nicht organisierten Arbeitnehmer normiert. Dies benachteilige diese Arbeitnehmer und begründe einen Eingriff in deren positive bzw. negative Koalitionsfreiheit.
Dadurch, dass eine Gewährung von der Erholungsbeihilfe entsprechenden Leistungen an Nicht-ver.di-Mitglieder zu einer entsprechenden Erhöhung der Ansprüche der ver.di-Mitglieder führe, werde sie, die Klägerin „doppelt “belastet, sodass die Position der nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer zur Durchsetzung derartiger Leistungen erheblich erschwert werde. Auch würden die Leistungen an nicht oder anders Organisierte stets hinter dem den ver.di-Mitgliedern Gewährten zurückbleiben, sodass insgesamt ein erheblicher, sozialinadäquater Beitrittsdruck entstehe und neben der Koalitionsfreiheit auch die Vertragsfreiheit sowohl auf Arbeitgeberseite als auch auf Arbeitnehmerseite beeinträchtigt sei.
Für einen solchen Grundrechtseingriff bestehe keine sachliche Rechtfertigung. Der Grundrechtseingriff werde nicht durch die Regelungszuständigkeit der Tarifparteien gedeckt. Die angegriffene Regelung verfolge kein tariflich zulässiges Ziel. Auch sei die verwendete Differenzierungsklausel ungeeignet, dahinterstehende, von der Beklagten verfolgte Ziele zu erreichen.
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Eine im Tarifvertrag vorgenommene Differenzierung nach der Zugehörigkeit zur tarifvertragsschließenden Gewerkschaft solle Vorteile ausgleichen, die der nicht bei der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft organisierten Arbeitnehmer dadurch genieße, dass er über individualvertragliche Verweisungen die „Früchte“ der von dieser Gewerkschaft geleisteten Tarifarbeit „kostenlos“ in Anspruch nehme. Nach der bestehenden Rechtsordnung sei es der Beklagten nicht gestattet, einen solchen Ausgleich mit tariflichen Mitteln zu ermöglichen.
Differenzierungen mit dem Ziel eines Ausgleichs für die Ausnutzung gewerkschaftlich geschaffener Tarifwerke zielten auf eine Kommerzialisierung gewerkschaftlicher Tätigkeit ab. Mit einer tariflichen Differenzierungsklausel werde der Sache nach eine Art Leistung, eine Art Beitrag, eine Art Gebühr, eine Art Abgabe, eine Art Herausgabe von ungerechtfertigter Bereicherung o. ä. für die Inanspruchnahme gewerkschaftlicher Arbeit verlangt (so wörtlich BAG, GS, 29.11.1957, VII 3. a). Es fehle der Beklagten aber die Regelungszuständigkeit, im Wege einer Spannensicherung die Erfolge ihrer Arbeit im Verhältnis zu Außenseitern zu kommerzialisieren und mit vertraglichen Mitteln entgeltpflichtig zu machen.
Es gebe kein allgemeines Rechtsstaatsprinzip, dass die Anlehnung an die Früchte fremder Arbeit ausgleichspflichtig mache. Zugleich reiche die Tarifautonomie der Koalitionen nicht so weit, einen solchen Ausgleich im Wege tariflicher Regelungen einzuführen. Denn damit würde sie gezielt belastende Regelungen für Außenseiter vorsehen, die im wirtschaftlichen Ergebnis einer finanziellen Beteiligung an den Kosten der Koalition gleichkomme. Nach demokratischen Grundsätzen seien Steuern, Beiträge und sonstige Lasten aber nur zulässig aufgrund eines unter parlamentarischer Kontrolle zustande kommenden Gesetzes oder Kraft rechtsgeschäftlicher Unterwerfung der auf Beitragszahlungen in Anspruch Genommenen unter eine aufgestellte Beitragsregelung. Die Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien sei allein durch den Beitritt ihrer Mitglieder legitimiert und dadurch auch auf die Mitglieder begrenzt. Mit der Differenzierungsklausel werde diese Normsetzungsbefugnis überschritten, da sie keine Regelung für Mitglieder, sondern ausschließlich eine Regelung gegen Außenseiter beinhalte.
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Die Tarifmacht der Beklagten könne auch nicht im Wege der Rechtsfortbildung so erweitert werden, dass eine Vorteilsausgleichung mittels tariflicher Gestaltungsmittel zulässig wäre. Eine derartige Vorteilsausgleichung verletze das Gerechtigkeitsempfinden von Arbeitnehmern nachhaltig und übe damit einen sozialinadäquaten Druck auf anders oder nicht organisierte Arbeitnehmer aus. Es sei ein wesentlicher Unterschied, ob einem Arbeitnehmer gesagt werde, er müsse an einen anderen einen gewissen Ausgleich dafür erbringen, weil der andere für ihn etwas getan habe. Das werde der Arbeitnehmer gegebenenfalls einsehen. Dem Arbeitnehmer aber zu sagen, er bekomme keine oder eine geringere Erholungsbeihilfe, weil er anders oder nicht organisiert sei, und ein anderer Arbeitnehmer bekomme diese Erholungsbeihilfe oder eine doppelt so hohe Erholungsbeihilfe, weil er bei der Beklagten organisiert sei, müsse bei diesem Außenseiter zwangsläufig das Gerechtigkeitsempfinden verletzen. Denn dieses gehe überwiegend dahin, dass die Erholungsbeihilfe in Form eines zusätzlichen Urlaubsgeldes nach Art der geleisteten Tätigkeit, nach dem Grad der Erholungsbedürftigkeit, nach dem Alter, dem Familienstand bzw. der Kinderzahl und sonstigen sozialen Merkmalen, aber nicht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit bemessen werde (vgl. sinngemäß BAG, GS, 29.11.1967, VII.3.f.). Ver.di-Mitglieder seien nicht erholungsbedürftiger als Nicht-ver.di-Mitglieder.
Dem stehe auch nicht das mögliche Argument entgegen, dass den bei der Beklagten organisierten Arbeitnehmern im Urlaub etwa wegen der Zahlung von Gewerkschaftsbeiträgen gerade derjenige Betrag fehle, den sie als Erholungsbeihilfe mehr erhalten sollten als Außenseiter. Im Hinblick auf anders organisierte Arbeitnehmer sei dieses Argument schon deswegen unzutreffend, weil diese ebenfalls durch Gewerkschaftsbeiträge belastet würden, aber gleichwohl von den tariflichen Sonderleistungen für Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft ausgeschlossen seien. Im Übrigen müsste der Kompensationsgedanke die Rechtsstellung organisierter und nicht organisierter Mitarbeiter umfassend und nicht nur partiell vergleichen. Insoweit sei auch der über die Gewerkschaftsbeiträge gewährte kostenlose Rechtsschutz zu berücksichtigen. Nicht organisierte Arbeitnehmer hätten insoweit ebenfalls Kosten zu tragen, deren Kompensation gerade nicht erfolge. Im Übrigen komme eine Kompensation der mit der Gewerkschaftszugehörigkeit verbundenen Aufwendungen in der tarifvertraglichen
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Regelung nicht zum Ausdruck, bestehende und auszugleichende Kosten würden zudem nicht präzise beziffert, sodass das Transparenzgebot verletzt sei. Im Übrigen seien der Gewerkschaftsbeitritt und die damit verbundenen finanziellen Lasten Teil der freien Entscheidung eines Arbeitnehmers, seine Arbeitsbedingungen entweder kollektiv oder individuell auszuhandeln.
Mit dem Eingriff in die Koalitionsfreiheit werde schließlich auch kein zulässiges Ziel verfolgt. Es bestehe kein schützenswertes Interesse der Beklagten daran, mit tariflichen Differenzierungsklauseln nachteilige Arbeitsbedingungen für Nicht-ver.di-Mitglieder zu erwirken. Es widerspräche Sinn und Zweck von Artikel 9 Abs. 3 GG, wenn sich die Beklagte über tarifvertraglich abgesicherte Besserstellungen ihrer Mitglieder der Mithilfe der Arbeitgeberseite bei der Beschaffung von Gewerkschaftsmitgliedern bediene. Dieses Vorgehen sei mit dem Prinzip der Gegnerunabhängigkeit als wesentlichem Element des Koalitionsbegriffs nicht vereinbar. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass sie, die Klägerin, durch die Zahlung der Erholungsbeihilfe an ver.di-Mitglieder mittelbar die Beklagte finanziere und deren Arbeitskampffähigkeit stärke. Die Verknüpfung von Leistungen hinsichtlich begünstigter Erholungsbeihilfen mit der Gewerkschaftszugehörigkeit sei daher nicht von der Tarifmacht der Parteien gedeckt. Zudem widerspreche die Regelung der gesetzgeberischen Zielsetzung, sämtlichen Arbeitnehmern die steuerlichen Vorteile des § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Einkommenssteuergesetz (EStG) zukommen zu lassen. Zudem liege hierin eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem. Sämtliche ihrer Mitarbeiter hätten ein zumindest vergleichbares Erholungsinteresse. Durch die tarifliche Regelung erfolge eine offensichtliche Ungleichbehandlung, ohne dass sachliche Gründe für eine Differenzierung bestünden.
Schließlich verstoße Ziffer V des Tarifvertrages gegen das Günstigkeitsprinzip gemäß § 4 Abs. 3 Alternative 2 TVG. Nach dieser Vorschrift seien abweichende Regelungen zum Tarifvertrag nur dann möglich, wenn eine Öffnungsklausel bestehe oder die getroffene Vereinbarung für den einzelnen Arbeitnehmer günstiger sei. Das Günstigkeitsprinzip sei zwingend und gewährleiste die Privatautonomie der Arbeitsvertragsparteien in den Bereichen, in denen die zwingende Wirkung des Tarifvertrages zum Schutz der Arbeitnehmer nicht erforderlich sei, und garantiere die
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Funktion des Tarifvertrages als Gestaltungsinstrument für die Regelung von Mindestarbeitsbedingungen. In dieser Funktion begrenze das Günstigkeitsprinzip die Kartellwirkung des Tarifvertrages. Kollektivautonomie solle Privatautonomie sichern und nicht verdrängen. Eine Abweichung vom Tarifvertrag „nach oben“ sei als unabdingbare Regel des Günstigkeitsprinzips daher stets erlaubt. Eine zwingende Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen im Tarifvertrag verstoße daher gegen § 4 Abs. 3 Alternative 2 TVG.
Die Nichtigkeit von Ziffern IV und V des Tarifvertrages führe nicht zur Unwirksamkeit auch aller anderen tarifvertraglichen Vorschriften, weil der Tarifvertrag auch mit den verbleibenden Regelungen I, II, III, und VI eine sinnvolle, praktikable und in sich geschlossene Regelung darstelle.
Die Klägerin beantragt
festzustellen, dass Ziffern IV und V des zwischen den Prozessparteien am 30.05.2008 abgeschlossenen „Tarifvertrages über eine Erholungsbeihilfe für Lohn- und Gehaltsempfänger, die Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sind“ rechtsunwirksam sind.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor:
Die Klage sei mangels bestehenden Feststellungsinteresses nicht zulässig. Die Klägerin sei der Ansicht gewesen, die von ihr unterzeichneten Tarifinhalte seien rechtmäßig und habe deswegen – ohne hierzu gezwungen zu sein- den Firmentarifvertrag geschlossen. Erstmals mit Schreiben vom 24.06.2008 habe die Klägerin deutlich gemacht, den Tarifvertrag gerichtlich überprüfen lassen zu wollen. Mit der Klage werde damit die reine Erstellung eines Rechtsgutachtens begehrt.
Die Klage sei auch nicht begründet. Ein Verstoß gegen Artikel 9 Abs. 3 GG liege nur vor, wenn die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten verletzt werde. Sie solle vor Beitrittszwang schützen, aber nicht vor tariflicher Normsetzung zu Gunsten
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der Tarifgebundenen abschirmen. Bei der Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern handele es sich eher um einen Nachteilsausgleich u. a. für den von ihnen geleisteten Gewerkschaftsbeitrag. Die im angegriffenen Tarifvertrag geregelte Erholungsbeihilfe dürfte sich im Durchschnitt noch erheblich unter dem monatlichen Gewerkschaftsbeitrag bewegen. Die Grenzen der Tarifmacht seien nur dann berührt, wenn Differenzierungsklauseln das Arbeitsverhältnis von Nichtorganisierten normativ erfassten. Das sei bei der vorliegenden Klausel aber nicht der Fall.
Gerade vor dem Hintergrund zunehmenden Wettbewerbs in der Gewerkschaftslandschaft gehöre es zur Betätigungsfreiheit einer Koalition auch, die eigene Schlagkraft durch Maßnahmen der Mitgliederwerbung zu stärken. Hierzu gehöre auch die Vereinbarung von Spannenklauseln, die keinen Wettbewerbsverstoß gegenüber Konkurrenzgewerkschaften beinhalteten.
Da der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gegenüber Tarif-Außenseitern gelte, könnten Differenzierungen auch gegenüber anders organisierten Gewerkschaftsmitgliedern greifen. Gewerkschaften hätten bekanntlich keinen Anspruch auf Tarifverhandlungen gegen einen Arbeitgeber und müssten diese daher gegebenenfalls streikweise durchsetzen. Sie könnten dadurch auch erzwingen, dass ein Arbeitgeber die von ihnen mit einer Konkurrenzgewerkschaft abgeschlossenen Spannenklauseln kündige und nicht erneuere. Deshalb beseitigten solche Klauseln den Wettbewerb nicht. Sie verhinderten allerdings bloße Anschlusstarifverträge, die einer Konkurrenzgewerkschaft vom Arbeitgeber „widerstandslos“ zugestanden würden, nachdem bereits der „Vorbildtarifvertrag“ von einer anderen Gewerkschaft erfolgreich durchgesetzt worden sei. So könnten Konkurrenzgewerkschaften ihren Mitgliedern dieselben Tarifleistungen bieten, ohne entsprechende Streiks/Streikdrohungen finanzieren zu müssen. Sie profitierten von der teuren Kampfkraft der Konkurrenz und könnten diese gleichzeitig mit niedrigen Beiträgen unterbieten. Lediglich dieser Dumping-Konkurrenz könnten und wollten Spannenklauseln gegenüber anders Organisierten also entgegentreten. Sie wirkten daher ähnlich wie die zulässigen Vertragshändler-Vereinbarungen im kaufmännischen Wettbewerb.
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Die streitgegenständlichen Regelungen verletzten weder die Vertragsfreiheit der Klägerin noch der anders als in ver.di oder nicht organisierten Arbeitnehmer. Die Spannenklausel im Tarifvertrag entfalte nur schuldrechtliche Verpflichtungen des Arbeitgebers, denn sie binde ihn ausschließlich gegenüber der Gewerkschaft. Der Erfüllungsanspruch stehe allein ver.di zu. Weder Arbeitsverträge der Außenseiter noch der Gewerkschaftsmitglieder würden hierdurch normativ ausgestaltet. Allenfalls für den Fall, dass eine derartige arbeitgeberseitige Verpflichtung in einem Verbandstarifvertrag vereinbart worden wäre, könnten die arbeitgeberverbandsrechtlichen Zumutbarkeitsgrenzen für überschritten gehalten werden, wenn nicht alle betroffenen Verbandsmitglieder zugestimmt hätten. Dieses Problem stelle sich vorliegend aber nicht, weil es sich um einen Tarifvertrag handele, den nur der verpflichtete Arbeitgeber selbst abgeschlossen habe.
Soweit es sich bei den Außenseitern um anders gewerkschaftlich Organisierte handele, könnten diese jederzeit einen Konkurrenztarifvertrag mit einer Differenzierungsklausel (gegebenenfalls streikweise) erzwingen und ihre Vertragsfreiheit tariflich realisieren.
Bei unorganisierten Arbeitnehmern wäre deren individuelle Vertragsfreiheit nur dann effektiv verletzt, wenn sie ohne den inkriminierten Tarifvertrag dieselbe Leistung auch einzelvertraglich hätten durchsetzen können. Nur dann wäre ihre Wettbewerbsfähigkeit durch die Spannenklausel überhaupt beeinträchtigt. Der entsprechende Nachweis einer solchen Beeinträchtigung sei also erst dann erbracht, wenn ein Außenseiter eine entsprechende Leistung für sich persönlich schon vor Tarifabschluss einzelvertraglich habe durchsetzen können. Spätere Abreden dürften immer erst durch den Tarifabschluss veranlasst sein, d. h. hier erlange der Außenseiter seine Wettbewerbsfähigkeit überhaupt erst durch den fremden Tarifvertrag. Eine durch einen fremden Tarifvertrag erst erlangte Wettbewerbsfähigkeit könne aber nicht von der Spannenklausel verletzt sein; denn diese nähme nur, was der Tarifvertrag dem Außenseiter vermittelt habe. Einzelabreden, die schon vor Tarifabschluss individualvertraglich wirksam vereinbart worden seien, wären von einer Spannenklausel, die ohnehin nur für in die Zukunft wirke, nicht erfasst.
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Auch seien durch Ziffer IV und V des streitgegenständlichen Tarifvertrages weder Gleichbehandlungsrecht noch tarifrechtliches Günstigkeitsprinzip verletzt. Der Arbeitgeber dürfe den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern nach allgemeiner Auffassung die tarifvertragliche Leistung verweigern, sie also je nach Tarifbindung unterschiedlich behandeln, ohne gegen den Gleichheitssatz zu verstoßen. Eine Gleichbehandlungspflicht für Organisierte und Außenseiter ließe die Tarifautonomie praktisch leerlaufen und verstieße deshalb gegen Artikel 9 Abs. 3 GG. Die Koalitionsfreiheit verdränge insofern Artikel 3 Abs. 1 GG als speziellere Norm. Wenn der Arbeitgeber demnach im Einzelvertrag entsprechend differenzieren dürfe, könne dieselbe Regelung im Tarifvertrag nicht gleichheitswidrig sein.
Auch das tarifvertragliche Günstigkeitsprinzip sei nicht verletzt, da es zwingend die Tarifgebundenheit eines Arbeitsverhältnisses voraussetze. Es sei folglich nicht einschlägig, sobald es um die Arbeitsverträge von tariflichen Außenseitern gehe. Schließlich greife auch das Argument der zu gewährleistenden Gegnerunabhängigkeit und unzulässiger Gegnerfinanzierung nicht. Wofür ein Arbeitnehmer sein Arbeitsentgelt verwende, entscheide er selbst. Bei den vertraglichen Verpflichtungen der Klägerin aus dem Tarifvertrag handele es sich um eine vertragliche Gegenleistung für erbrachte Arbeit und nicht um eine bedürfnisabhängige Alimentation nach arbeitgeberseitigem Ermessen. Wenn der Arbeitnehmer z. B. einem Fußballverein beitrete und die Beiträge dort aus seinem Arbeitsentgelt begleiche, finanziere sein Arbeitgeber damit keineswegs den Verein, weil die entsprechenden Beiträge im Unternehmen des Arbeitgebers verdient worden seien. Hinsichtlich der ausschließlichen, autonomen Verfügungsbefugnis der Arbeitnehmer über ihr Entgelt komme es auch keineswegs darauf an, ob dessen Höhe tarifvertraglich oder arbeitsvertraglich vereinbart worden sei.
Für den weiteren Vortrag der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
I
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Die Klage ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG , § 9 TVG zulässig. Es ist insbesondere auch das besondere Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO (vgl. BAG, 30.05.2001, 4 AZR 387/00, NZA02, 228 ff) gegeben, da zwischen den Tarifvertragsparteien Streit über die Wirksamkeit von Regelungen des zwischen ihnen geschlossenen Tarifvertrages besteht. Auch wenn die Klägerin – wie beklagtenseitig geltend gemacht – bei Abschluss des Tarifvertrages von der Rechtswirksamkeit der getroffenen Vereinbarungen ausgegangen sein mag, so ist es ihr unbenommen, zwischenzeitlich anderer Auffassung zu sein. Dafür, dass tatsächlich auch die Klägerin Ziffern IV und V des mit der Beklagten am 30.05.2008 geschlossenen Tarifvertrages für wirksam hält, fehlt es an Anhaltspunkten.
II
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Ziffern IV und V des zwischen den Parteien am 30.05.2008 geschlossenen TV ErhBeih sind nicht wegen Verstoßes gegen Artikel 9 Abs. 3 Satz 1 GG gemäß Artikel 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtig. Auch sonstige Unwirksamkeitsgründe sind nicht ersichtlich.
1. Ziffer IV des streitgegenständlichen Tarifvertrages bestimmt die Mitgliedschaft in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und deren glaubhaften Nachweis zur Anspruchsvoraussetzung für die Erholungsbeihilfe von € 260 brutto jährlich und stellt damit eine einfache Differenzierungsklausel dar. Entgegen der Entscheidung des Großen Senats des BAG vom 29.11.1967 (aaO) hält die Kammer mit dem LAG Niedersachsen (11.12.2007, 5 Sa 914/07, DB 08, 1977 ff.) derartige Klauseln grundsätzlich und auch im vorliegenden Fall für wirksam.
In der Entscheidung des BAG vom 29.11.1967 wurde der Zweck von Differenzierungsklauseln darin gesehen, durch einen Ausschluss von Leistungen Vorteile von nicht bei der tarifvertragschließenden Gewerkschaft organisierten Arbeitnehmern auszugleichen, die diese durch Inanspruchnahme der von dieser Gewerkschaft geleisteten Tarifarbeit „kostenlos“ in Anspruch nehmen. Dies stelle eine nicht transparent gemachte
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Art Beitrag/Gebühr dar, ohne dass hierfür eine Regelungskompetenz bestehe. Differenzierungsklauseln verstießen nachhaltig gegen das Gerechtigkeitsempfinden von Arbeitnehmern und übten sozial inadäquaten Druck auf nicht bzw. anders organisierte Arbeitnehmer aus. Dem kann in dieser allgemeinen Form nicht gefolgt werden.
Es ist zu berücksichtigen, dass sich die Zulässigkeit einer Differenzierung zwischen Tarifgebundenen und Nichttarifgebundenen Bereits aus § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG ergibt. Kein Arbeitgeber ist verpflichtet, aufgrund des arbeitsvertraglichen Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht tarifgebundenen Arbeitnehmen Leistungen eines Tarifvertrages zu gewähren. Sachgrund für diese zulässige Differenzierung bezüglich tariflicher Leistungen unabhängig von ihrer Zweckbestimmung ist die Mitgliedschaft in der Tarifvertragspartei, für die ein materieller und gegebenenfalls immaterieller Aufwand erbracht wird, und die Rechtsetzungskompetenz der Tarifvertragsparteien nur für ihre Mitglieder. Insoweit liegt in jeder tarifvertraglichen Vereinbarung von Leistungen bereits per se eine zulässige Begrenzung des Anspruchsberechtigtenkreises „nur auf Mitglieder“. Dies impliziert zwangsläufig den Ausschluss von Nichtmitgliedern, ohne dass diesen damit eine Art Beitrag auferlegt würde. Es erscheint daher sachnäher, die tarifvertraglichen Vereinbarungen positiv gewendet als Anspruchs- bzw. Vorteilsverschaffung für die Mitglieder zu betrachten. Genau hierauf bezieht sich auch die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien und es ist nicht ersichtlich, dass diese gesetzlich geregelte Wirkung von Tarifnormen nur für Tarifgebundene verfassungswidrig wäre oder “gröblich gegen das Gerechtigkeitsempfinden verstieße“, zumal eine individualvertragliche Inbezugnahme der tarifvertraglichen Regelung bzw. der Abschluss gleichlautender Tarifverträge durch andere Tarifvertragsparteien möglich ist.
Ausgehend hiervon ergibt sich für einfache Differenzierungsklauseln und die vorliegend zu beurteilende Regelung der Ziffer IV des TV ErhBeih nichts wesentlich Abweichendes. Allein eine Erstreckung auf Außenseiter kraft genereller arbeitsvertraglicher Inbezugnahme der für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge bzw. kraft Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist – wie
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klägerseitig zutreffend ausgeführt – nicht möglich. Dass dadurch jedoch, wie von der Klägerin vertreten, bereits relevante rechtliche Hindernisse für die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen anders und nicht organisierter Arbeitnehmer geschaffen würden, ist nicht nachvollziehbar. Denn es ist der Klägerin unbenommen und durch Ziffer IV des TV ErhBeih nicht ausgeschlossen, nicht oder anders als bei ver.di organisierten Beschäftigten individualvertraglich entsprechende Leistungen zuzusagen. Ebenso wenig sind nicht oder anders organisierte Arbeitnehmer der Klägerin durch Ziffer IV des TV ErhBeih daran gehindert, individuell entsprechende Leistungen mit der Klägerin auszuhandeln. Dies gälte ebenso für den eher unwahrscheinlichen Fall einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung bezüglich des hier in Rede stehenden Haustarifvertrages.
Dass im Falle individualvertraglicher Vereinbarung der tarifvertraglich geregelten Erholungsbeihilfe die klägerseitig verwendeten Musterarbeitsverträge mit der allgemeinen Verweisung auf die für die Klägerin geltenden Tarifverträge entsprechend ergänzt werden müssten, stellt unbenommen einen einmaligen erhöhten Verwaltungs- und Organisationsaufwand dar, nicht aber ein relevantes rechtliches Hindernis zur Vereinbarung dem Tarifvertrag entsprechender Leistungen für Außenseiter. Ebenso wenig verhindert Ziffer IV des TV ErhBeih, dass die Klägerin mit anderen in ihrem Unternehmen vertretenen Gewerkschaften entsprechende Tarifverträge vereinbart.
Deswegen ist auch nicht ersichtlich, dass die durch Artikel 9 Abs. 3 GG geschützte negative Koalitionsfreiheit der nicht oder anders als bei ver.di organisierten Arbeitnehmer durch Ziffer IV des TV ErhBeih verletzt ist.
Der Schutz der Koalitionsfreiheit schließt auch das Recht ein, aus einer Koalition auszutreten oder ihr generell fernzubleiben, weshalb ein genereller Ausschluss der Übernehme tarifvertraglicher Regelungen als faktischer Beitrittszwang unzulässig ist (vgl. zusammenfassend Erfurter Kommentar, 9. Aufl. Dieterich, Artikel 9 GG, Rn. 32 f, 37). Auch die Ausübung erheblichen Beitrittsdrucks oder die unzumutbare Erschwerung eines Koalitionsaustritts
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verletzen das geschützte Fernbleiberecht. Ein gewisser mittelbarer Druck in Form eines Beitrittanreizes verletzt die negative Koalitionsfreiheit jedoch nicht, solange er nicht so erheblich ist, dass er zu einem faktischen Zwang wird (vgl. BVerfG, 11.07.06, NZA07, 42 ff.). Dies ist vorliegend durch Ziffer IV des TV ErhBeih wegen der bestehenden Möglichkeit individualvertraglicher Vereinbarungen der tarifvertraglichen Leistung bzw. der für andere Gewerkschaften bestehenden Möglichkeit, entsprechende Tarifverträge auszuhandeln und der relativ geringen Höhe der tarifvertraglichen Erholungsbeihilfe von € 260,00 brutto jährlich nicht der Fall.
Im Hinblick auf Ziffer IV des TV ErhBeih war die Klage daher abzuweisen.
2. Auch hinsichtlich Ziffer V des TV ErhBeih ist eine Rechtsunwirksamkeit nicht festzustellen.
Indem Ziffer V des TV ErhBeih vorsieht, dass sich im Fall der Gewährung einer Erholungsbeihilfe bzw. einer dieser entsprechenden/ersetzenden Leistung an Nicht-ver.di-Mitglieder die Arbeitgeberleistung an ver.di-Mitglieder dementsprechend erhöht, haben die Tarifvertragsparteien eine qualifizierte Differenzierungsklausel in Form einer so genannten Spannensicherungsklausel vereinbart. Auch derartige Klauseln sind entgegen der Entscheidung des großen Senats des BAG vom 29.11.1967 (aaO) nicht generell unwirksam, Ziffer V des TV ErhBeih überschreitet die Grenzen des Zulässigen nicht.
Auch wenn Ziffer V des TV ErhBeih die individual- oder anderweitig tarifvertragliche Vereinbarung einer Erholungsbeihilfe bzw. dementsprechender Leistungen nicht generell ausschließt, werden derartige Vereinbarungen gleichwohl faktisch dadurch erschwert, dass den Arbeitgeber in diesen Fällen erhöhte finanzielle Belastungen durch die zu leistenden Aufstockungszahlungen an die ver.di-Mitglieder treffen. Zudem wird durch Ziffer V des TV ErhBeih bestimmt, dass nicht oder anders als bei ver.di organisierte Arbeitnehmer auch durch entsprechende Vereinbarungen nur immer € 260,00 brutto jährlich niedrigere Leistungen erhalten können, als
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ver.di Mitglieder. Dass hierdurch die grundrechtlich geschützten Positionen der Koalitionsfreiheit und der Vertragsfreiheit anderer beschränkt werden, ist offenkundig. Eine diesbezügliche unzulässige Verletzung liegt jedoch nicht vor.
Zu berücksichtigen ist nämlich, dass auch die tarifschließende Gewerkschaft ver.di dem Grundrechtsschutz aus Artikel 9 Abs. 3 GG unterfällt. Die kollektive Koalitionsfreiheit schützt neben dem Bestand und der organisatorischen Ausgestaltung auch die koalitionsspezifische Betätigung, wozu insbesondere Maßnahmen der Mitgliederwerbung gehören (vgl. zusammenfassend Erfurter Kommentar, 9. Aufl., Dieterich, Artikel 9 GG, Rn. 39 ff.). Zur Betätigungsfreiheit gehört auch das Recht einer Koalition, ihre Schlagkraft durch Maßnahmen mit dem Ziel der Mitgliedererhaltung und der Mitgliederwerbung zu stärken (vgl. BAG, 31.05.2005, AZR 141/04, NZA 05, 1182 ff). Insofern ist es naheliegend, Differenzierungsklauseln als grundsätzlich legitimen Anreiz für Gewerkschaftsbeitritte (vgl. BAG, 09.05.2007, 4 AZR 275/06, NZA 07, 1439 ff) und als koalitionsspezifische (Werbe-)Betätigung als vom Schutzbereich des Artikel 9 Abs. 3 GG erfasst zu betrachten (vgl. u. a. Ulber/Strauß, DB 08, 1970 ff.). In diesem Sinne hat auch das LAG Köln in seiner beklagtenseitig in Bezug genommenen Entscheidung vom 17.01.2008 (6 Sa 1354/07, DB 08, 1979 ff.) tarifvertragliche Differenzierungsregelungen verstanden und zutreffend ausgeführt, dass im Falle kollidierender Grundrechtspositionen im Wege der Abwägung praktische Konkordanz herzustellen sei. Dies zugrunde gelegt hält sich Ziffer V des TV ErhBeih in den zulässigen Grenzen:
a) Bezogen auf die kollektive Koalitionsfreiheit konkurrierender Gewerkschaften liegen die Grenzen der zulässigen Mitgliederwerbung dort, wo sie mit unlauteren Mitteln erfolgt – also unwahr oder beleidigend ist – oder auf die Existenzvernichtung der konkurrierenden Koalition gerichtet ist (vgl. BAG, 31.05.05, a. a. O.). Dies ist vorliegend offenkundig nicht der Fall.
b) Im Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit nicht oder anders als bei ver.di organisierter Arbeitnehmer ist der von der Spannensicherung im Umfang von
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€ 260,00 brutto jährlich ausgehende Beitrittsdruck nicht so erheblich, dass von ihm ein faktischer Zwang zum Beitritt ausgeht (siehe oben, 1.). Ein solcher faktischer Zwang dürfte nicht erst mit der Existenzbedrohung des Einzelnen gegeben sein, andererseits aber auch nicht bereits dann, wenn die differenzierende Leistung in etwa die Höhe des aufzuwendenden Gewerkschaftsbeitrags erreicht (vgl. Kocher, NZA 09, 119 ff.). Die Grenze dürfte dort liegen, wo die Nachteile einer Differenzierung für den Betroffenen so groß werden, dass kein vernünftiger, ökonomisch denkender Arbeitnehmer mehr bereit ist, den Nachteil hinzunehmen für die Nichtmitgliedschaft in einer von ihm im Prinzip abgelehnten bzw. in einer seiner Ansicht nach schlechten Organisation (vgl. Ulber/Strauß, a. a. O.). Das LAG Niedersachen hat in seiner Entscheidung vom 11.12.2007 (a.a.O.) angenommen, eine (allerdings einfache) Differenzierung im Umfang von € 535.00 brutto jährlich (entsprechend maximal dem doppelten Jahresgewerkschaftsbeitrag) übe keinen besonderen Druck aus. Unabhängig von der Höhe des Beitrags für die Mitgliedschaft bei ver.di kann jedenfalls bei der hier zu beurteilenden Leistung/Spanne in Höhe von € 260 brutto jährlich - € 21.67 brutto monatlich – nicht davon ausgegangen werden, dass hierdurch ein faktischer Beitrittszwang im oben erörterten Sinne entstünde.
c) Soweit die Regelung der Ziffer V des TV ErhBeih die Vertragsgestaltungsfreiheit der Klägerin faktisch beeinträchtigt, ist dies vorliegend unbeachtlich. Diesbezüglich ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin selbst den streitgegenständlichen Tarifvertrag abgeschlossen, als Tarifvertragspartei die sich für sie ergebenden ökonomischen Konsequenzen einer Ausdehnung der tarifvertraglichen Leistung auch auf Außenseiter frei mit der Beklagten vereinbart hat.
d) Auch die Beeinträchtigung der Vertragsfreiheit der nicht bzw. anders organisierten Arbeitnehmer der Klägerin durch Ziffer V des TV ErhBeih führt nicht zur Unwirksamkeit der Regelung. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Privatautonomie kein generelles Verbot von Exklusivverträgen kennt und kein Anspruch auf einen bestimmten Vertragsinhalt besteht (vgl. Ulber/Strauß, a. a. O.). Auch ist der Beklagten zuzustimmen, dass der Umstand, dass eine
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tarifvertragliche Leistung individual- oder anderstarifvertraglich bislang nicht durchgesetzt wurde, darauf hindeutet, dass sie ohne den entsprechenden Tarifvertrag nicht durchzusetzen gewesen wäre, sodass eine erst durch diesen Tarifvertrag erlangte Wettbewerbsfähigkeit durch diesen nicht beeinträchtigt werden kann. In jedem Fall aber ist im Hinblick auf die Höhe der hier in Rede stehenden Leistung/Spanne von € 260,00 brutto jährlich keine übermäßig intensiv wirkende Beschränkung erkennbar.
Da Ziffer V des TV ErhBeih also grundrechtlich geschützte Positionen anderer nicht in unzulässiger Weise verletzt und zudem nur die Rechtsbeziehungen zwischen Tarifgebundenen regelt, ist diese Regelung von der Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien gedeckt.
Dem Argument der Klägerin, die Verknüpfung steuerlich begünstigter Erholungsbeihilfen mit der Gewerkschaftszugehörigkeit sei nicht von der Tarifmacht der Tarifparteien umfasst, kann nicht gefolgt werden. So sind zwar Erholungsbeihilfen steuerlich begünstigt. Gleichwohl handelt es sich hierbei nicht um eine gesetzlich vorgeschriebene Leistung, sodass die Anspruchsgrundlage im Rahmen der bestehenden Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien zulässigerweise vorliegend erst im TV ErhBeih geschaffen wurde. Damit geht gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG regelmäßig eine Differenzierung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern einher. Da Ziffer V des TV ErhBeih nicht darüber hinausgehend die Leistung von Erholungsbeihilfen auch an nicht tarifgebundene Arbeitnehmer verbietet und dafür erst Recht keine von § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EinkStG abweichende steuerliche Behandlung vorsieht, wird hierdurch die Inanspruchnahme steuerlicher Vorteile durch Nicht-ver.di-Mitglieder nicht unzulässig beschränkt.
In Ziffer V des TV ErhBeih liegt auch keine unzulässige Verpflichtung der Klägerin, den gegnerischen Verband zu finanzieren. Hieran fehlt es bereits, weil die tarifvertraglich geregelte Leistung unmittelbar den Beschäftigten und nicht der Beklagten zufließt. Eine Zweckbindung im Sinne einer Beitragsfinanzierung besteht nicht. Im Gegenteil schreibt § 40 Abs. 2 Satz 1
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Nr. 3 EinkStG eine Verwendung zur Erholungszwecken vor. Der Umstand, dass begünstigte Arbeitnehmer gegebenenfalls trotzdem den von ihnen zu leistenden Gewerkschaftsbeitrag auch aus den ihnen als Erholungsbeihilfe zufließenden Mitteln bestreiten mögen, führt nicht zu einer unzulässigen Gegnerfinanzierung. Dies beträfe letztlich nämlich jede Art tarifvertraglicher begründeter Leistungsansprüche und führte das Tarifvertragssystem insgesamt ad absurdum.
Dass Ziffer V des TV ErhBeih – wie von der Klägerin geltend gemacht – gegen das Günstigkeitsprinzip aus § 4 Abs. 3 TVG verstieße, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Zutreffend weist die Beklagte insoweit darauf hin, dass das Günstigkeitsprinzip aus § 4 Abs. 3 TVG zwingend die Tarifgebundenheit voraussetzt und daher für nicht tarifgebundene Arbeitnehmer nicht einschlägig ist.
Insgesamt erweist sich Ziffer V des TV ErhBeih daher als wirksam. Auch insoweit war die Klage daher abzuweisen.
III
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO.
Der Streitwert wurde gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG unter Berücksichtigung von § 23 III RVG im Urteil festgesetzt. Im Hinblick auf Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit der Rechtssache erschien eine Wertfestsetzung auf das Zehnfache des Richtwertes angemessen.
Auf Antrag der Klägerin war gemäß § 76 Abs. 1, Abs. 2 ArbGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Sprungrevision zuzulassen. Dies impliziert die Zulassung der Berufung gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG.
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