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LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 15.09.2009, 2 Sa 105/09
Schlagworte: | Auflösungsantrag, Kündigung | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein | |
Aktenzeichen: | 2 Sa 105/09 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 15.09.2009 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Lübeck, Urteil vom 24.02.2009, 3 Ca 2813/08 | |
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Aktenzeichen: 2 Sa 105/09
3 Ca 2813/08 ArbG Lübeck (Bitte bei allen Schreiben angeben!)
Verkündet am 15.09.2009
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Rechtsstreit
pp.
hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom durch die Präsidentin des Landesarbeitsgerichts ... als Vorsitzende und den ehrenamtlichen Richter ... und den ehrenamtlichen Richter ...
für Recht erkannt:
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Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 24.02.2009 – 3 Ca 2813/08 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben; im Übrigen wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung und die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch das Gericht.
Die Klägerin ist am ....1963 geboren. Sie ist ausgebildete Arzthelferin und war seit dem 01.01.1998 als Altenpflegehelferin bei der Beklagten mit einer monatlichen Vergütung von zuletzt 2.152,85 EUR brutto beschäftigt.
Am 11.09.2008 um etwa 15.30 Uhr hörte die Klägerin einen Aufprall. Die Bewohnerin Th. war, unmittelbar nachdem die Klägerin an ihr vorbeigegangen war, gestürzt. Frau Th. leidet unter Parkinson Demenz. Sie ist sturzgefährdet und trägt deshalb sog. Protektorhosen.
In welcher Weise die Klägerin und ihre Kollegin, die Altenpflegehelferin Frau W., Frau Th. Hilfe leisteten, ist strittig. Die Klägerin vergaß, ein Sturzprotokoll anzufertigen. Als sie am nächsten Tag zur Arbeit erschien, forderte ihr Stationsleiter, Herr B., sie auf, das Sturzprotokoll auszufüllen. Das geschah in der aus Anlage B4 (Bl. 26, 27 d. A.) ersichtlichen Weise, wobei die Klägerin das Protokoll mit „11.09.2008“ datierte.
Die Beklagte hörte den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 24.09.2008 (Bl. 17-19 d. A.) zu der beabsichtigten Kündigung der Klägerin an. In diesem Schreiben heißt es u.a., die Klägerin sei an Frau Th. sehr schnell und dicht vorbeigegangen und habe sie so stark gestreift, dass Frau Th. durch diesen Zusammenstoß auf den Boden gefallen sei. Sie und Frau W. hätten Frau Th. anschließend zwar sofort aufgehoben, sie dann aber lediglich auf einen Sessel vor dem Tagesraum gesetzt, um
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dann sogleich ihrer Arbeit weiter nachzugehen, ohne sich weiter um die gestürzte Frau Th. zu kümmern. Da die Klägerin durch ihr unvorsichtiges Verhalten die Ursache für den Sturz gesetzt hätte, wäre es ihre Pflicht gewesen, Frau Th. nicht nur aufzuheben und einfach in einen Sessel zu setzen. Sie hätten sie vielmehr sofort nach dem Sturz darauf untersuchen müssen, ob sie irgendwelche Verletzungen davongetragen hatte. Die Klägerin hätte auch in dem Sturzprotokoll festhalten müssen, dass sie Frau Th. so angerempelt gehabt habe, dass diese hingefallen sei. Eine Mitarbeiterin, die eine so kranke Frau wie Frau Th. leichtfertig selbst zu Fall bringe und sich dann nicht um sie kümmere, sei auf einer Pflegestation zur Betreuung auch sehr kranker Bewohner nicht tragbar. Der Betriebsrat äußerte mit Schreiben vom 29.09.2008(Bl. 20 d.A.) zur beabsichtigten verhaltensbedingten Kündigung Bedenken, weil der Vorwurf nicht erkennbar sei. Die Äußerung der Klägerin und die Befragung der Zeugen habe den Kündigungsgrund nicht bestätigt.
Die Beklagte erklärte der Klägerin mit Schreiben vom 29.09.2008 eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung mit Wirkung zum 31.01.2009. Diese Kündigung hat die Klägerin am 17.10.2008 durch Klage angegriffen.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam. Kündigungsgründe lägen nicht vor. Auch habe die Beklagte den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört. Diesem gegenüber habe sie wiederholt betont, dass die Klägerin den Sturz Frau Th. verursacht habe. Das sei nicht richtig.
Sie und Frau W. seien Frau Th. sofort zur Hilfe geeilt. Sie hätten, so die Klägerin im Kammertermin, die Beweglichkeit und Schmerzfreiheit der Hüfte und der Beine Frau Th.s geprüft, bevor sie ihr hochgeholfen hätten. Sie seien dann gemeinsam zu dem Sessel gegangen. Frau W. und sie hätten Frau Th. dabei gestützt. Sie hätten zuverlässig feststellen können, dass Frau Th. sich nicht verletzt gehabt habe. Sie hätte den Weg zum Sessel sonst nicht schmerzfrei zurücklegen können. Sie hätten sich, was ja auch unstreitig sei, nach Frau Th.s Befinden erkundigt.
Die Klägerin hat behauptet, anschließend die Schichtleiterin Frau K. im Schwesternzimmer über den Sturz informiert zu haben. Sie habe erklärt, dass mit Frau Th. alles in Ordnung sei. Frau K. habe daraufhin davon abgesehen, sich selbst um Frau Th. zu kümmern.
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Richtig sei alleine, dass sie vergessen gehabt habe, das Sturzprotokoll ordnungsgemäß sofort anzufertigen. Das habe sie dann aber am nächsten Tag nachgeholt. Das Datum „11.09.2008“ habe sie gewählt, weil sich der Vorfall an jenem Tage ereignet gehabt habe und sie das Protokoll nach ihrem Kenntnisstand vom 11.09.2008 gefer¬tigt habe.
Ihr sei die Weiterbeschäftigung bei der Beklagten unzumutbar. Es sei mittlerweile beleidigend, wie die Beklagte ihre fachliche Kompetenz abqualifiziere. Sie als erfahrene Pflegehilfskraft habe die Situation am 11.09. sehr wohl zuverlässig einschätzen können. Sie habe sorgfältig und gewissenhaft gearbeitet.
Die Beklagte habe von vornherein falsche Behauptungen aufgestellt, um die Kündigung belegen zu können. So habe sie nie Frau Th. zu Fall gebracht. Das habe deswegen die Zeugin W. auch niemals so geäußert. Sie habe auch mit dem Sturzprotokoll nichts zu verschleiern versucht. Das sei gar nicht möglich gewesen, weil der Stationsleiter sie ja am 12.09. aufgefordert gehabt habe, das Protokoll zu schreiben.
Sie habe die Schichtleiterin Frau K. über den Sturz Frau Th.s informiert. Das beweise schon der Umstand, dass der Stationsleiter am Folgetag von dem Sturz gewusst habe.
Die Klägerin hat beantragt:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 29.09.2008 nicht aufgelöst wird.
Das Arbeitsverhältnis wird gemäß §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz zum 31.01.2009 aufgelöst. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die aber 11.840,-- EUR nicht unterschreiten sollte, zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, sie habe die Kündigung zu keinem Zeitpunkt darauf gestützt, dass die Klägerin Frau Th.s Sturz durch unvorsichtiges Verhalten verursacht gehabt habe. Die Kündigung sei gerechtfertigt, weil die Klägerin und Frau W. Frau
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Th. gar nicht hätten hochhelfen dürfen. Sie hätten sofort eine Fachkraft hinzuziehen müssen. Insbesondere aber hätte die Klägerin eine Gehprobe mit Frau Th. durchführen müssen. Die zwei bis drei Meter bis zum Sessel seien nicht ausreichend gewesen. Spätestens dann hätte die Klägerin eine Pflegefachkraft informieren müssen, damit diese Frau Th. hätte untersuchen können. Das sei nicht geschehen. Die Klägerin habe Frau K. den Sturz nicht mitgeteilt. Frau Th. habe sich bei dem Sturz verletzt. Die Nachtwache habe in der Nacht vom 11. auf den 12.09. zwei Hämatome an deren Hinterkopf festgestellt.
Die Klägerin habe mit dem falschen Datum auf dem Sturzprotokoll zu verschleiern versucht, dass sie dieses weisungswidrig nicht sofort nach dem Unfall, sondern erst am nächsten Tag erstellt habe. Sie wäre auch verpflichtet gewesen, in der Rubrik, ob körperliche Schäden erkennbar seien, auf die zwei Hämatome hinzuweisen.
Sie, die Beklagte, habe die Klägerin nicht herabgewürdigt. Sie habe lediglich darauf hingewiesen, dass die Klägerin als Altenpflegehelferin nicht in der Lage gewesen sei, zu beurteilen, ob Frau Th. Verletzungen davongetragen habe.
Die Beklagte habe auch Tatsachen nicht verdreht. Sie wolle die Klägerin nicht loswerden. Immerhin habe sie ihr mit Ablauf des 31.01.2009 ein Prozessrechtsverhältnis angeboten, das die Klägerin abgelehnt habe.
Das Arbeitsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil vom 24.02.2009 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht beendet worden ist. Weiter hat es das Arbeitsverhältnis zum 31.01.2009 gegen Zahlung einer Abfindung von 11.840 EUR aufgelöst. Gegen dieses am 11.03.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 02.04.2009 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung am 11.06.2009 begründet.
Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Weiter trägt sie vor, der Leiter der Pflegestation des R...hofs G.. 2, S. B., habe sich am 11.09.2008 gegen 15:25 Uhr in seinem Dienstzimmer befunden. Von diesem Zimmer aus habe er den Gang der Pflegestation einsehen können, da beide Türen geöffnet gewesen seien. Er habe beobachtet, dass die Klägerin sehr schnell auf dem Gang gegangen sei und die wackelig gehende Frau Th. berührt habe. Diese sei daraufhin mit einem
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Knall auf den Boden gefallen. Er habe weiter gesehen, dass die Klägerin und ihre Kollegin Daniela W. Frau Th. aufgehoben, in einen Sessel gesetzt hätten und dann ihrer Arbeit nachgegangen seien. Herr B. habe sich darauf verlassen, dass die Klägerin sofort die diensthabende Fachkraft Frau K. über den Sturz unterrichten würde. Er selbst habe sich wegen eines dringenden Gesprächs mit einem Dritten der Sache nicht widmen können. Als er gegen 21:40 Uhr den Pflegewohnbereich kontrolliert habe, habe er festgestellt, dass der Sturz nicht dokumentiert worden sei. Er habe Frau Th. kontrolliert und festgestellt, dass diese 2 Hämatome am Hinterkopf gehabt habe, die in der Pflegedokumentation zuvor nicht festgestellt worden seien, also aller Wahrscheinlichkeit nach aufgrund des Sturzes entstanden seien. Die diensthabende Nachtwache habe bestätigt, dass sie über den Sturz nicht unterrichtet worden sei. Der Klägerin sei erstinstanzlich vorgeworfen worden, dass sie nach dem Sturz nicht dafür gesorgt habe, dass Frau Th. untersucht worden sei. Weiter bestreite sie, dass die Klägerin mit der Bewohnerin eine Gehprobe gemacht habe. Die Kündigung sei daher berechtigt.
Der Auflösungsantrag sei unbegründet. Der Betriebsrat sei über die seinerzeit bekannten Gründe unterrichtet worden. Es sei nicht vorgetragen worden, die Klägerin habe Frau Th. „angerempelt“. Die Klägerin sei nicht herabgewürdigt worden.
Die Beklagte beantragt,
1. unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichtes Lübeck vom 24.02.2009 - Aktenzeichen 3 Ca 2813/08 - die Klage abzuweisen,
hilfsweise
2. den Antrag der Klägerin das Arbeitsverhältnis wird gemäß §§ 9, 10 KSchG zum 31.01.2009 aufgelöst. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird, die aber € 11.048,00 nicht unterschreiten sollte, zu zahlen,
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Weiter trägt sie vor, sie bestreite mit Nichtwissen, dass Herr B. den Sturz beobachtet habe. Jedenfalls sei dieses Vorbringen verspätet. Herr B. sei zuvor nie als Zeuge genannt worden. Es treffe nicht zu, dass sie, die Klägerin, Frau Th. gestreift habe. Der Sturz habe auch nicht vor der Tür stattgefunden, so dass sie sich frage, wie Herr B. etwas gesehen haben wolle. Die Kündigung sei in jedem Fall unberechtigt. Eine Abmahnung hätte sie sich zu Herzen genommen. Dem stehe nicht entgegen, dass sich gegen die Vorwürfe der Beklagten verteidige. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei zutreffend erfolgt. Die Beklagte habe unsachlich, herabwürdigend und auf unrichtige Tatsachenbehauptungen gestützt vorgetragen. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihr nach dem Vortrag der Beklagten im Verlauf dieses Rechtsstreits nicht zuzumuten.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze mit Anlagen und Erklärungen zu Protokoll, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig. Sie ist dem Beschwerdewert nach statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 64 Abs. 2 lit. b; 66 Abs. 1 ArbGG; § 519 ZPO.
In der Sache selbst hat die Berufung indessen keinen Erfolg.
1. Die Kündigung der Beklagten hat nicht Erfolg.
Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist sie sozialwidrig. Denn die Beklagte hat mit dem Ausspruch der Kündigung das sog. Ultima ratio-Prinzip verletzt. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen, denen die Berufungskammer in vollem Umfang beitritt.
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Es wäre auch nach Überzeugung der Berufungskammer, das Vorbringen der Beklagten als wahr unterstellt, zuzumuten gewesen, die Klägerin abzumahnen. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin bei der Beklagten bereits seit 1998 – offenbar bislang beanstandungsfrei - beschäftigt war. Auch wenn die Klägerin sich nach Darstellung der Beklagten nicht ausreichend um die gestürzte Bewohnerin gekümmert haben sollte und – unstreitig – das Sturzprotokoll zunächst vergessen hat, wäre es der Beklagten zuzumuten gewesen, die Klägerin zunächst darauf hinzuweisen, dass sie pflichtwidrig gehandelt habe.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es verwundert, wenn der nunmehr in 2. Instanz benannte Zeuge B. den Sturz und das weitere Verfahren beobachtete, ohne sofort oder zumindest nach Ende seiner Besprechung hinzukam, um ggf. eine Kontrolle vorzunehmen.
2. Die Berufung ist auch unbegründet, soweit sie sich gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung richtet. Auch insoweit wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Gem. § 9 KSchG hat das Arbeitsgericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen, wenn dem Arbeitnehmer nach Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist. Nicht erforderlich ist, dass ein wichtiger Grund i.S. des § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, wonach der Arbeitnehmer angesichts der vorliegenden Gründe zum Ausspruch einer außer-ordentlichen Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigt wäre (BAG vom 26.11.1981 – 2 AZR 509/79 - ). Es reicht aus, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Dabei kann das Verhalten des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der sozialwidrigen Kündigung je nach den Umständen geeignet sein, die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu begründen (BAG Urteil vom 27.03.2003 – 2 AZR 9/02 – EzA KSchG § 9 n.F. Nr. 9).
Ein derartiges Verhalten lag hier vor. Gerade der Wortlaut des Schreibens vom 24.09.2008 zur Unterrichtung des Betriebsrats lässt dies deutlich werden. Die Beklagte wirft der Klägerin in diesem Schreiben vor, sie habe die Bewohnerin zu Fall gebracht. Dieser Vorwurf ist bis zuletzt aufrecht erhalten worden. Weiter wirft die Be-
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klagte der Klägerin in diesem Schreiben vor, sie hätte sie nicht untersucht, sondern lediglich aufgehoben und einfach in einen Sessel gesetzt. Inzwischen trägt die Beklagte hingegen vor, die Klägerin hätte die Bewohnerin mangels Sachkenntnis überhaupt nicht untersuchen dürfen, sondern dies der Pflegefachkraft überlassen müssen. Weiter schildert die Beklagte, die Bewohnerin habe, wie nachts festgestellt worden sei, zwei Hämatome am Hinterkopf gehabt, und führt dies ursächlich auf den Sturz zurück. Dass dies bei diesem konkreten Sturz geschehen ist, ist nach Überzeugung der Kammer nicht zwingend, da die Bewohnerin unstreitig sehr häufig fällt. Der Klägerin wird dies aber zum Vorwurf gemacht.
Schließlich wird der Klägerin in dem Anhörungsschreiben falsche Dokumentation des Sturzes vorgeworfen, indem gefordert wird, sie hätte angeben müssen, dass sie die Bewohnerin umgerannt hatte. Dabei wird auch das Wort „angerempelt“ gebraucht.
Schließlich endet das Schreiben mit der Passage:
„Eine Mitarbeiterin, die eine so kranke Frau, wie die Bewohnerin Frau Th., leichtfertig selbst zu Fall bringt und sich dann nicht um sie kümmert, ist auf einer Pflegestation zur Betreuung von auch sehr kranken Bewohnern, wie es im Fall der Frau Th. gegeben ist, nicht tragbar.“
Diese Passage fasst den Vorwurf der Beklagten noch einmal so zusammen, dass die Klägerin die Bewohnerin zu Fall gebracht und sich dann nicht um sie gekümmert habe. Auch wenn die Beklagte die Behauptung, die Klägerin habe die Bewohnerin „angerempelt“ oder „umgerannt“ inzwischen in „gestreift“ modifiziert hat und jetzt vorträgt, die Klägerin habe sich nicht ausreichend um die Bewohnerin gekümmert, steht diese Äußerung der Beklagten im Raum. Sie ist gegenüber dem Betriebsrat erfolgt und sollte die Kündigung begründen. Die Beklagte hat zum Ausdruck gebracht, dass die Klägerin sich verantwortungslos verhalten hat. Dies stellt gerade für eine im Pflegebereich tätige Mitarbeiterin einen so schweren Vorwurf dar, dass es ihr nicht zugemutet werden kann, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Bei derart extremen Vorwürfen, die in ihrer Intensität nicht aufrechterhalten werden können, ist zu befürchten, dass der Arbeitgeber in anderen Fällen ähnliche Verhaltensweisen zeigen wird. Das
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muss einem Arbeitnehmer nicht zugemutet werden. Schon gar nicht ist einem Arbeitnehmer in dieser Situation zuzumuten, ein Prozessarbeitsverhältnis einzugehen. Nebenbei sei angemerkt, dass, wenn die Beklagte die gegenüber dem Betriebsrat abgegebene Schilderung nicht aufrechterhält, auch eine Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 BetrVG in Betracht kommt.
Die Berufung ist daher mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
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Dr. Martin Hensche Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hensche@hensche.de | |
Christoph Hildebrandt Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hildebrandt@hensche.de | |
Nina Wesemann Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht Kontakt: 040 / 69 20 68 04 wesemann@hensche.de |