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BAG, Be­schluss vom 13.12.2011, 1 ABR 2/10

   
Schlagworte: Streik, Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten, Versetzung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 1 ABR 2/10
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 13.12.2011
   
Leitsätze: Der Betriebsrat eines abgebenden Betriebs hat bei einer arbeitskampf-bedingten Versetzung arbeitswilliger Arbeitnehmer in einen bestreikten Betrieb des Arbeitgebers nicht nach § 99 Abs. 1 BetrVG mitzubestimmen. Das gilt unabhängig davon, ob der abgebende Betrieb in den Arbeitskampf einbezogen ist oder nicht.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Köln, Beschluss vom 07.10.2008, 14 BV 113/07
Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 13.08.2009, 7 TaBV 116/08
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


1 ABR 2/10
7 TaBV 116/08
Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln

Im Na­men des Vol­kes!


Verkündet am
13. De­zem­ber 2011

BESCHLUSS

Klapp, Ur­kunds­be­am­ter

der Geschäfts­stel­le

In dem Be­schluss­ver­fah­ren mit den Be­tei­lig­ten

1.

Ar­beit­ge­be­rin, An­trag­stel­le­rin, Be­schwer­deführe­rin und Rechts­be­schwer­deführe­rin,

2.

Be­schwer­deführer und Rechts­be­schwer­deführer,

hat der Ers­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der Anhörung vom 13. De­zem­ber 2011 durch die Präsi­den­tin des Bun­des­ar­beits­ge­richts Schmidt, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Linck und Prof. Dr. Koch so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Frisch­holz und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Sey­both für Recht er­kannt:

 

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Auf die Rechts­be­schwer­de der Ar­beit­ge­be­rin wird der Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln vom 13. Au­gust 2009 - 7 TaBV 116/08 - auf­ge­ho­ben. Auf die Be­schwer­de der Ar­beit­ge­be­rin wird der Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Köln vom 7. Ok­to­ber 2008 - 14 BV 113/07 - ab­geändert.

1. Es wird fest­ge­stellt, dass die Ver­set­zung von Ar­beit­neh­mern zur Strei­k­ab­wehr von der Zen­tra­le der Ar­beit­ge­be­rin in die Nie­der­las­sung der Ar­beit­ge­be­rin, Lo­gis­tik­zen­trum F, während der Dau­er ei­nes Streiks in der Nie­der­las­sung nicht der vor­he­ri­gen Anhörung und Zu­stim­mung des Be­triebs­rats der Zen­tra­le nach § 99 Be­trVG be­darf.

2. Die Be­schwer­de und Rechts­be­schwer­de des Be­triebs­rats wer­den zurück­ge­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Gründe


A. Die Be­tei­lig­ten strei­ten über ein Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­rats bei Ver­set­zun­gen während ei­nes Ar­beits­kampfs.


Die Ar­beit­ge­be­rin be­treibt ei­nen Le­bens­mit­tel­großhan­del mit ei­ge­ner Lo­gis­tik. Am Stand­ort F un­terhält sie ih­re Zen­tra­le und ein Lo­gis­tik­zen­trum, in dem et­wa 200 Ar­beit­neh­mer beschäftigt sind. Die Zen­tra­le und das Lo­gis­tik­zen­trum sind ei­genständi­ge Be­trie­be, in de­nen je­weils ein ei­ge­ner Be­triebs­rat gewählt ist. Be­tei­lig­ter zu 2) ist der Be­triebs­rat der Zen­tra­le.


Die Ar­beit­ge­be­rin ist Mit­glied im Ar­beit­ge­ber­ver­band Großhan­del-Außen­han­del-Dienst­leis­tun­gen e.V. Sie wen­det auf die Ar­beits­verhält­nis­se ih­rer in F beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer die zwi­schen dem Ar­beit­ge­ber­ver­band und ver.di ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge an.


Im Ju­ni 2007 kam es im Be­reich des Groß- und Außen­han­dels Nord­rhein-West­fa­len zu ei­nem Ar­beits­kampf, der auf den Ab­schluss ei­nes Ta­rif­ver­trags zur Re­ge­lung der mo­nat­li­chen Ta­rif­min­des­tent­gel­te so­wie auf den Neu­ab-

 

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schluss des gekündig­ten Man­tel­ta­rif­ver­trags für den Groß- und Außen­han­del NRW ge­rich­tet war. Im Zu­sam­men­hang mit die­ser Ta­rif­aus­ein­an­der­set­zung wur­de der Lo­gis­tik­be­trieb der Ar­beit­ge­be­rin be­streikt. Mit Schrei­ben vom 12. Ju­ni 2007 teil­te die Ar­beit­ge­be­rin den dort beschäftig­ten Ar­beit­neh­mern mit, sie ga­ran­tie­re ei­ne Loh­nerhöhung von 3,5 % auch für den Fall ei­nes nied­ri­ge­ren Ta­rif­ab­schlus­ses, vor­aus­ge­setzt, dass Streik­maßnah­men un­ter­blie­ben. Dar­auf­hin wur­den die Streiks im Lo­gis­tik­zen­trum am 13. Ju­ni 2007 ein­ge­stellt. Zu­gleich ver­lang­te die Ge­werk­schaft von der Ar­beit­ge­be­rin, ih­re Zu­sa­ge für die Mit­ar­bei­ter des Lo­gis­tik­zen­trums in ei­nem in sei­nem Gel­tungs­be­reich hier­auf be­schränk­ten Haus­ta­rif­ver­trag fest­zu­schrei­ben. Nach Ab­leh­nung durch die Ar­beit­ge­be­rin wur­de das Lo­gis­tik­zen­trum ab dem 14. Ju­ni 2007 mit dem Ziel des Ab­schlus­ses ei­nes ent­spre­chen­den Haus­ta­rif­ver­trags be­streikt. Der Streik en­de­te am 27. Ju­ni 2007, nach­dem es zu ei­nem Ta­rif­ab­schluss ge­kom­men war.


Während der bei­den Streiks ver­setz­te die Ar­beit­ge­be­rin ar­beits­wil­li­ge Mit­ar­bei­ter der Zen­tra­le zum Zwe­cke der „Strei­k­ab­wehr“ in das Lo­gis­tik­zen­trum, die nach Be­en­di­gung des Ar­beits­kampfs wie­der an ih­re Ar­beitsplätze in der Zen­tra­le zurück­kehr­ten. Den Be­triebs­rat der Zen­tra­le un­ter­rich­te­te die Ar­beit­ge­be­rin über die Ver­set­zun­gen, oh­ne al­ler­dings das Mit­be­stim­mungs­ver­fah­ren nach § 99 Be­trVG ein­zu­lei­ten.


Die Ar­beit­ge­be­rin hat gel­tend ge­macht, der Be­triebs­rat der Zen­tra­le ha­be bei den streik­be­ding­ten Ver­set­zun­gen von Mit­ar­bei­tern in das Lo­gis­tik­zen­trum kein Mit­be­stim­mungs­recht nach § 99 Be­trVG. Zwar sei er während ei­nes Ar­beits­kampfs nicht funk­ti­ons­unfähig. Sei­ne Be­tei­li­gungs­rech­te sei­en je­doch ein­zu­schränken, so­weit sie ih­re Kampffähig­keit be­ein­träch­tig­ten. So­wohl die Ver­set­zung aus dem ab­ge­ben­den Be­trieb als auch die Ein­stel­lung in dem be-kämpf­ten Be­trieb sei­en Ar­beits­kampf­maßnah­men.


Die Ar­beit­ge­be­rin hat be­an­tragt 


1. fest­zu­stel­len, dass die Ver­set­zung von Ar­beit­neh­mern zur Strei­k­ab­wehr von der Zen­tra­le der An­trag­stel­le­rin in die Nie­der­las­sung der Ar­beit­ge­be­rin, Lo­gis­tik­zen­trum F, während der Dau­er ei­nes Streiks in der Nie­der­las­sung nicht der vor­he­ri­gen Anhörung

 

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und Zu­stim­mung des Be­triebs­rats der Zen­tra­le be­darf;

hilfs­wei­se

2. fest­zu­stel­len, dass die Ver­set­zung von Ar­beit­neh­mern zur Strei­k­ab­wehr von der Zen­tra­le der An­trag­stel­le­rin in die Nie­der­las­sung der An­trag­stel­le­rin, Lo­gis­tik­zen­trum F, während der Dau­er ei­nes Streiks in der Nie­der­las­sung nicht der vor­he­ri­gen Anhörung und Zu­stim­mung des Be­triebs­rats der Zen­tra­le be­darf, so­weit der Streik den Ab­schluss ei­nes Ta­rif­ver­trags zum Ziel hat, der in sei­nem Gel­tungs­be­reich die Zen­tra­le mit­er­fasst.

Der Be­triebs­rat hat die Ab­wei­sung der Anträge der Ar­beit­ge­be­rin be­an­tragt so­wie fol­gen­de Wi­der­anträge ge­stellt:

1. Es wird fest­ge­stellt, dass die Ver­set­zung von Ar­beit­neh­mern zur Strei­k­ab­wehr von der Zen­tra­le in das Lo­gis­tik­zen­trum F während der Dau­er ei­nes Streiks im Lo­gis­tik­zen­trum F der vor­he­ri­gen Anhörung und Zu­stim­mung des Be­triebs­rats der Zen­tra­le be­darf;


hilfs­wei­se:

2. Es wird fest­ge­stellt, dass es für die Ver­set­zung von Ar­beit­neh­mern zur Strei­k­ab­wehr von der Zen­tra­le in das Lo­gis­tik­zen­trum F während der Dau­er ei­nes Streiks im Lo­gis­tik­zen­trum F der vor­he­ri­gen Anhörung und Zu­stim­mung des Be­triebs­rats der Zen­tra­le be­darf, wenn der Streik den Ab­schluss ei­nes in sei­nem Gel­tungs­be­reich auf das Lo­gis­tik­zen­trum F be­schränk­ten Ta­rif­ver­trags zum Ziel hat.

Der Be­triebs­rat hat gel­tend ge­macht, sein Mit­be­stim­mungs­recht bei Ver­set­zun­gen sei auf­grund ei­nes im Lo­gis­tik­zen­trum geführ­ten Streiks nicht ein­ge­schränkt, wenn die Zen­tra­le von dem Ar­beits­kampf nicht un­mit­tel­bar be­trof­fen sei. Die Durchführung des Mit­be­stim­mungs­ver­fah­rens nach § 99 Be­trVG sei sach­ge­recht, weil die Ar­beit­ge­be­rin Mit­ar­bei­ter der Zen­tra­le im Lo­gis­tik­zen­trum mit „ge­fahr­ge­neig­ten“ schwe­ren körper­li­chen Tätig­kei­ten be­traut ha­be. Sei­ne Auf­ga­be sei es auch im Ar­beits­kampf, über die Ein­hal­tung der Ar­beits­schutz- und Un­fall­verhütungs­vor­schrif­ten zu wa­chen.

Die Ar­beit­ge­be­rin hat die Ab­wei­sung der Wi­der­anträge be­an­tragt. 

 

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Das Ar­beits­ge­richt hat den in der Rechts­be­schwer­de ge­stell­ten Haupt­an­trag der Ar­beit­ge­be­rin ab­ge­wie­sen und dem letz­ten Hilfs­wi­der­an­trag des Be­triebs­rats ent­spro­chen. Die wei­te­ren Wi­der­anträge des Be­triebs­rats hat es ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat dem erst­mals in der Be­schwer­de­instanz ge­stell­ten Hilfs­an­trag der Ar­beit­ge­be­rin ent­spro­chen und im Übri­gen die Be­schwer­den der Ar­beit­ge­be­rin und des Be­triebs­rats zurück­ge­wie­sen. Mit ih­ren Rechts­be­schwer­den ver­fol­gen die Ar­beit­ge­be­rin und der Be­triebs­rat im Um­fang ih­res je­wei­li­gen Un­ter­lie­gens ih­re Anträge wei­ter.


B. Die Rechts­be­schwer­de der Ar­beit­ge­be­rin ist be­gründet. Bei ei­ner ar­beits­kampf­be­ding­ten Ver­set­zung ar­beits­wil­li­ger Ar­beit­neh­mer in ei­nen an­de­ren Be­trieb des Un­ter­neh­mens während ei­nes Streiks hat der Be­triebs­rat des ab­ge­ben­den Be­triebs kein Mit­be­stim­mungs­recht nach § 99 Be­trVG.


I. Der Haupt­an­trag der Ar­beit­ge­be­rin ist zulässig. 

1. Die Ar­beit­ge­be­rin hat im zwei­ten Rechts­zug den erst­in­stanz­lich als Hilfs­an­trag ge­stell­ten An­trag zum Haupt­an­trag er­ho­ben und den zunächst ge­stell­ten Haupt­an­trag nach An­trags­ab­wei­sung durch das Ar­beits­ge­richt nicht wei­ter­ver­folgt. Die­se im Be­schwer­de­ver­fah­ren vor­ge­nom­me­ne An­tragsände­rung ist zulässig, der Be­triebs­rat hat sich dar­auf rüge­los ein­ge­las­sen, so dass sei­ne Zu­stim­mung nach § 87 Abs. 2 Satz 3, § 81 Abs. 3 Satz 2 ArbGG als er­teilt gilt (vgl. BAG 14. Sep­tem­ber 2010 - 1 ABR 29/09 - Rn. 13, AP Be­trVG 1972 § 118 Nr. 83 = EzA Be­trVG 2001 § 118 Nr. 10).

2. Der An­trag be­darf der Aus­le­gung. Die Ar­beit­ge­be­rin hat in der Anhörung vor dem Se­nat dar­ge­legt, dass sie mit „Ver­set­zung von Ar­beit­neh­mern“ die nur vorüber­ge­hen­de, nicht dau­er­haf­te Zu­wei­sung an­de­rer Ar­beits­be­rei­che im Lo­gis­tik­zen­trum meint. Sie hat wei­ter­hin klar­ge­stellt, dass „Anhörung und Zu­stim­mung“ nur ei­nen Ge­gen­stand be­tref­fen und da­mit die Durchführung des Mit­be­stim­mungs­ver­fah­rens nach § 99 Be­trVG ge­meint ist. Zwi­schen den Be­tei­lig­ten ist nicht um­strit­ten, dass die Ar­beit­ge­be­rin den Be­triebs­rat der Zen­tra­le über ar­beits­kampf­be­ding­te Ver­set­zun­gen vor de­ren Durchführung in Kennt­nis zu set­zen hat. Wei­ter­hin be­zieht sich der An­trag nur auf Ar­beit­neh­mer, die be-

 

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reit sind, während ei­nes Ar­beits­kampfs frei­wil­lig im Lo­gis­tik­zen­trum Ar­beits­leis­tun­gen zu er­brin­gen. Die im Haupt­an­trag be­gehr­te Fest­stel­lung ist auf den Zeit­raum ei­nes Streiks be­schränkt, un­abhängig da­von, ob von dem Streik­ziel auch die Ar­beit­neh­mer der Zen­tra­le er­fasst sind. Maßge­bend ist, dass sich der Streik­auf­ruf der Ge­werk­schaft auf das Lo­gis­tik­zen­trum als auf­neh­men­den Be­trieb be­zieht.


3. Der so ver­stan­de­ne Haupt­an­trag ist hin­rei­chend be­stimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Ar­beit­ge­be­rin be­zeich­net kon­kret die Fälle, in de­nen das Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­rats nicht ein­grei­fen soll. Es han­delt sich um ei­nen Glo­balan­trag, der ein­schränkungs­los ei­ne Viel­zahl mögli­cher Fall­ge­stal­tun­gen er­fasst. Die­ser ist zulässig, je­doch grundsätz­lich als ins­ge­samt un­be­gründet ab­zu­wei­sen, wenn un­ter ihn ein­zel­ne Sach­ver­hal­te fal­len, in de­nen sich der An­trag als un­be­gründet er­weist (BAG 20. April 2010 - 1 ABR 78/08 - Rn. 14, BA­GE 134, 62).

4. Der Fest­stel­lungs­an­trag be­trifft das Be­ste­hen ei­nes Mit­be­stim­mungs­rechts in ei­ner hin­rei­chend be­stimm­ten Fall­kon­stel­la­ti­on und da­mit ein Rechts­verhält­nis iSd. § 256 Abs. 1 ZPO.

5. Die Ar­beit­ge­be­rin be­sitzt für ihr Fest­stel­lungs­be­geh­ren das nach § 256 Abs. 1 ZPO er­for­der­li­che Fest­stel­lungs­in­ter­es­se. Dem steht nicht ent­ge­gen, dass der Streik, der Aus­gangs­punkt des Rechts­streits zwi­schen den Be­tei­lig­ten war, in­zwi­schen be­en­det wur­de. Das Be­ste­hen und der Um­fang ei­nes be­trieb­li­chen Mit­be­stim­mungs­rechts können trotz der tatsächli­chen Er­le­di­gung ei­nes Kon­flikts in der Ver­gan­gen­heit im We­ge ei­nes Fest­stel­lungs­an­trags zur ge­richt­li­chen Ent­schei­dung ge­stellt wer­den, wenn der be­tref­fen­de Streit auch künf­tig wie­der auf­tre­ten kann (BAG 10. De­zem­ber 2002 - 1 ABR 7/02 - zu B I 4 der Gründe, BA­GE 104, 175). Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind vor­lie­gend erfüllt. Die Be­tei­lig­ten ge­hen übe­rein­stim­mend da­von aus, dass es im Lo­gis­tik­zen­trum anläss­lich zukünf­ti­ger Ta­rif­aus­ein­an­der­set­zun­gen er­neut zu Ar­beits­nie­der­le­gun­gen kom­men kann. Im Zu­ge sol­cher Streiks kom­men auch wei­ter­hin ar­beits­kampf­be­ding­te Ver­set­zun­gen von Ar­beit­neh­mern aus der Zen­tra­le dort­hin in Be­tracht, so dass der Streit der Be­tei­lig­ten darüber, ob in­so­weit ein Mit­be­stim-

 

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mungs­recht des Be­triebs­rats der Zen­tra­le nach § 99 Be­trVG be­steht, je­der­zeit wie­der auf­tre­ten kann.

II. Ne­ben der Ar­beit­ge­be­rin und dem Be­triebs­rat der Zen­tra­le war nach § 83 Abs. 3 ArbGG kei­ne wei­te­re be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Stel­le zu be­tei­li­gen. Ins­be­son­de­re war der Be­triebs­rat des Lo­gis­tik­zen­trums nicht an­zuhören, weil er durch ei­ne Ent­schei­dung in dem anhängi­gen Be­schluss­ver­fah­ren nicht un­mit­tel­bar in sei­ner be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Rechts­stel­lung be­trof­fen wird.


III. Der Haupt­an­trag der Ar­beit­ge­be­rin ist be­gründet. Die ar­beits­kampf­be­ding­te Ver­set­zung ar­beits­wil­li­ger Ar­beit­neh­mer von der Zen­tra­le in das Lo­gis­tik­zen­trum un­ter­liegt während der Dau­er ei­nes Streiks im Lo­gis­tik­zen­trum nicht der Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats der Zen­tra­le nach § 99 Abs. 1 Be­trVG.

1. Die An­ord­nung der Ar­beit­ge­be­rin ge­genüber Ar­beit­neh­mern der Zen­tra­le, vorüber­ge­hend Ar­beits­auf­ga­ben im Lo­gis­tik­zen­trum aus­zuführen, ist an sich ei­ne Ver­set­zung iSd. § 95 Abs. 3 Satz 1 Be­trVG. Die von der Ar­beit­ge­be­rin vor­ge­nom­me­ne vorüber­ge­hen­de kurz­zei­ti­ge Zu­wei­sung neu­er Tätig­kei­ten im Lo­gis­tik­zen­trum erfüllt den Ver­set­zungs­be­griff des § 95 Abs. 3 Satz 1 Be­trVG. Das Lo­gis­tik­zen­trum ist ein an­de­rer Be­trieb als die Zen­tra­le. Die Zu­wei­sung des an­de­ren Ar­beits­be­reichs im Lo­gis­tik­zen­trum ist für die über­wie­gend kaufmännisch beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer der Zen­tra­le mit ei­ner er­heb­li­chen Ände­rung der Umstände ver­bun­den, un­ter de­nen die Ar­beit zu leis­ten ist.

2. Ob es an ei­nem Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­rats des ab­ge­ben­den Be­triebs nach § 99 Be­trVG fehlt, wenn der be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer mit der vorüber­ge­hen­den Zu­wei­sung ei­nes an­de­ren Ar­beits­be­reichs ein­ver­stan­den ist, be­darf kei­ner Ent­schei­dung. Das Mit­be­stim­mungs­recht be­steht be­reits aus ar­beits­kampf­be­ding­ten Gründen nicht.

a) Bei ei­ner Ver­set­zung iSd. § 95 Abs. 3 Satz 1 Be­trVG hat nicht nur der Be­triebs­rat des auf­neh­men­den, son­dern auch der des ab­ge­ben­den Be­triebs nach § 99 Be­trVG mit­zu­be­stim­men (BAG 26. Ja­nu­ar 1993 - 1 AZR 303/92 - zu

 

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II 1 c der Gründe, AP Be­trVG 1972 § 99 Nr. 102 = EzA Be­trVG 1972 § 99 Nr. 109). Die­ses Mit­be­stim­mungs­recht schützt nicht nur die je­wei­li­gen kol­lek­ti­ven Be­leg­schafts­in­ter­es­sen an ei­ner sach­ge­rech­ten Aus­wah­l­ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers und der Ver­mei­dung wei­ter­ge­hen­der Ar­beits­ver­dich­tung für die ver­blei­ben­den Ar­beit­neh­mer, son­dern dient auch dem in­di­vi­du­el­len Schutz des zu ver­set­zen­den Ar­beit­neh­mers. Die­se Schutz­zwe­cke können al­ler­dings nicht er­reicht wer­den, wenn der be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer ver­set­zungs­wil­lig ist. In ei­nem sol­chen Fall be­darf schon der Ar­beit­neh­mer kei­nes Schut­zes und können kol­lek­ti­ve Be­leg­schafts­in­ter­es­sen nicht ge­wahrt wer­den, weil der Be­triebs­rat ein kündi­gungs­be­ding­tes Aus­schei­den des Ar­beit­neh­mers nicht ver­hin­dern kann. Es ent­spricht da­her der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, dass nach dem Zweck des Mit­be­stim­mungs­rechts ei­ne auf Dau­er an­ge­leg­te Ver­set­zung ei­nes ver­set­zungs­wil­li­gen Ar­beit­neh­mers nicht der Be­tei­li­gung des Be­triebs­rats des ab­ge­ben­den Be­trie­bes be­darf (BAG 22. No­vem­ber 2005 - 1 ABR 49/04 - Rn. 24 mwN, BA­GE 116, 223). Ob das auch für die ein­ver­nehm­li­che kurz­zei­ti­ge Zu­wei­sung ei­nes an­de­ren Ar­beits­be­reichs gilt, braucht nicht ent­schie­den zu wer­den.

b) Der Be­triebs­rat ei­nes ab­ge­ben­den Be­triebs hat bei ei­ner ar­beits­kampf­be­ding­ten Ver­set­zung ar­beits­wil­li­ger Ar­beit­neh­mer in ei­nen be­streik­ten Be­trieb des Ar­beit­ge­bers nicht nach § 99 Abs. 1 Be­trVG mit­zu­be­stim­men. Das gilt un­abhängig da­von, ob der ab­ge­ben­de Be­trieb in den Ar­beits­kampf ein­be­zo­gen ist oder nicht.

aa) Das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz re­gelt das Verhält­nis von Ar­beitskämp­fen zur Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats nicht ab­sch­ließend. Gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 Be­trVG sind Maßnah­men des Ar­beits­kampfs zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat un­zulässig; Ar­beitskämp­fe ta­riffähi­ger Par­tei­en wer­den hier­durch al­ler­dings nicht berührt. Ent­spre­chen­des gilt nach § 2 Abs. 3 Be­trVG, wo­nach die Auf­ga­ben der Ge­werk­schaf­ten und Ver­ei­ni­gun­gen der Ar­beit­ge­ber, ins­be­son­de­re die Wahr­neh­mung der In­ter­es­sen ih­rer Mit­glie­der, durch das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz nicht berührt wer­den. Hier­aus folgt, dass das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz während ei­nes Ar­beits­kampfs grundsätz­lich an­zu­wen-

 

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den ist und mögli­che Ein­schränkun­gen ei­ner ar­beits­kampf­recht­li­chen Be­gründung bedürfen (vgl. BAG 5. Mai 1987 - 1 AZR 292/85 - zu II 1 der Gründe, BA­GE 54, 314). Auch während ei­nes Ar­beits­kampfs bleibt der Be­triebs­rat mit al­len Rech­ten und Pflich­ten im Amt und hat die­ses neu­tral wahr­zu­neh­men (BAG 10. De­zem­ber 2002 - 1 ABR 7/02 - zu B III 2 der Gründe, BA­GE 104, 175).


bb) Nach der Se­nats­recht­spre­chung ist der Be­triebs­rat dar­an ge­hin­dert, ein­zel­ne Mit­be­stim­mungs­rech­te, die durch das Streik­ge­sche­hen be­dingt sind, aus­zuüben, wenn hier­durch die Ar­beits­kampf­frei­heit des Ar­beit­ge­bers ernst­haft be­ein­träch­tigt wird (BAG 10. De­zem­ber 2002 - 1 ABR 7/02 - zu B III 3 b aa der Gründe, BA­GE 104, 175; 14. Fe­bru­ar 1978 - 1 AZR 54/76 - zu 3 der Gründe, BA­GE 30, 43).


(1) Ei­ne Ein­schränkung der Mit­be­stim­mungs­rech­te des Be­triebs­rats während ei­nes Ar­beits­kampfs hat zu er­fol­gen, wenn bei de­ren un­ein­ge­schränk­ter Auf­recht­er­hal­tung die ernst­haf­te Ge­fahr be­steht, dass der Be­triebs­rat ei­ne dem Ar­beit­ge­ber sonst mögli­che Ar­beits­kampf­maßnah­me ver­hin­dert und da­durch zwangsläufig zu des­sen Nach­teil in das Kampf­ge­sche­hen ein­greift (BAG 22. De­zem­ber 1980 - 1 ABR 2/79 - zu C II 3 a der Gründe, BA­GE 34, 331). Die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütz­te Ta­rif­au­to­no­mie und der aus ihr ab­zu­lei­ten­de Grund­satz der Chan­cen­gleich­heit (Kampf­pa­rität) ver­lan­gen in die­sen Fällen ei­ne ar­beits­kampf­kon­for­me Aus­le­gung und da­mit Ein­schränkung der Mit­be­stim­mungs­rech­te des Be­triebs­rats. Hier­durch wird si­cher­ge­stellt, dass nicht ei­ne der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en der an­de­ren von vor­ne­her­ein ih­ren Wil­len auf­zwin­gen kann, son­dern annähernd glei­che Ver­hand­lungs­chan­cen be­ste­hen (BAG 30. Au­gust 1994 - 1 ABR 10/94 - zu B II 1 a der Gründe, BA­GE 77, 335). Al­ler­dings ha­ben Mit­be­stim­mungs- und Be­tei­li­gungs­rech­te des Be­triebs­rats nur in­so­weit zurück­zu­ste­hen, wie de­ren Ausübung die Kampffähig­keit des Ar­beit­ge­bers ernst­haft be­ein­träch­tigt (BAG 10. De­zem­ber 2002 - 1 ABR 7/02 - zu B III 3 b der Gründe, BA­GE 104, 175).

(2) Ei­ne ernst­haf­te Be­ein­träch­ti­gung der Kampffähig­keit des Ar­beit­ge­bers be­steht, wenn die Wah­rung der Mit­be­stim­mungs­rech­te des Be­triebs­rats da­zu

 

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führt, dass der Ar­beit­ge­ber an der Durchführung ei­ner be­ab­sich­tig­ten kampf­be­ding­ten Maßnah­me zu­min­dest vorüber­ge­hend ge­hin­dert ist und auf die­se Wei­se zusätz­lich Druck auf ihn aus­geübt wird. Die­se An­for­de­run­gen sind nach der Se­nats­recht­spre­chung erfüllt, wenn die Mit­be­stim­mungs­rech­te die Rechtmäßig­keit des vom Ar­beit­ge­ber be­ab­sich­tig­ten Han­delns an die Ein­hal­tung ei­ner Frist oder ein po­si­ti­ves Vo­tum des Be­triebs­rats und ggf. des­sen Er­set­zung durch die Ei­ni­gungs­stel­le knüpfen (10. De­zem­ber 2002 - 1 ABR 7/02 - BA­GE 104, 175). Ei­ner Ein­schränkung von Be­tei­li­gungs­rech­ten des Be­triebs­rats bei Maßnah­men des Ar­beit­ge­bers, die zwar während des Kampf­ge­sche­hens ge­trof­fen wer­den, mit der Kampf­abwehr aber in kei­nem Zu­sam­men­hang ste­hen und sich auf das Kampf­ge­sche­hen auch nicht aus­wir­ken, be­darf es da­ge­gen nicht (BAG 30. Au­gust 1994 - 1 ABR 10/94 - zu B II 1 a der Gründe, BA­GE 77, 335).

(3) Eben­so we­nig folgt ei­ne ar­beits­kampf­be­ding­te Ein­schränkung der be­trieb­li­chen Mit­be­stim­mung aus ei­ner sub­jek­ti­ven Über­for­de­rung des Be­triebs­rats. So­weit der Se­nat zur Be­gründung der Be­schränkung der per­so­nel­len Mit­be­stim­mung bei Ein­stel­lun­gen, Ver­set­zun­gen und Kündi­gun­gen während ei­nes Ar­beits­kamp­fes dar­auf ab­ge­stellt hat, der Be­triebs­rat sei bei ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen per­so­nel­len Maßnah­men zur Ab­wehr der Fol­gen ei­nes Ar­beits­kamp­fes mit der Wahr­neh­mung des Mit­be­stim­mungs­rechts vom Neu­tra­litäts­ge­bot über­for­dert (BAG 10. De­zem­ber 2002 - 1 ABR 7/02 - zu B III 3 b aa der Gründe, BA­GE 104, 175; 14. Fe­bru­ar 1978 - 1 AZR 76/76 - zu 7 der Gründe, BA­GE 30, 50 in Be­zug auf §§ 102, 103 Be­trVG), ist da­mit kei­ne sub­jek­ti­ve Über­for­de­rung ge­meint. Viel­mehr wird zum Aus­druck ge­bracht, dass dem Be­triebs­rat in ei­nem sol­chen Fall ei­ne ar­beits­kampf­neu­tra­le Ausübung des Mit­be­stim­mungs­rechts unmöglich ist, da ei­ne zu­stim­men­de Ent­schei­dung die Kampfführung des Ar­beit­ge­bers und ei­ne Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rung letzt­lich die der Ge­werk­schaft stärkt. Des­halb kann für Grund und Aus­maß der ar­beits­kampf­be­ding­ten Be­schränkung des Mit­be­stim­mungs­rechts auch nicht auf die sub­jek­ti­ve Re­ge­lungs­ab­sicht des ein­zel­nen Be­triebs­rats ab­ge­stellt wer­den (so DKKW-Berg Be­trVG 12. Aufl. § 74 Rn. 20; BPSU-AKR 3. Aufl. Rn. 426 f.; Däubler/Det­te Ar­beits­kampf­recht 3. Aufl. § 19 Rn. 132).

 

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c) Nach die­sen Grundsätzen ist ei­ne Ein­schränkung der Be­tei­li­gungs­rech­te des Be­triebs­rats aus § 99 Be­trVG bei streik­be­ding­ten Ver­set­zun­gen ge­bo­ten. Die mit dem ge­setz­li­chen Zu­stim­mungs­er­for­der­nis und dem dar­auf be­zo­ge­nen Anhörungs­ver­fah­ren ver­bun­de­nen Er­schwer­nis­se be­schränken ernst­haft die Kampf­frei­heit des Ar­beit­ge­bers.

aa) Der Ein­satz ar­beits­wil­li­ger Ar­beit­neh­mer auf Ar­beitsplätzen strei­ken­der Beschäftig­ter ist ei­ne Ar­beits­kampf­maßnah­me des Ar­beit­ge­bers. Da­mit ver­sucht er, den Be­trieb fort­zuführen, die wirt­schaft­li­chen Fol­gen des Streiks zu ver­rin­gern und gleich­zei­tig sei­ne Stel­lung in der Ta­rif­aus­ein­an­der­set­zung zu ver­bes­sern.

bb) Die Durchführung des Mit­be­stim­mungs­ver­fah­rens nach § 99 Be­trVG bei streik­be­ding­ten Ver­set­zun­gen ei­ge­ner ar­beits­wil­li­ger Ar­beit­neh­mer hin­dert den Ar­beit­ge­ber ernst­haft an ei­ner wirk­sa­men Kampfführung.

(1) Die Rechtmäßig­keit von Ver­set­zun­gen hängt bei An­wen­dung die­ses Mit­be­stim­mungs­rechts von der Zu­stim­mung des Be­triebs­rats ab. Die­ser hat nach § 99 Abs. 3 Be­trVG für die Ent­schei­dung über die Zu­stim­mung zu den ein­zel­nen per­so­nel­len Maßnah­men ei­ne Wo­che Zeit. Will der Ar­beit­ge­ber die­se Zeit nicht ab­war­ten, hat er nach § 100 Abs. 1 Be­trVG die Möglich­keit, die Ver­set­zung auch vor der Äußerung des Be­triebs­rats vorläufig durch­zuführen, wenn dies aus sach­li­chen Gründen drin­gend er­for­der­lich ist. Ent­schließt er sich da­zu, hat er nach § 100 Abs. 2 Be­trVG den Be­triebs­rat un­verzüglich von der vorläufi­gen per­so­nel­len Maßnah­me zu un­ter­rich­ten. Be­strei­tet der Be­triebs­rat, dass die Maßnah­me aus sach­li­chen Gründen drin­gend er­for­der­lich ist, hat er dies dem Ar­beit­ge­ber un­verzüglich mit­zu­tei­len. In die­sem Fall darf der Ar­beit­ge­ber die vorläufi­ge per­so­nel­le Maßnah­me nur auf­recht­er­hal­ten, wenn er in­ner­halb von drei Ta­gen beim Ar­beits­ge­richt die Er­set­zung der Zu­stim­mung des Be­triebs­rats und die Fest­stel­lung be­an­tragt, dass die Maßnah­me aus sach­li­chen Gründen drin­gend er­for­der­lich war. Lehnt das Ge­richt durch rechts­kräfti­ge Ent­schei­dung die Er­set­zung der Zu­stim­mung des Be­triebs­rats ab oder stellt es rechts­kräftig fest, dass of­fen­sicht­lich die Maßnah­me aus sach­li­chen Gründen nicht drin­gend er­for­der­lich war, en­det gemäß § 100 Abs. 3 Be­trVG die vorläufi­ge per­so­nel­le

 

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Maßnah­me mit Ab­lauf von zwei Wo­chen nach Rechts­kraft der Ent­schei­dung. Von die­sem Zeit­punkt an darf die per­so­nel­le Maßnah­me nicht mehr auf­recht­er­hal­ten wer­den.


(2) Durch das Mit­be­stim­mungs­recht bei Ver­set­zun­gen nach § 99 Be­trVG wird der von ei­nem Ar­beits­kampf be­trof­fe­ne Ar­beit­ge­ber in der Führung des Ar­beits­kampfs ein­ge­schränkt. Er kann den Ein­satz ei­ge­ner ar­beits­wil­li­ger Ar­beit­neh­mer aus sei­nen an­de­ren nicht be­streik­ten Be­trie­ben zur Be­sei­ti­gung oder Mil­de­rung der Streik­fol­gen nicht al­lein be­stim­men, son­dern ist dar­auf an­ge­wie­sen, dass der Be­triebs­rat des je­weils ab­ge­ben­den Be­triebs dem um­ge­hend zu­stimmt. Dem steht nicht ent­ge­gen, dass er nach § 100 Be­trVG die Möglich­keit hat, auch vor ei­ner Ent­schei­dung des Be­triebs­rats über die Zu­stim­mung zu der per­so­nel­len Maßnah­me die Ver­set­zung vorläufig durch­zuführen, so­fern die ar­beits­kampf­be­ding­te Ver­set­zung aus sach­li­chen Gründen als drin­gend an­ge­se­hen wer­den kann. In­so­weit ist zu berück­sich­ti­gen, dass der Ar­beit­ge­ber im Fal­le ei­nes Be­strei­tens des drin­gen­den Er­for­der­nis­ses der Ver­set­zung durch den Be­triebs­rat die ent­spre­chen­de Fest­stel­lung beim Ar­beits­ge­richt zu­sam­men mit ei­nem Zu­stim­mungs­er­set­zungs­an­trag nach § 99 Abs. 4 Be­trVG anhängig ma­chen muss. Das Ver­fah­ren nach § 100 Be­trVG ist da­bei eng mit dem Zu­stim­mungs­er­set­zungs­ver­fah­ren ver­bun­den und baut hier­auf auf. Es ist mit­be­stim­mungs­recht­lich nicht ein „We­ni­ger“, son­dern ei­ne Ergänzung zum Zu­stim­mungs­ver­fah­ren nach § 99 Be­trVG und bie­tet dem Ar­beit­ge­ber ei­ne Art vorläufi­gen Rechts­schutz, der die An­wen­dung des einst­wei­li­gen Verfügungs­ver­fah­rens nach § 85 Abs. 2 ArbGG aus­sch­ließt (Fit­ting Be­trVG 25. Aufl. § 100 Rn. 1; Raab GK-Be­trVG 9. Aufl. § 100 Rn. 4). Der Ver­weis auf § 100 Be­trVG ist des­halb nicht ge­eig­net, die durch die Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­rech­te des Be­triebs­rats nach § 99 Abs. 2 Be­trVG be­wirk­te Be­ein­träch­ti­gung der Kampf­pa­rität zu be­sei­ti­gen.


(3) Die durch das Be­tei­li­gungs­recht des Be­triebs­rats aus § 99 Be­trVG be­wirk­te Ein­schränkung der Kampf­mit­tel­frei­heit des Ar­beit­ge­bers ist ernst­haft. Ihm wer­den hier­durch we­sent­li­che Re­ak­ti­onsmöglich­kei­ten auf Ar­beits­kampf­maßnah­men der Ge­werk­schaf­ten aus der Hand ge­nom­men, weil er den streik-

 

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be­ding­ten Pro­duk­ti­ons­aus­fall durch den Ein­satz ar­beits­wil­li­ger Mit­ar­bei­ter nicht ef­fek­tiv ver­rin­gern kann. Der Ver­weis auf die Möglich­keit, Leih­ar­beit­neh­mer als Streik­bre­cher ein­zu­stel­len, steht dem nicht ent­ge­gen. Der Ar­beit­ge­ber muss sich auch dafür ent­schei­den können, ar­beits­be­rei­te ei­ge­ne Ar­beit­neh­mer, de­ren Zu­verlässig­keit er weit­aus bes­ser als die un­be­kann­ter Leih­ar­beit­neh­mer be­ur­tei­len kann, ein­zu­set­zen, um streik­be­ding­te Ar­beits­ausfälle auf­zu­fan­gen.

So­weit der Be­triebs­rat gel­tend macht, die Ausübung des Mit­be­stim­mungs­rechts bei ar­beits­kampf­be­ding­ten Ver­set­zun­gen sei zur Si­che­rung des Ar­beits- und Ge­sund­heits­schut­zes der ver­setz­ten Ar­beit­neh­mer, die in dem auf­neh­men­den Be­trieb an­der­ar­ti­ge Tätig­kei­ten ver­rich­te­ten, er­for­der­lich, über-sieht er, dass es Auf­ga­be des Be­triebs­rats des auf­neh­men­den Be­triebs ist, auf die Ein­hal­tung der ent­spre­chen­den Vor­schrif­ten zu­guns­ten der dort ein­ge­setz­ten Ar­beit­neh­mer zu ach­ten.

3. Die Ein­schränkung des Zu­stim­mungs­er­for­der­nis­ses bei ar­beits­kampf­be­zo­ge­nen Ver­set­zun­gen be­steht ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht nur, wenn der ab­ge­ben­de Be­trieb, aus dem her­aus die Ver­set­zun­gen er­fol­gen, im Kampf­ge­biet liegt und die dort Beschäftig­ten in den Gel­tungs­be­reich des umkämpf­ten Ta­rif­ab­schlus­ses fal­len, son­dern auch dann, wenn der Ar­beits­kampf in ei­nem an­de­ren Be­trieb des Un­ter­neh­mens geführt wird und nur die dort beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer von dem Ta­rif­ab­schluss er­fasst wer­den.


a) In den bis­lang vom Se­nat ent­schie­de­nen Fällen kam al­ler­dings ei­ne Ein­schränkung von Mit­be­stim­mungs­rech­ten während ei­nes Ar­beits­kampfs nur für Be­trie­be in Be­tracht, die selbst von ei­nem Ar­beits­kampf un­mit­tel­bar be­trof­fen wa­ren. Dies be­traf ei­ne Ein­schränkung des Mit­be­stim­mungs­rechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 Be­trVG bei der Einführung von Kurz­ar­beit (BAG 22. De­zem­ber 1980 - 1 ABR 76/79 - zu C II 2 der Gründe, BA­GE 34, 355) so­wie Mit­be­stim­mungs­rech­te bei der Durchführung von Maßnah­men der be­ruf­li­chen Bil­dung nach § 98 Be­trVG, die da­zu dien­ten, Ar­beit­neh­mer fach­lich in die La­ge zu ver­set­zen, in ei­nem an­de­ren be­streik­ten Be­trieb zur Be­sei­ti­gung oder Mil­de­rung der Fol­gen des dort durch­geführ­ten Streiks ein­ge­setzt zu wer­den (BAG

 

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10. Fe­bru­ar 1988 - 1 ABR 39/86 - BA­GE 57, 295). Hier­bei hat der Se­nat al­ler­dings zusätz­lich dar­auf ab­ge­stellt, dass das Mit­be­stim­mungs­recht aus § 98 Be­trVG be­reits des­halb nicht aus ar­beits­kampf­be­zo­ge­nen Gründen ein­ge­schränkt wer­den könne, weil der Be­such der Fort­bil­dungs­lehrgänge selbst kei­ne Maßnah­me des Ar­beits­kampfs sei, son­dern ei­ne Vor­be­rei­tungs­hand­lung für Maßnah­men zur Ab­wehr von Fol­gen ei­nes Ar­beits­kampfs. Ei­ne Ar­beits­kampf­maßnah­me sei erst der tatsächli­che Ein­satz von Ar­beit­neh­mern im be­streik­ten Be­trieb (BAG 10. Fe­bru­ar 1988 - 1 ABR 39/86 - zu B II 3 c der Gründe, aaO).


b) Bei der recht­li­chen Be­ur­tei­lung der Mit­be­stim­mungs­rech­te des Be­triebs­rats nach § 99 Be­trVG bei streik­be­ding­ten Ver­set­zun­gen darf dem­ge­genüber je­doch nicht außer Acht ge­las­sen wer­den, dass der ab­ge­ben­de und der auf-neh­men­de Be­trieb während ei­nes Ar­beits­kampfs im auf­neh­men­den Be­trieb nicht be­zie­hungs­los ne­ben­ein­an­der ste­hen. Die Prüfung, ob ei­ne Be­schränkung der Kampf­mit­tel zur Ab­wehr der Streik­fol­gen ei­ne Be­ein­träch­ti­gung der Kampf­pa­rität be­wirkt, hat viel­mehr in den Blick zu neh­men, dass der Ar­beit­ge­ber als Geg­ner des Streiks und aus dem umkämpf­ten Ta­rif­ab­schluss Ver­pflich­te­ter durch die un­ein­ge­schränk­te Gel­tung des § 99 Be­trVG bei der Führung des Ar­beits­kampfs be­ein­träch­tigt wird. Dies gilt un­abhängig da­von, ob die Beschäftig­ten des ab­ge­ben­den Be­triebs in den Gel­tungs­be­reich des umkämpf­ten Ta­rif­ab­schlus­ses fal­len oder nur die des auf­neh­men­den Be­triebs. Auch wenn der ab­ge­ben­de Be­trieb von dem Ta­rif­ab­schluss nicht er­fasst wird, bleibt ei­ne Ver­set­zung aus die­sem Be­trieb in ei­nen an­de­ren be­streik­ten Be­trieb des Ar­beit­ge­bers ei­ne ar­beits­kampf­be­zo­ge­ne per­so­nel­le Maßnah­me, wenn hier­durch die wirt­schaft­li­chen Fol­gen des Ar­beits­kampfs ver­rin­gert wer­den sol­len. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat un­berück­sich­tigt ge­las­sen, dass Kampf­geg­ner ent­we­der der Ar­beit­ge­ber­ver­band ist, dem der Ar­beit­ge­ber an­gehört, oder - wie hier beim Streik um den Ab­schluss ei­nes be­triebs­be­zo­ge­nen Haus­ta­rif­ver­trags - der Ar­beit­ge­ber selbst. Im Hin­blick auf die Wah­rung der Kampf­pa­rität kommt es in bei­den Fällen dar­auf an, ob des­sen Kampfführung durch die Mit­be­stim­mungs-rech­te des Be­triebs­rats be­ein­träch­tigt wird. Da­her sind des­sen Be­tei­li­gungs­rech­te nach § 99 Be­trVG auch dann ver­fas­sungs­kon­form ein­zu­schränken, wenn der Ar­beits­kampf in ei­nem an­de­ren Be­trieb des Un­ter­neh­mens geführt

 

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wird und nur die dort beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer von dem Ta­rif­ab­schluss er­fasst wer­den. Dem­ent­spre­chend hat der Se­nat auch im Be­schluss vom 19. Fe­bru­ar 1991 (- 1 ABR 36/90 - zu B II 1 der Gründe, BA­GE 67, 236) be­reits dar­auf ab­ge­stellt, dass sich der Ar­beit­ge­ber selbst - nicht aber ein Toch­ter-un­ter­neh­men - im Ar­beits­kampf be­fin­det.

4. Auch wenn der Ar­beit­ge­ber bei streik­be­ding­ten Ver­set­zun­gen ar­beits­wil­li­ger Ar­beit­neh­mer nicht das Mit­be­stim­mungs­ver­fah­ren nach § 99 Be­trVG durch­zuführen hat, bleibt er je­doch nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Be­trVG ver­pflich­tet, dem Be­triebs­rat recht­zei­tig vor Durchführung der per­so­nel­len Maßnah­me mit­zu­tei­len, wel­che Ar­beit­neh­mer er vorüber­ge­hend zur Strei­k­ab­wehr ein­set­zen will. Die­se Ver­pflich­tung un­ter­liegt kei­ner Be­schränkung. Hier­durch wird der Ar­beit­ge­ber nicht in sei­ner Kampfführung be­ein­träch­tigt. Er kann die Ver­set­zung ar­beits­wil­li­ger Ar­beit­neh­mer frei vom Vo­tum des Be­triebs­rats hier­zu vor­neh­men und ist auch nicht ge­zwun­gen, un­ter Be­ach­tung kur­zer Fris­ten ge­richt­li­che Ver­fah­ren durch­zuführen. Die Un­ter­rich­tungs­pflicht hin­dert den Ar­beit­ge­ber nicht am so­for­ti­gen au­to­no­men Han­deln. Der da­mit ver­bun­de­ne Auf­wand ist nicht ge­eig­net, die Hand­lungs­frei­heit des Ar­beit­ge­bers im Er­geb­nis zu schmälern (eben­so BAG 10. De­zem­ber 2002 - 1 ABR 7/02 - zu B III 4 b der Gründe, BA­GE 104, 175).


5. Da nach al­le­dem der Haupt­an­trag der Ar­beit­ge­be­rin be­gründet ist, war über de­ren Hilfs­an­trag nicht zu ent­schei­den.

C. Die Wi­der­anträge des Be­triebs­rats sind nicht zur Ent­schei­dung an­ge­fal­len. Der Be­triebs­rat hat in der Anhörung vor dem Se­nat klar­ge­stellt, dass die­se nur dann be­schie­den wer­den sol­len, wenn der Haupt­an­trag der Ar­beit­ge­be­rin mit der Be­gründung ab­ge­wie­sen wird, es ge­be je­den­falls ei­ne Fall­ge­stal­tung, in der er sich als un­be­gründet er­weist. Da­mit hat der Be­triebs­rat berück­sich­tigt, dass nach der Se­nats­recht­spre­chung der Grund­satz, dass ein ge­genüber dem po­si­ti­ven Fest­stel­lungs­an­trag spie­gel­bild­lich ge­stell­ter leug­nen­der Fest­stel­lungs­an­trag grundsätz­lich un­zulässig ist, we­gen der Be­son­der­hei­ten der Glo­balanträge im Be­schluss­ver­fah­ren ei­ner Mo­di­fi­ka­ti­on be­darf. Wird ein Glo­ba­lan-

 

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trag al­lein mit der Be­gründung ab­ge­wie­sen, er sei je­den­falls in ei­ner be­stimm­ten Fall­ge­stal­tung un­be­gründet, be­schränkt sich der ob­jek­ti­ve Um­fang der Rechts­kraft der Ent­schei­dung auf die­se Fall­ge­stal­tung. Der leug­nen­de Glo­bal­wi­der­an­trag kann da­her in ei­nem sol­chen Fall nicht mit der Be­gründung als un­zulässig ab­ge­wie­sen wer­den, er be­tref­fe den­sel­ben Streit­ge­gen­stand wie der An­trag des An­trag­stel­lers und sei da­her be­reits rechtshängig iSd. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Das gilt je­doch nicht, wenn dem Glo­balan­trag des An­trag­stel­lers statt­ge­ge­ben oder die­ser mit der Be­gründung ab­ge­wie­sen wird, es ge­be kei­ne Fall­ge­stal­tung, in der er be­gründet ist (BAG 3. Ju­ni 2003 - 1 ABR 19/02 - zu B IV 2 a der Gründe, BA­GE 106, 188).


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